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Vergangenheitsbewältigung oder Negation der geschichtlichen Wahrheit

1. Koreanisch-Deutscher Roundtable "Grundfragen des Staatsrechts"

Als ehemalige Kolonie Japans ist das bilaterale Verhältnis Koreas zur früheren Kolonialnacht bis heute schwer belastet durch die von koreanischer Seite beklagten japanischen Kriegsverbrechen, die nach Ansicht Seouls bis heute von Tokio nicht in angemessener Form zugegeben und entschuldigt wurden. Von daher hat das Thema Vergangenheitsbewältigung nicht nur einen hohen Stellenwert in der öffentlichen Debatte in Südkorea, sondern ist auch von höchster politischer Sensibilität.

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In diesem Kontext veranstalteten die Law School der Korea-Universität und die Konrad-Adenauer-Stiftung (Auslandsbüro Korea) im Rahmen ihres Rechtsstaatssymposiums 2014 den 1. Koreanisch-Deutschen Roundtable zum Thema „Vergangenheitsbewältigung oder Negation der geschichtlichen Wahrheit“. Dazu waren aus Deutschland mit Philipp Graebke und Florian Hansen von der Philipps-Universität Marburg zwei junge juristische Experten als Referenten verpflichtet worden, die bereits für die „Unabhängige Wissenschaftliche Kommission beim Bundesministerium der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit“ tätig gewesen sind und als Experten zum Thema gelten dürfen.

Bilanz der juristischen Aufarbeitung der NS-Zeit und der SED-Verbrechen in Deutschland

Graebke referierte zunächst über das Thema „Reformen des Strafrechts der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 in ihrem vergangenheitspolitischen Kontext. Auch das heutige Strafrecht bestehe teilweise immer noch aus Straftatbeständen aus der nationalsozialistischen Zeit, wobei der Kontrollrat der Alliierten die Gesetze im Jahre 1945 natürlich entschärft habe. Es wurde oft darüber kontrovers diskutiert, ob das Strafrecht komplett neu gestaltet werden solle. Letztendlich sei dies bis heute nicht geschehen, obwohl von 1953 bis 1969 an einer großen Reform gearbeitet wurde. Eine Gesamtreform blieb jedoch aus, auch wenn ein Großteil des Rechts verändert worden war. Ende der 1950er Jahre sei auch viel über die Wiedereinführung der Todesstrafe diskutiert worden. Sie sei aber aufgrund ihres Missbrauchs während der NS-Zeit eindeutig abgelehnt worden.

In der Nachkriegszeit habe man sich damit auseinandergesetzt, wie man mit ehemaligen Straftatbeständen aus der NS-Zeit umgehen solle. Viele NS-Verbrechen seien nie aufgeklärt und viele Täter (man spricht von über 2.500 Fällen) amnestiert worden: schlussendlich alle Täter, für die eine Freiheitsstrafe von weniger als drei Jahren vorgesehen war. Im Diskurs darüber sei es vor allem um die Frage gegangen, ob man die Vergangenheit hinter sich lassen oder aufarbeiten solle? Mit der Entscheidung, viele Straftäter zu amnestieren, habe man sich dafür entschieden, mit der Vergangenheit, zumindest auf strafrechtlicher Ebene (bis auf Mordfälle), abzuschließen.

Auch das Grundgesetz, welches 1949 eingeführt wurde, enthält strafrechtliche Prinzipien. Vor allem der Grundsatz „nullum crimen sine lege“ (Keine Strafe ohne Gesetz) sei von essentieller Bedeutung. Im Umgang mit der Aufarbeitung der NS-Verbrechen stehe noch ein weiterer Punkt im Raum: Was folgt aus der Verjährung? Ursprünglich sei Mord, der nach 20 Jahren nicht aufgeklärt worden war, verjährt gewesen. Im Jahr 1979 sei nach vielen Diskussionen über das Thema „Vergangenheitsbewältigung vs. Schlussstrich ziehen“ entschieden worden, die Verjährung von Mord zu streichen. Somit könnten bis heute noch Verbrechen aus der NS-Zeit juristisch aufgearbeitet werden. Die Diskussion über die Vergangenheitsbewältigung sei aber bis heute nicht abgeebbt.

