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Länderberichte

Eine Wahl ohne Wettbewerb

von Dr. Canan Atilgan, Annika Jooß

Präsidentschaftswahlen in Armenien

Mangelnder politischer Wettbewerb, fehlende politische Ideen und ein entsprechend profilloser Wahlkampf und eine administrativ gut organisierte Wahl bei Einhaltung essentieller demokratischer Prinzipien waren die wesentlichen Merkmale der fünften Präsidentschaftswahlen seit der Unabhängigkeit Armeniens.

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Die Vorzeichen für den Verlauf und Ausgang waren bereits mit den Parlamentswahlen im Mai 2012 gesetzt worden. Das Ergebnis stellte daher keine Überraschung dar. Amtierender Präsident Serzh Sargsyan der regierenden Republikanischen Partei Armeniens (RPA) wurde erwartungsgemäß für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt. Mit 58,64 % aller Stimmen lag er deutlich vor seinen Gegenkandidaten, allen voran Raffi Hovhannisyan der Partei „Heritage“, der beachtliche 36,75 % erreichte und als eigentlicher Gewinner der Wahl gilt. Von den restlichen Kandidaten, die auch im Vorfeld der Wahlen keine große Rolle spielten, schaffte es keiner über 3 %. Nach offiziellen Angaben der Zentralen Wahlkommission machten rund 60 % der Wahlberechtigten von ihrem Stimmrecht Gebrauch, insgesamt waren 2.528.465 Wähler registriert. Der hohe Anspruch der Wähler zu einer Wiederherstellung des Vertrauens in Wahlprozesse war eine der größten Herausforderungen, denen die regierende Partei gerecht werden musste. Noch bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2008 kam es wegen des Vorwurfs des Betruges zu Ausschreitungen und Demonstrationen, in deren Verlauf es zahlreiche Verletzte und Tote gab. Seither wurde der Sargsyan-Administration mangelnde Legitimation vorgeworfen. Angesichts weniger Gegenkandidaten und einer geringeren Wahlbeteiligung als allgemein erwartet, ist die erhoffte legitime Bestätigung Sargsyans im Amt getrübt.

Der Wahlverlauf

Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bescheinigten in ihrer Stellungnahme zwar die Einhaltung demokratischer Standards, einen gut organisierten Wahlverlauf und die vorwiegend ausgeglichene mediale Berichterstattung, bemängelten aber einen fehlenden Wettbewerb unter den Kandidaten und Unregelmäßigkeiten während des Wahltages, wie Fälle mehrfacher Stimmabgabe. Hingewiesen wurde aber auch auf grundsätzliche Probleme staatlicher Eingriffe in den Wahlkampf. Neben einer Vermischung von Staatsfunktionen und Wahlkampfaktivitäten, wurde die Nutzung administrativer Ressourcen zugunsten des Amtsinhabers kritisiert. Angestellte im öffentlichen Dienst sahen sich einem großen Druck ausgesetzt an Wahlkampveranstaltungen und der Wahl selbst teilzunehmen. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) äußerte Zweifel, vor allem hinsichtlich der Wählerlisten. Daneben bemängelten Kritiker auch das geringe Interesse und Vertrauen der Wähler in den Wahlprozess. Allgemein wurde den Wählern Apathie und Desinteresse zugeschrieben, was sich in einer geringen Wahlbeteiligung ausdrückte.

Die Kritik seitens der Opposition ist verständlicherweise weitgehender. Entgegen vorher angekündigter Akzeptanz des Wahlausgangs, verkündete der Zweitplatzierte, Hovhannisyan, das Ergebnis nicht anzuer-kennen und hat zu Demonstrationen aufgerufen. Ob er vor dem Verfassungsgericht Beschwerde einlegen wird und eine Neuauszählung der Stimmen beantragen wird ist bislang noch unklar. In einer Pressekonferenz beklagte ein weiterer Kandidat, Hrant Bagratyan, Stimmenkauf, gefälschte Wählerlisten und wiederholte Stimmabgaben. Einige Kandidaten bezweifelten das Wahlergebnis von Hovhannisyan. Es sei von der Sargsyan-Administration so inszeniert worden, um fairen politischen Wettbewerb vorzutäuschen und damit das Wahlergebnis zu legitimieren.

Rückblickend gelten die Präsidentschaftswahlen seit Beginn der Unabhängigkeit als eine der am wenigsten umkämpften. Überschattet wurde der ruhige und überschaubare Wahlkampf vor allem durch die Schussverletzung von Präsidentschaftskandidat Paruir Hayrikyan im Januar. Hintergründe und Motive sind nicht bekannt und erst eine Woche vor der Wahl entschied sich Hayrikyan endgültig dagegen, eine ihm verfassungsmäßig zustehende Verschiebung des Wahltermins zu fordern.

