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Veranstaltungsberichte

Spurensuche Polen - Versöhnung der dritten Generation

von Jonas Lietz

Seminar des FSJ Politik und der Konrad-Adenauer-Stiftung in Wrocław

Diese Exkursion war das vierte und damit letzte Seminar für die jungen Leute des Freiwilligen Sozialen Jahres im Bereich Politik. Insgesamt 20 Jugendliche absolvieren seit September 2009 für ein Jahr ihren Freiwilligendienst in verschiedenen Einsatzstellen (Stadtverwaltungen, Vereinen, Politischen Stiftungen, Gedenkstätten, uvm.) in ganz Sachsen. Die Jungen und Mädchen stammen aus den Neuen und Alten Bundesländern, was diese Exkursion noch interessanter gestaltete.

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Am Montag, den 21. Juni 2010 trafen die insgesamt 19 Jugendlichen mit dem Zug in Wrocław ein. Die Jugendherberge des Hotels TUMSKI bot eine günstige, innenstadtnahe Unterkunft. Der Montag stand unter dem Motto: „Wrocław – mitteleuropäische Metropole“. Eine Stadtführung, der Besuch der Synagoge und ein selbstständiger „Stadtbummel“ eröffnete jedem die Dynamik dieser jungen Metropole. Aleksandra Pierścińska, zuständig für die Auslandsbeziehungen der Stadt, begrüßte uns im Plenarsaal des Rathauses und gab einen informativen Überblick. Am Abend traf sich die Gruppe zu einer ersten Diskussionsrunde. Welche Erwartungen haben die Teilnehmer an die bevorstehende Woche? Wie denken sie über das Nachbarland? Schnell kamen auch gewisse Vorurteile an Tageslicht („rückschrittlich“, „nur Landwirtschaft“, „Bruchbuden“, ...). Ziel des Seminars war es u. a., solche Stereotypen zu untersuchen und gegebenenfalls zu entkräften.

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Zu Gast in der Synagoge von Wrocław

Am Dienstag war die Gruppe zu Gast im Edith-Stein-Haus. Nach einer kurzen Vorstellung von Dominik Ptak, dem Direktor des Hauses, der über die Aufgaben des Vereines sprach, begannen die Vorträge der Teilnehmer/-innen. Im Vorfeld hatten sich die jungen Leute in 2er-Gruppen zusammengefunden und einen Themenkomplex aus der polnischen Geschichte gewählt, auf den sie genauer eingehen wollten. Chronologisch begann es mit dem Thema „Landesausbau und Ostsiedlungen im 11. Jahrhundert“. Eine andere Gruppe sprach über die „Polnische Adelsrepublik“. Der Zweite Weltkrieg mit seinen Folgen bildete ein breites Feld ab. Zum Schluss gab es einen Vortrag über „Polen in Europa“ zu hören. Nach dem Mittagessen sprach der Germanist, Prof. Dr. Hubert Orłowski, sehr anschaulich und offen über „Polnische Mentalität“. Gibt es überhaupt eine nationale Mentalität? Sind Menschen östlich der Neiße anders als Menschen westlich der Neiße? Prof. Orłowski zeigte eine Illustration der aktuellen Tageszeitung. Darauf konnte man das Wahlverhalten der Polen ablesen. Während der Westen bei der Präsidentschaftswahl eher liberal (Bronisław Komorowski) wählte, schnitt der Osten eher konservativ (Jarosław Kaczyński) ab. Es gibt also im Land selbst schon eine Unterscheidung. „Wer nach einer Identitätszugehörigkeit sucht, grenzt andere aus!“, so Orłowski. Im weiteren Verlauf seines Vortrages verwies er auf die Völkertafel und auf den Kulturwissenschaftler Geert Hofstede. Eine nationale Mentalität baue immer auf ein gesellschaftliches Gedächtnis auf, betonte Orłowski am Ende seines Vortrags. Das gesellschaftliche Gedächtnis der Polen ist durch die wechselhafte Geschichte charakterisiert. „Polen ging einen Sonderweg.“ Besonders das „lange 19. Jahrhundert“ sei für das Land prägend gewesen. Im Anschluss seines Vortrages blieb Zeit für Fragen. Prof. Orłowski nahm sich viel Zeit für die Jugendlichen und antwortete ausführlich. Der zweite Vortrag beschäftigte sich mit dem Thema „Feindbilder? – Vorurteile zwischen Deutschen und Polen“. Die Erforschung von Stereotypen gehört zur Expertise von Prof. Orłowski. Für den Referenten liegt die Entstehungszeit dieser gravierenden Vorurteile in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Das Bürgertum in Deutschland soll gewisse Tugenden vermitteln (Ordnung, Fleiß, Sauberkeit und Sparsamkeit). Schnell werden diese Bürgertum-Tugenden zum gesamtdeutschen Aushänge-Schild. Die Bürokratisierung verschaffte den Deutschen eine Art Überheblichkeit, sodass anderen Ländern der „böse“ Spiegel vorgehalten wurde. Das gefährliche an solchen Stereotypen sei, dass sie mit Argumenten nicht aus der Welt geschaffen werden könnten. Dazu tauchten solche Stereotypen immer dann auf, wenn man sie braucht („Sündenbockrolle“: z.B. moralische Rechfertigung für Aufteilung Polens). Bis heute sei das Wort „Polnischer Reichstag“ im Schwedischen Ausdruck für Unorganisiertes und Unkontrollierbares. Zum Schluss regte der Referent an, den Ausdruck „Feindbilder“ in diesem Zusammenhang nicht zu verwenden. Im Anschluss dieses 30-minütigen Impulsreferates wurde wieder rege diskutiert. Am Abend trafen sich noch einmal alle Teilnehmer/-innen im Tagungsraum des Hotels, um den Film „Am Ende kommen Touristen“ von Robert Thalheim zu schauen. Vor und nach dem Film wurde der Inhalt thematisch aufgearbeitet. Ist Auschwitz wirklich nur KZ? Wie lebt es sich in Oświęcim, dem Ort der Widersprüche? Wie geht man mit Zeitzeugen um? Was geschieht, wenn Geschichte nicht mehr greifbar ist, die Zeitzeugen aussterben und die Gedenkstätten verfallen? Wie geht man in Zukunft mit diesem dunklen Kapitel der deutschen Geschichte um? Kann man allein aus Büchern „schlau“ werden? Die Jugendlichen beteiligten sich sehr aktiv an der Debatte und würdigten die Leistungen des Filmes.

