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„Der Mechanismus der Selbsttäuschung funktionierte störungsfrei“

Wie schmeckte die DDR?

Günter Schabowski, ehemaliges Mitglied des Zentralkommitees der SED der DDR analysierte in der Reihe „Wie schmeckte die DDR?“ unter dem Titel „Systemträger zwischen Opportunismus und Gewissensbissen“ Handlungsspielräume zwischen Macht und Verantwortung.

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Systemträger zwischen Opportunismus und Gewissensbissen – das umreißt den Handlungsspielraum der Mächtigen in der DDR. Ohne Zweifel begleiten solche Symptome der Verunsicherung das Dilemma einer Diktatur, zunehmend, wenn sich ihr Schiffbruch abzeichnet. Dennoch finde ich, dass das Thema über das Individuelle hinaus einer Abrundung bedarf. Schuld und Verantwortung, die Systemträger, also auch ich, auf sich geladen haben, sind niemals vom handelnden Subjekt zu trennen. Aber wir waren die meiste Zeit, in der wir politische Macht ausübten, nicht schwankende Halme, die zwischen ihrem gehobenen Platz in der Kaderakte einerseits, und kläglichen Selbstzweifeln andererseits, permanent hin und her wogten.

Es gab da noch etwas Erhebliches, das die Einsichtsfähigkeit für Unrecht, das man beging oder billigte, verkümmern ließ. Das war der nie zu überprüfende Glaube an den Sozialismus. Es war die Ideologie, der wir uns unterworfen hatten. Erst im Namen von Ideologien – seien es solche von roter, brauner oder inzwischen anderer Machart potenziert sich Macht, wächst sich über Bevormundung, Gängelung, massenhafter Unterjochung bis zur Menschenvernichtung aus. Erst Ideologien uniformieren Individuen zu gefügigen Gruppen oder zu Massen mit gleichgeschalteten Hirnen. Erst im Zeichen von Ideologien kriminalisieren sich politische Systeme, selbst wenn sie meinen, total humanistisch zu sein. Dabei ist die Paarung von „humanistisch“ und „total“ unvereinbar, weil menschlicher Interessen- und Bedürfnisvielfalt „total“ nur mit Gewalt, mit der Knute beizukommen ist.

Die Wandlung der Utopie

Ich möchte betonen, dass nicht von Anfang an erkennbar war, dass der Weg in die Entartung führt. Am Anfang der kommunistischen Ideologie etwa stehen berechtigte soziale Veränderungswünsche und eine scheinbar schlüssige Theorie.

Die sich vor nahezu zwei Jahrhunderten vollziehende erste industrielle Revolution hatte eine bis dahin nie gekannte Art von Produktivität, aber auch von sozialer Konfrontation erzeugt. Die Faszination des Mach- und Steuerbaren von Allem und Jedem, die Fabriken, einerseits mit ihren rechtlosen Proletarierkohorten, andererseits mit ihren Dampfmaschinen in der Hand von Rohkapitalisten, mit ihren nie gekannten Warenausstößen nährten seinerzeit den Willen, sich auf das widersprüchliche Bild von Überfluss und Elend einen weltverändernden philosophischen Vers zu machen. Die unruhevollen Jahre nach der französischen Revolution bis weit in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts mit ihren revolutionären, freiheitlich-liberalen Aufwallungen mögen die Illusionen vom gewaltsamen Vom-Kopf-auf-die-Füße-Stellen der Gesellschaft und von einer sich ausbreitenden weltweiten Erhebung des rechtlosen Bodensatzes beflügelt haben.

Mit dem Kommunistischen Manifest von 1848 hatte Marx die Vision zu Papier gebracht. Seine Philosophie wollten er und die darauf fußenden kommunistischen Parteien auf die Gesellschaft „angewendet“, „vollstreckt“ wissen, ohne Rücksicht auf materielle, soziale, politische und sonstige Veränderungen, deren permanenter Urheber der Mensch immer bleiben wird.

