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Veranstaltungsberichte

Die politischen Eliten Nordkoreas und der früheren DDR in der Umbruchphase der Systeme

Ist das deutsche Modell der geleiteten Vereinigung auf Korea anwendbar?

Die ehemalige DDR und Nordkorea - zwei repressive, z.T. abgeschottete Systeme, die Menschenrechte missachteten und missachten. Oberflächlich betrachtet scheinen sich die beiden Länder sehr ähnlich zu sein. Doch lassen sie sich wirklich uneingeschränkt vergleichen? Welche Parallelen, aber auch Unterschiede lassen sich erkennen?

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Ziel des Symposiums, das am 16. Mai 2013 gemeinsam von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), und dem Institut für Vereinigungsstudien der der Ewha-Frauenuniversität in Seoul abgehalten wurde, war es, diese Fragen zu analysieren. Darauf aufbauend wurde diskutiert, inwiefern die Erfahrungen der deutschen Wiedervereinigung auf Südkorea anwendbar sind und welche Lehren die Republik Korea aus der deutschen Wiedervereinigung ziehen kann.

Professor Dongho Jo von der Ewha-Frauenuniversität eröffnete die Veranstaltung mit einem Verweis auf die Veränderungen, die sich in den letzten Jahren in Nordkorea vollzogen hätten. Die Volksrepublik des Jahres 2003 sei nicht mehr zu vergleichen mit der von heute, da das Land einen großen Wandel durchlaufen habe. Dies wecke Hoffnungen für die zukünftigen Entwicklungen. Er sei überzeugt davon, dass Nordkorea sich in einer Umbruchphase befinde und Kim Jong Un eine Öffnung des Landes anstrebe. Daher sei es von besonderer Bedeutung, sich auf eine eventuelle Zäsur vorzubereiten und zu analysieren inwiefern die Wiedervereinigung Deutschlands als Vorbild für Korea verstanden werden könne.

Dr. Norbert Eschborn, Leiter des KAS-Auslandsbüros Korea, gab sich in seiner Ansprache etwas skeptischer bezüglich der nahen Zukunft Nordkoreas. Angesichts der dortigen Menschenrechtslage, die sich nach Meinung des überwiegenden Teils der Experten seit der Machtübernahme Kim Jong Uns stetig verschlechtert habe, bleibe abzuwarten, was die Intentionen des jungen Machthabers seien. Das Thema des Symposiums sei nichtsdestotrotz von enormer Wichtigkeit, um herauszufinden, ob sich von der Situation in der Endphase der ehemaligen DDR Schlüsse ableiten ließen, wie zukünftig mit Nordkorea zu verfahren sei.

Wirtschaftssystem und Machtstrukturen in Nordkorea

Der erste Teil der Veranstaltung hatte die politische und gesellschaftliche Spaltung Nordkoreas zum Thema und wurde von Professor Dongho Jo moderiert. Den ersten Vortrag dieses Abschnitts hielt Professor Hyeong-Jung Park, der anhand theoretischer Modelle das Wirtschaftssystem Nordkoreas erläuterte. Max Webers Konstrukt des politischen Kapitalismus sei besonders geeignet, um dieses zu beschreiben: In einem solchen Gefüge hänge der Erfolg eines Unternehmens nicht von seiner Innovationsfähigkeit, Produktivität oder ähnlichen Faktoren ab, sondern vielmehr von den Beziehungen des Unternehmers zur politischen Führungsschicht. Der Markt spiele keine Rolle, der Staat bestimme vielmehr, welche Personen die Möglichkeit erhielten wirtschaftlich tätig zu sein. Der Begriff der „limited access order“ verkörpere diese Logik und sei daher ebenso passend, um das nordkoreanische System zu beschreiben.

