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Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega war von Anfang an keine Wunschkonstellation

Caroline Kanter im Interview zur Regierungskrise in Italien

Italiens Lega-Chef Salvini fordert Neuwahlen. Die Zeichen stehen auf Krise. Die Leiterin des Rom-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung und Italien-Expertin, Caroline Kanter, erläutert im kas.de-Interview die Hintergründe der Krise und zeigt mögliche Szenarien auf, wie es weitergehen könnte.

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Frau Kanter, in den vergangenen Monaten ist es innerhalb der italienischen Regierung immer wieder zu Streitigkeiten gekommen. Jetzt steht die Koalition aus Lega und populistischer Fünf-Sterne-Bewegung nach den jüngsten Äußerungen Salvinis vor dem Aus. Worum geht es bei dem Konflikt genau?

Die Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega war von Anfang an keine Wunschkonstellation, sondern ein Zweckbündnis zweier sehr unterschiedlicher Koalitionspartner. Die beiden politischen Kräfte haben sich nach den Wahlen im Frühjahr 2018 auf ein Regierungsbündnis basierend auf einem Koalitionsvertrag geeinigt – was ein Novum für ein italienisches Regierungsbündnis darstelle.

Was sich im Laufe des ersten Regierungsjahres gewandelt hat, ist die Stärke und Durchsetzungskraft der Koalitionspartner. Der Wahlgewinner im Frühjahr 2018 – die Fünf-Sterne-Bewegung – ist heute ein schwacher Akteur, der in der Wählergunst starke Einbußen zu verzeichnen hat. Das haben sowohl die Regionalwahlen der vergangenen Monate, als auch die Wahlen zum Europäischen Parlament gezeigt. Die Fünf-Sterne-Bewegung hat ihr Ergebnis quasi halbiert, die Lega konnte es verdoppeln und sich von einer regionalen Kraft zu einer nationalen Partei etablieren. Aktuell liegt die Lega in nationalen Umfragen bei 37,5%, die Fünf-Sterne-Bewegung bei 17% (Quelle: La 7, Stand: 05.08.19).

Diese erstarkte Lega mit ihrem populären und dominanten Parteisekretär, Matteo Salvini, hat in den vergangenen Wochen vermehrt Ansprüche an den Regierungspartner gestellt und die Fünf-Sterne-Bewegung immer wieder unter Druck gesetzt, um ihre politischen Vorhaben durchzusetzen. So ist es Salvini Anfang dieser Woche gelungen, sein umstrittenes Gesetzesvorhaben zur Stärkung der inneren Sicherheit – Decreto Sicurezza bis – durch das Parlament zu bringen, auch wenn große Teile des Koalitionspartners es kritisch sahen. Salvini übte bei der Abstimmung im Senat massiven Druck auf die Fünf-Sterne-Bewegung aus.

Das gesamte erste Regierungsjahr war gekennzeichnet von immer wieder neu aufflackernden Konflikten der beiden Koalitionäre – mehrfach beschwörten italienische Medien das Ende der Regierung herauf. Sowohl die Fünf-Sterne-Bewegung, als auch die Lega haben immer wieder zugesichert, an dem Bündnis festhalten zu wollen um gemeinsam, in der „Regierung des Wandels“ das Land voran bringen zu wollen. Das hat sich nun geändert. Die unterschiedliche Positionierung beider Kräfte über die Fortführung eines Infrastrukturprojekts -der Bau einer Schnelltrasse zwischen Turin und Lyon, der s.g. TAV - konnte nicht gelöst werden.

Monatelang wurde öffentlich über die Vor- und Nachteile der Fertigstellung der Trasse diskutiert, Untersuchungen in Auftrag gegeben, die die Kosten und den Nutzen feststellen sollten. Die Lega befürwortet die Fertigstellung des Projekts und die Fünf-Sterne-Bewegung lehnt es ab. Bereits im Wahlkampf spielte dieses Infrastrukturprojekt eine wichtige Rolle das die Wähler spaltete. Eine Neupositionierung wäre weder den Anhängern der Fünf-Sterne-Bewegung, noch den Lega-Wählern vermittelbar gewesen. Deshalb hat man sich nicht auf eine gemeinsame Linie einigen können und unterschiedlich im Senat, der zweiten italienischen Kammer, abgestimmt. Mit der Lega stimmte die oppositionelle PD.