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Die Innenstadt von Wrocław

Am Mittwoch war die Gruppe im Ossoliński-Institut zu Gast. Das Tagesthema lautete: „Für immer entwurzelt? Vom Wert der Erinnerungen.“ Zum Auftakt sprach der Leiter des Dresdner Bildungswerkes, Dr. Joachim Klose, über den Begriff Heimat und dessen Verstrickung zu Herkunft, Identität und Geschichte. Speziell ging es um das Bedürfnis nach Vertrautheit und Sicherheit, den Garten als Sinnbild solcher Sehnsüchte und um die ästhetischen Werte. Dr. Klose baute aber zugleich eine Brücke zu der DDR-Thematik. Dabei betrachtete er die Verlusterfahrungen (z.B. Machtverlust nach der Wende) und das Zeiterleben (DDR n heute). Der Referent zeigte auf beachtliche Weise, welche Vielseitigkeit der Begriff Heimat in sich birgt, den es letztendlich in dieser Bedeutung ja auch nur in der deutschen Sprache gibt. „Heimat ist ein emotionaler Interpretationsraum“, so Klose. Deshalb stehe er auch in der Gefahr, missbraucht zu werden. Die jungen Leute waren von der Komplexität des Vortrages und der Vortragsweise sehr begeistert. Damit sie sich selbst über die Thematik austauschen konnten, wurde die Gruppe gedrittelt. In kleineren Gruppen konnten Gedanken zu „Heimat und Globalisierung“, „Heimat und Rechtsextremismus“ und „Heimat und Vertreibung“ gesammelt werden. Die Vorstellung der Ergebnisse der letzten Gruppe lieferte einen direkten Übergang zum nächsten Referenten, denn nach dem Mittagessen sprach Dr. Kazimierz Wóycicki über „Heimatverlust, Flucht und Vertreibung“. Der Referent ging zunächst recht sachlich vor, zeigte, dass die Umsiedlung nach dem Zweiten Weltkrieg eine große Herausforderung war, die aber schlecht organisiert wurde, nannte die Opferzahlen und das Vorgehen der Sowjets (Taktik: Angst schüren). Im zweiten Teil zeigte der ehemalige Direktor des Polnischen Instituts in Leipzig die Probleme der deutschen Erinnerungskultur (Erika Steinbach und BdV). Der Dialog werde durch einige deutsche Äußerungen immer wieder gefährdet. Es bestehe immer noch eine Unsicherheit, ob es die Deutschen mit den Grenzen ernst meinen. Mit teilweise polarisierenden Äußerungen sorgte Wóycicki für einigen Zündstoff in der Diskussion mit den Teilnehmern. Dennoch kam man letztendlich auf gemeinsame Nenner. Der Nachmittag konnte zur selbstständigen Freizeitgestaltung genutzt werden. Ein großer Teil der Gruppe besuchte in der freien Zeit den alten jüdischen Friedhof.

