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Country Reports

Südafrika vor Veränderungen im dominanten Parteiensystem

Verliert der ANC weitere Grossstädte?

Am 3. August 2016 finden die fünften Kommunalwahlen seit Ende der Apartheid in Südafrika statt. Keine der vorangegangenen Wahlen war dabei so heftig umkämpft wie die anstehenden Wahlen 2016. Es wird erwartet, dass Südafrika auf eine Ära neuer Koalitionsregierungen zusteuert.

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Vor dem Hintergrund politischer Krisen und zunehmender Proteste sind über 26 Millionen registrierte Wähler aufgerufen, am 3. August über die Zusammensetzung ihrer lokalen Gemeindevertreter und Kommunalparlamente zu bestimmen. Vor allem der Wahlausgang in den acht südafrikanischen Metropolregionen steht hierbei unter besonderer Beobachtung: zum ersten Mal in der Geschichte Südafrikas wird erwartet, dass der ANC in über der Hälfte der acht Metropolregionen über keine eigene Mehrheit mehr verfügen wird. Die in diesem Fall notwendigen Koalitionsregierungen stellen das Land vor neue parteipolitische Herausforderungen. Auf der anderen Seite kann eine, zunächst zu begrüßende, Weiterentwicklung der Mehrparteiendemokratie in Südafrika erwartet werden.

Deutsche Welle - Liveinterview zu den Kommunalwahlen 2016 im Rahmen der 12-Uhr-Nachrichten, 04.08.2016

Koalitionsregierungen sind in Südafrika jedoch keinesfalls neu. In der erst 22-jährigen Demokratie kam es vor allem in der Anfangszeit auf Provinz- und Gemeindeebene zu verschiedensten Koalitionen über alle Parteigrenzen hinaus. Dabei beschränkten sich Koalitionen unter Führung oder Beteiligung der derzeit größten Oppositionspartei, der Democratic Alliance (DA), jedoch bis heute zumeist auf die Gemeinden in der von der DA geführten Provinz Western Cape. Bei den anstehenden Kommunalwahlen 2016 könnte die DA nun erstmals ihre Machtbasis auf die Metropolregionen Pretoria, Johannesburg und Port Elizabeth ausdehnen.

Entscheidende Akteure beim Wandel des Parteiensystems: Malema und Zuma

Als entscheidender Akteur der Veränderungen des Parteiensystems der letzten Jahre gilt jedoch nicht die DA, sondern zwei ehemals Verbündete: Staatspräsident Jacob Zuma sowie der ehemalige Vorsitzende der ANC Youth League, Julius Malema. Nach internen Streitigkeiten und dem folgenden Parteiausschluss aus dem ANC gründete Malema 2014 seine eigene Partei, die linkspopulistische Partei „Economic Freedom Fighters“ (EFF), die auf Anhieb bei den Nationalwahlen 2014 über sechs Prozent der Stimmen holten und damit zur drittstärksten Partei in Südafrika aufstiegen.

Ihre Parteibasis besteht zumeist aus jungen, urbanen Schwarzen („blacks“), die Wählerklientel aus Erstwählern oder ehemaligen ANC-Wählern. Die EFF gelten derzeit in vielen Metropolregionen als „Königsmacher“. Prognosen zufolge liegen sie in den meisten Metropolen bei über zehn Prozent und bei Nichterreichen der absoluten Mehrheit weder durch den ANC noch durch die DA kann sich die EFF wohl ihren Koalitionspartner aussuchen. Trotz eines teilweise deutlich anti-weißen und anti-kapitalistischen Wahlkampfes werden etwaige Koalitionen mit der DA nicht ausgeschlossen. Schenkt man den Aussagen Malemas Wahrheit, so wird es auch zu keinen Koalitionen zwischen seinen “Freedom Fighters“ und dem ANC kommen.

