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Länderberichte

Papst in der Türkei: Religiöse Reise mit politischen Implikationen

Der Besuch von Papst Benedikt XVI. vom 28.11.-01.12.2006 in der Türkei begann unter schwierigen Vorzeichen und war auch während des Ablaufs nicht ohne Risiken. Dank einer Charmeoffensive und reichlich diplomatischen Geschicks ist es dem Pontifex jedoch gelungen, die anfangs distanzierte und skeptische türkische Öffentlichkeit für sich zu gewinnen und positive Schlagzeilen in den einheimischen Medien zu bekommen. Das Hauptanliegen seiner Reise, den Dialog und die Beziehungen mit der Ostkirche wieder zu beleben, ist mit der Teilnahme am traditionellen Gottesdienst zum Andreas-Fest der orthodoxen Kirche und der anschließenden Unterzeichnung einer Erklärung zur weiteren Annäherung der katholischen und orthodoxen Kirche am 30.11.2006 in Istanbul erfolgreich umgesetzt worden.

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Wenige Wochen vor der Reise mangelte es nicht an Ratschlägen, den Papstbesuch am besten noch kurzfristig abzusagen. Die Stimmung in der Türkei war denkbar schlecht: Mit dem mittlerweile berühmten islamkritischen Zitat in seiner Regensburger Rede hatte Benedikt XVI. eine Welle von Protesten und Entrüstung entfacht, die antiwestlichen Stimmungen im Lande kurzfristig Aufwind verschafften. In seiner früheren Funktion als Kardinal Ratzinger hatte er sich kritisch zur EU-Beitrittsperspektive der Türkei geäußert, was ebenfalls für Unmut sorgte. Von offizieller türkischer Seite versuchte man denn auch alles, um den politischen Stellenwert des Papstbesuches herab zu werten und dem Pontifex einen möglichst kühlen Empfang zu bereiten. Bis kurz vor Reiseantritt war außer dem Zusammentreffen mit Staatspräsident Sezer, der die offizielle Einladung an den Papst ausgesprochen hatte, kein weiterer Termin mit hochrangigen türkischen Politikern im Programm vorgesehen.

Am Ende kam jedoch alles ganz anders. Die für Sonntag, den 26.11.2006, in Istanbul von der islamisch-konservativen „Saadet Partisi“ (Glückseeligkeitspartei) angekündigte – und von der Polizei nicht zugelassene – Massenkundgebung gegen den Papst hatte sich als Flop erwiesen. Anstatt der erwarteten Hunderttausende von Demonstranten (die Organisatoren sprachen sogar von einer Million) trafen letztlich nur um die 20.000 Protestierende zum „Anti-Papst-Meeting“ ein. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan hatte sich in den Medien von den Anti-Papst-Protesten distanziert und von „marginalen Gruppen“ gesprochen. Die islamisch-konservative Saadet-Partei, eine Nachfolgepartei der Refah-Partei Erbakans, hatte bei den letzten Wahlen lediglich 2,5 Prozent der Stimmen erhalten.

Unmittelbar vor seiner Reise startete Benedikt XVI. eine Versöhnungsoffensive: Beim Angelus-Gebet am Sonntag in Rom sendete er „herzliche Grüße voller Freundschaft“ an die Menschen in der Türkei. In das Besuchsprogramm wurde kurzfristig noch ein Besuch in der Sultanahmet-Moschee (auch Blaue Moschee) in Istanbul als Geste der Achtung vor dem Islam eingefügt. Hinzu kam eine Meldung aus dem Vatikan, wonach man einer EU-Mitgliedschaft der Türkei nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber stünde, sondern bei der Erfüllung aller Beitrittskriterien die Türkei in Europa gerne willkommen heißen würde (Aussagen von Staatssekretär Kardinal Bertone und Erzbischof Mamberti).

Diese positiven Signale, und wohl auch der politische Instinkt, haben Premierminister Erdoğan dann doch noch dazu bewogen, seinen Reiseplan zum NATO-Gipfel in Riga kurzfristig zu ändern und den Papst bei dessen Ankunft am 28. November 2006 am Flughafen in Ankara zu treffen. Dass der Regierungschef das Oberhaupt der katholischen Kirche auf der Landebahn vor dem Flugzeug erwartete, war dann auch für die türkischen Beobachter eine Überraschung.

