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"Ich rechne nicht mit einer großen Auseinandersetzung"

Norbert Eschborn, Leiter des KAS-Auslandsbüros in Korea, zu den jüngsten Entwicklungen in Süd- und Nordkorea

Die Lage auf der koreanischen Halbinsel ist seit Wochen angespannt. Nordkoreas Führung droht Südkorea mit Krieg und warnt die USA vor einem Atomangriff. Im Interview mit n-tv.de erklärt der Leiter des KAS-Auslandsbüros in Seoul, was aus Pjöngjang zu erwarten ist. Die Hoffnung auf eine Lösung des Koreakonflikts hat er dennoch nicht aufgegeben. Er plädiert dafür, den "Obersten Führer" zu einem offiziellen Staatsbesuch einzuladen.

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Kim Jong Un erscheint wie die Karikatur eines Diktators. Große Teile der deutschen Gesellschaft sehen ihn als den "Irren aus Pjöngjang". Ist dieses Bild des "Obersten Führer" Nordkoreas angemessen?

Norbert Eschborn: Ein großes Boulevard-Blatt hat sogar den Begriff "Milchbubi-Diktator" geprägt. Ich habe es aber immer für grob falsch gehalten, dass die deutschen Medien mit diesem Bild arbeiten. Ich halte die Personen an der Spitze Nordkoreas nicht für Menschen, die aus einem emotionalen Impuls heraus handeln. Alles, was aus dem Führungszirkel kommt, ist berechnet. Dass für Außenstehende ein anderer Eindruck entsteht, ist Teil dieser Strategie, denn Unberechenbarkeit ist ein ganz wichtiges Moment in dem Spiel Nordkoreas.

Kim Jong Un ist also kein "Milchbubi-Diktator", sondern der große Chefstratege?

Eschborn: Ich bezweifle, dass Kim Jong Un aus eigener Vollkommenheit so agiert. Nordkorea ist eine Senioritätsgesellschaft, und da kann ein 30-Jähriger nicht auf den Respekt der Älteren, Langgedienten hoffen, auch wenn er als Generalsekretär des Politbüros eine entsprechende Position eingenommen hat.

Was bedeutet das für seine Rolle im Führungszirkel?

Eschborn: Ich glaube, ein Teil seines Handelns ist gesteuert von Anderen – von den älteren, erfahrenen Leuten im Politbüro, seiner Tante und ihrem Mann, der als Graue Eminenz in diesem Kreis gilt und die eigentliche politisch gestaltende Kraft ist. Vor diesem Hintergrund ist das gesamte Handeln Kim Jong Uns zu verstehen.

Warum setzt das Regime dennoch auf den jungen Diktator – zumindest als repräsentativen Führer des Landes?

Eschborn: Er ist für die Menschen, die die wirkliche Macht haben, ein Asset. Kim Jong Un sieht seinem Großvater, Kim Il Sung, mit dem die Nordkoreaner positive Zeiten verbinden, sehr ähnlich. Er kann als Hoffnungsträger einer jungen Generation wirken. Es ist ja kein Zufall, dass er so häufig öffentliche Termine bei Einweihungen von Vergnügungsparks oder Schulen wahrnimmt. Das sind alles Themen, die Hoffnung machen auch jungen Menschen.

In den vergangenen Wochen wagte Nordkoreas Führung eine Provokation nach der anderen. Das Regime droht gar mit einem nuklearen Erstschlag gegen die USA. Zunächst einmal: Handelt es sich dabei um mehr als eome haltlose Drohung?

Eschborn: Wenn wir von den ganzen Ereignissen, die die Berichterstattung derzeit beherrschen, die Rhetorik abziehen, haben wir relativ wenig Indikatoren, die auf eine direkte Konfrontation hindeuten. Vor dem Hintergrund der Drohung eines atomaren Erstschlags gegen die USA ist zu berücksichtigen, was der amerikanische Regierungssprecher noch am Dienstag sagte: Er sieht keine Anzeichen für eine solche Entwicklung, keine Mobilisierungen, keine entsprechenden Truppenbewegungen.

Was ist also die Strategie Nordkoreas, die Sie ja schon angedeutet haben, und wie passen die jüngsten rhetorischen Provokationen in diesen Plan?

Eschborn: Die Rhetorik dient vor allem dazu, die eigene Bevölkerung auf Linie zu bringen. Die Führung in Nordkorea ist meines Erachtens nach relativ verzweifelt, weil die Versorgungslage im Land schlecht ist. Schon im letzten Jahr versprach die Führung zum 100. Todestag von Kim Il Sung einen Aufschwung. Und in seiner Neujahrsansprache hat Kim Jong Un darauf hingewiesen, dass Nordkorea auf den Weg gebracht werden soll, ein wirtschaftlich leistungsfähiges und starkes Land zu werden. Davon ist es aber nach meiner und der Einschätzung anderer Experten weiter entfernt denn je.

