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Veranstaltungsberichte

Übergangsjustiz und soziale Integration im vereinten Deutschland: Lehren für die koreanische Halbinsel

Veranstaltungsreihe "25 Jahre friedliche Revolution in Deutschland" der KAS Korea

Am 16. September 2014 veranstalteten das Auslandsbüro Korea der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und das „Database Center for North Korean Human Rights“ (NKDB) eine gemeinsame Konferenz zur Übergangsjustiz und der sozialen Integration im vereinten Deutschland und deren Lehren für die koreanische Halbinsel. Im Rahmen dieser Veranstaltung trafen deutsche und koreanische Referenten zusammen, um gemeinsam über die Vorgehensweise der deutschen Aufarbeitung der DDR-Zeit sowie die Notwendigkeit der Aufarbeitung für Korea zu diskutieren.

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Der Leiter der NKDB, Dr. Jong Hoon Park, begrüßte die Teilnehmer mit einem Appell, bei der Diskussion über die Wiedervereinigung und Aufarbeitung nicht die Menschenrechte zu vergessen. Den Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea müsse mehr Aufmerksamkeit zu teil werden, auch wenn in den letzten Jahren die Diskussion darüber auf internationaler Ebene prominenter geworden seien. Trotz alledem habe sich bis jetzt jedoch nur wenig zum Besseren verändert. Um schlussendlich eine gesellschaftliche Integration Nordkoreas zu erreichen, müsse sich Südkorea jetzt schon um eine Aufarbeitung und eine Verbesserung der Menschenrechte im Norden bemühen.

Aufarbeitung fördern – gesellschaftliche Integration stärken

Der Landesbeauftragte der KAS, Dr. Norbert Eschborn, gab einen kurzen Überblick über den Prozess der Aufarbeitungsarbeit in Deutschland. Dabei hob er besonders die Bedeutung und Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Integration hervor. Der offene Dialog mit der Vergangenheit sei wichtig gewesen, um der im Westen vorherrschenden Unwissenheit und dem Desinteresse gegenüber dem ehemaligen Osten entgegenzuwirken und somit soziale Integration zu fördern.

Der deutsche Botschafter Rolf Mafael richtete ebenfalls den Blick auf den Prozess der Aufarbeitungsarbeit in Deutschland. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur habe nicht nur die gesellschaftliche Integration in der Bundesrepublik Deutschlands gefördert, sondern auch geholfen seelische Wunden zu heilen und schlussendlich die „innere“ Einheit Deutschlands zu stärken. Für die Integration der Ostdeutschen sowie die Heilung der seelischen Wunden hätten insbesondere die Veröffentlichung der Stasi-Unterlagen als auch die Entscheidung, dass bei der Strafverfolgung keine Gesetze rückwirkend gelten können, eine große Rolle gespielt. Auch Korea müsse sich Gedanken darüber machen wie das Land bei einer eventuellen Wiedervereinigung mit der Strafverfolgung von Menschenrechtsverletzungen umgehen werde. Mafael stellte außerdem die Frage, inwieweit man die Strafverfolgung auf die Machthaber ausdehnen wolle. Um zu einer „inneren“ Einigung in Korea zu kommen, sollte diese Frage mit großer Priorität behandelt werden.

Dr. Helmut Nicolaus, Rechtsanwalt und stellvertretender Vorsitzender des Bürgerbüro e.V. – Verein zur Aufarbeitung von Folgeschäden der SED-Diktatur, eröffnete die Konferenz mit einem Vortrag zu den Effekten und der Evaluation der Übergangsjustiz bezogen auf Unrechtsakte der ehemaligen DDR. Dabei gab er einen Überblick über die juristische Aufarbeitung des SED-Unrechts, insbesondere mit Bezug zu drei von den bundesdeutschen Verwaltungen und Gerichten für die Aufarbeitung eigens geschaffenen Rechtsgebieten. Diese drei Rechtsgebiete befassen sich mit der Aufarbeitung der sogenannten „Offenen Vermögensfrage“, der Opferrehabilitierung und Opferentschädigung und zuletzt der rechtsstaatlichen Strafverfolgung der DDR-Täter durch die bundesdeutsche Justiz. Die Grundlage für diese besonderen gesetzlichen Regelungen haben die Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, nämlich der Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990 und der Einigungsvertrag vom 31. August 1990, gebildet.