Nach einer ca. halbstündigen Unterredung im VIP-Raum des Flughafens sagte Ministerpräsident Erdoğan gegenüber den Medien, der Papst hätte sich für einen EU-Betritt der Türkei ausgesprochen. „Er sagte, er mache keine Politik, wünsche der Türkei aber einen Betritt zur EU“, wurde Erdoğan zitiert. Dieses Zitat bestimmte denn auch die Berichterstattung in der türkischen Presse und trug somit zu einer positiven Grundstimmung zum Auftakt des Besuches bei. Der Vatikan wollte die zitierten Äußerungen nicht kommentieren. „Der Heilige Stuhl hat in solchen politischen Fragen keine Kompetenz“, sagte Vatikansprecher Federico Lombardi gegenüber Spiegel-Online.

Viel Beifall fand in der türkischen Presse, dass der Papst sein Kreuz bei der Ankunft unter dem Mantel verborgen hielt. „Kreuzlose Fahrt“ betitelte die Boulevardzeitung „Sabah“ ihren Aufmacher und wertete dies als „versöhnliche Geste“ an dem Islam. Auch andere Zeitungen nahmen diese Meldung mit positiven Kommentaren auf. Auch die Tatsache, dass der Papst beim Eintrag ins Gästebuch des Atatürk-Mausoleums das bekannte Atatürk-Zitat „Frieden zuhause, Frieden in der Welt“ verwendete, wurde allgemein gelobt.

Das Treffen Benedikt XVI. mit Ali Bardakoğlu, dem Leiter des Amtes für religiöse Angelegenheiten, wurde mit Spannung erwartet: Bardakoğlu gehörte im September zu den schärfsten Kritikern der Regensburger Rede des Papstes. Nun betonte der Papst das Gemeinsame von Christen und Muslimen sowie seinen Respekt vor dem Islam und der Türkei. Bardakoğlu sprach die Regensburger Rede des Papstes nicht direkt an, rief aber den Papst zu gesundem Menschenverstand auf und sagte, dass solche Anschuldigungen auf keinen wissenschaftlichen und historischen Angaben basieren. Nach dem Gespräch mit Benedikt XVI. unter vier Augen sagte Bardakoğlu vor der Presse: „Wir heißen Sie in unserem Land und Amt willkommen, das das Zusammenleben verschiedener Glaubensrichtungen und Kulturen als eine humane Verantwortung sieht.“

Als der Papst am Mittwoch in Izmir von einem Pilger die türkische Fahne nahm und sie vor den Kameras schwenkte und beim Gottesdienst in der Kirche St. Maria in Ephesos einige Worte auf türkisch sprach, hatte er die Sympathien eines Großteils der Türken endgültig gewonnen. „Der Besuch könnte ein Wendepunkt in der Karriere des Papstes sein“, kommentierte die regierungsnahe islamisch-konservative Zeitung „Yeni Şafak, „er könnte zu einem Durchbruch in den Beziehungen zwischen den Muslimen und Christen führen“. Bei allen versöhnlichen Gesten und Signalen der Freundschaft lies es sich der Papst nicht nehmen, auch auf Missstände hinzuweisen: In Ephesos richtete er besondere Worte des Dankes an die kleine Christengemeinde in der Türkei und sprach bei dieser Gelegenheit auch deren schwierige Situation an. Er würdigte zudem in seiner Predigt den am 5. Februar 2006 in der türkischen Stadt Trabzon während des Gebetes in der Kirche getöteten katholischen Priester Andrea Santoro.

Höhepunkt der Türkei-Reise des Papstes war das Zusammentreffen mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. in Istanbul und die Teilnahme an der orthodoxen Göttlichen Liturgie (Gottesdienst) zum Fest des Heiligen Andreas in der St.-Georgs-Kathedrale am Donnerstag, den 30. November 2006. Die Wiederaufnahme des Dialogs und die weitere Annäherung zwischen der Römisch-Katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen ist ein Hauptanliegen von Benedikt XVI.. Der Papst und der Patriarch (dessen ökumenischer Titel von der Türkei nicht anerkannt wird) stehen in der Nachfolge der Apostelbrüder Petrus und Andreas, der Begründer der Kirchen von Rom und Byzanz, dem späteren Konstantinopel und heutigen Istanbul. Der Dialog der seit dem Jahr 1054 durch gegenseitigen Kirchenbann getrennten Kirchen begann 1979, kam im Jahr 2000 zum Stillstand und ist auf Initiative von Bartholomaios I. 2005 wieder angelaufen. Der Weltorthodoxie gehören etwa 300 Millionen Gläubige in 14 Patriarchaten und autokephalen (eigenständigen) Teilkirchen an. Die meisten Gläubigen gehören zum Patriarchat von Moskau (ca. 80 Millionen). Auch wenn Bartholomaios I. mit seinem Patriarchat „nur“ 3,5 Millionen Gläubige (davon wenige Tausend in der Türkei) repräsentiert, liegt seine Bedeutung darin, dass er als Ökumenischer Patriarch traditionell den Ehrenvorsitz in der Orthodoxie und das alleinige Recht hat, ein panorthodoxes Konzil einzuberufen.

