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Zur Situation in Polen 15 Jahre nach der Wende

Gesellschaftliche Hintergründe und Rahmenbedingungen

Analyse mit folgenden Schwerpunkten:- Polen vor dem politischen Umbruch- Das Parteiensystem- Probleme einer innerlich gespaltenen Gesellschaft- Die EU zwischen Skepsis und Unterstützung- Die Medien- Krise und Rekonstruktion der dt.-pol. Beziehungen- Herausforderungen

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Zur Situation in Polen 15 Jahre nach der Wende

Gesellschaftliche Hintergründe und Rahmenbedingungen

von

Stephan Raabe

Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Polen

Warschau, 23. Mai 2005

15 Jahre nach dem demokratischen Umbruch, dem Sieg der Solidaritäts-Bewegung über das kommunistische Regime, hat Polen zwar wichtige politische Marksteine er-reicht: Das Land ist Mitglied der Nato (seit 1999) und der Europäischen Union (seit 2004), spielt außenpolitisch sowohl im Irak wie auch jüngst in der Ukraine eine nicht unbedeutende Rolle, die Wirtschaft läuft mit ordentlichen Wachstumsraten von bis zu 5 Prozent; der Zloty ist bemerkenswert stabil, die Verwaltung funktioniert nicht schlecht.

Dennoch ist Polen noch lange nicht bei sich selbst und ganz in der Europäischen Union angekommen. Das gesellschaftlich-soziale und politische Umfeld in Polen stellt die Arbeit der Konrarad-Adenauer-Stiftung auch in Zukunft vor große Heraus-forderungen: Polen ist als das wichtigste der direkten östlichen Nachbarländer und als größtes der neuen EU-Mitgliedsländer von großer politischer Bedeutung für Deutschland und die EU. Der Transformations- und Reformprozess mit seinen sozialen Belastungen geht in dem Land weiter und stellt enorme Anforderungen an die Gesellschaft. Es geht einerseits darum, die Wirtschaft in Schwung zu halten, an-dererseits aber auch darum, die sozialen Konsequenzen der Reformpolitik (20 % Ar-beitslosigkeit, Schere zwischen Arm und Reich etc.) zu bewältigen.

Wesentliche Aufgaben auf dem Weg der Identitätsfindung als Mitglied der EU und der Angleichung der Lebensverhältnisse und Standards in Europa sind noch zu be-wältigen. Nach dem EU-Beitritt, der bislang als Antwort auf viele politische Fragen diente, stellen sich heute neue Orientierungsfragen. Ein neuer gesellschaftlicher Konsens muss gefunden werden; die Frage nach dem Zusammenhalt der Gesell-schaft wird zukünftig an Bedeutung und Brisanz gewinnen. Deshalb ist die gezielte, gleichwohl breit angelegte und langfristig ausgerichtete Projektarbeit der KAS in Po-len auch fünfzehn Jahre nach dem demokratischen Umbruch ein wichtiger Beitrag zur notwendigen Fortführung der Transformation und Reform, zur Konsolidierung von Demokratie und Rechtstaat, zur Entwicklung einer Marktwirtschaft mit sozialem Aus-gleich und zur Herausbildung einer starken Zivilgesellschaft.

Gerade der Zivilgesellschaft, die in Polen noch wenig entwickelt ist, kommt beim weiteren Fortschritt des Landes neben Politik und Wirtschaft eine besondere Bedeu-tung zu. Bei der Vermittlung des gesellschaftlichen Wandels, der weiteren Integration in die EU und der Bedeutung von Grundwerten wirken die Institutionen der Zivilge-sellschaft als Bindeglieder zwischen gesellschaftlichen Eliten und Bevölkerung. Dies ist für die Arbeit der KAS in Polen von großer Bedeutung, weil sie den überwiegen-den Teil ihrer Veranstaltungen und Förderprogramme für den Ausbau einer Zivilge-sellschaft und für die Gestaltung des vorpolitischen Raumes aufwendet.