Anschließend referierte Professorin Young-Ja Park von der Ewha-Frauenuniversität. Sie gab einen knappen Einblick in ihre aktuelle Forschung, in der sie u.a. die Spieltheorie und die Totalitarismus-Theorie Bruce Bueno de Mesquitas auf Nordkorea anwende. Der Fokus ihrer Arbeit liege auf der Analyse der Machtstrukturen in Nordkorea. Ein Diktator sei nie ein absoluter Alleinherrscher, sondern vielmehr auf die Unterstützung eines Netzwerks angewiesen. Die Machtübernahme durch Kim Jong Un 2011 mache diese Thematik besonders interessant, da der junge Diktator politisch völlig unerfahren und sein Regime daher von Anfang an durch Instabilität gekennzeichnet gewesen sei. Im Laufe des letzten Jahres habe man beobachten können, dass Kim Jong Un versucht habe, seine Macht zu festigen. Zahlreiche Personalwechsel im Kreis der Führungsriege unterstrichen dieses Bestreben. Eine gewisse Stabilisierung seiner Macht sei ihm auch durchaus gelungen. Sie gehe daher nicht von einem baldigen Umbruch in Nordkorea aus. Die Gefahr eines Putsches bestehe zwar jederzeit, sei allerdings eher gering. Auch von den jungen Funktionären, die Kim Jong Un anstelle alter Getreuer seines Vaters eingesetzt habe, seien keine Ambitionen in Richtung eines Umsturzes zu erwarten, obwohl diese allem Anschein nach große Sympathien gegenüber der südkoreanische Kultur zeigten.

In diesem Punkt widersprach die deutsche Autorin und Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld der Professorin in der anschließenden Diskussion. Auch in der DDR hätten Kinder der politischen Funktionäre oftmals der Opposition angehört. Die Anzeichen, dass junge Menschen der nordkoreanischen Führungsschicht von der südkoreanischen Kultur beeinflusst würden, sei für sie daher vielmehr ein Hoffnungsschimmer.

Die Wiedervereinigung am Beispiel Deutschlands: Erfahrungen und Implikationen

Der Teil des Symposiums, der sich mit der aktuellen Lage Nordkoreas beschäftige, wurde im zweiten Part durch die Darstellung der Lage in der ehemaligen DDR kontrastiert. Erläutert wurde diese von Vera Lengsfeld, die selbst aktives Mitglied der damaligen Bürgerrechtsbewegung war. Sie leitete ihren Vortrag mit dem Hinweis ein, dass 1989, wie es auch aktuell in Nordkorea der Fall sei, niemand mit dem Zusammenbruch des Staats gerechnet habe. Umbrüche könnten folglich sehr überraschend zustande kommen- ein Grund zur Hoffnung für Nordkorea.

In der DDR seien die Entwicklungen in den Jahren vor dem Mauerfall insbesondere durch die Herausbildung einer starken Opposition gekennzeichnet gewesen. Eine zentrale Rolle habe in diesem Zusammenhang die evangelische Kirche gespielt, deren Räume gänzlich vor dem Zugriff des Staates geschützt gewesen seien. Dort konnten ungestört Veranstaltungen abgehalten werden, was dazu führte, dass die Opposition größer und organisierter wurde und sich zunehmend gegen das Regime aufzulehnen begann. Im Herbst 1989 wurden schließlich erstmals die berühmten Montagsdemonstrationen abgehalten, was den Machthabern signalisiert habe, dass sie es nicht mehr lediglich mit einer kleinen Untergrundbewegung zu tun hatten.

Ebenso implizierten diese Entwicklungen aber auch, dass die Regierung der DDR nie die Legitimation des Volkes gehabt habe. Dies spiele eine entscheidende Rolle und lasse sich vor allem mit der Anziehungskraft westlicher Konsumgüter und dem Einfluss der westlichen Kultur erklären. Westdeutsche Fernseh- und Radiosendungen hätten in diesem Kontext als zentrale Transmitter fungiert. 1989 sei die Mauer schließlich gefallen, woraufhin sich ganz Deutschland im Glückstaumel befunden habe. Dennoch sei die anschließende Wiedervereinigung nicht problemlos vonstatten gegangen. Ehemalige Funktionäre der DDR seien beispielsweise oftmals in Führungspositionen des Aufbaus Ost positioniert worden, was große Probleme mit sich gebracht habe. In den Regionen, in denen die alten Machthaber auch nach der Wiedervereinigung viel Einfluss gehabt hätten, sei der Wiederaufbau am Schwierigsten verlaufen. Eine wichtige Lehre aus dem Prozess der deutschen Wiedervereinigung sei daher, dass man komplett mit der Vergangenheit brechen müsse. Darüber hinaus habe sich gezeigt, dass es erfolgversprechender sei, Eigeninitiative zu fördern, anstatt lediglich Fördermittel auszuteilen.

