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Zwei von vierundzwanzig

von Evelyn Klöss, Norbert Beckmann-Dierkes

Rechtsstaatliche und rechtspolitische Entwicklungen in Montenegro

Zwischen Montenegro und der Europäischen Union (EU) laufen seit Juni 2012 intensive Beitrittsverhandlungen. Bis dato wurden 22 Kapitel zur Verhandlung eröffnet, zwei davon sind bereits vorläufig abgeschlossen (Kultur und Bildung, Wissenschaft und Forschung). Die Rechtsstaatlichkeitskapitel 23 und 24 setzen, unter anderem, tiefgreifende Reformen des Justizsystems und eine Entpolitisierung des Justizwesens voraus. Im Gegensatz zur NATO-Mitgliedschaft genießt das Beitrittsverfahren zur EU sowohl gesellschaftlich, als auch politisch eine breite Zustimmung.

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Am 28. Januar 2016 überstand die Regierung (Bündnis „Europäisches Montenegro“) das von Ministerpräsident Milo Đukanović (Demokratische Partei der Sozialisten) selbst angesetzte Misstrauensvotum und sicherte die parlamentarische Mehrheit voraussichtlich bis zu den anstehenden Parlamentswahlen im Herbst dieses Jahres. In den letzten Monaten hat die Opposition oftmals zu regierungsfeindlichen Straßenprotesten aufgerufen und die Parlamentsarbeit boykottiert, was die angestrebten Reformvorhaben des Landes deutlich gebremst hat.

Aktueller Stand der Justizreform

Für das Fortschreiten der EU-Beitrittsverhandlungen wurde 2013 eine Verfassungsänderung zur Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz beschlossen. Diese verringerte die parlamentarische Kontrolle und somit auch den politischen Einfluss auf die Justiz. Grundsätzlich wurde hierdurch das Ernennungsverfahren zu den Führungsposten der Justiz geändert.

Die Strategie für die Justizreform 2014-2018 und der dazugehörende Maßnahmenplan 2014-2016 wurden 2014 verabschiedet und sehen Maßnahmen zur Stärkung der Unabhängigkeit, Effizienz, Professionalität und Rechenschaftspflicht der Justiz vor. In diesem Rahmen wurde ebenfalls eine Reihe anderer für den Justizbereich relevanter Gesetze verabschiedet: Es handelt sich dabei um die Gesetze der Staatsanwaltschaft, der Sonderstaatsanwaltschaft, der Justizräte und das Gesetz über das montenegrinische Verfassungsgericht. In Übereinstimmung mit EU-Recht unterliegen Richter und Rechtsanwälte einem ethischen Verhaltenskodex, dessen Einhaltung von speziellen Einrichtungen der Justizräte überwacht wird.

In diesem Kontext wurden die Zuständigkeiten für die Ernennung, dienstliche Beurteilung, Beförderung und Versetzung von Richtern und Staatsanwälten weitgehend an die Justizräte abgegeben. Dennoch mangelt es weiterhin an klaren und objektiven Indikatoren für die Auswahlkriterien der Richter und Staatsanwälte.

2015 konnte zudem der Rückstau unerledigter Gerichtsfälle um 26,78% abgebaut werden. Dazu beigetragen hat auch die Einführung der Zuweisung von Streitsachen nach dem Zufallsprinzip mithilfe des IT-Systems PRIS. Dies erlaubt eine bessere Verwaltung der eingehenden Rechtssachen und eine einheitliche Erhebung von statistischen Daten über die Leistungsfähigkeit der jeweiligen Gerichte bzw. Staatsanwaltschaften.

Bekämpfung der Korruption

Die Bemühungen Montenegros im Kampf gegen die Korruption haben sich bislang als langwierig und noch ineffizient erwiesen. Obwohl in diesem Sinne ein neuer gesetzlicher Rahmen geschaffen wurde, steht die korrekte und zeitgerechte Umsetzung in weiten Teilen noch aus. Ein Mangel an politischem Willen erschwert den gesamten Prozess. Hoffen lässt eine Reihe von Verhaftungen von Kommunalpolitikern im Zusammenhang mit Korruptionsfällen, insbesondere in den Küstenstädten von Montenegro.