Polen vor dem politischen Umbruch

Innenpolitisch steht Polen, das sich seit Anfang 2003 in einem fast anhaltenden Wahlkampf befindet, vor einem politischen Umbruch. Mit den Wahlentscheidungen in diesem Jahr – Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, EU-Verfassungsreferen-dum – wird das Land aller Voraussicht nach politisch ein neues Gesicht bekommen. Die führenden Oppositionsparteien – die liberal-konservative Bürgerplattform (PO) und die sozial-konservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) propagieren eine grundlegende Veränderung der polnischen Politik mit all ihren dunklen Ecken. Nach ihrer Überzeugung haben die großen politischen Affären der letzten Jahre die Grund-lagen der bisherigen postkommunistischen Demokratie grundlegend erschüttert, weil sie als systemimmanent angesehen werden müssten. Die Gefahr gehe, so habe sich gezeigt, nicht so sehr von der angeblichen Rückständigkeit der breiten Bevölkerung, in ihrem Nationalismus und volkstümlichen Katholizismus aus, wie von linksliberaler Seite immer betont worden sei, sondern liege vielmehr im Handeln der postkommu-nistischen Eliten und den mit ihnen verbündeten neuen linksliberalen Eliten. Eine dominante liberale Ideologie habe eine Atmosphäre geschaffen, in der Mechanismen von Machtmissbrauch und Korruption hätten gedeihen können. Nun gelte es gegen-über Individualismus und ethischem Relativismus die Prinzipien der Solidarität und des Gemeinwohls, der demokratischen Partizipation und der normativen Integration zu betonen.

Linksliberale wie der Publizist Adam Krzeminski befürchten demgegenüber eine „konservative Revolution“, die zur Auflösung der III. Republik führe unter Aufhebung des bisherigen Koordinatensystems der polnischen Innen- und Außenpolitik mit ne-gativen Konsequenzen gerade auch für die deutsch-polnische Interessengemein-schaft. Sie beklagen in diesem Zusammenhang die Wiederkehr des Gedankenguts der alten Nationaldemokratie, einen autoritären Charakter, die brutale Sprache, die Tendenz zur Ausgrenzung und Konfrontation bei der konservativen Opposition.

Labilität und Unübersichtlichkeit des Parteiensystems

Das Parteiensystem ist nach wie vor zersplittert, ein Kaleidoskop von Parteispaltun-gen, Umgruppierungen und Parteifusionen trägt zur politischen Unübersichtlichkeit und Verwirrung bei. Die Hoffnung vieler nach 1990, der Sieg der „Solidarität“ und ih-res loyal katholischen Führers Walesa werde zu einer von „christlichen Werten“ be-stimmten Republik führen, wurde früh schon radikal enttäuscht. Seitdem schwingt das politische Pendel mal in die liberal-konservative, mal in die linke Richtung. Nach vier Jahren Regierung ist jetzt das linke Parteispektrum im Zerfall begriffen. Der post-kommunistische Bund der Linken (SLD), der 2001 mit 41 Prozent klar die Wahlen gewonnen hatte und seitdem die Regierung stellt, ist durch zahlreiche Korruptionsaf-fären, Abspaltungen und Führungskrisen diskreditiert. Er erhält bei Umfragen nur noch um die 5 Prozent. Das linke Lager insgesamt mit den von der SLD abgespalte-nen Sozialdemokraten (SdPL) und der Arbeitsunion liegt bei etwas über 10 %. Die liberal-konservative Opposition von PO und PiS erhält derzeit um die 40 % in Umfra-gen. Ob die Stimmen nach der Wahl für eine stabile Regierung reichen werden, ist fraglich. Dann kommt wahrscheinlich die bäuerliche Volkspartei (PSL) als zusätzli-cher Koalitionspartner ins Spiel, sofern sie über die 5 % Hürde kommt. Die linkslibe-rale Zentrum ist derzeit politisch verwaist. Hier bildet sich gerade in einer Art von his-torischem Brückenschlag eine Demokratische Partei, die wirtschaftsliberale Altkom-munisten mit den antikommunistischen Freiheitskämpfern aus der Freiheitsunion ver-binden will. Diese Strömung erhält laut Umfragen allerdings auch nur um die 5 %. Weiter stark ist das Wählerpotential der populistisch geprägten Parteien Selbstvertei-digung (Samoobrona) und Liga der Polnischen Familien (LPR) mit ca. 25 %.

