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Veranstaltungsberichte

Wie steht es um die Demokratie in Europa?

von Matthias Barner

Demokratiekonferenz 2017 Bratislava

Zum Ende des Super-Wahljahres in Europa ist es Zeit Bilanz zu ziehen. Experten und Politiker aus europäischen Ländern und den USA haben über die Herausforderungen für die Demokratie in Europa debattiert.

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Zum Ende des Super-Wahljahres in Europa ist es Zeit Bilanz zu ziehen. Experten und Politiker aus europäischen Ländern und den USA haben über die Herausforderungen für die Demokratie in Europa debattiert.

Die Konferenz wurde gemeinsam von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und dem slowakischen Institut für öffentliche Angelegenheiten (IVO) organisiert. Zahlreiche Botschafter, Parteienvertreter, Wissenschaftler und auch viele Studenten sind der Einladung in den Primatialpalast der slowakischen Hauptstadt gefolgt. In einer Key Note-Speech zu Beginn unterstrich der renommierte amerikanische Demokratieexperte Larry Diamond (Stanford University) seine These von der globalen Rezession der Demokratie und stellte als zentrale Frage in den Vordergrund, was unternommen werden müsse, um die liberale Demokratie zu schützen.


Seiner Meinung nach verliere die Demokratie dann, wenn Nicht-Demokraten auch liberal und demokratisch denkende Menschen für sich gewinnen. Demokraten sollten daher keinerlei Kompromisse mit halbdemokratischen oder autoritären politischen Kräften unternehmen. Doch hier stelle sich auch das Dilemma, wie die liberalen Demokraten mit Nicht-Demokraten und autoritären Kräften umgehen. Ein klarer Kurs der Ausgrenzung könne sie zu „Märtyrern“ machen. Aber solle man tolerant sein, wenn die andere Seite nicht tolerant ist?


Damit Populismus nicht zur Gefahr für die Demokratie werde, empfahl Diamond den etablierten demokratischen Parteien in ihren Programmen stärker auch diejenigen Menschen anzusprechen, die sich marginalisiert, nicht mehr vertreten oder am Rande der Gesellschaft fühlen. Außerdem bedürfe es einer neuen Strategie für eine Politische Bildung, vor allem für junge Menschen. Politische Bildung sollte nicht nur ein Fach in der Schule sein, sondern die Ziele der Politischen Bildung sollten mit allen anderen Fächern verflochten werden. Abschließend wies Diamond auch auf die Gefahr hin, dass Staaten wie China und Russland die öffentliche Meinung in Europa manipulieren.


Im ersten Panel diskutierten vier Experten aus europäischen Ländern, in denen in diesem Jahr Wahlen stattgefunden haben, über das Auftreten populistischer Parteien und den Umgang mit ihnen. Magali Balent (Institut des Relations Internationales et Stratégiques) betonte, dass bei den Parlamentswahlen in Frankreich fast die Hälfte der Wählerstimmen an Links- oder auch Rechtspopulisten gegangen sind. Beide Lager hätten ähnliche Einstellungen auf ihrer Agenda, etwa die Ablehnung der EU oder die Kritik am Säkularismus. Auch wenn die Chefin der Front National, Marine Le Pen, versuche, die Partei ein wenig moderater aufzustellen, bleibe die Partei jedoch nach Meinung der Mehrheit der Franzosen eine populistische und sogar auch extremistische Partei.


Dietmar Halper (Politische Akademie der ÖVP) schilderte, dass in Österreich die Politikverdrossenheit zunahm, da aufgrund der langen Zusammenarbeit zwischen SPÖ und ÖVP sich die Wahrnehmung breit machte, dass es keine andere Alternative mehr gäbe. Viele fühlten sich nicht mehr als ein Teil dieses politischen Systems. In Österreich war die populistische Partei FPÖ in den Meinungsumfragen sehr lange die stärkste Kraft. Darauf reagierte die ÖVP mit ihrem neuen Vorsitzenden Sebastian Kurz mit einem neuen Politikstil, und zwar auf Populismus auch mit populistischen Instrumenten zu reagieren. Die FPÖ sei dadurch bei den Parlamentswahlen geschwächt worden.


In seinem Beitrag zur politischen Situation in den Niederlanden unterstrich Paul Lucardie (Universität Groningen), dass zwar nun eine Regierungsbildung gelungen sei, sie aber nach wie vor von einer Fragmentierung mit vielen Klein-Parteien geprägt sei, zu der auch populistische Kräfte gehören, die aber noch weiter kategorisiert werden müssten.


