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Veranstaltungsberichte

Vernichtung und die Macht der Erinnerung

Gedenkveranstaltung anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau.

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Anlässlich des siebzigsten Jahrestages der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau lud die Konrad-Adenauer-Stiftung zu einer Gedenkveranstaltung in den Alten Senatssaal der Universität Leipzig ein.

Dr. Joachim Klose, Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung für den Freistaat Sachsen, hieß die 120 Teilnehmer herzlich willkommen und bedankte sich, ebenso wie Rektorin Prof. Dr. Beate Schücking, für die Anreise Alfred Grosser´s nach Leipzig.

Schuld und Erinnerung

Am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Truppen die letzten Insassen des Lagers, das zum Zentrum der systematischen Massenvernichtung im Dritten Reich wurde und heute als Synonym für den grausamen Völkermord an schätzungsweise über 1,3 Millionen Menschen aus ganz Europa gilt.

Auch heute kann Auschwitz-Birkenau noch stellvertretend über die Generationen hinaus als Kainsmal der Schuld und der Erinnerung gelten. Doch Erinnerungen verbinden eine Gemeinschaft zu einem Ganzen, stiften Sinn und Identitäten und sind alles andere als objektive Geschichtsschreibung, so der deutsch-französische Publizist, Politologe und Redner des Abends, Alfred Grosser.

Alfred Grosser erlebte den Zweiten Weltkrieg als Jugendlicher und emigrierte als Sohn jüdischer Eltern 1933 nach Frankreich. Mehrere Familienangehörige, darunter auch seine Schwester, kamen bei der Verfolgung durch die Nationalsozialisten ums Leben. Seit jeher zählt die Versöhnung und Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich zu seiner Lebensaufgabe. Er selbst feierte am 1. Februar seinen 90. Geburtstag und blickte auch im Alten Senatssaal auf ein durchlebtes und oftmals auf eines vor der Zerreisprobe stehendes Jahrhundert zurück.

Der europäische Gedanke

In Verbindung zu Opfer-Täter Diskursen und Schuldzuweisungen lehnt Alfred Grosser ein „Wir“ oder ein „Die“ ab, denn „Erinnerungen sind etwas einverleibtes, das man vermittelt bekommen hat“. Die lebendigen Erinnerungen der Zeitzeugen jedoch, sind in die Jahre gekommen und laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung will die Mehrheit der jüngeren Generation einen Schlussstrich unter die Gräueltaten des Holocausts ziehen. Somit stehen die Fragen des Gedenkens und Nachdenkens sowie die Macht der Erinnerung als solche, nach wie vor im europäischen Raum. Mächtig sei die Erinnerung an den Holocaust demnach, wie sie moralische Verantwortung, mit oder ohne Schuld, über Generationen hinweg zu einer gesellschaftlichen Erinnerungskultur formen kann. Wie sich eine Gesellschaft erinnern sollte, darauf lasse sich keine allgemeingültige Antwort liefern, meinte Alfred Grosser. Doch ohne Zweifel prägten die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges den europäischen Gedanken.

Auch eine Zwangserinnerung oder eine Kollektivschuld lehnt Alfred Grosser ab und das Gefühl lasttragender Schultern jüngerer Generationen könne er nachvollziehen. Was sollen sie mit historischen Erkenntnissen anfangen, welchen Bezug haben junge Menschen zur Haftung oder Verantwortung für etwas, das mehr als ein halbes Jahrhundert zurück liegt?

Im Gegensatz zu Frankreich sei die neugegründete Bundesrepublik nicht auf einem Nationalstaatsgedanken aufgebaut, sondern auf einer politischen Ethik, die zur Ablehnung des NS-Regimes und des Stalinismus verpflichtet. Genauer gemeint sei damit eine Ethik der Überlieferung, die die Dämonisierung und Mythisierung der Vergangenheit dadurch verhindern kann, wie das „Leiden der Anderen“ anerkannt wird. Der 27. Januar solle demnach nicht nur dem Leid und dem Schmerz an sich gedenken, sondern auch der daraus resultierenden Erinnerungskultur einen Weg zur Empathie ebnen. Dass die Gräueltaten der Deutschen „undenkbar“ oder „unvergleichlich“ zu sein scheinen, bedeutet nicht, das Leiden anderer Betroffener herabzusetzen, so Grosser.

Eine gemeinsame Erinnerungskultur

Erinnerungen können auch durch Monumente und Denkmäler wach gerufen werden. Doch um eine gemeinsame europäische Erinnerungskultur zu festigen, bedarf es fortwährender historischer Aufarbeitung, Anerkennung und Kritik. Im Falle der deutsch-französischen Beziehungen, seien mögliche Grenzen längst abgebaut und gemeinsame Erinnerungssorte geschaffen worden. Auch den jüngeren Generationen müsse man eher erklären, warum die guten Beziehungen zwischen ehemaligen Kriegsgegner keine Selbstverständlichkeit seien. Man könne sich die Antwort selbst ein wenig erleichtern, indem man zuerst beachtet, „welches Alter Sie hatten, als …?“ meint Grosser.

Kritik an Erinnerungen oder historischen Aufarbeitungen bedeutet aber nicht die Verdammung irgendeiner Sache, das Schimpfen über diese und jene Maßnahme, auch nicht die bloße Verneinung oder Ablehnung. Kritik ist die praktische Anstrengung, gesellschaftliche Verhältnisse nicht unreflektiert hinzunehmen. Die Ablehnung des Nationalsozialismus und Stalinismus sei zwar eine unabdingbare Basis der neugegründeten und wiedervereinigten Bundesrepublik, doch „was ein Historiker für seine Analyse auswählt, ist abhängig von seiner eigenen Moral“, lautet Grossers Fazit. Eine Gesellschaft brauche keine „Erinnerungs-Leitkultur“, sondern eine „Erinnerungsmoral“. Ziel einer ethischen Lehre sei es, „für die Werte, Erkenntnisse und Erinnerungen zu leben, für die die BRD neu gegründet wurde und diese auch über Grenzen hinweg zu kommunizieren“.

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Kontakt

Dr. Joachim Klose

Dr. Joachim Klose

Landesbeauftragter für die Bundeshauptstadt Berlin, Leiter des Politischen Bildungsforums Berlin und Leiter Grundlagenforum

joachim.klose@kas.de 030/26996-3253 030/26996-53253

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