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Wie die DDR und die extreme Linke der Bundesrepublik Israel bekämpfte

Jeffrey Herf: Undeclared Wars with Israel. East Germany and the West German Far Left, 1967–1989, Cambridge University Press, New York 2016, 500 Seiten, $ 29,99.

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Im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Berlin-Gatow findet sich ein unscheinbar wirkendes Exponat aus den Beständen der Nationalen Volksarmee der DDR, abgekürzt NVA. Eine Fotocollage zeigt vor der Fahne Syriens entschlossen ausgestreckte Hände, bereit zum Handschlag. Links daneben sind die Namen deutscher Soldaten zu lesen. Darüber findet sich der Hinweis, dass im Herbst 1973 Angehörige der NVA „ihre internationalistische Pflicht“ erfüllt und mit dazu beigetragen hätten, „den israelischen Aggressor zur Einstellung des Krieges gegen die arabischen Völker zu zwingen“. Hinter diesem martialischen Wortgeklingel verbirgt sich nichts anderes als die damals streng geheime Beteiligung der DDR aufseiten Syriens im sogenannten Jom-Kippur-Krieg.

Am 6. Oktober 1973 hatten während des höchsten jüdischen Feiertages ägyptische und syrische Einheiten mit einem Überraschungsangriff den jüdischen Staat attackiert und den israelischen Streitkräften schwerste Verluste zugeführt. Erst nachdem die USA über eine Luftbrücke dringend notwendige Rüstungsgüter nach Israel gebracht hatten, konnte der jüdische Staat die arabischen Armeen zurückwerfen. Gleichzeitig lieferte die Sowjetunion – aber auch die DDR – Waffen und zusätzlich Soldaten an die arabischen Staaten.

Die bislang unbemerkt gebliebene Fotocollage aus Gatow dokumentiert eindrücklich, wie stolz die DDR auf die klandestine Beteiligung an diesem Krieg war und wie bereitwillig der SED-Staat die arabische Propaganda einer israelischen „Aggression“ im Oktober 1973 übernahm.

 

Brisante Gegenüberstellung

Gefunden hat dieses heute so merkwürdig anmutende Exponat wie auch viele weitere höchst aufschlussreiche Dokumente zum nie erklärten Krieg des zweiten deutschen Staates gegen Israel der amerikanische Historiker Jeffrey Herf. Der Geschichtsprofessor lehrt an der Universität Maryland (USA) und zählt zu den herausragenden Kennern der deutsch-jüdischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. In seinem neuesten Buch, das bislang lediglich in englischer Sprache vorliegt, setzt sich Herf mit den „unerklärten Kriegen gegen Israel“ in den Jahren zwischen 1967 und 1989 auseinander. Herf beschränkt sich dabei nicht auf die DDR, sondern richtet seinen analytischen Blick auch auf die israelfeindliche, extremistische Linke in der Bundesrepublik. Diese Gegenüberstellung israelfeindlicher Haltungen und Aktionen von Linksextremisten im Westen und SED-Funktionären im Osten Deutschlands macht die besondere Brisanz von Herfs Studie aus. Bereits bekannte Dokumente oder Ereignisse erscheinen bei Herf in einem neuen Licht. Ein besonderes Augenmerk legte Herf auf das Archiv der Vereinten Nationen (VN) in New York. Mit gutem Grund: Da der zweite deutsche und der jüdische Staat nie diplomatische Beziehungen aufnahmen und zudem nur sporadisch inoffizielle Gesprächskanäle nutzten, bildeten die VN die zentrale Arena, in denen die diametral unterschiedlichen Ansichten Israels und der DDR aufeinanderprallten.

