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Présentations & compte-rendus

"Afghanistan zwischen Hoffnung und Abgrund"

Vortragsreise mit Dr. Reinhard Erös

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Erfurt, Kahla, Jena, Gotha, Eisenach (11. bis 13. November 2003)

Kaum ein Land auf der Erde ist in jüngster Vergangenheit so massiv und über einen so langen Zeitraum von Kriegen zerrüttet worden wie Afghanistan. Tod, Hunger, Verwüstung und Elend ist der tägliche Begleiter der Menschen in jenem zentralasiatischen Staat am Hindukusch, seit im Jahre 1979 die Sowjetunion in das südliche Nachbarland einmarschierte und das zarte Pflänzchen der entstehenden Demokratie jäh zerstörte. Doch Moskau hatte nicht mit so energischem Widerstand gerechnet, wie ihn die Mudschaheddin zeigten, die vor allem in den hohen Bergen mit einer Guerilla-Taktik kämpften und die hoch gerüsteten russischen Truppen von einer Niederlage in die nächste stürzten, sie – auch vor dem Hintergrund des Systemwechsels in der Sowjetunion – 1989 gar aus dem Lande vertrieben. Doch wer an eine friedliche Lösung glaubte, musste schnell seinen Irrtum eingestehen, denn schnell bildeten sich in dem bereits Ende der achtziger Jahre neue Fronten, diesmal zwischen den einstigen Widerständlern. Mitte der neunziger Jahre tauchte schließlich eine Truppe auf, die sich aus Waisenkindern des Krieges rekrutierte und die das ohnehin zerstörte Land endgültig ins Mittelalter zurück versetzte: die Taliban. Diese radikal-muslimischen Kämpfer – in pakistanischen Koran-Schulen im Auswendiglernen von Suren ausgebildet - zeigten sich gegenüber jeglicher anderer Religion intolerant bis hin zum Mord, verdammten alle Erinnerungen an frühere Kulturen und sahen vor allem Frauen als Menschen zweiter Klasse an. Frauen wurden in der Taliban-„Kultur“ als Wesen ohne Gehirn verstanden, die nur in einem Ganzkörper-Umhang – der Burka – sowie mit einem erwachsenen männlichen Verwandten das Haus verlassen durften. Alle Formen von Bildung war Mädchen und Frauen untersagt.

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Um so bedeutender ist es, dass sich mit Dr. Reinhard Erös ein pensionierter Bundeswehr-Arzt in Afghanistan engagiert, indem er – finanziert durch private Spenden - Schulen für Mädchen errichtet. Seine Kinderhilfe Afghanistan e.V. ist dabei vor allem im Osten des Landes aktiv, wo Hilfsorganisationen nur selten ihre Zelte aufschlagen. Im November 2003 weilte Erös in Thüringen und hielt bei Radio F.R.E.I. in Erfurt, am „Leuchtenburg“-Gymnasium Kahla, im Rahmen des Jenaer Gesprächs, an der Herzog-Ernst-Gesamtschule Gotha sowie während einer Abendveranstaltung in Eisenach Vorträge zu politischen Entwicklungen jenes Landes, in dem er bereits seit Mitte der achtziger Jahre agiert. Schon während der sowjetischen Besatzung, als kein Ausländer das Land betreten durfte, reiste Erös illegal über das Gebirge von Pakistan aus nach Afghanistan ein und war im Kriegsgebiet als Arzt tätig.

Den Hörerinnen und Hörern schilderte er seine Arbeit in insgesamt 14 Höhlenkliniken, die vom russischen Feind nicht entdeckt werden durften. Der Referent berichtete über die Verletzungen und das Leid der Opfer, bei denen es sich fast ausschließlich um Kinder, Frauen oder alte Männer handelte. Doch auch der Stolz jener Menschen sprach aus Erös’ Worten. So schilderte er den Fall eines befreundeten Jungen, dessen Körper von Splittern einer russischen Panzergranate durchsät war. Nur eine sofortige Operation in einem Militärhospital der Sowjets hätte ihm helfen können, doch der Vater verbot dies: Lieber wollte er seinen Sohn als Märtyrer sterben lassen als ihn in die Hände des Besatzers zu geben, die ihn vermutlich in einem Umerziehungslager zu einem Sowjetsoldaten umwandeln würden, der später auf das eigene Volk schießt.