Belastbare Informationen über den Zustand der nordkoreanischen Bevölkerung sind rar. Wie haben sie die Situation vor Ort wahrgenommen?

Eschborn: Die Nordkoreaner haben zwei sehr schwere Jahrzehnte hinter sich mit Hungersnöten und Tausenden von Toten. Und es gibt keine Indikatoren, dass sich die Lage seit den 90er-Jahren verändert hat. Pjöngjang ist eine Vorzeigestadt. Aber das erste deutliche Anzeichen für Ausländer ist dort, dass morgens beim Frühstück das Buffet nicht nachgefüllt wird. In dem Hotel, in dem ich immer untergebracht werde, ist von sieben bis neun Uhr Frühstück. Bei meinem ersten Besuch bin ich am ersten Tag um Viertel nach sieben runter gekommen. Es war genug zu essen da, koreanische und westliche Speisen. Am zweiten Tag war ich um Halb neun da, und da gab es eben nichts mehr. In den Seitenstraßen rund um das Hotel gab es zudem Restaurants, vor denen sich um kurz vor zwölf Uhr Menschen versammelten, die dann, als die Türen sich öffneten, wie wild hineindrängten. Offensichtlich muss man bemüht sein, so schnell wie möglich Essen zu fassen, weil es ab einem bestimmten Zeitpunkt nichts mehr gibt. Selbst meine offiziellen Begleiter sagten mir wörtlich: "Jeder hat mehr oder weniger etwas zu essen."

Wie ist die Lage auf dem Land?

Eschborn: Wenn man rausfährt, sieht man viele Leute, die kleinwüchsig sind und offenbar in ihrer Jugendzeit und Kindheit nicht im ausreichenden Maße die Nährstoffe bekommen haben, die sie für ein normales Körperwachstum brauchten. Man sieht auch junge Menschen, die extrem zerfurchte Gesichter haben – wie Greise. Auch das lässt auf Mangelerscheinungen schließen. Offensichtlich hat sich die Versorgungslage jetzt so entwickelt, dass die positiven Szenarien, die die Führung zu zeichnen versucht, nicht mehr lange aufrechtzuerhalten sind. Und darauf werden die Bürger vorbereitet, indem, unabhängig davon, ob es sie gibt oder nicht, eine Drohkulisse aufgebaut wird getreu dem Motto: Wenn die USA und Südkorea uns vernichten wollen, müssen wir mehr Ressourcen in die Aufrüstung stecken und können sie nicht mehr in den versprochenen Aufschwung investieren.

Wie viel ahnt die Bevölkerung von diesem Spiel?

Eschborn: Es gibt da zwei Erfahrungen. Ich habe selbst bei einem offiziellen Kulturbesuch in einem Museum erlebt, dass die Fremdenführerin bei einem Exponat, das aus Rumänien kam, fragte, ob wir denn wüssten, was aus Nicolae Ceausescu geworden ist. Das war 2012 - also 23 Jahre nach Ceausescus gewaltsamen Tod. Auf der anderen Seite ist bekannt, dass aus Südkorea eine Menge USB-Sticks ihren Weg in den Norden finden, wo Sie zum Beispiel Soap-Operas drauf finden. Es sind scheinbar nicht alle Kanäle komplett blockiert.

Wie hoch ist der Anteil der Bevölkerung, der in Unwissenheit lebt?

Eschborn: Ein Teil der Nomenklatura hat sicher Internetzugang und weiß sehr genau, was in der Welt vorgeht, denn dieses Wissen brauchen sie ja auch, um ihre politische Strategie zu entwickeln. Aber das gemeine Volk ist mit Sicherheit zu einem ganz hohen Prozentsatz von jeglicher Information abgeschnitten.

Soviel zum Status-Quo: Wie lässt sich die aufgeheizte Stimmung wieder dämpfen?

Eschborn: Im Moment ist es wohl so, dass sich die Lage nur beruhigen wird, wenn Nordkorea aufhört, Kriegsrhetorik zu verbreiten. Doch dann hat die Führung wieder das Problem der Rechtfertigung nach innen. Die Nordkoreaner haben ja so grobe Drohungen ausgestoßen, dass ähnliche Gebärden in der Zukunft ganz stark an Wirkung verlieren, wenn dem nun nichts folgt. Insofern rechne ich damit, dass es zu einem Angriff wie vor drei Jahren kommen könnte - dem Beschuss der südkoreanischen Insel Yeonpyeong und der Versenkung des südkoreanischen Kriegsschiffs. Ich rechne allerdings nicht damit, dass es zu einer großen Auseinandersetzung kommt. Ein ausgewachsener Krieg – ob konventionell oder anders geführt – würde das Ende von Nordkorea bedeuten und damit auch das Ende der Kim-Familie.