Florian Hansen referierte im Anschluss über das Thema „Systemunrecht und Strafrecht in der jüngsten Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“. Hansen ging zunächst auf den Begriff des „Strafrechts“ ein, wobei er Unterschiede zwischen Recht, Gerechtigkeit sowie Verbrechen an Individuen und Gruppen erläuterte und besonders darauf aufmerksam machte, dass nicht die Einzelfälle zwischen Opfer und Täter entscheidend seien, sondern die Sichtbarkeit einzelner sich daraus ergebender Identifikationsmuster. Nachdem Graebke sich in seinem Vortrag auf die NS-Verbrechen konzentriert hatte, standen bei Hansen Unrechtstaten des SED-Regimes im Vordergrund, das heißt Taten, die vor dem 03. Oktober 1990 begangen wurden. Als Fallbeispiel wählte er die „Mauerschützen“ aus, die an den innerdeutschen Grenzübergängen auf Flüchtlinge geschossen hatten. Hierbei musste im Nachhinein abgewogen werden, ob die Verbrechen aufgrund des Rückwirkungsverbotes bestraft werden konnten. Da das Rückwirkungsverbot aber nur demokratisch legitimierte Rechtfertigungsvorschriften erfasse, sei es für die DDR nicht zutreffend gewesen, weswegen das Rückwirkungsverbot unwirksam geworden war und somit die Mauerschützen sich einer Tötungshandlung strafbar gemacht hätten. Schwieriger sei es gewesen, die politischen Entscheidungsträger zu überführen, entweder aus Mangel an Beweisen oder schlichtweg wegen nicht möglicher Nachweisbarkeit der Taten. Es musste bei den Straftatbeständen zwischen Unterlassen einer Handlungspflicht, einer mittelbaren Täterschaft oder auch der Zumutbarkeit pflichtgemäßen Verhaltens unterschieden werden.

War die Aufarbeitung erfolgreich? Strafrecht kann nach Hansen dafür alleine nicht verantwortlich gemacht werden, es gehörten weitere Faktoren zur Aufarbeitung dazu. Strafrecht diene allein dazu klarzustellen, dass systematische Menschenrechtsverletzungen in einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht toleriert werden.

Defizite der deutschen Aufarbeitungsprozesse

In der anschließenden Diskussion riefen Fragen rund um die Todesstrafe bei den Teilnehmern besonderes Interesse hervor, da sie in Korea noch nicht abgeschafft wurde. Damals und heute sei die Wiedereinführung in Deutschland kein Thema gewesen, allein aufgrund des Artikels 1 des Grundgesetzes, in dem festgeschrieben sei, dass die „Würde des Menschen unantastbar ist“. Die deutschen Experten unterstrichen, dass alleine schon das Warten auf die Todesstrafe Folter sei und sie somit weder mit Artikel 1 des Grundgesetzes noch mit den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar sei.

Philipp Graebke kritisierte die mangelnde Bereitschaft zur kompletten Aufarbeitung der NS-Verbrechen und dass es kaum private oder staatliche Entschädigungen gegeben habe. Sowohl Graebke als auch Hansen betonten, dass das Strafrecht mit Blick auf den Erfolg des Aufarbeitungsprozess nur einen geringen Anteil habe, wobei schwere Verbrechen auch hart bestraft werden müssten.

Insgesamt seien sowohl die Verbrechen der NS-Zeit als auch die des SED-Regimes strafrechtlich aufgearbeitet und verfolgt worden. Jedoch seien bei den NS-Verbrechern oft Amnestien gewährt worden, und bei DDR-Unrechtstaten seien viele Täter zu milde davongekommen.

Viele Hindernisse bei der Vergangenheitsbewältigung in Korea

Anschließend referierten Dr. Han-Joo Lee (Forschungsprofessor, Forschungsinstitut für biomedizinisches Recht und Ethik, Ewha Universität) und Dr. Kyu-Hwan Choe (Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Forschungsinstitut für Recht, Korea-Universität).

Dr. Lee stellte sein Papier über die Vergangenheitsbewältigung durch Recht in Südkorea im Zusammenhang mit der Diktaturperiode vor. Er betonte zu Beginn seines Vortrags, dass sich Vergangenheitsbewältigung sich aus Begründung, Notwendigkeit, Wahrheitsfindung, Strafe und Entschädigung für die Opfer zusammensetze. Um die Diktaturperiode aufzuarbeiten, seien Sondergesetze erlassen worden. Da die Beweisführung oft nicht ausreichend gewesen sei, konnten viele Straftaten nicht aufgeklärt werden. Häufig seien hochstehende Machthaber für ihre Unrechtstaten weniger zu Rechenschaft gezogen worden als Personen in niedrigeren Positionen. Lee stimmte seinen deutschen Vorrednern zu: Eine Bestrafung der Täter sowie Entschädigungen für die Opfer seien alleine für die Wahrheitsfindung und Vergangenheitsbewältigung nicht ausreichend.