Wer ist dieses afghanische Volk? Dr. Erös erklärte, dass es kein einheitliches Volk und keine einheitliche Sprache gebe, sondern dass zwischen drei großen Gruppen zu unterscheiden sei. Das größte Volk stellten die Paschtunen mit einer indoeuropäischen Sprache, die in Clans leben und zumeist Bauern sind. Die Tadschiken sind ein persisches Volk, sprechen Farsi und zeichnen sich durch hohe Mobilität sowie einen großen Bildungsanspruch aus. Die dritte Gruppe seien die Turkvölker, die mit dem Türkischen ähnlichen Sprachen kommunizieren. Zu diesen Völkern zählen die Usbeken und die Turkmenen sowie als weitere Minderheit die Hazara, die sich auf mongolische Ursprünge berufen, sich sogar als Nachfolger Dschingis Khans sehen. Als einziges dieser Völker gehören die Hazara der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an, während die anderen Sunniten sind.

Insgesamt beschrieb Erös den afghanischen Islam als mystisch-philosophisch sowie als völlig verschieden zu Richtungen der Araber, Nordafrikaner, Irakis oder Pakistani. Die Menschen würden eine enge Verbindung zu Gott sehen und ihren Glauben nicht als politisches Instrument missbrauchen. Missionierung sei ihnen völlig fremd, erst recht eine Verbreitung der Religion mit Waffengewalt. Ebenso gelte Selbstmord für die Afghanen als größtes Verbrechen vor Allah, so dass hinterhältige Terroranschläge niemals zu einem Mittel des Kampfes zählen, wohl aber die offene Auseinandersetzung Auge um Auge mit dem Feind. Diese These des Referenten spiegelt sich auch in der Zahl wider, dass keiner der 4.000 weltweit gesuchten islamischen Terroristen aus Afghanistan stamme. Anschläge auf ausländische Soldaten seien dagegen fast immer auf falsches kulturelles Verhalten zurückzuführen, etwa auf einen Mangel an Wissen über die afghanische Kultur unter den US-Soldaten.

Trotz des Ablehnung des Terrorismus bot das Land während der Taliban-Herrschaft des Sagen umwitterten Mullah Omar ein Asyl für den meist gesuchten Terroristen Osama bin Laden und ein Ausbildungsgebiet für seine Kämpfer, die Al-Quaida. Deren Mitstreiter fanden sich im gesamten islamischen Gebiet – von Marokko über Ägypten, den Nord-Sudan und Saudi-Arabien bis hin nach Pakistan und Indonesien. Wenige Wochen nach den offenkundig von der Al-Quaida begangenen Terroranschlägen des 11. September 2001 in New York und Washington entschloss sich ein internationales Bündnis unter Führung der USA sowie unter Beteiligung der Bundesrepublik zum militärischen Eingreifen in Afghanistan. Schon nach wenigen Wochen war der Krieg beendet, schienen die Taliban verjagt, die Al-Quaida-Strukturen zerstört. Die Führer um Osama bin Laden und Mullah Omar sind jedoch bis heute nicht gefasst.

Allmählich bilden sich im noch immer massiv zerstörten Afghanistan neue politische Strukturen heraus, die nur unter Einbeziehung aller ethnischen Gruppierungen und religiösen Richtungen funktionieren können. Erös betonte, dass das Muster der Demokratien Europas oder Nordamerikas sich nicht auf den zentralasiatischen Staat übertragen lässt, denn hier finden sich völlig andere Traditionen. Um so schwerer gestaltet sich die Arbeit für die internationalen Truppen im Land, die für einen friedlichen Neuanfang sorgen sollen, sich aber zunehmend den reorganisierten Taliban- oder Al-Quaida-Strukturen gegenüber sehen. Der Weg zum Frieden wird in Afghanistan noch sehr lang und steinig sein.

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Dr. Reinhard Erös stellt im Gespräch mit einer Schülerin des Leuchtenburg-Gymnasiums sein Projekt "Kinderhilfe Afghanistan" vor.

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