Mit der Regelung offener Vermögensfragen sollten besondere Zwangsmaßnahmen im vermögensrechtlichen Bereich rückgängig gemacht oder ausgeglichen werden. Ziel des Vermögens-, Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz war es allerdings nicht, sämtliche Eingriffe in das Privatvermögen rückgängig zu machen, was sich alleine schon in der Umsetzung als sehr schwierig gestalten würde und des Weiteren den sozialen Frieden Deutschlands hätte gefährden können. Insgesamt fand in Deutschland in nur geringen Fällen schlussendlich eine Rückführung des Besitzes statt.

Bezüglich des Staats- und Parteivermögen - viele dieser Vermögenswerte der DDR stammten aus rechtsstaatswidriger Ausübung von Hoheitsgewalt - sollte dieses Staatsvermögen durch die Bundesvermögensverwaltung, später umbenannt in Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, an die früheren Berechtigten oder deren Rechtsnachfolger zurückgeführt werden. Falls dies nicht möglich war, sollte das verfügbare Vermögen zu Gunsten gemeinnütziger Zwecke verwendet werden.

Die Opferrehabilitierung und Opferentschädigung wird in die Bereiche der strafrechtlichen, verwaltungsrechtlichen und beruflichen Rehabilitierung unterteilt. Außerdem ist bei der Opferrehabilitierung und Opferentschädigung auch nötig, zwischen politisch motivierten Verfolgungen und sonstigem „einfachen“ Unrecht zu unterscheiden. Mit dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz kann eine rechtsstaatswidrige strafrechtliche Entscheidung, soweit sie mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist, aufgehoben werden. In dem Falle steht dem Betroffenen Ansprüche auf soziale Ausgleichsleistungen und Kapitalentschädigung zu. Bis Ende 2013 wurden bundesweit über 200.000 Anträge auf strafrechtliche Rehabilitierung gestellt. Das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz ermöglicht Betroffenen, bei den Rehabilitierungsbehörden der Länder die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsmaßnahmen von DDR-Organen zu beantragen, sofern diese Maßnahmen bis heute noch auf den Betroffenen anhaltende gesundheitliche oder materielle Folgen haben oder zu einer beruflichen Benachteiligungen geführt haben. Bis Ende 2002 wurden bundesweit um die 35.700 Anträge auf verwaltungsrechtliche Rehabilitierung gestellt.

Das Berufliche Rehabilitierungsgesetz tritt in Kraft wenn ein Eingriff in den Beruf oder in berufsbezogene Ausbildung durch politische Verfolgung festgestellt werden kann. Schwerpunkt dieses Gesetzes ist der nachträgliche Ausgleich von Nachteilen bei der Rente, aber auch die bevorzugte Förderung bei Fortbildung, Umschulung und Studium.

Mit der Wiedervereinigung Deutschlands und dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik wurde das Strafrecht der Bundesrepublik für Gesamtdeutschland verbindlich. Allerdings gilt bei allen Strafverfolgungen das im Grundgesetz festgelegte Rückwirkungsverbot, welches festlegt, dass in der DDR begangene Straftaten nur dann strafrechtlich verfolgbar sind, soweit sie unter beiden Rechtsordnungen strafbar sind. Außerdem wurde das rechtsstaatliche Meistbegünstigungsprinzip angewendet, was wiederum bedeutet, dass bei einem Urteil das mildere Recht anzuwenden sei. Die Strafverfolgung gilt im allgemeinen heute als abgeschlossen, da seit 2005 sämtliche einschlägigen Ermittlungs- wie auch die gerichtlichen Verfahren vollendet sind und im Jahre 2000 die absolute Verjährung aller Taten, außer Mord, eingetreten ist.

Besonders hervorzuheben bei der strafrechtlichen Verfolgung sei, so Nicolaus, dass die Justiz bei ihren Urteilen die individuelle Schuld sorgfältig abgewogen habe. So erhielten Grenzsoldaten, welche oft lediglich Befehlsempfänger waren und in gewisser Weise selbst als Opfer angesehen werden können, verhältnismäßig geringe Strafen, während Angehörige der militärischen und politischen Führungsebene deutlich höhere Strafen erhielten. Damit zeigte die Justiz auf der einen Seite, dass Individuen und nicht etwa Apparate für die Menschenrechtsverletzungen verantwortlich waren und auf der anderen Seite aber auch, dass man bei der Verantwortung für das begangene SED-Unrecht genau differenzieren muss.