Allgemein wird in Polen die geringe Qualität der Politik beklagt: eine wenig entwi-ckelte Dialog- und Streitkultur, Korruptionsaffären, populistische Strömungen verbun-den mit autoritären Tendenzen führen zu Politikverdrossenheit, die sich u.a. durch geringe Wahlbeteiligung und politische Apathie ausdrückt und in dem geringen An-sehen von Politikern und politischen Institutionen niederschlägt. “Achtung! Sie kehren zurück!“ – Mit diesem Stoßseufzer eröffnete nach dem Abklingen der Trauer über den Tod des aus Polen stammenden Papstes die Zeitschrift Politika ihre Analyse der Innenpolitik. “Uns ging es gut, als ihr nicht da wart“, hieß es dort bezeichnender Wei-se. Nicht zu Unrecht sprechen Beobachter wie der englische Historiker Norman Da-vis von „einer zynischen und chaotische Art von Demokratie“ die sich in Polen nach der Wende herausgebildet habe. „Der liberale, kooperative Diskurs ist heute in Polen auf dem Rückzug, weil er nicht zur Sprache eines menschenfreundlichen und ge-rechten Staates geworden ist. Im Munde der postkommunistischen Politiker über-zeugte er nicht“, resümiert Adam Krzeminski die aktuelle Lage.

Probleme einer innerlich gespaltenen Gesellschaft

Bei der gesellschaftlichen Krise, in der sich die postkommunistische Demokratie in Polen befindet, spielt zum einen der Gegensatz zwischen den Nutznießern und den Verlierern der Transformation eine Rolle, zum anderen aber auch der alte Gegensatz zwischen Altkommunisten und Solidarnosc-Anhängern verbunden mit dem in den kommenden Jahren stärker werdenden Einfluss der neuen Generation der heute 30jährigen, die bislang in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wenig präsent ist. Um die Gegensätze zu verstehen, muss man in die Vergangenheit zurückblicken. Polen war in der Zeit des Kommunismus eine innerlich gespaltene Gesellschaft, was bis heute fortwirkt. Anfang der 80er Jahre waren fast drei Millionen Polen, etwa 12 Pro-zent der erwachsenen Bevölkerung, Mitglied der „Vereinigten Polnischen Arbeiterpar-tei“, wovon wiederum eine Million gleichzeitig der Gewerkschaft „Solidarität“ angehör-ten, die insgesamt 10 Millionen Mitglieder hatte. Die Natur des kommunistischen Sys-tems förderte die negative Auslese eines korrupten, zur Rücksichtslosigkeit und Kon-formismus neigenden Führungspersonals, das sich der Parteidisziplin unterwarf. Die herrschende Nomenklatur rekrutierte den Nachwuchs zu großen Teilen aus den ei-genen Familien, deren Kinder dank der Stellung ihrer Eltern Zugang zur besten Aus-bildung hatten. Diese geben heute als neumodische Technokraten, die sich nach 1990 schnell zum Kapitalismus bekehrten, in vielen Bereichen den Ton an.