Aufgrund etlicher politischer Skandale findet sich Staatspräsident Jacob Zuma mittlerweile weit unten in den südafrikanischen Popularitätsumfragen wieder. Dass die Krise des ANC eine vor allem durch Zuma verursachte Führungskrise ist, lässt sich nicht leugnen. Dass der ANC Zuma bislang nicht gestürzt hat, ist lediglich den von ihm seit 2009 gesponnenen, persönlichen Netzwerken zu verdanken. Der ANC ist derzeit jedoch sichtbar gespalten. Der „Pro Zuma“-Seite werden derzeit vor allem die im ANC bedeutende „Premier League“ zugerechnet, die sich aus den Premierministern der Provinzen Mpumalanga, Free State und North West zusammensetzt, sowie der größte und derzeit mächtigste ANC-Provinzverband, KwaZulu-Natal. Dem Zuma gegenüber kritischen Lager wird neben Teilen der ANC-Parteizentrale vor allem Finanzminister Pravin Gordhan, ANC-Fraktionsvorsitzender Jackson Mthembu und der stellvertretende Staatspräsident Cyril Ramaphosa zugerechnet. Zudem mehren sich die Stimmen altgedienter ANC-Koryphäen wie Ahmed Kathrada oder wie die der beiden ehemaligen Staatspräsidenten Thabo Mbeki und Kgalema Motlanthe, die alle laute Kritik an den derzeitigen Handlungsmaximen des ANC äußern.

Im Moment noch hält das Patronagesystem Zumas. Nach verlorenen Wahlen könnte sich dies jedoch schnell ändern und sich zu einem internen Machtkampf ausweiten. In Teilen bröckelt die so genannte „Tripartite“-Regierungsallianz aus ANC, Kommunistischer Partei (SACP) und Gewerkschaftsdachverband (COSATU) schon jetzt. Erst kürzlich ist die größte Einzelgewerkschaft des Landes, die Gewerkschaft der Metallarbeiter, aus dem Gewerkschaftsdachverband und damit der Regierung ausgeschieden. Sie treibt derzeit den Aufbau einer neuen sozialistischen Arbeiterpartei als Alternative links vom ANC voran. Ein Ableger dieser neuen Partei wird schon jetzt an den Kommunalwahlen in der Provinz Eastern Cape teilnehmen und dem ANC vermutlich einige Stimmen in deren Arbeiterhochburgen in den Autobauerfabriken im Eastern Cape streitig machen. Ganz anders sieht es beim kommunistischen Regierungspartner des ANC aus, der SACP. Da die SACP es bislang scheut, aus dem angenehmen Regierungsarrangement mit dem ANC auszutreten und als eigenständige Partei an den Wahlen teilzunehmen, ruft sie großflächig auf Plakaten für die Wahl des ANC auf.

Die DA vor einem Pyrrhussieg

Derzeitige Wahlumfragen prognostizieren, dass in den fünf größten Städten des Landes lediglich in Kapstadt (DA-Hochburg) und in Durban (ANC-Hochburg) die jeweiligen absoluten Mehrheiten verteidigt werden. In den drei anderen Metropolen (Pretoria, Johannesburg, Port Elizabeth) liegt der ANC erstmals hinter der DA, der ein Stimmenanteil zwischen 30 und 40 Prozent vorausgesagt wird. Es wird jedoch nicht erwartet, dass die DA hier mit eigenen absoluten Mehrheiten rechnen kann. Trotz des neuen schwarzen Parteivorsitzenden Mmusi Maimane (der letztes Jahr die deutschstämmige Helen Zille ablöste) haftet der Partei noch immer das Image der weißen Klientelpartei an. Einige Experten sehen daher das Wählerpotential als nahezu ausgeschöpft an, zumindest für die kommenden Kommunalwahlen 2016.

Inhaltlich fokussiert sich der Wahlkampf der liberalen DA stark auf die Schaffung neuer Jobs durch freie Marktwirtschaft. Da die Regierungserfolge der DA im Western Cape und in Kapstadt durchaus beachtlich sind, wird der Kommunalwahlkampf der Partei auch hauptsächlich mit diesem Argument bestritten. Doch oftmals fehlt die Verbindung zu den lokalen und spezifischen Problemen der jeweiligen anderen Metropolen im Land. Da das südafrikanische Parteiensystem noch immer stark entlang ethnischer Wählermilieus ausgerichtet ist, ist vor allem die Frage der DA-Spitzenkandidaten für die anstehenden Wahlen von großer wahltaktischer Bedeutung. So tritt die DA zum ersten Mal in ihrer Geschichte mit nur einem weißen Bürgermeisterkandidaten für die Metropolregionen an (in Port Elizabeth). In Johannesburg wird mit dem schwarzen Geschäftsmann Hermann Mashaba auf einen DA-Neueinsteiger gesetzt, in Pretoria auf Soly Msimanga. In Kapstadt steht Pat-ricia de Lille („coloured“) wohl vor der sicheren Wiederwahl.

