Asset-Herausgeber

Veranstaltungsberichte

Zehn Thesen als neue Grundlage für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit

von Dr. Andreas Schockenhoff
Bei seinem ersten Treffen mit Mitgliedern des „Rates für die Entwicklung von Zivilgesellschaft und Menschenrechten“ hat sich Präsident Dimitri Medwedew klar für die Stärkung der russischen Zivilgesellschaft ausgesprochen und Verbesserungen an dem 2006 verabschiedeten NGO-Gesetz in Aussicht gestellt. Dieses Treffen hat neues Interesse an dem Verhältnis zwischen Staat und Zivilgesellschaft in Russland geweckt. Dr. Andreas Schockenhoff (MdB) hat aus diesem Grund zehn Thesen als neue Grundlage für die deutsch-russische zivilgesellschaftliche Kooperation aufgestellt.

Asset-Herausgeber

1. Die Epoche der „Entwicklungshilfe“ in Russland ist weitgehend vorbei. Das neue Selbstbewusstsein, auf das man in Russland trifft, sollte da, wo es gerechtfertigt ist, ernst genommen werden. Die „Helfer“-Haltung ist in vielen Fällen nicht mehr angemessen; die Begegnung „auf Augenhöhe“, wie es sich viele in Russland wünschen, sollte zunehmend selbstverständlich werden. Das Ziel ist heute nicht mehr ein einseitiger Transfer von westlichem „know how“. Das Stichwort sollte „Modernisierung“ heißen, verknüpft mit der Frage, wo und wie wir konkret zusammen arbeiten können.

2. Die gewachsene Kompetenz und Professionalität im russischen NGO-Sektor sind Herausforderung und Chance zugleich. Sie bedeuten, dass viele russische NGOs bei der Suche nach Finanzierung und Partnern weniger direkte Unterstützung brauchen und auch nicht mehr wollen. Statt der alten Einbahnstraße westlicher Hilfsprogramme geht es heute um strukturelle Zusammenarbeit. Das Ziel muss sein, mit russischen NGOs gleichwertige Partnerschaften zu entwickeln, die sich aus gemeinsamen Interessen definieren. Die Frage muss lauten: Was können wir russischen Partnern und NGOs real anbieten und wo ist der Synergieeffekt eines gemeinsamen Ansatzes?

3. Alles ist möglich - das Spektrum gemeinsamer Projekte ist heute praktisch grenzenlos. Offiziell hat die russische Regierung die Themen Energieeffizienz, Gesundheit und Verwaltungsmodernisierung zu Kernbereichen für die Zusammenarbeit mit Deutschland erhoben. Allein dies eröffnet eine breite Vielfalt neuer Projektbereiche. Auch im Umweltbereich, der bis vor kurzem in Russland noch marginalisiert wurde, ist zwischen den Umweltministern eine „neue Etappe der Kooperation“ eingeläutet worden. Gerade hier haben wir Deutschen einen klaren „Mehrwert“, der für russische NGOs interessant ist. Wir haben nicht nur technisch viel zu bieten, sondern wissen, dass Umweltschutz nicht nur „von oben“ gemacht wird, sondern ein breites gesellschaftliches Umdenken, also ein aktives zivilgesellschaftliches Mitwirken erfordert.

4. Unternehmen engagieren: Die deutschen Unternehmen, die in Russland tätig sind und gutes Geld verdienen, sollten weit mehr an Bord geholt werden, wenn es um die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit geht. In Deutschland selbst hat sich in den letzten 10 Jahren im Bereich Sponsoring und „corporate social responsibility“ eine neue Dynamik entwickelt. Zwar fördern die großen Energieunternehmen längst spektakuläre Kunstausstellungen und sind im Deutsch-Russischen Forum und der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch engagiert – es fehlt jedoch das direkte gesellschaftliche Engagement der vielen Kleinen und Mittleren Unternehmen (KMU) „vor Ort“. Für praktisch jede Thematik und Region gibt es deutsche und russische Vereine und Organisationen, die Kontakte, Kompetenz und Ortskunde zu bieten haben. Alle Seiten könnten profitieren, wenn im Rahmen der deutsch-russischen Zusammenarbeit auch die KMU und NGOs auf beiden Seiten besser vernetzt würde.