Professorin Seok Hyang Kim von der Ewha Frauenuniversität betonte, dass die Erläuterungen Frau Lengsfelds ihr etwas Hoffnung machten. Die Tatsache, dass die Mauer so überraschend gefallen sei, lasse darauf schließen, dass es auch in Nordkorea eventuell Entwicklungen gebe, die auf einen Wandel hindeuteten, von Außenstehenden jedoch übersehen würden. Sie bezweifle, dass die Loyalität der Bürger gegenüber dem Regime Kim Jong Uns so groß sei, wie es oberflächlich betrachtet erscheine. Die Professorin wies allerdings auch darauf hin, dass es große Unterschiede zwischen Nordkorea und der DDR gebe, die einen direkten Vergleich erschwerten. In Nordkorea beispielsweise gebe es solche Freiräume, wie die evangelische Kirche in Ostdeutschland sie gehabt habe, nicht. Die Staatssicherheit habe die vollständige Macht, was das Entstehen einer organisierten Opposition enorm erschwere.

Lengsfeld entgegnete, dass auch sie durchaus Anzeichen dafür sehe, dass die Nordkoreaner das Regime nicht ausnahmslos unterstützten. Die vielen Menschen, die regelmäßig die Gefahren und Strapazen einer Flucht aus Nordkorea auf sich nähmen, deuteten an, dass sich bereits ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung von den Kims abgewandt habe. Man dürfe die Opposition nie unterschätzen, wie unscheinbar sie auch sein möge. Bezüglich finanzieller Hilfen gegenüber Nordkorea sei sie gespaltener Meinung. Ziehe man lediglich den humanitären Aspekt in Betracht, sei sie die Erste, die entsprechende Hilfen unterstütze. Allerdings müsse man auch bedenken, dass der Fortbestand des nordkoreanischen Regimes zu einem beträchtlichen Teil davon abhänge, inwiefern Kim Jong Un in der Lage sei, die ökonomische Situation des Landes zu stabilisieren. Unter diesem Gesichtspunkt sei eine Unterstützung eher fragwürdig.

In eine ähnliche Richtung gingen die Fragen aus dem Publikum an Vera Lengsfeld. In Südkorea sei die Thematik der finanziellen Unterstützung Nordkoreas sehr kontrovers. Sie interessiere sich daher für die Frage, ob die Unterstützung der DDR durch Westdeutschland aus heutiger Sicht richtig gewesen sei. Die frühere Bürgerrechtlerin erwiderte daraufhin, dass Finanzhilfen einerseits natürlich immer eine Konsolidierung des Regimes bedeuteten, andererseits allerdings im Falle der DDR immer an Bedingungen geknüpft gewesen seien. Auf diese Weise hätten beispielsweise Reiseerleichterungen für Bürger der DDR oder die Installation von Antennen, die den Empfang von Westfernsehen ermöglichten, durchgesetzt werden können. Je mehr die Menschen dadurch in Kontakt mit der Lebensweise Westdeutschlands kamen, desto größer sei schließlich ihr Widerstand gegen das eigene Regime geworden. Insofern hätten die Finanzhilfen auch durchaus sehr positive Aspekte gehabt.