Der gesetzliche Rahmen der Korruptionsprävention, einschließlich der Einrichtung einer neuen Antikorruptionsagentur, wurde 2014 erneuert. Die neue Agentur untersucht administrativ Vergehen, die einen Verstoß gegen das Korruptionspräventions-, das Lobby- oder das Finanzierungsgesetz von politischen Akteuren und Wahlkämpfen darstellen. Diese sollte am 1. Januar 2016 komplett funktionsfähig werden, allerdings waren zu dem Zeitpunkt die erforderlichen logistischen und personellen Voraussetzungen nicht erfüllt. Darüber hinaus bestehen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des erfolgten Ernennungsverfahrens für die Mitglieder des Rates der Antikorruptionsagentur und deren Leiter. Die Ernennung erfolgte durch einen politischen Kompromiss zwischen den Regierungs- und Oppositionsparteien.

Die erst 2015 eingerichtete Sonderstaatsanwaltschaft für die Bekämpfung von Korruption und Organisierte Kriminalität hat Ermittlungsverfahren gegen mehrere Beamte und Politiker aufgenommen; von den Gerichten wurden bereits erste Freiheitsstrafen verhängt.

Ferner wurde der Anwendungsbereich des Interessenkonflikts neu definiert: Die Definition des Beamten wurde erweitert und schließt nun ebenfalls Personen, die in staatlichen Unternehmen ernannt, gewählt oder nominiert wurden, ein; außerdem wurde die Liste der angabepflichtigen Informationen bei der Vermögenserklärung weiter ausgearbeitet. Faktisch stehen Ermittlungen in Fällen unrechtmäßig erworbenen Vermögens durch Beamte noch aus. Nach Angaben der Betroffenen sei infolge der Veröffentlichung der Vermögensauskunft das Risiko von Einbruchsdiebstählen gestiegen.

Unabhängigkeit der Justiz

Die Präsidentin des Obersten Gerichts, Vesna Medenica, wies in ihrem Fortschrittsbericht zum Stand der Justiz an das Parlament (2014) auf einen zwar fortbestehenden, sich allerdings verringernden, politischen Einfluss auf Richter und Staatsanwälte hin.

Die wichtigsten Ernennungsverfahren im Justizbereich wurden anlässlich der Verfassungsnovellierung geändert. Der Präsident des Obersten Gerichts wird lediglich auf Beschluss des Justizrates ernannt, bzw. aus dem Amt entlassen, ohne die Beteiligung des Parlaments. Der Präsident des Verfassungsgerichts wird aus den Reihen seiner Mitglieder gewählt. Der Oberste Staatsanwalt wird vom Parlament ernannt bzw. aus dem Amt erlassen, wobei die Auswahl der Kandidaten infolge einer öffentlichen Ausschreibung erfolgt. Diese grundlegenden Änderungen zielen auf einen zumindest formellen Ausschluss eines möglichen politischen Drucks auf die Justiz, wobei die parlamentarische Beteiligung bei der Ernennung des Obersten Staatsanwalts fragwürdig ist.

Des Weiteren bestehen dem EU-Fortschrittsbericht 2015 zufolge Bedenken über die Unabhängigkeit der Justizräte. Die Zusammensetzung des genannten Rates schließt eine mögliche politische Einflussnahme nicht aus. Der Richterrat besteht aus fünf Richtern (von der Richterkonferenz ernannt), vier anerkannten Rechtsexperten (vom Parlament ernannt und entlassen), dem Justizminister und dem Präsidenten des Obersten Gerichts.

Herausforderungen für das montenegrinische Justizsystem

Montenegro hat in der Justizreform die ersten erfolgreichen Schritte gemacht, insbesondere in Richtung der Schaffung eines modernen und EU-konformen Institutionsgefüges. Erforderlich bleiben dennoch eine effiziente Korruptionsbekämpfung und die Stärkung der Unabhängigkeit des Justizsystems von den Parteien und der Wirtschaft.

Dieser Bericht entstand in Zusammenarbeit mit Marija Vuksanovic, Expertin bei der NRO CEDEM, Montenegro.

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20. Juni 2016
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