Die Abstimmung über das Infrastrukturprojekt TAV hat das Fass wohl zum Überlaufen gebracht, die Gegensätze der Regierungspartner erscheinen aus Sicht Salvinis unüberwindbar und Vertrauen ist nicht mehr vorhanden.

In italienischen Medien wird vermutet, dass sich Matteo Salvini angesichts der guten Umfragewerte für seine Partei Neuwahlen erhofft und ein Ende der Koalition absichtlich forciert. Wie ist dieser Vorwurf zu bewerten?

In der Tat konnte sich die Lega nicht nur zur dominierenden Kraft in der Koalition etablieren, sondern sie ist seit Monaten stärkste politische Kraft im Land. Die stärkste Oppositionspartei – die sozialdemokratische Partito Democratico, PD – liegt in aktuellen Umfragen circa 15 Prozentpunkte hinter der Lega.

Die Lega ist nach aktuellen nationalen Umfragen zu urteilen also stärkste Kraft im Land. Matteo Salvini trifft bei 54% der Wähler auf Zustimmung. Damit liegt er vier Prozentpunkte hinter Premierminister Conte (58%). Luigi Di Maio, Vorsitzender der M5S trifft lediglich auf 34% Zustimmung.

Salvini lässt bereits seit Monaten die Muskeln spielen und stellt Forderungen an seinen Koalitionspartner, die für diesen nicht leicht zu verdauen sind. Die Zustimmung zu dem neuen Sicherheitsdekret konnte er erwirken, nun forderte er Premierminister Conte auf, drei Ministerposten, die die Fünf-Sterne-Bewegung innehat, neu zu besetzen; unter ihnen Verkehrsminister Toninelli.

Bis zu der Abstimmung über das Infrastrukturprojekt TAV hatte Salvini stets versichert, an der Regierungskoalition festhalten zu wollen. Nun fordert er den Gang an die Wahlurne – da es keine Mehrheit mehr im Parlament gäbe, das habe die TAV-Abstimmung gezeigt. Nun gelte es, so Salvini, die Stimme erneut den Wählern zu geben und so schnell wie möglich an die Wahlurne zu gehen.

Wie könnte es jetzt weitergehen? Welche Szenarien sind möglich und was bedeutet die Lage in Italien für Deutschland und Europa?

Ob dieser aktuelle Konflikt tatsächlich das Ende der M5S-Lega-Regierung bedeutet, oder ob es sich um den nächsten Akt im „politischen Sommertheater“ handelt, werden vermutlich die nächsten Stunden zeigen.

Aktuell herrscht kommunikatives Chaos; politische Schlagabtausche dominieren den öffentlichen Diskurs. Jede politische Kraft möchte zu Wort kommen und die Entwicklungen mit beeinflussen.

Die Lega hatte am Donnerstagnachmittag in einer öffentlichen Stellungnahme mitgeteilt, dass man als einzige Alternative zu dieser Regierung aus Fünf-Sterne-Lega, den Gang an die Wahlurne sehe. Das bringt zum einen zum Ausdruck, dass man sich noch nicht komplett von dieser Koalition lossagt, zum anderen will man der Diskussion über andere Regierungskonstellationen –wie das Sondieren von anderen Regierungsoptionen bspw. M5S- PD-Regierung oder Technokratenregierung – eine klare Absage erteilen. Diese zweite Option wird aktuell in Italien von einigen Experten diskutiert – stellt allerdings aus Sicht der Lega keine Alternative dar, da man bei diesen Szenarien nicht an der Regierung beteiligt wäre. Dann würde man aus Sicht der Lega lieber die Wähler erneut befragen.

Allerdings birgt jede Wahl Risiken in sich – ob die Lega ein Ergebnis zwischen 35-40% einfahren würde, was den aktuellen Umfragen entsprechen würde, müsste man sehen. Hinzu kommt: auch wenn die Lega als klarer Sieger aus einer Neuwahl hervorgehen würde, müsste sie vermutlich in eine Koalition eintreten. Ob sich eine Mitte-Rechts-Regierung realisieren ließe und eine Mehrheit erringen würde, hinge auch von den potentiellen Koalitionspartnern, Fratelli d’Italia und der schwächelnden Forza Italia, ab.