In den erwähnten drei Metropolregionen Pretoria, Johannesburg und Port Elizabeth könnte ein Wahlsieg der DA jedoch leicht zum Pyrrhussieg werden. Hier ist man, wie oben beschrieben, zur Machtergreifung wohl auf eine Koalitionsregierung mit den EFF-Linkspopulisten angewiesen. Sollte diese Machtoption von der jeweils zuständigen Parteiführung vor Ort erzwungen werden, so würde dies wohl auf starke Abneigung des Großteils des bislang tonangebenden liberalen Flügels in der Parteizentrale stoßen. Eine solche Entwicklung hätte das Potential, die Partei spalten zu können.

„Jetzt oder nie“: Schicksalswahl für die IFP

Im Gegensatz zur DA, die in ihren Werbespots zum Beispiel auf Zitate des früheren ANC-Präsidenten Nelson Mandela zurückgreift und dafür einige Klagen der Mandela-Familie überstehen muss, steht die Inkatha Freedom Party (IFP) für einen unpopulistischen und auf Werten basierenden Wahlkampf. Inhaltlich wirbt die IFP vor allem für Integrität und moralische Tugenden. Ein zu begrüßender Ansatz in einem Land, das der-zeit durch politische Führungskrisen gezeichnet ist. Auch nach 40 Jahren im Amt ist der Parteivorsitzende und ehemalige Innenminister und Zuluprinz Mangosutho Buthelezi abermals das Bild des IFP Wahlkampfes. Nach dem stetigen Bedeutungsverlust der Partei in der jüngeren Geschichte Südafrikas gelten die Kommunalwahlen 2016 als entscheidende Etappe der Konsolidierung der Partei. Nach dem bisherigen Tiefpunkt der Partei im Jahre 2012 mit der Abspaltung der NFP (National Freedom Party) und dem Ausscheiden langjähriger IFP-Mitglieder, finden diese wieder langsam den Weg zurück zur IFP.

Nachdem die NFP aufgrund organisatorischer Gründe nicht an den Kommunalwahlen 2016 teilnehmen wird, gilt dies als Chance für die IFP, verlorene Kommunalparlamente und Bürgermeisterposten wieder zurück zu gewinnen. Sollte dieser Fall jedoch nicht eintreten und sich die IFP nicht wieder von ihren schlechten Wahlergebnissen der letzten Jahre erholen, droht sich der Status der schwindenden Zulu-Regionalpartei zu zementieren. Zwei weitere Entwicklungen könnten in der Zukunft die IFP sogar in die politische Bedeutungslosigkeit abrutschen lassen: falls zum einen weiterhin keine Nachfolgelösung für den 87-jährigen Parteivorsitzenden gefunden wird, und falls im kommenden Jahr abermals ein Zulu als ANC-Vorsitzender gewählt wird. Diese Entwicklungen gilt es weiterhin zu beobachten. Hingegen könnten etwaige Juniorbeteiligungen an Koalitionsregierungen mit der DA auf Kommunal- oder Provinzebene der Partei ggf. wieder eine stärkere Sichtbarkeit verleihen. Die weitere Zukunft der Partei bleibt abzuwarten.