Wahlkampf ohne Konkurrenz

Im Grunde gab es keinen echten Wahlkampf, Wettbewerb und kein Angebot alternativer politischer Ideen. Vielmehr ging es um Personen. Inhaltlich-programmatische und ideologische Debatten wurden nicht geführt. Das Feld der Kandidaten ist das eigentlich Kuriose dieser Wahl und ist ein Spiegelbild der politischen Landschaft Armeniens. Die wichtigsten Parteien des Landes stellten keine eigenen Kandidaten auf, so dass nicht von einem Wettbewerb um das Amt gesprochen werden kann. Als mögliche Gründe können neben einem mangelnden Vertrauen in den Wahlprozess auch die grundsätzliche Frage genannt werden, ob einige Parteien überhaupt der Opposition zugeordnet werden können. Das politische System Armeniens begünstigt politische Absprachen zwischen „Opponenten“ zur Sicherung von Partikularinteressen. Es ist durchaus denkbar, dass beispielsweise die Partei „Blühendes Armenien“, die bei den Parlamentswahlen ein beeindruckendes Ergebnis erzielte, nicht ihre Interessen und wirtschaftlichen Einfluss riskieren wollte. Der ehemalige Präsident und Herausforderer bei den letzten Präsidentschaftswahlen, Levon Ter-Petrosyan, verzichtete ebenfalls, genauso wie die Partei „Daschnaktsutyun“. Beide Parteien hatten bei den Parlamentswahlen vor einigen Monaten unerwartet schlecht in der Wählergunst abgeschnitten.

Insgesamt waren 15 zumeist unbekannte Kandidaten für das Amt des Präsidenten aufgestellt. Sieben scheiterten daran, das erforderliche Pfand von umgerechnet etwa 20.000 USD aufzubringen, das bei einem Wahlergebnis von unter 5 % einbehalten wird. Die verbliebenen Kandidaten stellten für Sargsyan jedoch keine ernstzunehmende Konkurrenz dar. Schon die Parlamentswahlen hatten das Feld der möglichen Bewerber eingeschränkt. Neben Sargsyan, dessen Wiederwahl schon im Dezember als sicher galt, können zwei weitere Gruppen ausgemacht werden:

Zum einen die Gruppe der Herausforderer mit Hrant Bagratyan, der der Partei Armenischer Nationalkongress nahe steht sowie Raffi Hovhannisyan von der Partei „Heritage“. Erst bei diesen Präsidentschaftswahlen erfüllte Letzterer die Bedingung, zehn Jahre im Besitz der armenischen Staatsbürgerschaft zu sein. Eine Teilnahme an den vorletzten Wahlen, gegen den früheren Präsidenten Robert Kocharyan, war ihm deswegen untersagt geblieben. Nach Einschätzungen lokaler Experten schadete er sich aber mit seinem impulsiven und wechselhaften Verhalten im Wahlkampf selber.

Die zweite Gruppe umfasst die verbliebenen Kandidaten, darunter Paruir Hayrikyan, Arman Melikyan, Aram Harutyunyan, Andrias Ghukasyan und Vardan Sedrakyan. Über eine gewisse Bekanntheit unter diesen verfügte allenfalls Ghukasyan, der drei Wochen vor der Wahl in einen Hungerstreik trat, um für faire und freie Wahlen zu protestieren. Er forderte nicht nur die Streichung Sargsyans von der Kandidatenliste, sondern auch die Ausweisung der internationalen Wahlbeobachter, da diese die Wahlen fälschlicherweise als frei und demokratisch bewerten würden.

Sargsyan, der gemeinsame Kandidat der Koalitionsparteien RPA und „Rechtsstaat“, sah sich somit einer Vielzahl schwacher Gegenkandidaten gegenüber. Die Opposition, inhaltlich zu verschieden, konnte sich nicht hinter einem gemeinsamen Kandidaten vereinigen, der eine echte Herausforderung für Sargsyan hätte darstellen können. Der Wahlerfolg Sargsyans ist zusammengefasst also zu einem großen Teil auf eine systematische Schwäche der Oppositionsparteien zurückzuführen, die keine wahren Herausforderer für den Präsidenten nominierten. Das gute Abschneiden von Hovannisyan ist weniger das Resultat eines erfolgreichen Wahlkampfes als vielmehr Ausdruck für die politische Frustration der Bevölkerung. Hovannisyans Partei hatte bei den Parlamentswahlen lediglich 5,8 % der Stimmen auf sich vereinen können. Darüber hinaus hat sein Ansehen in den letzten Jahren unter dem Eindruck seines relativ zurückhaltenden politischen Engagements gelitten. Er war bei politischen Debatten inhaltlich kaum präsent.