In Hinsicht auf die Wirkung der Aufbereitung des DDR-Unrechts in der Bundesrepublik sei festzuhalten, dass der Grundstein für die Aufarbeitung von „innen heraus“ kam, denn die wesentlichen Gesetzte zur Unrechtsaufarbeitung seien noch von dem ersten frei gewählten DDR-Parlament selbst verabschiedet worden. Außerdem sei zu betonen, dass die Unrechtsaufarbeitung streng rechtsstaatlich erfolgte, also aufgrund demokratisch zustande gekommener Gesetze, angewendet durch rechtstaatlich agierende Behörden und Gerichte. Teilweise ein Kritikpunkt hinsichtlich der Strafverfolgung sei, dass viele Verfahren nicht zu einer Verurteilung geführt haben. Allerdings war es von großer Wichtigkeit für die innere Befriedung des Landes, dass die Schuld zweifels- und vorurteilsfrei bewiesen werden musste.

Die Möglichkeit auf Rehabilitation war und ist für viele der oft stark traumatisierten Opfer politischer Verfolgung besonders wichtig. Die Durchführung eines Rehabilitierungsverfahrens nach rechtstaatlichen Grundsätzen hilft nicht nur den Opfern Entschädigungen zu empfangen, sondern auch bei der psychischen Bewältigung der Vergangenheit. Des Weiteren habe die Möglichkeit der Einsicht in die Stasi-Unterlagen für jeden, der rechtsstaatswidrigen Maßnahmen des staatlichen Geheimdienstes der DDR ausgesetzt war, ein Großteil zur individuellen sowie kollektiven Vergangenheitsbewältigung beigetragen.

Allgemein müsse festgehalten werden, erklärte Dr. Helmut Nicolaus, dass bei allen Fragen der juristischen Aufarbeitung sich immer die Problematik des Beweises stelle. Im Bezug zu der Sicherstellung der Eigentumssituation vor der Gründung der DDR wurden zwar Grundbücher, soweit sie vorhanden waren, benutzt, allerdings hätten sie oft nicht die letzte Erklärung zur Wahrheit gegeben. Denn unter der kommunistischen Rechtsordnung spielte Privateigentum keine Rolle mehr, sodass Grundbücher oft gar nicht oder nur sehr selektiv fortgeführt worden seien. Außerdem müsse man bedenken, dass das SED-Regime auf das nationalsozialistische Regime in Deutschland gefolgt sei, was bedeute, dass es schon vor der DDR zu Besitzverschiebungen kam.

Auch beim Rehabilitationsverfahren sei die Beweisführung ausschlaggebend, ob ein Opfer Entschädigung erhalte oder nicht. Oft wurde bei der Beweisführung auf die Stasi-Unterlagen zurückgegriffen, die glücklicherweise von sehr mutigen Menschen aus der DDR vor einer systematischen Vernichtung des Geheimdienstes gerettet werden konnten. Jedoch seien auch viele Unterlagen verloren gelangen oder zerstört worden. Zu dem seien in der juristischen Praxis im Rehabilitationsverfahren nicht nur die Akten der Opfer entscheidend, sondern auch die der Täter. Das bedeute, dass, wenn die Unterlagen verschwunden seien oder der Täter gelogen habe, eine Rehabilitation oft nicht möglich sei. Ein weiterer Problempunkt auf Seiten der juristischen Strafverfolgung sei, dass über die ganze Problematik westdeutsche Richter entschieden hätten, denen es oft an der Vorstellungskraft fehlte, dass es in der DDR eine Fassade mit gesetzlichen Regelungen gab die, aber dahinter mit Recht, auch dem DDR-Recht, nichts zu tun hatte. Außerdem dürfe man nicht außer Acht lassen, dass, auch wenn die Rehabilitierung oft von den Stasi-Unterlagen abhängig sei, es nicht nur die Stasi war, die zum Unterdrückungsapparat des SED-Regimes gehört habe, sondern Unrechtsakte in allen Lebensbereichen vorkamen.