Die besondere moralische Situation Polens wurde dadurch geprägt, dass die Be-völkerung durch den Unterschied zwischen den maßgeblich von der Kirche vorge-stellten gesellschaftlichen Werten und denen, die der kommunistische Monopolstaat propagierte, unter extremen moralischen Entscheidungsdruck geriet. So lebten die Menschen unter einem quälenden Widerstreit der Autoritäten. Der Staat und die Le-bensverhältnisse korrumpierten viele Menschen. Selbst Bewunderer Polens müssen zugeben, dass kleine Betrügereien, Bestechlichkeit, sozial unverantwortliches Han-deln und Kriminalität noch immer weit verbreitet sind. Norman Davis hat den „Kern der modernen Erfahrung Polens“, dieses an sich stolzen Landes, mit dem Wort der „Demütigung“ beschrieben: der Demütigung durch den moralischen Widerstreit, durch Unterdrückung und Misswirtschaft, Rückständigkeit, sogar Armut und manch höhnische Bemerkungen der Nachbarn im Westen. All dies, die emotionalen und e-thisch-normativen Folgen der gesellschaftlichen Spaltung, die historische Erfahrung der Demütigung wirken fort. Das demokratische und rechtlich-soziale Ethos ist unzu-reichend ausgebildet, die politische Bildungsarbeit „absolut unterentwickelt“ (Janusz Reiter).

Erstaunlicherweise ist es in Polen bis heute nicht zu einer Abrechnung mit den kriminellen Elementen des kommunistischen Regimes gekommen. Der erste halbwegs frei gewählte Ministerpräsident Mazowiecki entschied sich für eine Politik des „dicken Striches“ unter die Vergangenheit. Eine ernsthafte Aufarbeitung verbun-den mit einer zumindest symbolischen Reinigung des Gemeinwesens fehlt. Die Ver-söhnung der zerfallenen Lager vollzog sich ohne die notwendige öffentliche Klärung demokratischer Prinzipien. Das macht verständlich, warum von Seiten der „konserva-tiven Reformer“ nunmehr das Thema der „Dekommunisierung“ propagiert wird und die Diskussion um die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit mit ihrer Stasi-Hinterlassenschaft in jüngster Zeit aufgebrandet ist.

Auch die katholische Kirche, die in Polen als Ort des nationalen Zusammenhalts und der Opposition gegen den Kommunismus eine große politische Rolle spielt, steht aktuell vor einem Umbruch. Seit 1990 ist sie auf der Suche nach ihrer neuen Rolle in einer pluralistischen Demokratie. Nach dem Tod des polnischen Papstes ist die zent-rale nationale und kirchliche Identifikationsfigur und Autorität verschwunden. Der neue deutsche Papst wird ihn in dieser Hinsicht nicht ersetzten, aber vielleicht zur Verbesserung der Beziehungen zu Deutschland beitragen können. Die Verschiebung der Werte hin zu einem stärkeren Individualismus, bereitet auch in kirchlichen Krei-sen Sorge und ist ein Grund für die verbreitete Skepsis gegenüber der Europäischen Union, die von vielen als „westlich laizistisch“ geprägt angesehen wird. Die Ereignis-se in Polen nach dem Tod ihres Papstes weisen darauf hin, dass das Bedürfnis nach Wertorientierung und gesellschaftlichen Zusammenhalt verbreitet ist. Für die Kirche gilt es, ihre Rolle neu zu bestimmen und die katholischen Laien in ihrer Auf-gabe zu stärken, die Gesellschaft durch christliches Engagement zu prägen und da-mit gerade aus der kirchlichen Tradition in Polen heraus ein wichtiges zivilgesell-schaftliches Element zu bilden. Dabei kann ein Austausch mit der gut ausgebauten katholischen Laienarbeit in Deutschland fruchtbar sein.

