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Veranstaltungsberichte

25 Jahre Paneuropäisches Picknick

von Frank Spengler, Bence Bauer, LL.M

Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht anlässlich der Gedenkveranstaltungen in Sopron

Vom 17. bis 19. August 2014 wurde an der ungarisch-österreichischen Grenze an das Paneuropäische Picknick vor 25 Jahren erinnert, das von bürgerlichen und liberalen Oppositionsgruppen ausgerichtet wurde. Am 19. August 1989 nutzten über 600 DDR-Bürger die Gelegenheit zur Flucht. Für sie wurde Sopron das Tor zur Freiheit. Der Grenzdurchbruch war auch ein entscheidender Schritt zur Deutschen und Europäischen Einheit. In ihrer Festrede dankte die Thüringer Ministerpräsidentin den Ungarn für ihren Mut und betonte die Bedeutung des Paneuropäischen Picknicks für die Freiheit Europas.

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Im Mittelpunkt der Veranstaltungen stand die demokratische Entwicklung der vergangenen 25 Jahren in Europa und die Bedeutung der Freiheit für die jüngere Generation. Darüber hinaus wurde den Ideengebern und Initiatoren des Paneuropäischen Picknicks für ihren Mut und den vielen Helfern für ihren humanitären und karitativen Einsatz, insbesondere für die vielen hundert DDR-Flüchtlinge, gedankt. Zeitzeugen und Historiker beschäftigten sich im Rahmen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den noch nicht eindeutig aufgearbeiteten geschichtlichen Fakten.

Die internationale Gedenkkonferenz stand unter der Schirmherrschaft des Präsidenten der Ungarischen Nationalversammlung Dr. László Kövér. Veranstalter waren die Stiftung für ein Bürgerliches Ungarn, das József Antall Wissenszentrum, die Stadt Sopron, die Stiftung Paneuropäisches Picknick´89 und die Konrad-Adenauer-Stiftung. Der Gedankenaustausch gliederte sich in zwei Teile: „Sopron: Das Tor zur Freiheit in Europa“ war der Titel der wissenschaftlichen Konferenz am 18. August. Die Gedenkveranstaltung am Jahrestag, dem 19. August, stand unter dem Motto „Das Tor nach Europa“.

An beiden Tagen nahmen mehr als 400 Vertreter aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Zivilorganisationen teil, u.a. eine Bürgergruppe aus Thüringen, Schüler des St. Augustin Gymnasiums in Grimma (Sachsen), eine Abordnung der Frauen Union aus Berlin und auch der Kammerchor der Universität Würzburg. Zahlreich erschienen waren die Initiatoren des Picknicks, einige damalige DDR-Flüchtlinge, Zeitzeugen und Akteure der Ereignisse vor 25 Jahren.

Nach den Begrüßungen durch die Organisatoren sowie dem Grußwort von Dr. Gergely Gulyás MdNV, Vizepräsident der Ungarischen Nationalversammlung, wurde die Konferenz von Hildigund Neubert, Staatssekretärin in der Thüringer Staatskanzlei und stellv. Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, eröffnet. Sie betonte, dass der Eiserne Vorhang ein Ausdruck der Willkürherrschaft der kommunistischen Machthaber war. Sie erinnerte an die Deportationen der Bevölkerung an der innerdeutschen Grenze sowie an die Mauertoten, die Opfer dieses Regimes wurden. Vor dem Hintergrund der mutigen ungarischen Grenzöffnung betonte Frau Neubert, dass Europa auch weiterhin den Beitrag Ungarns zur Verwirklichung der europäischen Idee brauche. Zudem würdigte sie die engen Verbindungen zwischen dem Freistaat Thüringen und Ungarn sowie das zehnjährige Jubiläum der Mitgliedschaft Ungarns in der EU, welches einen entscheidenden Beitrag zu einem vereinigten Europa geleistet habe. Sie schloss mit der Bemerkung, dass es notwendig sei, an einem vielfältigen Haus Europa zu arbeiten, um so auch der Idee des Paneuropäischen Picknicks gerecht zu werden.