Der Schutz der Unterdrückten und Opfer des SED-Regimes sei ein sehr wichtiges, wenn auch schwieriges Thema, denn oft reiche eine materielle Entschädigung zum Heilungsprozess der Opfer nicht aus. In Deutschland gäbe es einen breiten Konsens, dass, damit es zu einer inneren Einheit in Deutschland kommen könne, die juristische Aufarbeitung sehr streng menschenrechts- und rechtsstaatkonform stattfinden müsse, das heiße: keine Sonderjustiz, keine Sondergesetze und keine Rückwirkung von Gesetzen. Für viele war es auf der einen Seite unbefriedigend, dass nur so wenige der Straftaten in der DDR am Ende bestraft wurden; auf der anderen Seite gab es in Deutschland auch einen Konsens, dass hier ein historischer Kompromiss eingegangen worden ist, um überhaupt ein friedliches Zusammenleben beider Teile Deutschlands zu ermöglichen.

Aufarbeitung in Südkorea: aus Fehlern lernen

Der leitende Direktor der NKDB, Woong Ki Kim, hielt einen Vortrag zu den Aufgaben und Vorbereitungsstrategien für die Übergangsjustiz auf der vereinigten koreanischen Halbinsel. Die koreanische Wiedervereinigung liege noch in ungewisser Zukunft. Daher könne er im Falle Koreas nur von Möglichkeiten sprechen, die zu einer „inneren“ Einheit Koreas führen könnten. Die Aufgabe der Aufarbeitung sei aber unumgänglich. Wenn man die Aufarbeitung der Geschichte vernachlässige oder nicht vollständig durchführe, müsse man am Ende die Arbeit wiederholen. Das könne man am Beispiel Südkoreas sehen. Das moderne Südkorea habe zwei große geschichtliche Aufarbeitungen hinter sich: die der japanischen Kolonialzeit und die der Diktaturzeit der 1960er bis 1980er Jahre. Jedoch müsse man eingestehen, dass der erste Versuch der Aufarbeitung nicht vollkommen gelungen sei. Dieses Scheitern werde daher dazu führen, dass es eventuell noch mehr als 100 Jahre dauern könnte, bis die koreanische Gesellschaft diesen Teil ihrer Geschichte überwinden könne. Dies solle als Mahnung dienen, dass, wenn Aufarbeitung nicht vollständig geschähe, dies negative Folgen nach sich ziehe.

Nordkorea gelte laut internationalen Berichten als das schlimmste bestehende totalitäre Regime mit schwersten Verstößen gegen die Menschenrechte. Zurzeit säßen in Nordkorea um die 200.000 Menschen in Gefangenlagern. Woong Ki Kim mahnte, dass man nicht auf Veränderungen durch das Regime Nordkoreas warten könne, sondern unmittelbar mit der Arbeit anfangen müsse. Es sei von größter Wichtigkeit, die Opfer nicht im Stich zu lassen. Denn schlussendlich müsse bei der Strafverfolgung das Opfer die Entscheidung treffen, ob der „Täter“ zu belangen sei oder nicht. Zu dem jetzigen Zeitpunkt sei es leider unmöglich für Südkorea, die nordkoreanische Bevölkerung direkt zu befragen. Dieses sollte Südkorea jedoch nicht davon abschrecken, mit der Arbeit zur Aufarbeitung zu beginnen. Denn auch wenn kein direkter Dialog mit den Opfern in Nordkorea möglich sei, gebe es dennoch die Möglichkeit, die Meinungen und Erfahrungen nordkoreanischer Flüchtlinge einzuholen und sich bezüglich der Strafverfolgung und Aufarbeitungsarbeit an deren Willen zu orientieren.

Im Hinblick auf die Aufarbeitungsfrage innerhalb Koreas sei es wichtig zu überlegen, unter welchen Prinzipien und in welchem Umfang diese Aufarbeitungsarbeit durchgeführt werden solle. Wenn man auf andere weltgeschichtliche Beispiele schaue, werde bei einem Regimewechsel immer das alte System bestraft. Allerdings sei es immer das System selbst, welches über sich urteile, so auch im Falle Ostdeutschlands, wo die Opfer der SED-Diktatur den Aufarbeitungsprozess in Gang gesetzt hätten. Deswegen müsse sich auch Südkorea überlegen, zu welchem Grade es überhaupt über Nordkorea urteilen könne. Es sei die nordkoreanische Gesellschaft, die selbst mit der Aufarbeitung beginnen müsse.

