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Veranstaltungsberichte

Soziale Integration von nordkoreanischen und ostdeutschen Flüchtlingen

Erfahrungen und Lektionen

Zurzeit leben mehr als 20.000 Nordkoreaner in der Republik Korea, wobei die Anzahl dieser Flüchtlinge Jahr für Jahr weiter wächst. Nun ist in Südkorea die Debatte um ihre soziale Integration neu entfacht. Viele Stimmen fordern ein Umdenken auf Regierungsebene bezüglich der als ineffizient empfundenen Flüchtlingspolitik Seouls. Um Szenarien der koreanischen Wiedervereinigung auch weiterhin nicht unrealistisch werden zu lassen, wird eine kritische Bestandsaufnahme der Eingliederung der Nordkoreaner in die südkoreanische Gesellschaft immer dringender.

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Um das Integrationsthema aufzugreifen, organisierte die Konrad-Adenauer-Stiftung am 9. Mai 2012 an der Ewha-Frauenuniversität in Seoul das Symposium „Soziale Integration von nordkoreanischen und ostdeutschen Flüchtlingen”. Die Veranstaltung wurde in Kooperation mit dem Ewha Institute of Unification Studies durchgeführt und sorgte für einen fruchtbaren Erfahrungsaustausch zwischen den geladenen südkoreanischen und deutschen Vereinigungsexperten. Im großen Lee Sambong Saal der Universität konnten rund 80 Gäste von Prof. Dae Seok Choi (Direktor des Ewha Institute of Unification Studies) und Dr. Norbert Eschborn (Leiter des Auslandsbüros Korea der Konrad-Adenauer-Stiftung) begrüßt werden. Das Publikum beteiligte sich mit vielen Fragen rege an den Gesprächen.

Das Symposium war in drei Sessionen gegliedert. Während in den ersten zwei Sitzungen die ehemals westdeutsche und die aktuelle südkoreanische Flüchtlingsintegration thematisiert wurden, ging es in der dritten Sitzung um die Frage, ob eine multikulturalistische Politik zur verbesserten Integration nordkoreanischer Flüchtlinge und langfristig auch zur koreanischen Wiedervereinigung beitragen könne.

Integration ostdeutscher Flüchtlinge

Dr. Karsten Dümmel, Leiter des Bildungswerks Hamburg der KAS, eröffnete mit seinem Vortrag “Fremder Freund” die erste Session und stellte die drei Phasen von Flucht und Freikauf aus Ostdeutschland (DDR) und die Integrationsleistungen der Bundesrepublik von 1949 bis heute vor. Als DDR-Flüchtling und –experte erklärte er, dass in der ersten Fluchtphase zwischen 1949 und 1961 3.800.000 DDR-Bürger über die damals noch offene Grenze nach Westdeutschland geflüchtet seien. Die Integrationsleistungen Westdeutschlands für diese Flüchtlinge begrenzten sich zunächst auf die Aufnahme in Lager, Zuweisung in einzelne Bundesländer und Einquartierungshilfen in den Städten und Gemeinden. Ab September 1952 jedoch hatte jeder anerkannte DDR-Flüchtling entsprechend dem „Lastenausgleichsgesetz“ einen Anspruch auf Sach- und Finanzleistungen, z. B. zinsbegünstigte Eingliederungsdarlehen oder Wohnraumhilfe.

Anschließend erläuterte Dümmel die zweite Integrationsphase zwischen 1961-1989, in der 505.755 DDR-Bürger durch Westdeutschland freigekauft wurden. „Allein in den Jahren zwischen 1963 und 1989“, so Dümmel, „hat Westdeutschland eine Geldsumme von 3.436.900.755 DM für Freikäufe der DDR-Flüchtlinge aufgewendet, wobei längst nicht alle Ausreiseanträge der Ostdeutschen berücksichtigt werden konnten. Die DDR-Regierung versuchte, die Auswanderung ihrer Bürger mit Repressalien und Strafmaßnahmen zu verhindern“. Die westdeutsche Regierung brachte anerkannte Flüchtlinge, politische Häftlinge und ausgereiste DDR-Bürger in fünf Aufnahmelagern unter und verschaffte ihnen Sach- und Finanzleistungen wie in der ersten Integrationsphase. Hinzu kamen me-dizinische Betreuung, Fortbildungsangebote, Anerkennung akademischer Abschlüsse und der Rentenversicherung. Dr. Dümmel wies seine koreanischen Zuhörer ferner darauf hin, dass „kein einziger DDR-Flüchtling abgeschoben wurde, auch wenn dieser weniger aus politischen, sondern vielmehr aus wirtschaftlichen Gründen nach Westdeutschland geflohen war“. Zum Schluss seines Vortrages ging Dümmel auf die dritte Integra-tionsphase 1990–2000 ein und verwies auf weitere vier Millionen ostdeutscher Umsiedler nach dem Mauerfall, wobei ca. 280.000 ehemalige DDR-Flüchtlinge später in die neuen Bundesländer zurückkehrten.