Explizit muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass sich die beschriebenen politischen Entwicklungen zunächst hauptsächlich auf die Großstadtregionen des Landes beziehen. In den meisten ländlichen Gegenden Südafrikas, mit Ausnahme der IFP-Hochburgen in KwaZulu-Natal, ist nicht von Machtverlusten des ANC auszugehen. In den ländlichen Gegenden gehen Analysten eher davon aus, dass enttäuschte ANC-Wähler in das Lager der Nichtwähler rutschen, als eine andere Partei zu unterstützen. In diesen Gegenden ist die historisch bedingte Wählerbindung zur Befreiungsbewegung ANC noch stärker als in den städtischen Regionen. Zudem muss beachtet werden, dass die dar-gestellten Umfragewerte einen hohen Anteil an noch unentschiedenen Wählern beinhalten. Vor dem Hintergrund der traditionell guten ANC-Wählermobilisierung in den entscheidenden Wochen vor der Wahl können sich diese Umfragewerte noch zugunsten des ANC bewegen.

Weitere gewalttätige Unruhen und Todesopfer erwartet

Nicht nur aufgrund der zunehmenden Proteste im Land, sondern auch aufgrund gewalttätiger Unruhen bei vorangegangenen Wahlen wird bei den anstehenden Kommunalwahlen mit weiterer Gewalt und weiteren Todesopfern gerechnet. Vor allem in den Provinzen Gauteng und KwaZulu-Natal bekämpfen sich Anhänger der verschiedenen Parteien. In Gauteng kam es zu Zusammenstößen zwischen EFF und ANC-Anhängern, in Kwa-Zulu Natal starben IFP-Mitglieder nach Angriffen durch ANC-Anhänger. Aber auch parteiintern kommt es regelmäßig zu Ausschreitungen. Nach Bekanntgabe der ANC-Kandidatin für Pretoria, einer Kompromisskandidatin aus Durban, wurden bei tagelangen Ausschreitungen über 20 Busse und zahlreiche Geschäfte ausländischer Händler abgebrannt. Es kamen insgesamt fünf Menschen ums Leben. Der staatliche Fernsehsender SABC entschied sich, keine Bilder und Videos der Ausschreitungen zu senden. Beobachter vermuteten hier einen Eingriff in die Unabhängigkeit der medialen Berichterstattung zugunsten des ANC. Mittlerweile befassten sich die unabhängige Rundfunkaufsichtsbehörde und Gerichte mit der Angelegenheit und entschieden, dass die Bilder nicht hätten zurückgehalten werden dürfen.

Insgesamt nehmen die Ängste vor Unruhen am Wahltag weiter zu, vor allem in KwaZulu-Natal und den Townships von Kapstadt werden weitere Ausschreitungen erwartet. Über den KAS-Partner DDP werden die Entwicklungen am Wahltag im Rahmen einer Wahlbeobachtungskommission aktiv begleitet.

Fazit

Insgesamt lässt sich beobachten, dass bei den erst zum fünften Mal in der Geschichte Südafrikas stattfindenden Kommunalwahlen zumeist nationale Themen im Fokus stehen. Wie an den Abbildungen oben zu sehen ist, sind auch die Wahlplakate der vier größten Parteien des Landes zumeist mit dem Konterfei des jeweiligen Parteivorsitzenden versehen. Lokale und gemeindebezogene Politikfragen stehen nicht im Fokus der Kommunalwahlen 2016. Inwiefern sich die nationale Stimmung auf die Ergebnisse auf lokaler Ebene widerspiegelt, bleibt abzuwarten.

Auch für den Fall, dass der ANC bei den anstehenden Kommunalwahlen mit einem blauen Auge davonkommen sollte: falls sich der ANC nach den Wahlen weder programmatisch noch personell erneuert, wird sich die Krise des ANC weiter verschärfen. Der schleichende politische Machtverlust des ANC hat schon seinen Anfang in Kapstadt und dem Western Cape genommen. Wird sich dieser nun auch auf weitere Metropolen im Landesinneren ausdehnen, werden Koalitionsregierungen auch bei den anstehenden Nationalwahlen 2019 bzw. 2024 wahrscheinlicher. Ob zudem das dominante Einparteiensystem des ANC mit seiner historisch bedingten Wählerbindung als Befreiungsbewegung Bestand haben wird, darüber werden vor allem die jungen Südafrikaner (die sogenannten „born-frees“, also nach 1994 Geborene) entscheiden, die schon jetzt über 50% der Bevölkerung des Landes ausmachen.

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Henning Suhr

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