Karsten Grabow (Konrad-Adenauer-Stiftung) betonte mit Blick auf die politische Lage in Deutschland, dass die jetzt in den Bundestag eingezogene AfD noch eine recht neue Gruppierung sei, die aber sehr schnell von anderen populistischen Parteien in europäischen Ländern lernte, und im Laufe der Flüchtlingskrise an Zustimmung gewann. Wie andere populistische Gruppierungen werden real existierende Probleme thematisiert, aber es werde übertreiben und Bedrohungsszenarien konstruiert.


Das zweite Panel präsentierte die Antworten der Politik und widmete sich der Frage, ob und wie sich Demokratie erneuern müsse. Der ehemalige slowakische Ministerpräsident Mikuláš Dzurinda führte aus, dass die Regeln der europäischen Demokratien zwar alle gleich seien, aber die Qualität doch recht unterschiedlich. Man müsse zur Kenntnis nehmen, dass sich in den mittelosteuropäischen Ländern ein Déjà Vu-Gefühl breit mache, dass "über uns ohne unsere Beteiligung" entschieden werde. Mit Blick auf den Brüsseler Mehrheitsbeschluss zu verpflichtenden Quoten betonte er, dass man Populisten keine Anregungen geben sollte, ihre Art der Politik zu betreiben.


Der langjährige Bundestagsabgeordnete und ehemalige Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Christoph Bergner, sieht die zentrale Frage in der Bekämpfung von Populismus, wie die Kluft zwischen politischen Entscheidungsträgern und Volk überwunden werden könne. Politiker sollten nicht nur Werbekataloge produzieren, sondern Probleme der Menschen lösen. Wichtig sei auch die konsequente Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips in Europa. Außerdem solle man verstärkt auf Einflüsse aus dem Ausland achten. Versuche Russlands, die Situation in europäischen Staaten zu beeinflussen seien ganz eindeutig. Mit Blick auf die Migrationsfrage solle man den Ländern in Mittelosteuropa Zeit geben, sich auch als Einwanderungsländer zu öffnen und für diesen Prozeß auch Verständnis aufbringen. Mit Blick auf Demokratiedefizite in europäischen Ländern erinnerte Bergner an ein zentrales Prinzip demokratischer Staaten: Die regierende Partei müsse daran denken, dass sie in der Zukunft auch wieder in die Opposition gehen könne – und umgekehrt. Diese Denkweise vermisse er wieder ein wenig – etwa in Ungarn, vor allem aber derzeit in Polen.


Panel Nr. 3 ging dann auf die spezifischen Bedingungen der vier mittelosteuropäischen Länder ein, insbesondere wie sich Postkommunismus, Populismus und EU-Skeptizismus auswirke. Péter Krekó (Political Capital Institute Budapest) führte aus, dass in Ungarn etwa die Wirtschaft gute Kennziffern ausweise und es für jede Regierung genügend wäre, über die Erfolge zu sprechen. Gleichwohl werden diverse Kampagnen gefahren gegen Brüssel, Soros sowie westeuropäische Werte, welche als Bedrohungen für die ungarische Identität präsentiert werden. Dennoch gibt es einen Paradox: einerseits gibt es in Ungarn und auch Polen antieuropäische Parolen von Seiten der regierenden politischen Parteien, andererseits ist das Vertrauen des Volkes gegenüber der EU in beiden Ländern sehr stark. Mit Blick auf die demokratische Qualität von Wahlen solle man sich nicht nur fragen, ob sie frei seien, sondern ob sie auch fair sind.


Jacek Kucharczyk (Institut für öffentliche Angelegenheiten Warschau) stellte dar, dass eine Analyse der PiS-Wähler zeige, dass ökonomische Faktoren heute nicht so eine wichtige Rolle spielen, da der Lebensstandard der polnischen Bevölkerung recht gut sei. Heute gehe es vor allem um kulturelle Identität. Dabei gehe es um die Abwehr der Säkularisierung, die von der katholischen Kirche unterstützt werde und um die Migration, vor allem muslimische Flüchtlinge, die als Bedrohung der kulturellen Identität wahrgenommen werden.