In der ersten Podiumsdiskussion tauschten sich die Akteure/Zeitzeugen (u.a. Imre Kozma, Präsident des Malteser Hilfsdienstes, László Nagy, Sekretär der Stiftung Paneuropäisches Picknick ‘89, Árpad Bella, Oberstleutnant a.D.) von 1989 über die Ereignisse, die zum Picknick an der Grenze führten sowie über die Ereignisse rund um den 19. August 1989 aus. Sie betonten neben der Bedeutung der Freiheit und der Selbstbestimmung für ein menschenwürdiges Leben auch die zwischenmenschlichen Aspekte des Paneuropäischen Picknicks. Das Ignorieren von Befehlen und die Annäherung auf beiden Seiten des Grenzzaunes machten das Paneuropäische Picknick überhaupt erst möglich. Es waren vor allem die Grenzbeamten vor Ort, wie zum Beispiel Oberstleutnant Árpád Bella, die die Bedeutung dieses Ereignisses erkannten, sich ihrer Verantwortung bewusst waren und entscheidend zu einer friedlichen Grenzöffnung beitrugen. So war auch der österreichische Zeitzeuge Alexander Wind berührt von der Menschlichkeit der Beteiligten auf beiden Seiten, die sich ihm darbot.

Im Anschluss wurde im zweiten Panel die Bedeutung des Paneuropäischen Picknicks für die deutsch-ungarischen Beziehungen mit den beiden Vorsitzenden der nationalen Parlamentariergruppen Michael Stübgen und Dr. Gergely Gulyás und dem damaligen Staatsminister Prof. Dr. Imre Pozsgay erörtert. Michael Stübgen als ehemaliger DDR-Bürger stellte vor allem die Bestrebungen der Menschen in den Mittelpunkt, das System im Kern zu verändern und den Repressionen des Regimes die Forderung nach mehr Demokratie und Freizügigkeit entgegenzusetzen. Krisen, wie die in der Ukraine, seien als ein Appell zu verstehen, die Errungenschaften der Europäischen Einigung neu wertzuschätzen und sich dafür einzusetzen. Dr. Gergely Gulyás wies zudem auf den oft unterschätzten Wert der Freiheit für die europäische Jugend hin. Dies sei eine „vererbte“ Freiheit, die das Privileg als eine Selbstverständlichkeit erscheinen ließe. Vor diesem Hintergrund machte er auch auf die derzeitigen Probleme der Jugend in Europa aufmerksam, die mit den Herausforderungen der erlangten Freiheit und Freizügigkeit kämen und die von der Europäischen Union ebenso ernst genommen werden müssten. Nichtsdestotrotz hat Europa die Freiheit den Ereignissen im Jahr 1989 zu verdanken, an die immer wieder erinnert werden müsse. Prof. Dr. Manfred Wilke vom Ludwig-Boltzmann-Institut würdigte zudem die herausragende Weitsichtigkeit ungarischer Politiker, die im Gegensatz zu Honecker, der noch 1989 eine „Disziplinierung“ Ungarns forderte, Reformen Raum ließen und den Weg für eine friedliche Grenzöffnung ebnete.

Zum Abschluss wurden die Perspektiven eines freien Europa mit dem stellv. CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Arnold Vaatz und dem stellv. EVP-Fraktionsvorsitzenden Dr. József Szájer diskutiert. Die aktuelle Politik in Europa müsse, laut József Szájer die Politikverdrossenheit in den Blick nehmen und ihr aktiv begegnen. Auch müsse die Handlungsfähigkeit der EU gestärkt, werden um Krisen wirkungsvoll und vorrausschauend zu begegnen. Die Krise in der Ukraine habe hier Schwachstellen gezeigt, die es zu beheben gelte. Arnold Vaatz kritisierte zudem Europas mangelndes Interesse an den spezifischen Problemen Mittel- und Osteuropas, die eine praxisorientierte Problemlösung verhindere und die Attraktivität der europäischen Idee schwinden ließe. Zudem müsse offen über die Stabilisierung der europäischen Gesellschaft und ihrer Bedrohung durch radikale Gruppierungen gesprochen werden. Mit wissenschaftliche Beiträge bereicherten die Professoren Dr. Hendrik Hansen (Andrássy Universität), Dr. György Nógrádi (Corvinus Universität) neben Dr. Manfred Wilke (Ludwig-Boltzmann-Institut) die Diskussion. Die Panels wurden von Gyula Kurucz, Hans Kaiser und Prof. Dr. Ellen Bos moderiert. Katharina Landgraf fasste in ihren Schlussbemerkungen die wichtigsten Erkenntnisse der Tagung zusammen und würdigte noch einmal die Errungenschaften der Bürgerinitiative des Picknicks.