5. Auch die soziale Thematik hat weiter Relevanz. Angesichts des enormen sozialen Gefälles, das durch die Wirtschaftskrise weiter wachsen wird, ist die direkte humanitäre Hilfe „von Tür zu Tür“ (wie ein bekannter deutscher Verein heißt) wieder nötiger denn je. Sozial benachteiligte Gruppen wie Kranke, Waisen, Alte, Behinderte und Drogenabhängige haben es bis heute schwer in der russischen Gesellschaft. Auch wenn die Begriffe von „Hilfe“ und „Unterstützung“ in Russland inzwischen Reizwörter sind: solange es Millionen hilfsbedürftiger Menschen gibt, die weder vom russischen Staat, noch von neuen Oligarchen Hilfe erwarten können, wird die klassische humanitäre Hilfe – in Zusammenarbeit mit immer stärkeren russischen Partnern - weiter ein Teil, aber eben nur ein Teil des westlichen Engagements bleiben müssen.

6. Gleichzeitig bietet die offizielle Thematisierung der Sozialpolitik völlig neue Kooperationschancen in diesem klassischen Bereich. Ein Mittelstands-Russland, wie es die jetzige Führung weiter anstrebt, wird auch zu einer anderen Wahrnehmung der „sozialen Frage“ finden. 2008 wurde in Russland erstmals offiziell ein „Jahr der Behinderten“ ausgerufen. Auch in der deutsch-russischen Zusammenarbeit werden heute Demographie und Migration als wichtige gemeinsame Themenfelder definiert. Dieser staatliche Rahmen eröffnet neue Möglichkeiten für moderne Sozialprojekte in allen therapeutischen Bereichen, im Kinderschutz oder auch in der Altenfürsorge. Neue Möglichkeiten sehe ich aber auch in anderen Feldern, z.B. bei den komplexen Themen der Flüchtlingsproblematik und Integrationspolitik, die bereits in der Partnerschaft Berlin-Moskau eine wachsende Rolle spielen.

7. Die Themen Menschen- und Bürgerrechte, bzw. die Entfaltung einer aktiven Zivilgesellschaft sollten zentrale Themen der Zusammenarbeit mit Russland bleiben. Die wachsende Wahrnehmungskluft zwischen Russland und dem „Westen“ macht einen gezielten Wertedialog zu einer herausragenden Aufgabe. Dabei kann es nicht darum gehen, Nichtregierungsorganisationen in „gute“ (nicht-politische) und „böse“ (politische bzw. menschenrechtsorientierte) zu unterteilen. Im Gegenteil, deutsche Partner können sich klar auf die Reden des russischen Präsidenten berufen, die mit großem Nachdruck auf die grundsätzliche Bedeutung von Zivilgesellschaft und den Wert persönlicher Freiheit verweisen. Dabei gilt es zu betonen, dass Zivilgesellschaft per se eben nicht-staatlich ist, d.h. vom Staat weder finanziert noch gesteuert wird. Zum anderen ist es wichtig, dass wir unser Verständnis von zivilen Rechten im Blick auf Russland erweitern. In einer dynamischen Gesellschaft wie Russland gehören heute z.B. auch Verbraucherschutz und Umweltsicherheit zu elementaren Grund- und Bürgerrechten.

8. Die Zusammenarbeit mit staatlichen Strukturen sollte nicht vermieden, sondern bewusst verfolgt werden, wo es sinnvoll und möglich ist. In den Jahren unter Präsident Putin hat die immer noch schwache Verbindung zwischen russischem Staat und Zivilgesellschaft einige Rückschläge erlitten. Doch immer wieder hört man, dass in der Projektarbeit „vor Ort“ die Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und einzelnen NGOs pragmatisch und reibungslos funktioniert. So könnte sich in Russland langfristig ein offeneres Verhältnis gegenüber dem NGO-Sektor durchsetzen. Dies gilt es zu unterstützen, am besten durch sinnvolle und konstruktive Projekte, die jeden russischen Verwaltungsbeamten überzeugen. So kann Vertrauen zwischen Staat und Gesellschaft wachsen. Dieses Vertrauen, das in Russland nie Tradition hatte, ist die wichtigste Voraussetzung für das Wachsen einer starken Zivilgesellschaft.