Der Philosoph und Psychoanalytiker Paul Watzlawick hat schon in den 70er Jahren in einer seiner wissenschaftlichen Arbeiten enthüllt, wie sich die Utopie in den Köpfen ihrer kommunistischen Verfechter, die sich zu Heilsbringern bevollmächtigten, zu einer Spielart von Ideologie, nämlich zum Utopiesyndrom wandelt. Die von ihm gefilterten Merkmale sind: Die Unterdrückung kleinmütigen Zweifels an der einmal erkannten Wahrheit, wenn die Realitäten auch gegen sie zeugen; die selbst auferlegte Verpflichtung zu missionieren, der Glaube in ihre Überzeugungskraft; das darauf gegründete und unbeirrbar angesteuerte Ziel einer entsündigten Welt. Die Mängel, die Verirrungen und Perversionen, die den endlosen Weg zur Utopie säumen, sind nur die Schuld derjenigen, die sich der Wahrheit dumpf verschließen. Wenn die auf der einzigen Wahrheit gegründeten politischen Strategien versagen, liegt die Ursache nicht in der Prämisse, sondern in der Widrigkeit äußerer Faktoren oder individueller Unzulänglichkeit der „Missionare“.

Ich kannte die Arbeit Watzlawicks über das Utopie-Syndrom nicht, als ich im Frühjahr 1990 den Versuch einer Schilderung des DDR-Untergangs und seiner Ursachen aus meiner Sicht unternahm, der dann als Buch erschienen ist. Verbunden mit der späteren Lektüre war die bedrückende und beschämende Entdeckung, dass Wissenschaftler längst unsere Guru-Komplexe beschrieben hatten, als wir noch zügig auf unserem Holzwege voranschritten. In dem Kapitel über meine Arbeit als Berliner Parteisekretär, die ich mit Verve und Illusionen begonnen hatte, stelle ich fest: „Der Mechanismus der Selbsttäuschung funktionierte störungsfrei.“ Schuld an möglichem Versagen ist nur die sich ihrer Mission nicht bewusste, bislang ausgebeutete Masse. In der politischen Praxis wurde es zu einem System absoluter Rechthaberei. Die Theorie wurde zur Staatsphilosophie erhoben und zur Bindekraft eines politischen Systems funktionalisiert. Das hat ihre menschenfeindliche Entartung – letztlich ihr Fiasko und das des Systems bewirkt. Auch in der DDR.

Ein Fehler der Demokratie

Im Zeichen von Ideologien und ihren fanatischen Verfechtern wurden im vergangenen Jahrhundert die größten Verbrechen begangen. Und schon wieder sind wir mit mörderischen Effekten von Ideologien konfrontiert, die sich religiös dekoriert haben, und deren Träger sich diesmal bei ihrem diesseitigen mörderischen Treiben auf das Jenseits berufen.

Mein Verweis auf Ideologien ist nicht der Versuch eines Machtträgers, eigene Verantwortung abzuwälzen. Letztlich entgeht der, der sich einer ideologischen Verblendung unterworfen und der Verletzung elementarer Menschenrechte schuldig gemacht hat, doch nicht der Ahndung durch demokratische Gerichte. Dennoch halte ich die Großmut der Demokratie für einen Fehler, dass sie dieser Bankrott- und Unterdrückungspartei ein Jahr nach ihrem Machtverlust, den Einzug in das ihr verhasste Bundesparlament gewährt hat.

Auf den Faktor Ideologie zu verweisen, auf ihr Verführungsgift, ist ein notwendiges Kapitel der Sichtung von Geschichte. Ich glaube zwar nicht, dass sich unter den Parolen der PDS oder Linken noch jemals politisches Agieren zur Allmacht wie einst in der DDR mausern kann. Aber sie tritt uns ja noch immer entgegen. Und sei es heute als potenter Störfaktor im demokratischen Gefüge der Bundesrepublik. Sehen wir nur die jüngsten Veränderungen im Parteiensystem, die dadurch bewirkte Zwangsläufigkeit zu einer großen Koalition bei der letzten Bundestagswahl an. Sehen wir nur den Schrumpfungsprozess, dem eine demokratische Vollblutpartei wie die Sozialdemokratie ausgesetzt ist – zweifellos auch infolge der Demagogie der Linken.

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