Nach einer langfristigen Lösung klingt das nicht. Etliche Experten und Politiker setzen darauf, dass China den Konflikt befrieden könnte. Das Land ist derzeit der engste Verbündete Nordkoreas.

Eschborn: Ich halte das Wort Verbündeter für China für falsch. China sieht Nordkorea in erster Linie als Pufferstaat zwischen sich und Südkorea. Peking hat kein Interesse an einer 1800 Kilometer langen Landgrenze, an der amerikanische Truppen stehen können. Zudem beutet China wertvolle Rohstoffvorkommnisse in Nordkorea zu Vorzugskonditionen aus, nämlich die seltenen Erden, die sie im Telekommunikationsbereich brauchen und durch die China dank Nordkorea eine Monopolstellung auf dem Weltmarkt erlangt hat. Es gibt in Südkorea viele, die sagen, bei einer Vereinigung beider koreanischer Teilstaaten würde eine gesamtkoreanische Regierung diese Verträge mit China als erstes kündigen, weil diese Rohstoffe so begrenzt sind auf dem Weltmarkt, dass man sie natürlich selber vermarkten möchte. China hat im Moment kein Interesse daran, am Status Quo etwas zu ändern. Von daher dürfen wir erstmal keine aktivere Rolle Pekings erwarten.

Wie wird sich der Konflikt ihrer Meinung nach auflösen?

Eschborn: Im Endeffekt wird sich das Nordkorea-Problem erst lösen, wenn die Kim-Dynastie nicht mehr da ist. Solange sie regiert, wird sie in erster Linie an der Aufrechterhaltung ihrer persönlichen Herrschaft interessiert sein.

Wie lange kann sich die Kim-Familie noch halten?

Eschborn: Es gibt viele Experten in Südkorea, die glauben, dass der Glaube an die Kim-Dynastie in Nordkorea schon stark ausgehöhlt ist. Von irgendwoher müssen die Insassen der Straflager ja kommen. Nordkoreas Regime sollte sich ganz genau die Ereignisse von 1988 und den folgenden Jahren in Osteuropa anschauen. Es war ja in der DDR genauso. Die Menschen haben den Versprechungen nicht mehr geglaubt, die ihnen die Regierung gemacht hat. Und das Regime konnte nicht für so viel Verbesserungen sorgen, dass die Leute noch Hoffnung gehabt hätten, dass sich die Dinge langfristig verbessern. Und das ist meinem Erachten nach das Schema, nach dem es auch in Nordkorea laufen wird. Das Schicksal iat, ein Staat, der nicht mehr in der Lage ist, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung angemessen zu bedienen, kann nicht bestehen. Wobei wir uns in Nordkorea aber auf längere Laufzeiten einstellen müssen, weil die Menschen dort nach den Hungersnöten der 90er-Jahre einfach leidensfähiger sind.

Lässt sich diese Entwicklung nicht irgendwie beschleunigen?

Ich frage mich, ob es nicht einen mutigen Staat geben sollte, der Kim Jong Un mal zu einem Staatsbesuch einlädt. Es kann sicherlich niemand aus der EU sein. Das muss auch nicht China sein. Aber es muss irgendwo mal jemanden geben, der ihm zeigt, was seinem Land entgeht. Nordkorea hat ja Entwicklungschancen. Wir haben dort 20 Millionen Menschen, von denen die meisten in einem Alter sind, in dem sie aus ihrem Leben noch etwas machen können. Die Menschen sind sehr strebsam, diszipliniert und können hart arbeiten. Diese Entwicklungschance sollte man sich nicht entgehen lassen. Diese Botschaft muss man dem Führungszirkel Nordkoreas vermitteln.

Nur wie soll dieses Argument das Regime überzeugen, wenn damit das Ende der Kim-Dynastie einhergeht?

Eschborn: Organisationen aus EU-Ländern haben den Nordkoreanern lange Zeit das vietnamesische Modell empfohlen. Vietnam ist keine freie Gesellschaft, dort herrscht aber auch kein Sozialismus mehr. Der wirtschaftliche Aufschwung in Vietnam ist eingetreten. Bei einer Reform lassen sich, das zeigt Vietnam, Vorkehrungen treffen, damit die Partei auch weiterhin bestimmte harte Kontrollen durchführt an Schlüsselstellen von Staat und Gesellschaft. Man muss der nordkoreanischen Führung klarmachen, dass an diesem Schritt kein Weg vorbeiführt. Überzeugend darstellen kann das vor allem ein Land, das in einer ähnlichen Situation war und heute ein Stück weiter ist.

Mit freundlicher Genehmigung von n-tv.de

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Leiter des Rechtsstaatsprogramms Asien

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