Wenn man sich den Deutschen Aufarbeitungsprozess anschaue, werde schnell erkennbar, dass in Deutschland die Rechtsstaatlichkeit ins Zentrum gestellt wurde. Die Aufarbeitung sei beispielhaft in Deutschland gewesen, deswegen sol lte sich auch Südkorea weiterhin an der Aufarbeitung in Deutschland orientieren. Aber man müsse dabei auch bedenken, dass die meisten Nordkoreaner nur ein schwaches Bild eines rechtstaatlichen Systems besitzen würden. Das bedeute, dass es für viele Nordkoreaner schwierig sein werde, überhaupt zu definieren, was Unrechtstaten sind, die bestraft werden müssen und welche nicht. Außerdem müsse man sich überlegen, in wie weit die Täter bestraft oder die Opfer entschädigt werden sollten.

Aufgaben und Bedeutung der Stasi-Unterlagenbehörde in Deutschland

Dr. Helge Heidemeyer, Abteilungsleiter für Bildung und Forschung bei dem Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, referierte zur Thematik des Effekts von „Transitional Justice“ auf die soziale Integration im vereinten Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der Rolle seiner Behörde (BStU) eingegangen. Dabei gab er einen Überblick über die Geschichte und Arbeit der Organisation.

An erster Stelle der Aufgaben der BStU stehe die Ermöglichung der Akteneinsicht. Das heiße, Individuen den Zugriff zu ihren, von der Stasi verfassten Unterlagen zu geben, um ihnen somit eine Wiederaneignung ihrer persönlichen Biografie möglich zu machen und um das Unrecht, welches ihnen unter dem SED-Regime wiederfahren ist, erschließbar zu machen. Die Akteneinsicht sei ein wichtiger Teil der persönlichen Vergangenheitsbewältigung, fügte Dr. Heidemeyer hinzu. Nicht nur helfe es dem Opfer zu bestimmen, welche unerklärlichen Umstände im Leben des Betroffenen auf die Tätigkeiten des Geheimdienstes zurückzuführen seien, sondern auch bestimmte Verdachtsmomente gegen nahestehende Menschen zu entkräften. Außerdem gebe es dem Opfer Beweismittel, um rufschädigende Anwürfe abzuwehren sowie erlittenes Unrecht nachzuweisen und somit eine Rehabilitierung beanspruchen zu können. Die Einsicht in die Stasi-Unterlagen sei für viele eine sehr schmerzhafte Angelegenheit, schlussendlich jedoch bringe sie Klarheit in das Leben des Opfers und helfe ihnen, mit der Vergangenheit abschließen zu können.

Über die individuelle Ebene hinaus kurbelte die Akteneinsicht ebenfalls die öffentliche Diskussion über das SED-Regime an. Gerade diese individuelle und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur habe Transparenz in die Zeit des SED-Regimes gebracht sowie dazu verholfen, die Opferrechte zu stärken und die soziale Befriedung der Bundesrepublik voranzutreiben.

Eine weitere Aufgabe der BStU sei es, öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen zu bestimmten Zwecken Auskunft aus den Stasi-Unterlagen zu geben. Diese Auskunft werde dazu verwendet, um Mitarbeiter im öffentlichem Dienst und politische Funktionsträger auf eine Verbindung zur Stasi zu überprüfen. Das Hauptziel bei dieser Überprüfung und somit Sicherstellung, dass Amtsträger im politischen und öffentlichen Raum keine MfS-Vergangenheit haben, sei die Förderung des Vertrauens der ehemaligen DDR-Bürger zu dem neuen Staatswesen.

Außerdem widme sich die BStU der historischen, politischen Aufarbeitung zur Tätigkeit der Stasi. Die BStU versuche den allgemeinen Aufarbeitungsprozess zu fördern, indem sie eigene Forschungsarbeiten und deren Veröffentlichungen vorantreibt sowie Bildungsprogramme, Ausstellungen, Informationsmaterialien und Internetangebote offeriert. Des Weiteren trage die BStU mit der Bereitstellung von entscheidenden Unterlagen zur strafrechtlichen Verfolgung und der Rehabilitierung von Opfern bei.

