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Veranstaltungsberichte

Kassandrarufe: Über die Selbstachtung in Zeiten der Zensur

von Alexander Löcher

Die Autoren Erich Loest, Uwe Kolbe und Christian Lehnert über Literatur als Seismograph für die Gesellschaft

Haben Schriftsteller eine gesellschaftliche Verantwortung? Um die Pointe der Veranstaltung vorwegzunehmen: Ja, sie haben – eine „Teilverantwortung“. Wie auch jeder Mensch eine gesellschaftliche Verantwortung für seinen Teil, sein soziales Umfeld hat, betonte der Schriftsteller Christian Lehnert, der zusammen mit seinen beiden Kollegen Erich Loest und Uwe Kolbe auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Dresden über das Verhältnis von Literatur und gesellschaftlicher Entwicklung diskutierte.

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Von links: Erich Loest, Dr. Joachim Klose, Leiter des KAS-Bildungswerks Dresden, Uwe Kolbe und Christian Lehnert

Diese Teilverantwortung galt umso mehr für das Leben in einem System, dessen Alltag von der Schizophrenie „der DDR-Schule und des Westfernsehens“ geprägt war, so Kolbe. Einer Welt, in der die Realität nur über das Westfernsehen erfahrbar war und das reale Leben sich an einer „Utopie abarbeitete“. Weshalb Lehnert der festen Überzeugung ist, dass wir heute keine gesellschaftlichen Utopien mehr brauchen: „Marxismus/Leninismus, auf diese Utopien können wir verzichten“.

Das Leben eines Schriftstellers, wollte er sich nicht vollends dem SED-Regime unterordnen, konnte gefährlich sein, denn „nicht selten lag hinter dem Zensorenkabuff das Gefängnis“, gab Loest zu bedenken. Schlimmer wog für ihn jedoch die „Macht“ der Zensur selbst. In seinem Essay „Der Pestatem der Zensur“ sprach er die vier Zensoren direkt an. 1. „Die Zensur im Kopf“, 2. „Die Zensur der Verleger“, 3. „Das Ministerium für Kultur“ und 4. „Die Partei“. Alle vier bildeten eine unheilvolle Allianz. Denn wenn die „Zensoren den Knüppel schwangen, hatte der Autor keine Chance“, so Loest.

„Wer schreibt muss nach Außen gehen.“ Literatur will gelesen und verstanden werden, denn niemand schreibt für sich selbst, fuhr er fort. Seiner Ansicht nach gab es keinen Autor in der DDR, der sich nicht mindestens einmal einem Zensor hatte beugen müssen. Viele gaben angesichts der Repressionen frustriert auf, „blieben auf der Strecke“ und wechselten nicht selten die Berufe, während andere Autoren sich beugten bis sie ihr „Rückgrat verbogen“, so Loest weiter. Auf die Frage von Dr. Joachim Klose, ob man als Autor eher radikal oder versöhnlich war, entgegnete er, dass „die Ideologie letzteres ausschloss“. Das gesamte Denken war von Schwarz-Weiß-Schemata sowie Freund- und Feindbildern geprägt. Idealisten, so Loest, sind in diesem System „zu Grunde gegangen“.

Mit unbequemen Büchern konnte die DDR nicht leben. Hiervon legen die Biografien dieser drei Schriftsteller beredtes Zeugnis ab. Gleichzeitig liegt ihren Erfahrungen eine mögliche Antwort auf die eingangs gestellte Frage zugrunde. Das Leben in der DDR war voller Risse, mit denen sie fertig werden mussten. Literatur hat nun die Aufgabe, diese Risse aufzuspüren und die entstandene Kluft zu füllen. Nur so kann sie ihrer Rolle als Seismograph für gesellschaftliche Entwicklungen gerecht werden. Erich Loest, Uwe Kolbe und Christian Lehnert besitzen dieses Gespür. Sie haben Selbstachtung bewahrt, in einer Zeit, in der Individualität durch die Gleichförmigkeit zersetzt werden sollte. Sie haben mit der Verantwortung für ihre eigene Biografie Verantwortung für das Ganze übernommen. Oder in den Worten Uwe Kolbes: „Ich bin nur einer der Boten.“

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Von links: Erich Loest, Dr. Joachim Klose, Leiter des KAS-Bildungswerks Dresden, Uwe Kolbe und Christian Lehnert

Erich Loest (geb. 1926 in Mittweida) ist deutscher Schriftsteller. Er studierte Mitte der 1950er Jahre am Literatur-Institut Johannes R. Becher in Leipzig. Nach einer Haftstraffe, strikten Schreibverbot und massiver Behinderung durch das SED-Regime in seiner schriftstellirischen Tätigkeit ging er in die Bundesrepublik. Seit 1980 engagierte er sich im westdeutschen Verband deutscher Schriftsteller, für den er von 1994-97 als Vorsitzender agierte. Seit 1998 ist er wieder ausschließlich in Leipzig ansässig. Er ist Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste und träger des Großen Bundesverdienstkreuzes.

Uwe Kolbe (geb. 1957 in Berlin) ist deutscher Lyriker und Prosaautor. Er absolvierte 1980/81 ein Sonderstudium am Literatur-Institut Johannes R. Becher. Seit den 1980er Jahren hatte Kolbe faktisches Publikationsverbot und arbeitet für verschiedene Untergrundzeitschriften (z. B. Mikado). 1987 übersiedelte er nach Hamburg. Von 1997 bis 2003 war er Leiter des Studios Literatur und Theater der Universität Tübingen. Heute lebt Uwe Kolbe wieder als freier Schriftsteller in Berlin. Kolbe ist Mitglied der Freien Akademie der Künste zu Leipzig.

Christian Lehnert (geb. 1969 in Dresden) ist deutscher Schriftsteller und Lyriker. Er studierte Religionswissenschaft, Evangelische Theologie sowie Orientalistik und gilt als Kenner der christlichen, jüdischen und muslimischen Religion. Nach längeren Aufenthalten in Israel und Nordspanien lebt er heute in Müglitztal in der Nähe von Dresden. Für die Konzertoper Phaedra, die 2007 an der Berliner Staatsoper uraufgeführt wurde, schrieb er das Libretto.

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