Im Anschluss an diesen Vortrag gab es die erste Diskussions- und Rückfragerunde. So merkte Gi-Woong Son (Korea Institute of National Unification) an, dass Westdeutschland einen gesetzlichen Rahmen zum Freikauf und zur materiellen Unterstützung der DDR-Flüchtlinge geschaffen hatte, was in Südkorea aus finanziellen Gründen nicht möglich sei. Weiterhin betonte er, dass es zwischen den west- und ostdeutschen Bürgern nie Feindseligkeiten gegeben habe wie zwischen Süd- und Nordkoreanern. Gleichzeitig gab Son zu, dass die sozialen Integrationsmaßnahmen für die nordkoreanischen Flüchtlinge nicht ausreichend seien. “Die südkoreanische Regierung muss sich neben der finanziellen Unterstützung verstärkt um die Umschulung nordkoreanischer Flüchtlinge kümmern und für die Anerkennung ihrer Bildungsabschlüsse nach westdeutschem Vorbild einsetzen”, fügte er hinzu.

Zur Lage der sozialen Eingliederung nordkoreanischer Flüchtlinge

In der zweiten Session unter der Leitung von Woo Young Lee (University of North Korean Studies) wurde auf die aktuellen Integrationsmaßnahmen für nordkoreanische Flüchtlinge eingegangen. In Ae Hyun (NK Intellectuals Solidarity) stellte in ihrem Vortrag die Leistungen des südkoreanischen Staates für die nordkoreanischen Flüchtlinge dar. Die südkoreanische Regierung investiere je 19 Millionen Won in die Integration nordko-reanischer Flüchtlingsfamilien. Davon fließen sechs Millionen in die Berufsaus-bildung, während die restlichen 13 Millionen für die Wohnungssuche zur Verfügung stehen. Hinzu kommen u. a. die Krankenversicherung und zahlreiche Bildungsangebote. Hyun merkte weiterhin an, dass direkte Zahlungen an die Flüchtlinge ineffektiv seien und die Regierung stattdessen versuchen sollte, die arbeitsfähigen Nordkoreaner ins Berufsleben und somit in die südkoreanische Gesellschaft zu integrieren. Denn gerade für den Fall einer Wiedervereinigung müssten die Nordkoreaner auf das wettbewerbsorientierte Wirtschaftssystem Südkoreas vorbereitet werden. „Man muss den Flüchtlingen Hilfe zur Selbsthilfe leisten“, fasst Hyun zusammen.

Auch Hwa Soon Kim (Ewha Womans University) appellierte im zweiten Vortrag an die südkoreanische Regierung, den Fokus der Integrationspolitik auf die Ausbildung von Nordkoreanern zu lenken, da sonst ihre Eingliederung in die Gesellschaft nicht gelingen könne. Außerdem müsse der soziale Austausch zwischen Süd- und Nordkoreanern in Form von gezielten Veranstaltungen initiiert werden. Seok Hyang Kim (Ewha Womans University) verteidigte die Maßnahmen der Regierung von Präsident Lee hingegen und verwies auf die jüngsten Umfragen, in denen die nordkoreanischen Flüchtlinge relativ hohe Zufriedenheit mit der südkoreanischen Integrationspolitik äußerten. „Fünf Jahre sind zu kurz, um den neuen Kurs der südkoreanischen Integrationspolitik zu bewerten“, sagte Kim.

Kann eine Politik des Multikulturalismus zur Vereinigung Koreas und zur Integration in die geteilte Gesellschaft beitragen?

Die dritte und letzte Session diente dazu, die verschiedenen Standpunkte zusammenzutragen und die Frage zu klären, ob die Theorie des Multikulturalismus positiv zur koreanischen Wiedervereinigung beitragen könne. Die Meinungen der anwesenden Experten gingen in dieser Frage jedoch weit auseinander. Die einen, so auch Jong Chul Park (Korea Institute of National Unification), äußerten große Sorgen im Bezug auf die Kosten, die im Falle einer Wiedervereinigung auf südkoreanische Bürger zukämen: „Unsere Regierung investiert viel in die schwierige Integration der nord-koreanischen Flüchtlinge. Ich glaube, dass wir Südkoreaner sowohl einen kulturellen als auch einen finanziellen Schock erleben werden, falls wir uns wiedervereinigen“, sagte Park.

Die anderen prangerten die Anwendung des multikulturellen Ansatzes auf das geteilte Korea an, weil es ein Volk sei, das es wieder zu vereinigen gelte und nicht zwei verschiedene. So dienten die entscheiden Kriterien wie gemeinsame Sprache, gemeinsame Geschichte und Kultur als Belege dafür. Als deutsche Wiedervereinigungsexperten legten Dr. Eschborn und Dr. Dümmel ihren koreanischen Kollegen abschließend ans Herz, die Süd- und Nordkoreaner als eine Nation zu betrachten, da die Debatte um die Integration und insbesondere um die Wiedervereinigung andernfalls hinfällig sei. Ähnlich wie die West-deutschen zu den Ostdeutschen, müssten die Südkoreaner dringend Rückverbindung zu den noch isolierten Nordkoreanern aufnehmen. Dabei sei es von besonderer Dringlichkeit, auch die jüngere koreanische Generation zu informieren und für das Thema zu sensibilisieren. Informationsmaterial in Form von Filmen, TV- oder Radiosendungen könne ein neues Bewusstsein für die „nordkoreanischen Brüder“ schaffen und verhindern, dass das Thema der Wiedervereinigung in Vergessenheit gerate.

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Stefan Samse

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Leiter des Rechtsstaatsprogramms Asien

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