Mit einer neuen Verfassung sollte auch zur Vergangenheitsbewältigung beigetragen werden. Allerdings wurde diese weniger vom Volk mitgetragen. Auch habe der Präsident durch die Verfassung eine zu starke Stellung erhalten und ohne die Zustimmung des Präsidenten seien keine Verfassungsänderungen möglich. Die Macht sei daher klar auf den Präsidenten konzentriert und die Rechte des Volkes seien reglementiert, was für eine weitere Etablierung des demokratischen Systems nicht förderlich sei.

Dr. Choe betonte in seiner Rede über Vergangenheitsbewältigung durch Recht in Südkorea im Zusammenhang mit der japanischen Kolonialherrschaft, dass Korea in der Aufarbeitung versagt habe. Dies habe auch damit zu tun, dass die Amerikaner mehr Interesse daran gehabt hätten, den Kommunismus zu bekämpfen als Korea bei der Aufarbeitung der Kolonialherrschaft zu helfen. Weitere Probleme seien, dass Japan sich keiner Schuld bewusst sei und sich in keiner rechtlichen Verantwortung für seine Kolonialherrschaft sehe.

Es werde heute immer noch versucht, die Geschichte aufzuarbeiten und die Wahrheit ans Licht zu bringen. Für diesen Prozess sei auch ein demokratischer Konsens wichtig. Einzelne Fälle seien schwer aufzuarbeiten, weil die Vorfälle zu lange zurücklägen. Jedoch müssten gerade die Fälle der Zwangsprostituierten, der sogenannten „Trostfrauen“, dringend aufgearbeitet werden. Es müsse obligatorisch sein, dass die Opfer entschädigt würden und dies in der Verfassung so auch reglementiert werde. Japan weigere sich bis heute, sich für seine Taten zu entschuldigen geschweige denn die Opfer zu entschädigen.

In der anschließenden Fragerunde ging es zuerst um den Reformbedarf der koreanischen Verfassung und die Problematik bei der Aufarbeitung. Vor allem während der Militärdiktaturen sei das Interesse an der Aufarbeitung der Geschichte marginal gewesen. Ebenfalls Thema war die Problematik unter den damaligen Präsidenten, als Notstandsgesetze nur aus Eigeninteresse heraus verabschiedet worden seien. Auch das oberste Gericht habe sich damals nicht dagegen wehren können. Es sei in der Verfassung verankert gewesen, dass im Falle einer Notstandserklärung des Präsidenten alle möglichen Verfassungsbestimmungen ignoriert worden wären.

Letztendlich leide die koreanische Bevölkerung am meisten unter der mangelnden Aufarbeitung. Auch Deutschland und dessen Aufarbeitung mit dem Nazi-Regime wurde herangezogen. Die beiden deutschen Juristen stellten jedoch klar, dass längst nicht alles korrekt aufgearbeitet worden und ein Vergleich mit der koreanischen Situation daher nicht unproblematisch sei.

Die deutschen Experten waren sich einig, dass Vergangenheitsaufarbeitung sehr wichtig sei, um für die Zukunft daraus lernen zu können. In Deutschland habe dies aufgrund von entscheidenden Elementen in der Verfassung auch gut funktioniert, wie beispielsweise durch die Sicherung der freien Meinungsäußerung. Das Vertrauen in die Verfassung seitens der Deutschen sei sehr groß, weil viele Rechte und Pflichten in der Verfassung reglementiert seien. Das konsensuale Denken der Deutschen habe ebenso entscheidend dazu beigetragen.

Die drei koreanischen Experten sprachen von einem Scheitern der Aufarbeitung, weil die Unrechtstaten nicht vollständig aufgearbeitet und die Opfer nur unzureichend entschädigt worden seien. Rechtsstaatlichkeit und Demokratie seien aber gerade auch im Hinblick auf eine Wiedervereinigung mit Nordkorea wichtig. Die Idee eines internationalen Tribunals, um die Vergangenheit aufzuarbeiten, sei an sich zwar nicht schlecht, aber allein schon aufgrund dessen schwierig, weil Japan nicht einmal das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs unterzeichnet habe.

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Stefan Samse

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Leiter des Rechtsstaatsprogramms Asien

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