Monika Balatoni, Staatssekretärin für Kulturdiplomatie im Außenwirtschafts- und Außenministerium Ungarns, eröffnete den Empfang am Abend, die Ministerpräsidentin des Freistaates Thüringen, Christine Lieberknecht, sprach ein Grußwort. Für die musikalische Begleitung war der Kammerchor der Universität Würzburg verantwortlich.

Die Gedenkveranstaltung am 19. August stand ganz im Zeichen des Dankes an die Ungarn, die mit dem Abbau der Grenzbefestigungsanlagen, dem Beitritt zur Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen und schließlich der Grenzöffnung entscheidend den Weg zum Zusammenbruch des Kommunismus in der DDR und damit dem Weg zur Deutschen Einheit ebneten. Hochrangige Politiker aus Deutschland, Ungarn und Österreich würdigten insbesondere die politische Bedeutung des Picknicks. Johannes Singhammer, Vizepräsident des Deutschen Bundestages, betonte in seinem Grußwort die Tatsache, dass die ungarischen Regierung ohne Gegenleistung die deutschen Flüchtlinge ausreisen ließ. Klaus Riedel, der Geschäftsträger der Deutschen Botschaft in Ungarn unterstrich, dass die Beteiligten am richtigen Ort zur richtigen Zeit die richtigen Entscheidungen getroffen hätten und so unwiederbringlich zur friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands und zum Zusammenwachsen Europas beigetragen hätten. Zoltán Balog MdNV, Minister für Humanressourcen, erklärte in seiner Einführung, dass es ohne das langjährige Engagement der Konrad-Adenauer-Stiftung, die Feierlichkeiten von denen vereinnahmt worden wären, die damals auf der anderen Seite standen.

Festredner der Veranstaltung war Christine Lieberknecht, Ministerpräsidentin des Freistaates Thüringen. Sie würdigte in ihrem Beitrag die Bedeutung des Paneuropäischen Picknicks in Sopron für die Deutsche Einheit und betonte, dass die Ereignisse im August 1989 als Fortsetzung des Ungarnaufstandes 1956 gelten. Die Freiheitsgeschichte, die in Ostberlin 1953, in Posen und Budapest 1956 und auch in Prag 1968 begann, konnte sich erst 1989 den Durchbruch erkämpfen. Bezeichnend sei, dass auf dem gleichen Platz in Budapest, wo am 23. Oktober 1989 die Republik ausgerufen, 33 Jahre zuvor der Aufstand von den Sowjets blutig niedergeschlagen worden wäre. Bundeskanzler Konrad Adenauer hätte schon 1956 zum Ungarnaufstand gesagt, was sich erst 1989 bewahrheiten sollte: „Die Geschichte wird die Tapferkeit und den Freiheitswillen Ungarns mit goldenen Lettern auf ihren Blättern verzeichnen.“

In seinen Schlussbemerkungen erinnert Dr. József Szájer MdEP an die historischen Ereignisse, die mit Sopron verbunden sind. Die damaligen Vertreter der Bürgergesellschaft, die das Picknick veranstalteten, hätten es nicht für möglich gehalten, Geschichte zu schreiben. Wenn man heute ein zentrales Datum der Wende in Ungarn benennen sollte, könne man realistisch nur an den 19. August denken. Dieser Tag hätte den Freiheitswillen der Menschen am klarsten zum Ausdruck gebracht. Er schlug vor, zukünftig den 19. August als einen zentralen Feiertag zu begehen, um den Ereignissen von 1989 zu gedenken.