Die EU – zwischen Skepsis und Unterstützung

Bezüglich der Europäischen Union ist es in Polen im vergangen Jahr zu einem Meinungsumschwung gekommen. Eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung von über 70 % befürwortet mittlerweile die Mitgliedschaft in der EU, und auch dem Verfas-sungsvertrag stimmt die Mehrheit zu. Die vorher latent vorhanden Ängste und Be-fürchtungen haben ein Jahr nach dem Beitritt deutlich abgenommen. Seitens der po-litischen Parteien gehört Polen allerdings nach wie vor zu den eher europakritischen Ländern. Das Referendum zum Verfassungsvertrag, das von allen Parteien gewollt wird, kann wegen des notwendigen Quorums von 50 % Wahlbeteiligung zu einem Fallstrick werden. In der Bürgerplattform (PO) und der bäuerlich geprägten Volkspar-tei (PSL) ist die Haltung kritisch bis unentschieden. In der PO als der stärksten Kraft der Opposition, gibt es Tendenzen, aus der bisher formulierten negativen Grundposi-tion gegenüber der Verfassung herausfinden. Dementsprechend will die PO Zeit ge-winnen und ein Referendum erst nach dem Ratifizierungsprozess in den alten Mit-gliedsländern der EU im Herbst 2006 abhalten. Die PSL spricht sich mit einer kritisch ablehnenden Haltung ebenfalls für einen möglichst späten Zeitpunkt für das Refe-rendum aus. Die gleiche Haltung vertritt die konservative Partei „Recht und Gerech-tigkeit“ (PiS), der wahrscheinliche Koalitionspartner der PO nach den Parlaments-wahlen im nächsten Jahr. Eindeutig gegen die Verfassung argumentieren die eher populistischen Parteien wie die Liga der Polnischen Familien (LPR) oder Selbstver-teidigung (Samoobrona). Von Bedeutung wird auch die Haltung der katholischen Kir-che in Polen bei einem Referendum sein.

Die Medien als „vierte Gewalt“

Die Entwicklung der Medienlandschaft und gerade des kritischen und investigativen Journalismus kann durchaus als eine Leistung der III. Republik bezeichnet werden. Sie stellt eine „vierte Gewalt“ dar, der man, gemessen an ihrem Einfluss und ihrem Ansehen, auc h den Rang einer dritten oder zweiten Gewalt zuerkennen könnte. Von konservativer Seite wird zwar die dominante Position des liberalen Medienkonzerns Agora, zu dem die zweitgrößte Zeitung des Landes, die Gazeta Wyborcza mit einer Auflage von über 500.000 gehört, kritisiert. Die drittgrößte Zeitung, Rzeczpospolita (knapp 200.000), muss um ihre Unabhängigkeit bangen, da sie immer noch zu 49 % dem Staat gehört. Auf dem Lande übt Radio Maria, ein im Besitz des Redemptoristen Ordens befindlicher Sender, mit katholisch nationalistischen und teilweise auch anti-semitischen Zügen einen unheilvollen Einfluss aus. Auch ist bisher die Präsenz aus-ländischer Investoren in den Medien und dabei die starke Stellung deutscher Verlage mit der auflagenstärksten Zeitung FAKT (Springer Verlag: ein Pendant zu BILD) kaum ein größeres Thema gewesen. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Besitzverhält-nisse und ihres Selbstverständnisses sind die polnischen Medien aber heute eine politisch kaum steuerbare unabhängige Macht. Allerdings ist es gerade angesichts des vorhandenen Pluralismus in den Medien erstaunlich und bezeichnend, wie sehr in manchen Situationen eine Art „nationaler Wagenburg-Mechanismus“ zum Zuge kommt, bei dem das nationale „Wir“ dominiert und wenig Spielraum für eine differen-zierte Betrachtung lässt, so etwa beim Thema „Zentrum gegen Vertreibungen“. Ü-berhaupt sind auf Deutschland bezogen die Voraussetzungen für ein fundiertes und differenziertes Bild in einer von den deutsch-polnischen Spannungen der letzten Jah-re bestimmten Berichterstattung nicht die besten.