Nordkorea und die ehemalige DDR im Vergleich

Im dritten und letzten Teil des Symposiums schließlich diskutierten die Experten, ob das deutsche Modell der Wiedervereinigung auf die Situation in Korea anwendbar sei. Der Erste, der sich zu dieser Thematik äußerte war Professor Hyeong-Jung Park, der eine eher pessimistische Sicht vertrat. Seiner Meinung nach sei es schwierig, die Situation auf der koreanischen Halbinsel mit derjenigen in der ehemaligen DDR zu vergleichen. Der größte Unterschied liege darin, dass es in Deutschland bereits vor der Teilung ein modernes politisches System gegeben habe und die Bürger vertraut waren mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. In Nordkorea dagegen seien den Menschen diese Begriffe fremd. Eine Wiedervereinigung werde dadurch enorm erschwert. Es sei daher von zentraler Bedeutung, interne Veränderungen - sowohl im politischen als auch im gesellschaftlichen Sinne - anzustoßen und so weit als möglich zu fördern. Die Realität sehe im Moment allerdings so aus, dass ein baldiges Ende des Regimes nicht zu erwarten sei. Nordkorea schaffe es schließlich trotz der finanziellen Schwierigkeiten, Atomwaffen zu entwickeln und sich nach außen hin praktisch vollkommen abzuschotten.

Auch Professorin Young-Ja Park zeigte sich ähnlich skeptisch was die Vergleichbarkeit der beiden Länder betrifft. Sie begründete dies mit der Erfahrung eines Bruderkriegs, die es in Deutschland nicht gegeben habe. Die Südkoreaner seien durch den Bürgerkrieg sehr stark geprägt worden und hegten daher auch heute teilweise noch feindliche Gefühle gegenüber Nordkoreanern. Zudem sprach sie die Probleme an, mit denen nordkoreanische Flüchtlinge in Südkorea konfrontiert seien. Diese lägen beispielsweise darin, dass Südkorea eine ausgeprägte Konkurrenzgesellschaft und eine geschlossene Familiengesellschaft sei. Schließlich merkte sie noch an, dass eventuell der Demokratisierungsgrad in Südkorea noch nicht hoch genug sei, um die nordkoreanischen Flüchtlinge erfolgreich in die Gesellschaft zu integrieren.

Professor Hak-Sung Kim erläuterte, dass er zwar wie die vorigen Referenten der Meinung sei, dass die deutschen Erfahrungen nicht 1:1 auf Nordkorea anwendbar seien. Allerdings dürfe man auch nicht zu kritisch sein. Beispielsweise hätten die Experten betont, dass ein großer Unterschied zwischen der DDR und Nordkorea in dem fehlenden Zugang zu Medien in Nordkorea liege. Allerdings sei Nordkorea nicht völlig abgeschottet, wie man fälschlicherweise glauben könnte. Studien, die auf Interviews mit Flüchtlingen basierten, hätten ergeben, dass ein durchaus nicht zu vernachlässigender Anteil der Nordkoreaner Zugang zu südkoreanischem Radio oder Fernsehen habe. Zudem gebe es zunehmend Anzeichen dafür, dass sich Untergrundkirchen in Nordkorea verbreiteten.

Professorin Seok Hyang Kim schließlich betonte, dass es nicht ausreiche, institutionelle Veränderungen in Nordkorea zu bewirken, sondern dass es vielmehr zentral sei, auch in der Gesellschaft Veränderungen anzustoßen. Sie sei allerdings einer Meinung mit Vera Lengsfeld, dass es in Nordkorea bereits durchaus oppositionelle Bewegungen gebe, die für Außenstehende einfach nicht sichtbar seien.

Lengsfeld merkte abschließend an, dass man nie beurteilen könne, was sich wirklich in einem abgeriegelten Land wie Nordkorea abspiele. Sie glaube allerdings fest an die Anziehungskraft der Freiheit und die Macht der kleinen Veränderungen. Daher appelliere sie an jeden Einzelnen, aktiv einen Beitrag zur Unterstützung der leidtragenden nordkoreanischen Bevölkerung zu leisten, wie klein dieser Beitrag auch sein möge.

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Stefan Samse

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Leiter des Rechtsstaatsprogramms Asien

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