Am Platz des Paneuropäischen Picknicks wurde am Nachmittag des 19. August ein zwangloses Picknick gefeiert, an dem auch Ministerpräsident Viktor Orbán teilnahm. Im Kontext des Picknicks und der Konferenzen wurden Begleitprogramme angeboten. Den Auftakt hierzu bildete die Eröffnung der deutsch-ungarischen Wanderausstellung „Der erste Riss im Eisernen Vorhang“ am 17. August, die bis Oktober in Sopron zu besichtigen sein wird. Mit Unterstützung der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Stiftung für ein Bürgerliches Ungarn wurde am 18. August eine Lok, beklebt mit Motiven des Grenzdurchbruchs, in Betrieb genommen, die zwischen Budapest und Sopron, aber auch in Österreich verkehren wird. Abgeschlossen wurde die Veranstaltungsreihe durch die Uraufführung des Tanztheaters „Europa endlos“ im städtischen Petőfi Theater, das die politische Transformation in Ungarn zum Inhalt hatte.

Insgesamt bot die Konferenz zum 25-Jährigen Jubiläum des Paneuropäischen Picknicks in Sopron ein breit gefächertes Informationsangebot, das die Ereignisse aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtete. Die thematisch und auch chronologisch geordneten Panels boten den Teilnehmern anfangs die Gelegenheit „aus erster Hand“ die Erfahrungen und Eindrücke von Zeitzeugen zu erfahren. Der ehemalige Befehlshaber Bella kam hier ebenso zu Wort wie die Initiatoren des Paneuropäischen Picknicks und Unterstützer vor Ort. Der in das Programm kurzfristig aufgenommene Beitrag von Frau Mária Filep, einer Organisatorin des Picknicks aus Debrecen, ergänzte die Diskussion hervorragend. Sie berichtete vom Entstehungsprozess bis hin zu ihren Erfahrungen der Zusammenarbeit mit dem 2011 verstorbenen Otto von Habsburg, ein Vordenker der Paneuropäischen Idee. Er war es auch der die Nachricht von diesem Ereignis in West- und Ostdeutschland bekannt machte.

Die verschiedenen Panels repräsentierten zudem immer ungarische und deutsche Redner im gleichen Maße und verstanden es so, einen Dialog zwischen der Sichtweise der ungarischen und der deutschen Ereignisse herzustellen. Auch ehemalige DDR-Bürger konnten aus erster Hand über die Wahrnehmungen der Bürger in der DDR über die Zeit 1989 und die Aufbruchsstimmung gepaart mit den neuen Repressionen des Regimes berichten. Diese Einschätzungen machten noch einmal deutlich, wie herausragend der Schritt Ungarns 1989 war und wie viel das geteilte Deutschland den Ungarn als Wegbegleiter für ein vereinigtes Europa verdankt.

Zuletzt verloren die Veranstalter und Referenten auch aktuelle Debatten nicht aus den Augen, die von Wissenschaftlern ungarischer, österreichischer und deutscher Universitäten beleuchtet wurden. So wurde nicht nur an die Verdienste der Vergangenheit erinnert, sondern auch die neuen Herausforderungen der europäischen Gemeinschaft, wie die Krise in der Ukraine, aber auch Probleme wie Jugendarbeitslosigkeit, Extremismus, Politikverdrossenheit und die bisherige Infragestellung der europäischen Idee diskutiert. Besonders interessant war hier der Beitrag von Dr. Gergely Gulyás, der das mangelnde Verständnis und die Wertschätzung der Jugend für das Privileg der Freiheit beklagte und den Umgang mit dem heutigen Geschichtsverständnis in die Debatte miteinbrachte.

Ein Beispiel des lebendigen Geschichtsverständnisses lieferte hier Herma Lautenschläger, die mit vier Schülerinnen ein Buch verfasste in dem die Jugendlichen Berichte und Gespräche von und mit Zeitzeugen festhielten und die Geschehnisse aus dem Blickwinkel einer Generation „post 1989“ zusammenfassten. Auch das Picknick am Nachmittag des 19. August bot zudem über den wissenschaftlichen Diskurs hinaus eine Möglichkeit der Begegnung direkt am ehemaligen Grenzzaun. Dies machte den Menschen den Wert eines vereinigten Europas wieder bewusst.

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