9. Die Zeit rein bilateraler Projekte mit RUS ist vorbei. Allein die veränderte Förderlandschaft zwingt dazu, mehr als früher in europäischen – west- und osteuropäischen - Dimensionen zu denken. Österreich, die skandinavischen Staaten, aber auch Italien und Griechenland haben starke Interessen in Russland, die zu gemeinsamen Projektansätzen führen sollten. Ein politischer Blick auf die Länder Mittel- und Osteuropas, vor allem aber auf die „direkten Nachbarn“ Ukraine, Belarus und Georgien, gebietet geradezu, grenzüberschreitend zu denken. Noch ist der „post-sowjetische Raum“ durch viele Konflikte geprägt, die meist tiefere historische Wurzeln haben. Allein deshalb ist jeder Ansatz grenzübergreifender Projektarbeit wichtig – ob direkt bei geschichtlichen Themen oder praktisch wie z.B. bei Fragen der gemeinsamen Gefahrenabwehr am Grenzfluss Memel zwischen Litauen und Russland, oder dem Naturschutz im Kaliningrader Gebiet, wo auch Polen einbezogen ist. Jedes Projekt, das Grenzen überwindet, ist auch ein Stück Normalisierungs- und Versöhnungsarbeit. Das gilt auch für die EU-Projekte des Cross-Border Cooperation Programms, in dem Russland an 7 von 15 Projekten teilnimmt

10. Dies bringt mich zurück zur europäischen, bzw. EU-Dimension der zwischengesellschaftlichen Zu-sammenarbeit mit Russland. Ziel eines neuen Abkommens über Partnerschaft und Zusammenarbeit (PKA) mit Russland ist es auch, zur Entwicklung der Zivilgesellschaft in Russland beizutragen. Dabei ist wichtig, dass heute schon die Mittel des „Europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstruments (ENPI) für Russland – 30 Mio. € jährlich bis 2010– für nachhaltige Projekte genutzt werden. Es ist schade, wenn die „Aktionspläne“ 2007 und 2008 nicht umgesetzt werden konnten, weil Russland sich mit der EU nicht auf ein Finanzierungsabkommen einigen konnte. Auch der Aktionsplan 2009 bleibt mit drei Kulturprojekten weit hinter den Möglichkeiten zurück. Dabei ist Russland im ENPI-Rahmen ausdrücklich nicht Empfängerland, sondern Partner „auf Augenhöhe“! Ich kann nur dafür werben, diesen Status durch eigene Projektvorschläge konstruktiv zu nutzen! Ihrerseits muss die EU, die ihre Finanzierungsinstrumente zu immer komplexeren Großprogrammen zusammengeführt hat, wieder Förderinstrumente entwickeln, die für kleinere und regionale russische NGOs einen realistischen Finanzrahmen haben, und vor allem transparent und zugänglich sind.

Asset-Herausgeber

comment-portlet

Asset-Herausgeber

Über diese Reihe

Die Konrad-Adenauer-Stiftung, ihre Bildungsforen und Auslandsbüros bieten jährlich mehrere tausend Veranstaltungen zu wechselnden Themen an. Über ausgewählte Konferenzen, Events, Symposien etc. berichten wir aktuell und exklusiv für Sie unter www.kas.de. Hier finden Sie neben einer inhaltlichen Zusammenfassung auch Zusatzmaterialien wie Bilder, Redemanuskripte, Videos oder Audiomitschnitte.

Bestellinformationen

erscheinungsort

Moskau Russland

Asset-Herausgeber