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Der alte jüdische Friedhof

Der Donnerstag begann um 10.00 Uhr im Willy-Brandt-Zentrum für Deutschland- und Europastudien. Diese interfakultäre und interdisziplinäre Einrichtung ist in die Universität Wrocław integriert. Die Gruppe wurde von den Mitarbeitern des WBZ herzlich begrüßt. Nach einer kurzen Vorstellung und einem Rundgang durch das Haus, konnten wir die derzeitige Ausstellung über die deutsch-polnischen Beziehungen besichtigen. Nach dem Mittagessen sprach der Direktor des WBZ und Leiter des Lehrstuhls für Geschichte, Prof. Dr. Krzysztof Ruchniewicz, zum Thema: „Verständigung und Versöhnung zwischen Polen und Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg“. Er betonte, dass eine Annäherung nicht ohne den Zerfall des Sozialismus und den Mauerfall möglich gewesen wäre. Deutschland übernahm vielmals die „Anwalt-Funktion“ für Polen (zum Beispiel beim NATO-Beitritt). Die Rückgabe der Gebiete östlich der Neiße an Polen bezeichnete er als „Fairness der Geschichte“. Während in der Ära Adenauer kein wirklicher Durchbruch bei der Verständigung zu Polen erreicht worden sei, stelle der Kniefall Brandts eine wirkliche Wende dar (obwohl die Bilder dieses Ereignisses in den Medien des sozialistischen Polen nicht gezeigt wurden). Während der Friedlichen Revolution habe Helmut Kohl besondere Anteilnahme am Leiden der Polen gezeigt. In Bezug auf die Stadt Wrocław sprach Ruchniewicz von einem „gemeinsamen europäischen Kulturerbe“. Die Geschichte Wrocławs ergebe nur dann Sinn, wenn man auch die Zeit davor betrachte, so der Direktor. Es müssten auch die deutschen „Überbleibsel“ in der Stadt gepflegt werden, weil sie genauso zum gemeinsamen europäischen Erbe gehören. Eine Zusammenarbeit beider Staaten wird oftmals durch künstlich geschaffene Stereotypen der Medien negativ beeinflusst. Außerdem fehle es derzeit an wirklichen Großprojekten beispielsweise zu Energiefragen oder zum Umweltschutz. Das Land Polen sehe sich währenddessen auch nach anderen Ländern in Europa um, zu denen Kontakte aufgebaut werden können. Deutschland habe kein Vorrecht! Die Bereitschaft der Polen Deutsch zu lernen, lasse seit einiger Zeit nach. Die Fragen im Anschluss an den Vortrag spielten vor allem auf Zukunftschancen der deutsch-polnischen Beziehung an. Wie wird es weitergehen? Am Donnerstagabend gab es nach dem theoretischen Programm noch den reellen Kontakt zu den Bewohnern unseres Nachbarlandes. Beim gemeinsamen Abendessen in einer Pizzeria waren auch acht polnische Germanistik-Studentinnen und -Studenten eingeladen, mit den man wunderbar ins Gespräch kommen konnte. Über sie konnte man einiges über das Studentenleben in Wrocław, über die junge Stadt, über das Wahlverhalten der Polen und die Dinge erfahren, die die (jungen) Leute in dem Land beschäftigen.

Der Freitagvormittag (25. Juni 2010) wurde zu einer Auswertungsrunde genutzt. Schön, dass alle Teilnehmer/-innen mit einem durchaus positiven Bild von Polen und der Stadt Wrocław nach Hause fuhren. Die gravierenden Vorurteile vom Montag konnten gestrichen werden. Das Seminar wurde als sehr positiv gewürdigt. Viele der Jugendlichen wollen Wrocław in den kommenden Jahren wieder besuchen, weil sie von der Dynamik dieser mitteleuropäischen Metropole begeistert waren.

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Die Stadt bei Nacht

© aller hier gezeigten Bilder: Anne Zappe.

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