Auch wenn nun M5S und die Opposition öffentlich Neuwahlen fordern bzw. diese angeblich nicht scheuen, dürfte Unbehagen vor einem Urnengang bei der Mehrzahl der politischen Kräfte dominieren.

Die sozialdemokratische PD hat sich nach einem Jahr des Stillstands im Frühjahr, kurz vor der Europawahl, mit Nicola Zingaretti als Parteisekretär, neu aufgestellt. Ob man erfolgreich einen nationalen Wahlkampf bestreiten kann, in einem politischen Klima, wo die Lega mit Salvini nicht nur die „Sozialen Medien“, sondern auch die Piazze dominiert, bliebe abzuwarten. Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament konnte die PD sich erneut behaupten, schnitt als zweite politische Kraft ab und konnte M5S hinter sich lassen.

Bei den nächsten Schritten kommt Sergio Mattarella eine Schlüsselrolle zu, denn der Weg zu Neuwahlen, der Auflösung des Parlaments, obliegt dem italienischen Staatspräsidenten. Mattarella hat sich in dem ersten Regierungsjahr der M5S-Lega-Regierung immer wieder als mahnende, pro-europäische Stimme in die Debatte eingebracht, der auf die Gültigkeit der italienischen Verfassung hinwies.

Mattarella fungiert als Garant für die europäischen Partner und hat die Entwicklung der italienischen Wirtschaft und die Stabilität der Märkte stets im Blick. Auch in dieser aktuellen Krise räumt Mattarella der italienischen Verfassung Vorrang ein und sieht sich nicht als politischer Akteur.

Sollte es zu einer Vertrauensabstimmung über Premierminister Conte kommen und dieser diese verlieren, würde Mattarella vermutlich erst Konsultationen zur Bildung einer neuen Regierung einberufen. Sollten diese scheitern, würde er die Parlamentskammern auflösen. Dies alles würde sich vermutlich in der zweiten Augusthälfte abspielen. Ab dem Zeitpunkt der Auflösung des Parlaments sieht die Verfassung vor, dass mindestens 60 Tage vergehen müssen, ehe Wahlen durchgeführt werden können. Das wäre Ende Oktober.

Conte hat sich in seiner ersten Stellungnahme sehr kritisch gegenüber Salvinis Aufkündigung der Regierung gezeigt und zugesagt, die Regierungskrise so transparent wie möglich zu gestalten.

Kritisch diskutieren Experten die Tatsache, dass Italien sein Haushaltsgesetz für das Jahr 2020 bis zum 20. Oktober finalisiert und bei der EU-Kommission in Brüssel eingereicht haben muss. Dies hieße, dass der scheidenden Regierung die Aufgabe der Formulierung des Haushalts zukäme.

Italien wird in den kommenden Wochen vermutlich stark mit sich selbst beschäftigt sein, auch wenn wichtige Entscheidungen auf internationaler und europäischer Ebene anstehen, wie der G7-Gipfel und die Benennung des italienischen Kandidaten für die EU-Kommission.

Wie erleben Sie, Frau Kanter, die Situation vor Ort? Wie wird der Regierungskonflikt in Italien diskutiert?

Das Land ist durch diese Regierungskrise geschwächt und wird in den kommenden Wochen stark mit sich selbst beschäftigt sein. Wichtige Reformen können nicht angegangen bzw. nicht fortgeführt werden. Es besteht die Gefahr, weiter Zeit zu verlieren und sich in Europa aufgrund unzureichender Präsenz und eines vermutlich anti-EU-Wahlkampfs seitens einiger politischer Kräfte, zu isolieren.

Das Vertrauen der italienischen Bürger in Parteien, politische Entscheidungsträger und staatliche Institutionen ist schwach im Vergleich zu anderen EU-Staaten. Ich befürchte, dass sich Teile der Bevölkerung, die der „Regierung des Wandels“ ihr Vertrauen geschenkt haben, abwenden könnten und desillusioniert sind. Die Anzahl der Nichtwähler könnte zunehmen.

Alternativ ergibt sich vielleicht aus dieser Regierungskrise auch die Chance, dass die Krise einen Weckruf an die Bürger aussendet und sie sich grundsätzlich Gedanken darüber machen, in welche Richtung ihr Land steuern soll.

Frau Kanter, vielen Dank für das Interview!

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Caroline Kanter

Portrait von Caroline Kanter

Stellv. Leiterin der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit

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