Ausgangspunkt der Studie Herfs ist der Juni-Krieg von 1967, als Israel nach der Sperrung der Zufahrtswege zum Roten Meer durch Ägypten in sechs Tagen den Sinai, das Westjordanland, den Ostteil Jerusalems und die Golan-Höhen besetzte. Die DDR stand damals bereits auf der Seite der arabischen Staaten. Für die westdeutsche Linke galt das aber nicht. Hochspannend, gleichwohl archivgestützt ist deshalb die These Herfs, warum es Sommer 1967 zu einem Gesinnungswandel kam. Auslöser seien zwei voneinander völlig unabhängige Ereignisse gewesen: die Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg in West-Berlin am 2. Juni und dann drei Tage später der Kriegsausbruch in Nahost. Ausschlaggebend sei die proisraelische Haltung der in linken Studentenkreisen verachteten Springer-Presse, allen voran der BILD-Zeitung, während des Krieges gewesen, so Herf. So erklärte beispielsweise der damalige Vorsitzende des „Sozialistischen Deutschen Studentenbundes“, die Studenten könnten sich nicht auf die Seite Israels stellen, während die gesamte Presse eine Kriegsführung, die an die deutschen Blitzkriege des Zweiten Weltkrieges erinnerte, unterstütze. In der Folge wurden Begriffe wie „Antifaschismus“ unter der extremistischen, westdeutschen Linken im Gleichklang mit der SED uminterpretiert und erhielten eine antizionistische und somit israelfeindliche Bedeutung. So bezeichnete Ulrike Meinhof die Ermordung der israelischen Athleten während der Olympischen Spiele in München 1972 als eine antifaschistische Aktion.

 

Die ersten Deutschen, die nach 1945 Waffen auf Juden richteten

Besonders beschämend war in diesem Zusammenhang die Entführung einer Air-France-Maschine ins ugandische Entebbe am 27. Juni 1976. Beteiligt an diesem Terrorakt eines arabischen Kommandos waren die bundesdeutschen Staatsbürger Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann. Auf dem Flughafen wurden die erkennbar nichtjüdischen Passagiere freigelassen; die israelischen Staatsbürger und einige jüdische Passagiere sowie der nicht-jüdische Pilot wurden hingegen als Geiseln festgehalten. Böse und Kuhlmann gehörten den „Revolutionären Zellen“ an und waren laut Herf die ersten Deutschen, die nach 1945 wieder ihre Waffen ganz bewusst auf Juden richteten. Beide starben während der Befreiungsaktion durch ein israelisches Spezialkommando am 4. Juli. Wenige Monate später wurde die Befreiung von Entebbe verfilmt. Heute ist weithin vergessen, dass der Film Operation Entebbe und damit auch die Kinobesucher zum Angriffsziel von Terroristen wurden. Stolz, so Herf, hätten sich die westdeutschen „Revolutionären Zellen“ zu Anschlägen auf Kinos bekannt, so zum Beispiel in Aachen, wo sie im Januar 1977 einen Brandanschlag verübten. Zu weiteren Brandbombenanschlägen war es bereits Ende Dezember 1976 auf drei Kinos in Rom gekommen, die den Film zeigten. Ähnliche Anschläge wurden auch in Griechenland und in Südafrika verübt.

Vor dem Plenum der Vereinten Nationen lehnte es die DDR stets ab, Angriffe auf israelische Zivilisten als „Terror“ zu bezeichnen. Aktionen wie die Geiselbefreiung in Entebbe verurteilte der VN-Botschafter Ost-Berlins hingegen als israelische Aggression. Intern, so zeigen es die Akten, war den Verantwortungsträgern des SED-Staates sehr wohl bewusst, dass die Ermordung von Kindern und Frauen nichts anderes als Terrorismus war. Dennoch lieferte die DDR Waffen an Terroristen und arabische Staaten, die Israel als Staat auslöschen wollten. Doch anders als die SED, die an die Vorgaben der UdSSR gebunden war, hatte sich die extremistische Linke im Westen Deutschlands freiwillig gegen Israel gestellt.

Auch wenn die DDR, die „Revolutionären Zellen“ und andere linksextremistische Terrororganisationen längst Geschichte sind, so warnt Herf dennoch vor den Folgen dieser Politik: Kommunisten in Ost wie West hätten ein hochgiftiges, ideologisches Konstrukt hinterlassen, das auf Deutschland und die Welt einen langen, destruktiven Schatten warf. Es wäre wünschenswert, wenn dieses Buch auch in deutscher Sprache erschiene.

 

Stefan Meining, geboren 1964 in München, Historiker, Redakteur des ARD-Politmagazins „Report München“ beim Bayerischen Rundfunk.

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