Ein Ausblick auf die zweite Amtszeit

Trotz aller Mängel bietet Sargsyan Wiederwahl die Chance, in seiner zweiten und letzten Amtszeit politische Spuren zu hinterlassen. Armenien hat in den letzten Jahren sowohl politisch als auch wirtschaftlich einige Fortschritte gemacht, allerdings hat sich die Sargsyan-Administration mit notwendigen tiefgreifenden Reformen eher zurückgehalten. Die armenische Bevölkerung erwartet eine aktive Politik in den von Sargsyan selbst deklarierten Handlungsbereichen. Dazu gehören neben dem Kampf gegen den Einfluss der Oligarchen die Herstellung von Rechtsstaatlichkeit und die Bekämpfung der Korruption. Diese wurden in einer von der Konrad-Adenauer-Stiftung organisierten Diskussionsrunde im Vorfeld der Wahlen als die wesentlichen Herausforderungen für die bevorstehende Amtszeit identifiziert.

Bereits bei den letzten Parlamentswahlen hatte Sargsyan angekündigt, den Kampf gegen den Einfluss der Oligarchen aufzunehmen. Noch breiter thematisierte er die-ses Vorhaben unter dem Motto „Recht und Ordnung“ im Wahlkampf dieser Präsidentschaftswahlen. Der Mangel an Wettbewerb, sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik, stellt ein grundlegendes Problem in Armenien dar. Besondere Brisanz liegt in der Verknüpfung von wirtschaftlicher und politischer Macht in diesem System oligarchischer Demokratie. Sargsyan muss hier mit tiefgreifenden demokratischen Reformen aufwarten, die vor allem die demokratischen Institutionen stärken. Dies geht einher mit der Gewährleistung von Rechtsstaatlichkeit. Die Unabhängigkeit der Justiz, die Gewaltenteilung insgesamt mit einer starken Opposition und einem mit Macht ausgestatteten Parlament, die ihrer Kontrollfunktion nachkommen können, muss vorangetrieben werden.

Eine positive demokratische Entwicklung kann nur erfolgen, wenn auch auf wirtschaftlicher Ebene gegen die Oligarchie vorgegangen wird. Kartelle, Monopole und die Kontrolle von Importen und Exporten knapper Ressourcen prägen den armenischen Markt, in dem es keine freie Preisbildung gibt. Die Wirtschaft bedarf mehr Transparenz und Wettbewerb, damit die dominierende Position der Eliten aufgebrochen werden kann. Dies ist auch eine wichtige Voraussetzung, um ausländische Investoren anzuziehen.

Außenpolitisch ist der Handlungsspielraum Sargsyans sehr eingeschränkt. Vor dem Hintergrund der geographischen Lage, der geschlossenen Grenzen und der Konflikte mit den Nachbarn kann in keinem der für Armenien strategisch wichtigen Problemlagen ein Durchbruch erwartet werden. Eine Ratifizierung der Protokolle zur Öffnung der armenisch-türkischen Grenze liegt nach wie vor in weiter Ferne, da die Beziehungen zur Türkei eng mit der Klärung der Karabach-Frage verknüpft sind. Im Karabach-Konflikt haben sich in den letzten Monaten die Fronten mit Aserbaidschan sogar verhärtet, die Rhetorik verschärft. Armenien ist vor diesem Hintergrund weiterhin auf eine Politik des Gleichgewichts zwischen der EU und Russland angewiesen. Von der EU und der Östlichen Partnerschaft profitiert Armenien vorwiegend ökonomisch, von Russland insbesondere sicherheitspolitisch.

Zusammengefasst gibt es zwei Handlungsbereiche, in denen Sargsyan Ergebnisse vorweisen und in die politische Geschichte des Landes eingehen kann: Erstens die erfolgreiche Eingrenzung des politischen Einflusses der Oligarchen. Dadurch kann er auch das Vertrauen der Gesellschaft in die Politik wiederherstellen. Zweitens kann Sargsyan durch eine Transformationspolitik die Bildung neuer Eliten ermöglichen, die nicht der Kriegsgeneration angehören und stärker europäisch orientiert sind.

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