Benedikt XVI. hat in seiner Begegnung mit Bartholomaios I. die Bedeutung der Einheit der Kirche gerade im heutigen Europa betont. In der heutigen Zeit, in der die Säkularisierung den Einfluss der christlichen Traditionen geschwächt hat und diese sogar zurückweist, sei eine Erneuerung des Glaubens unbedingt notwendig. „Die Trennungen zwischen den Christen sind ein Skandal und behindern die Verbreitung des Evangeliums“ betonte der Papst. Zwischen den beiden Kirchenoberhäuptern wurde am Donnerstag eine gemeinsame Erklärung zur weiteren Annäherung der Kirchen unterzeichnet. Darin wird die vollkommene Einheit zwischen Ost- und Westkirche als Ziel genannt. Mit Blick auf den internationalen islamistischen Terrorismus wird Gewalt im Namen der Religion verurteilt. Eindringlich heißt es, die christlichen Wurzeln Europas müssten gewahrt werden.

Ein weitere wichtige Geste an die muslimische Welt war der Besuch in der Sultanahmet-Moschee, wo der Papst an Seite des Istanbuler Obermuftis, Mustafa Çağrici (einer der Signatare des offenen Briefs von 38 islamischen Führern an Papst Benedikt XVI. vom 12. 10. 2006 als Antwort auf die Regensburger Rede) in Richtung Mekka während eines Gebets in Andacht verweilte. Die türkische Zeitung „Hürriyet“ kommentierte: „er hat sich gen Mekka gewandt und wie die Muslime gebetet“. Es war der zweite Besuch eines Papstes (nach dem Besuch Papst Johannes Paul II. in einer Moschee in Damaskus 2001) in einem muslimischen Gebetshaus.

Der Besuch des Papstes in der Türkei kann sowohl religiös als auch politisch als Erfolg bewertet werden. Nach monatelanger Kritik an seiner Haltung zum Islam hat Benedikt XVI. zum Ende seiner Reise viel Lob von muslimischer Seite geerntet. Der wichtige Schritt zur Annäherung an die Ostkirche ist gelungen. Auch die Christen in der Türkei haben durch den Besuch zumindest symbolisch Unterstützung erhalten. Ob sich ihre Situation jedoch tatsächlich verbessern wird, bleibt abzuwarten. Der vatikanische Staatssekretär Kardinal Tarcisio Bertone hatte am Samstag, den 02. 12. 2006 verkünden lassen, dass eine paritätische Kommission zwischen türkischer Regierung und katholischer Kirche gebildet werden soll, um die offenen Staat-Kirche-Fragen zu klären. Der Kommission werde auch der Apostolische Nuntius in Ankara angehören. In den Gesprächen mit türkischen Regierungsvertretern während des Papstbesuches hätten sich „hoffnungsvolle Perspektiven“ eröffnet. Vor allem gehe es um die Regelung vordringlicher Fragen wie Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für ausländische Geistliche und das Eigentumsrecht am Grundstücken und Gebäuden. Der fehlende Rechtsstatus für christliche Kirchen wird von der Türkei mit der strikten Einhaltung des Laizismusprinzips begründet (der auch für islamische Organisationen gilt). Dass hier keine rasche Lösungen zu erwarten sind, davon zeugt die Tatsache, dass noch während des Papstbesuches ein Gesetzesentwurf der Regierung zur Verbesserung der Situation religiöser Stiftungen (und damit auch christlicher Kirchen) durch ein Veto des Staatspräsidenten blockiert und damit vorerst auf Eis gelegt worden ist.

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Sven-Joachim Irmer

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