Krise und Rekonstruktion der deutsch-polnischen Beziehungen

In den deutsch-polnischen Beziehungen ist es nach Jahren einer guten Entwick-lung im Zusammenhang mit dem Irakkrieg, dem Streit um den EU-Verfassungs-vertrag, dem Zentrum gegen Vertreibungen sowie von deutschen Eigentumsansprü-chen und polnischen Reparationsforderungen ebenfalls zu einer handfesten Krise gekommen verbunden mit einer gewissen Ratlosigkeit, wie damit umzugehen sei. Sprach man bis vor zwei drei Jahren noch von einer deutsch-polnischen Interessen- und Wertegemeinschaft, so ist heute von dem Ende der Interessengemeinschaft, von einer Konfliktpartnerschaft und sogar von einer strukturellen Vertrauenskrise die Re-de mit neuen alten Ängsten auf polnischer Seite. Die Belastungen der Geschichte wirken fort. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, wie dünn mitunter das Eis ist, auf dem sich die Beziehungen entwickeln. Auch in Zukunft wird hier mit Spannungen zu rechnen sein. Geschichte bleibt neben aktueller Tagespolitik immer noch die wich-tigste Wahrnehmungskategorie Deutschlands in Polen. Hat man sich in der Vergan-genheit durch die Marginalisierung der Probleme, die Erfolge der Aussöhnungsarbeit und gemeinsame politische Zielsetzungen vielleicht etwas blenden lassen, so gilt es heute, die Beziehungen auf einer neuen pragmatischen Grundlage zu rekonstruie-ren. Zielsetzungen und Erwartungen einer Kooperation müssen neu bestimmt, noch offene historische Fragen geklärt werden.

Mit dem politischen Wechsel in Polen wird der Umgangston in Bezug auf Deutsch-land voraussichtlich härter werden. Inhaltlich wird sich gleichwohl ein nüchterner Pragmatismus Bahn brechen. Die im Land angesehene Arbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung ist in dieser Situation durch ihren Beitrag zur Aufarbeitung vergangenheits-bezogener Probleme und ihre Ausrichtung auf gemeinsame, zukunftsorientierte Pro-jekte (Europa, Wertedebatte, Sachdialog, Kooperation) eine Schlüsselinvestition für die Zukunft der deutsch-polnischen Beziehungen in Europa wie für die weitere Ent-wicklung der polnischen Politik und Gesellschaft. Das ist vor dem Hintergrund der speziellen deutsch-polnischen Geschichte von nicht geringer Bedeutung.

Zusammenfassung

Obwohl Polen mit dem Nato- und EU-Beitritt wichtige politische Ziele erreicht hat, steht das Land weiterhin vor enormen Herausforderungen, die u.a. mit folgenden Stichpunkten beschrieben werden können:

•der Transformations- und Reformprozess mit seinen Folgen hält an;

•schwerwiegende soziale Probleme wie die hohe Arbeitslosigkeit sind zu be-wältigen;

•das Land ist innerlich gespalten (Aufarbeitung der Vergangenheit im Kommu-nismus);

•ein politischer Umbruch steht mit den Präsidenten- und Parlamentswahlen in diesem Jahr bevor (von der III. zur IV. Republik?);

•das Parteiensystem ist labil und zersplittert, ein nicht unerheblicher politischer Populismus führt zu Konfrontationen;

•die Institutionen der Zivilgesellschaft, eine demokratisch-politische Bildung und ein rechtlich soziales Ethos sind nur schwach ausgebildet;

•Korruptionsskandale und hohe Kriminalität führen zur Verunsicherung in der Bevölkerung und unterminieren die staatliche Ordnung;

•Polen sucht noch seine Rolle und seinen Platz in Europa;

•Fragen der Vergangenheit und aktuelle Streitpunkte belasten das Verhältnis zum Nachbarn Deutschland.

Die in Teilen noch immer ungeklärte gemeinsame Vergangenheit zu bewältigen, bleibt für Deutsche und Polen eine dringliche Aufgabe. Die Pflege einer Kultur der Behutsamkeit wird dabei für das künftige Miteinander von entscheidender Bedeutung sein.

Noch wichtiger ist es jedoch, die gemeinsame Zukunft in Europa zu meistern. Die nächsten Jahre werden darüber entscheiden, ob die 2004 vollzogene Osterweiterung der EU gelingt. Es geht darum, dass Polen seinen Platz in der Europäischen Union und im neuen Mitteleuropa findet. Dabei ist eine möglichst stabile innenpolitische Entwicklung und eine gute, zumindest pragmatische Kooperation mit dem deutschen Nachbarn im Westen eine wichtige Voraussetzung. Für Deutschland ist es von ho-hem politischen Interesse, dass der Aufbau von Demokratie und Marktwirtschaft e-benso wie die Integration Polens in die EU gelingen.

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