Jiří Kozák (CEVRO Institut Prag) erläuterte, dass sich die Situation in der Tschechischen Republik in den letzten Jahren leicht beschreiben lasse, aber es nicht einfach sei, deren Gründe zu erklären. Die Geburtsstunde der derzeitigen populistischen Kräfte war der Kampf gegen die Korruption. Erst später geriet das Thema der Migration in den öffentlichen Diskurs. Dem Chef der Bewegung ANO (Aktion unzufriedener Bürger) und zweitreichsten Tschechen, Andrej Babiš, gelang es dann, auch deswegen populär zu werden, weil er meinungsbildende Medien kaufte. Man solle auch nicht die Rolle Putins Russland vergessen. Kozák ist der Überzeugung, dass Russland einen immensen Einfluss auf die politische Entwicklung in der Tschechischen Republik habe und auch die kommende Präsidentschaftswahl haben werde. Bei der Bekämpfung des Populismus sollte die politische Bildung eine wichtigere Rolle als bisher einnehmen. Diese sei in allen MOE-Staaten bisher vernachlässigt.


Oľga Gyarfášová (Institut für öffentliche Angelegenheiten Bratislava) ging auf die Entwicklung in der Slowakei ein. Die Rechtsextremisten sind im Parlament vertreten, werden aber von den anderen politischen Kräften marginalisiert. Ausländerfeindlichkeit gebe es jedoch nicht nur bei den Extremisten, sondern auch bei etablierten Parteien in der Regierung. Es gebe in der Slowakei zwar insgesamt Vertrauen gegenüber der EU, aber immer wieder werden Brüssel und die EU zum Objekt populistischer Kampagnen. Der Euroskeptizismus hätte heute zwei Formen: Die erste Form ist nationalistischer Ausrichtung (früher durch die SNS, heute durch die Kotleba-Partei), die zweite Form ist die neoliberale Kritik, deren Quelle in der liberalen Partei SaS zu finden sei. Auch Gyarfášová betonte die wichtige Rolle der politischen Bildung in der Bekämpfung des politischen Extremismus, vor allem bei jungen Menschen.


Die Konferenz endete mit einer Rede des ehemaligen Bundeskanzlers der Republik Österreich, Wolfgang Schüssel zum Thema "Wie steht es um die Demokratie in Europa?". Er führte aus, dass Demokratien seit der Antike schon immer gefährdet waren. Deshalb sollten auch heute Herausforderungen und Warnzeichen nicht kleingeredet werden. Laut „Freedom House“ gehe weltweit in mehr als 70 Ländern die Qualität von Demokratie, Beteiligung und Freiheit zurück. Es gebe auch Anzeichen eines größeren Abstands der jungen Generation zur Politik im Vergleich zu vorherigen Jahren. Viele Menschen in Europa hätten den Eindruck gewonnen, dass die Regierungen die Migrationsströmungen nicht unter Kontrolle haben.

Insgesamt seien die Staaten somit nicht nur von außen herausgefordert, sondern auch von innen durch das Auftreten systemkritischer Parteien. Sie arbeiten sehr gut mit Emotionen und es gelinge ihnen zunehmend Wähler zu gewinnen. Jedes Land müsse überlagen, wie es damit umgehe. Es gäbe keine universelle Strategie zur Bekämpfung von Populismus und Extremismus. Genau wie es auch unterschiedliche Formen von Demokratien und Wahlsystemen gäbe. Demokratie sei kein einheitliches Konstrukt.


Bei aller Notwendigkeit zur Kompromissfindung, brauche Demokratie aber auch die Auseinandersetzung, es müsse immer eine Alternative existieren. Der leidenschaftliche europäische Politiker Wolfgang Schüssel bezeichnete abschließend die Europäische Union als eine Erfolgsgeschichte, aber die EU müsse sich jetzt auf einige wichtige Themen konzentrieren: Entwicklung des Binnenmarktes, Schutz der Außengrenzen, Verteidigungspolitik. In der Politik gäbe es die Dynamik der Angst und die Dynamik der Hoffnung, und die Politiker sollten alles unternehmen, damit die Menschen keine Angst haben und ihre Hoffnungen realisiert werden. Vertrauen sei das Schlüsselwort heutiger Politik.

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Matthias Barner

Matthias Barner bild

Leiter des Auslandsbüros Vereinigtes Königreich und Irland

matthias.barner@kas.de +44 20 783441-19
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21. November 2017
Primatialpalast, Bratislava
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