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Jugendliche wollen keine Absenkung des Wahlalters

Auch erstmaliges Wählen ab 16 in Thüringen ohne Resonanz

In Thüringen waren am 5. Juni 2016 Minderjährige erstmals bei Kommunalwahlen wahlberechtigt. Das Wahlrecht ab 16 wurde im Jahr zuvor in diesem Bundesland auch mit der Begründung eingeführt, so lasse sich die Wahlbeteiligung steigern. Jugendliche seien an der Teilnahme an Wahlen besonders interessiert.

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Tatsächlich aber ist bei den thüringischen Bürgermeisterwahlen die Wahlbeteiligung 2016 um fast 13 Prozent von 65,2 Prozent auf 52,4 Prozent gegenüber den letzten Kommunalwahlen 2014 gesunken als 16-jährige noch nicht wahlberechtigt waren. Das bestätigt einen durchgängigen Trend: Minderjährige nehmen nach allen vorliegenden Studien nicht häufiger, sondern seltener an Wahlen teil als Erwachsene.

Dennoch wird seit einigen Jahren mit großer Vehemenz die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre und damit die Abkoppelung des Wahlrechts von der Volljährigkeit gefordert – obwohl die Betroffenen bei allen bisher vorliegenden Umfragen eine Absenkung des Wahlalters mehrheitlich ablehnen.

Lediglich die Bertelsmann-Stiftung behauptet in einer 2015 vorgelegten Studie „Wählen mit 16“ „etwas mehr als die Hälfte (52 Prozent) der 16- und17-jährigen befürworten das Wählen ab 16“. Im Kleingedruckten findet sich dazu eher versteckt findet der Hinweis, dass überhaupt nur 21 Jugendliche dieser Altersgruppe befragt wurden, von denen sich 11 für eine Absenkung des Wahlalters aussprachen. Auf einer solchen Befragungsgrundlage den Eindruck eines repräsentativen Meinungsbildes zu erwecken, ist schlicht irreführend.

In tatsächlich repräsentativen Befragungen ist die Ablehnung der Absenkung des Wahlalters bei den betroffenen Jugendlichen seit den ersten derartigen Untersuchungen vor zehn Jahren durchgängig:

  • Eine Querschnittserhebung unter 1.907 rheinland-pfälzischen Schülern im Alter von 14 bis 18 Jahren ergab 2005: „Eine Mehrheit ist für die Beibehaltung des aktiven Wahlalters ab 18 Jahren.” Nur knapp 40 Prozent der rheinland-pfälzischen Schüler befürworteten eine Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre oder jünger. Bemerkenswert ist, dass die Ablehnung einer Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre in der betroffenen Altersgruppe der 16- bis 18-Jährigen am höchsten ist: „Je älter die Jugendlichen sind und je höher ihr formaler Bildungsgrad ist, desto häufiger geben sie sich mit den Status Quo, wählen ab 18 Jahren, zufrieden.”
  • In Deutschland wurden in der 15. Shell-Jugendstudie 2006 insgesamt 2.532 Jugendliche im Alter von 12 bis 25 Jahren gefragt: „Wie finden Sie die Idee, die Altersgrenze für die Teilnahme an Bundestagswahlen von 18 Jahren abzusenken, so dass man schon ab 16 Jahren wählen könnte?” 52 Prozent der Befragten lehnten dies ab, nur 24,7 Prozent stimmten zu, und 22,8 Prozent meinten, es sei ihnen egal.
  • Anfang 2009 befragte die „Grüne Jugend Ostalb” mehr als 550 Aalener Schüler zum Wahlrecht ab 16. Auf die Frage „Hältst du das Wahlrecht ab 16 für sinnvoll?” antworteten 58 Prozent mit „Nein” und nur 24 Prozent mit „Ja”. 18 Prozent konnten sich nicht entscheiden. Das Fazit der Grünen Jugend lautete: „Ein Großteil der Jugendlichen hält das Wahlrecht ab 16 nicht für sinnvoll. Hier zeigt sich, dass die Jugendlichen sich noch sehr unsicher fühlen”.
  • Im Sommer 2010 ergab eine Forsa-Umfrage in Berlin, dass 63 Prozent der befragten Jugendlichen im Alter von 14 bis 29 Jahren das Wahlrecht ab 16 für sich ablehnen. Die Ablehnung in der Gesamtbevölkerung lag bei 77 Prozent.
  • Die Studie „Jugend in Brandenburg 2010“ ergab bei einer Befragung von 3.132 Jugendlichen im Alter von 12-20 Jahren ebenfalls eine ablehnende Haltung: „Eine Zustimmung für eine Herabsetzung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre befürworten nur 33,9 Prozent der Jugendlichen der Befragungsstichprobe.” Dabei liegt der Zustimmungswert für eine Absenkung des Wahlalters bei den unmittelbar betroffenen 15- bis 17-Jährigen mit 38,5 Prozent deutlich niedriger als bei den 12- bis 14-Jährigen (55,4 Prozent). Von den 18- bis 20-Jäh¬rigen Brandenburger Jugendlichen unterstützen sogar nur 20 Prozent ein Wahlalter ab 16.
  • Bei einer nicht repräsentativen Umfrage unter 300 Schülern im Alter von 15 bis 17 Jahren an zwei Hamburger Schulen votierten 2013 sogar 78 Prozent der Befragten gegen eine Herabsetzung des Wahlalters. Auch bei einer Hamburger Podiumsdiskussion von Abgeordneten der Bürgerschaft mit den 10. und 11. Klassen des Luisen-Gymnasiums am 8. Februar 2013 „überraschten die Gymnasiasten mit ihrer Position: Ein Großteil will einfach noch nicht wählen.” Die Presse berichtete: „Es klingt paradox, ist aber so: die Hamburger Bürgerschaft möchte Jugendlichen mit dem geplanten Wahlrecht ab 16 Jahren mehr politische Mitbestimmung auf Landes- und Bezirksebene einräumen – doch die Schüler wollen dies gar nicht. Mehr noch: Sie laufen Sturm gegen die geplante Verfassungsänderung (...)”
  • Selbst das Deutsche Kinderhilfswerk, das vehement für ein Kinderwahlrecht eintritt, musste im Fazit einer „Umfrage zum politischen Engagement von Jugendlichen” 2012 einräumen: „Das Interesse an politischer Mitbestimmung steigt bis zum Alter von 15 Jahren, danach gibt es einen Bruch.”
  • In Mecklenburg-Vorpommern befragte das Umfrageinstitut MENTE-FACTUM im Februar 2014 insgesamt 1.004 Bürger ab 14 Jahren zu Absenkung des Wahlalters bei Landtagswahlen. Das ermittelte Meinungsbild ist eindeutig: 67 Prozent der Befragten lehnten die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre ab. Selbst das Mecklenburg-Vorpommern bereits geltende Wahlrecht ab 16 bei Kommunalwahlen wird von der Mehrheit abgelehnt (61 Prozent). Bemerkenswert ist dabei insbesondere, dass auch die betroffene Altersgruppe der 14-19-jährigen die Absenkung des Wahlalters klar ablehnt: Für Bundestagswahlen mit 95 Prozent, für Landtagswahlen mit 77 Prozent und für Kommunalwahlen mit 61 Prozent.
Dieses eindeutige Meinungsbild zeigt im Blick auf das Wahlrecht für Minderjährige einen deutlichen Unterschied zwischen der Selbsteinschätzung von Jugendlichen und dem Versuch einer politischen Zwangsbeglückung durch Erwachsene. Erwachsene sind aber gut beraten, wenn sie Fragen, die Jugendliche betreffen, nicht über deren Köpfe hinweg entscheiden, sondern ernst nehmen, was die Betroffenen selbst sagen: Von einer Abkoppelung des Wahlrechts von der Volljährigkeit halten Minderjährige jedenfalls in ihrer großen Mehrheit nichts.

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