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Veranstaltungsberichte

Wie fühlte sich Sozialismus an?

Prof. em. Dr. Hajo Funke in der Reihe "Wie schmeckte die Bundesrepublik" über den demokratischen Sozialismus.

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Erfahrungswelten des Sozialismus

Hajo Funke in der Vortragsreihe „Wie schmeckte die Bundesrepublik?“ über Sozialismus, Willy Brandt und das Denken in Alternativen

Zum neunten Mal haben sich am zweiten Juni 2015 mehrere Besucher im Festsaal des Stadtmuseums getroffen, um sich im Rahmen der Reihe „Wie schmeckte die Bundesrepublik?“ mit Sichtweisen aus der alten Bundesrepublik auseinanderzusetzen. Die Vortragsreihe wird vom Politischen Bildungsforum Sachsen der Konrad-Adenauer-Stiftung organisiert.

Dieses Mal ging es um ein besonders heiß diskutiertes Thema: Die Wahrnehmung des Sozialismus in West-Deutschland. Einige Denkanstöße zu dem Thema gab Dr. Hajo Funke in seinem Vortrag „Wie fühlte sich Sozialismus an?“. Funke ist ehemaliger Professor für Politik und Kulturen an der FU Berlin. Die Veranstaltung wurde von Dr. Stephan Dreischer moderiert.

Erfahrungs- und Begriffswelten des Sozialismus

Wie schmeckte die Bundesrepublik und wie fühlte sich Sozialismus an? Diese Fragen hat Funke bei seinem Vortrag sehr ernst genommen. So hat er weniger von Fakten und Zahlen, als vielmehr von Stimmungen, subjektiven und persönlichen Wahrnehmungen des Sozialismus gesprochen. Funke selbst studierte von 1966 bis 1971 an der FU Berlin, die sich im damaligen West-Berlin befand.

In der alten Bundesrepublik habe es drei große Erfahrungs- und Begriffswelten des Sozialismus gegeben.

Sozialismus als totalitäres System

In der Endphase der Regierung Stalins (das stalinistische Regime endetet 1953 mit Stalins Tod) in der Sowjetunion wurde mit dem Begriff Sozialismus vor allem die Diskriminierung von Abweichlern verbunden. Dennoch habe es auch damals schon die Idee des demokratischen Sozialismus gegeben, eine „andere Idee, die man nicht aufgeben wollte“, erklärte Funke.

Eine weitere Erfahrungswelt des Sozialismus entstand mit der Außenpolitik Willy Brandts. Als Bundeskanzler (1969-1974) versuchte er unter dem Motto „Wandel durch Annäherung“ die außenpolitische Situation zur Sowjetunion, zur DDR und den anderen Ostblockstaaten zu entspannen. Für diese Politik erhielt er 1971 den Nobelpreis.

Brandts Annäherungspolitik war in West-Deutschland allerdings sehr umstritten. Funke betonte, damals konnte er schwer nachvollziehen, wie man ein totalitäres System (gemeint ist die DDR) anerkennen könne. Später habe er dann begriffen, dass es um Anerkennung der Fakten und um Entspannung der Beziehungen ging. Aus heutiger Sicht stelle die Politik Brandts eine „Rettung der Welt“ dar.

Sozialismus und das Denken in Alternativen

In den 60er/70er Jahren entstand aber auch noch ein anderes Bild des Sozialismus. Funke stellte sich damals unter anderem die Frage, ob man die Gesellschaft, so „wie sie ist“, verändern könne. Es ging ihm dabei nicht um die Einführung des Sozialismus, sondern um das Suchen von Alternativen. Mit dieser Suche stand er nicht alleine.

Die Ursachen dafür lagen laut Funke in den 50er Jahren, die durch ein „Hochgefühl des Wiedererstandenen Deutschlands“ geprägt worden seien. Es habe ein allgemeines „Gefühl der Sattheit“ geherrscht und über die Nationalsozialistische Vergangenheit sei geschwiegen worden. Zudem habe unter der Regierung Adenauers (1949-1963) ein „autoritärer Anti-Kommunismus“ geherrscht, der mit einer starken Abgrenzung zu Moskau und zur DDR einherging.

Ende der 50er Jahre gab es allerdings einen gesellschaftlichen Wandel - „die Geschichte brach auf“. Wichtige Ereignisse in diesem Zusammenhang seien unter anderem der „Eichmann-Prozess“ in Jerusalem und die „Ausschwitzprozesse“ in Frankfurt gewesen. In den Prozessen mussten sich ehemalige Funktionäre des NS-Regimes vor Gericht verantworten.

Die gesellschaftliche Wahrnehmung des Sozialismus änderte sich außerdem maßgeblich durch den Beginn des Vietnamkriegs und den Schuss auf den Studenten Benno Ohnesorg bei einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien 1967. Dieser Schuss sei der Funke für die Ausbreitung der Proteste der Studentenbewegung gewesen, erklärte Funke.

In diesem Zuge bildeten sich drei Strömungen heraus, die alle eine eigene Interpretation und Erfahrungswelt des Sozialismus bildeten: die RAF, der Maoismus und die Gruppe der Befürworter des DDR-Sozialismus.

An Funkes Institut an der FU Berlin gab es damals noch eine etwas andere Strömung. Die Studenten hier entwickelten die Idee eines „freiheitlichen Sozialismus“. Sie suchten Alternativen zum kapitalistischen Wirtschaftssystem. Diese Studenten wollten ihre Ideen nicht mit Gewalt durchsetzen. Sie strebten nach einer sozialeren Demokratie.

Rückblickend sei nicht viel von diesen Idee umgesetzt worden, sagte Funke. Heute hätten wir eine Dominanz des globalen Finanzkapitalismus, aber das Denken in Alternativen sei immer noch da.

Diskussion

In der an den Vortrag anschließenden Diskussion wurde deutlich, wie stark die Vorstellungen vom Sozialismus auseinandergehen, und welche unterschiedlichen Erfahrungswelten es gab. So warf ein Besucher Funke vor, er würde den Sozialismus nicht kritisch genug betrachten. Der Sozialismus sei seiner Meinung nach fast schlimmer als das NS-Regime gewesen. Diese Meinung wurde sofort von mehreren anderen Besuchern scharf kritisiert.

Aber es wurden auch positive Begriffswelten des Sozialismus angesprochen. Aus dem Publikum wurde als Beispiel für ein funktionierendes sozialistisches System die Kibbuzim in Israel genannt.

Abschließend lässt sich sagen: Funkes Vortrag hat polarisiert und provoziert und einen kontroversen Diskurs zum Thema Sozialismus gefördert.

Autor: Deborah Manavi

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Kontakt

Dr. Joachim Klose

Dr. Joachim Klose

Landesbeauftragter für die Bundeshauptstadt Berlin, Leiter des Politischen Bildungsforums Berlin und Leiter Grundlagenforum

joachim.klose@kas.de 030/26996-3253 030/26996-53253

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