Im Gesamtbild falle der Befund zur „Transitional Justice“ auf die soziale Integration im vereinten Deutschland gemischt aus. Auf der einen Seite habe Deutschland ein sehr hohes, international anerkanntes Niveau der Aufarbeitung erreicht und gezeigt, wie heilsam die Wahrheitsfindung im Endeffekt sei. Auf der anderen Seite würde die rechtliche Aufarbeitung der SED-Diktatur weiterhin als defizitär angesehen.

Lehren für Korea

Dr. Jae Ho Jong hatte sich mit den Aufgaben und Vorbereitungsstrategien für gesellschaftliche Integration im vereinigten Korea beschäftigt. Dafür setzte er sich auch mit dem deutschen Modell der Aufarbeitung und der gesellschaftlichen Integration auseinander und ging insbesondere auf die seiner Ansicht nach weniger erfolgreichen Punkte des Aufarbeitungsprozesses ein, um daraus Lehren für die koreanische Halbinsel zu ziehen.

Bei der gesellschaftlichen Integration müsse zwischen systematischer Integration und Werteintegration unterschieden werden. In diesem Kontext könne man sagen, dass in Deutschland die systematische Integration, das heißt die politische und wirtschaftliche Integration, sehr erfolgreich verlaufen sei. Anders als die systematische Integration, sei die Werteintegration allerdings ein sehr langwieriger Prozess und ein essenzieller Punkt für die Schaffung einer „inneren“ Einheit. Die Werteintegration behandle pädagogische, kulturelle, psychische und existenzielle Aspekte der gesellschaftlichen Integration und scheine in Deutschland weniger erfolgreich verlaufen zu sein als die systematische Integration.

Viele Ostdeutsche gäben an, dass sie sich nach der Wiedervereinigung wie Bürger zweiter Klasse fühlen würden und sich damit als nicht vollkommen in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschlands integriert betrachten. Des Weiteren stammten mittlerweile nur noch 30 Prozent der jetzt in den neuen Bundesländern lebenden Bürger aus den ehemaligen DDR Gebieten, welches auf einen Exodus in den Westen Deutschlands schließen lasse. Auch in der Bildung scheine der Aufarbeitungsprozess noch nicht vollendet zu sein. Studien würden zeigen, dass ein Großteil der Schüler dem DDR-System freundlich gestimmt sei und das SED-Regime nicht direkt als ein diktatorisches System einstufe. Diese Unwissenheit unter der jüngeren Generation innerhalb Deutschlands könnte sich später auf dem Weg zu einer vollkommenen inneren Einheit als problematisch erweisen.

Auch die nordkoreanischen Flüchtlinge litten, so wie die Ostdeutschen, unter einer Identitätskrise, führte Dr. Jae Ho Jong fort. Das bedeute, dass man sich auch Südkorea genaue Gedanken machen müsse, wie eine gesellschaftliche Integration aussehen könne. Bei einer Wiedervereinigung Koreas wäre die nordkoreanische Bevölkerung erst einmal die „Schwächeren“. In Deutschland mussten sich die Ostdeutschen an das westdeutsche System anpassen, auf der anderen Seite aber mussten die Westdeutschen ihre Wertvorstellungen nicht grundlegend ändern. Das führte dazu, dass viele Westdeutsche Schwierigkeiten hätten, sich in das Leiden der Ostdeutschen einfühlen zu können und Verständnis für die Beschwerden der Ostdeutschen aufzubringen. Für eine innere Einigung sei es allerdings wichtig mit Verständnis auf den anderen zuzugehen und von beiden Seiten aus Kompromisse eingehen zu können.

Rechtsanwalt Seok Beom Lee lenkte in der Diskussion noch einmal die Aufmerksamkeit auf die geschichtlichen Unterschiede zwischen Deutschland und Korea und betonte, dass sich Südkorea erst einmal darum bemühen sollte, seine eigenen Menschenrechte auf einen internationalen Standard zu bringen sowie internationale und rechtsstaatliche Richtlinien einzuführen. Außerdem müsse man bei der Aufarbeitung Nordkorea als eine eigene individuelle Gesellschaft anerkennen und nicht einfach als ein minderwertiges System, welches dem südkoreanischem System weichen müsse.

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