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Heimatschutz wieder gefragt?

Diskussion über die Kardinalprobleme der Bundeswehr

Seit Jahren wachsen die Belastungen für die Bundeswehr durch Auslandseinsätze oder etwa im Rahmen des transatlantischen Bündnisses; seit Jahren wird die Truppe zugleich mit immer neuen Reformen konfrontiert. Jüngst stellte sich aufgrund großer Probleme mit neuen Waffensystemen und der geringen Einsatzbereitschaft von Großgerät die Frage, ob die Bundeswehr für die Landes- und Bündnisverteidigung und für zukünftige Auslandseinsätze ausreichend gerüstet ist. Denn über lange Jahre wurde der Verteidigungsetat stetig gekürzt, erst jüngst wieder leicht erhöht.

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Prof. Dr. Martin Sebaldt, General a.D. Klaus Naumann, Stephan Raabe, Tobias Zech (v.l.)

Tatsächlich erscheint die Einsatzbereitschaft auf vielen Gebieten fraglich, zumal sich angesichts der russischen Aggression gegen die Ukraine der Blick auf die Bedingungen einer erfolgreichen Bündnisverteidigung änderte. Professor Dr. Martin Sebaldt, Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Regensburg und Oberst der Reserve, legt nun in einem bemerkenswerten Buch Anregungen für eine tiefgreifende Reform der Bundeswehr vor. Das Politische Bildungsforum Brandenburg der Konrad Adenauer Stiftung lud in Kooperation mit der Gesellschaft für Sicherheitspolitik Potsdam, der Landesgruppe Brandenburg des Verbands der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V. sowie dem Regionalkreis der Deutschen Atlantischen Gesellschaft Professor Sebaldt ein, seine Thesen vorzustellen und mit Experten zu diskutieren. Unter den Gästen waren auch zahlreiche Soldaten und Reservisten, die seinen Ausführungen gespannt folgten.

Kein Soldat, mit dem er in letzter Zeit Gespräche geführt habe, sei mit der aktuellen Lage der Bundeswehr zufrieden gewesen. Das neue Weißbuch zur Sicherheitspolitik gebe zudem auf die wesentlichen Zukunftsfragen keine Antworten. Das, so Professor Sebaldt, sei der Anlass gewesen, sechs Kardinalprobleme in einer Streitschrift zu benennen und Lösungen zu diskutieren.

Reserven

Bei seinen Überlegungen geht Professor Sebaldt von der Referenzsituation eines klassischen Gefechtes, also eines Kriegseinsatzes aus. Dies müsse für jede Armee Ausgangspunkt aller Überlegungen sein. Der Bundeswehr stehen lediglich drei Großverbände in Divisionsstärke zur Verfügung, wobei die Division Schnelle Kräfte als nicht vollwertig gelten könne, aufgrund fehlender Unterstützungselemente wie Artillerie etc. Ähnliche Probleme, etwa zu schwache Artillerie, beträfen die 1. und 10. Panzerdivision. Im Fall eines Kriegseinsatzes stünden zur Auswechselung und Auffrischung dieser Verbände kaum Reserven zur Verfügung, das Territorialheer wurde aufgelöst. Inzwischen würden Änderungen der derzeitigen Struktur hin zu einer Stärkung der Landesverteidigung offenbar wieder geplant, wie etwa das Papier des Leiters der Planungsabteilung im Verteidigungsministerium, Generalleutnant Erhard Bühler, zeige, das eine gesteigerte Einsatzfähigkeit bis zum Jahr 2032 avisiere.

Personal

Ein in der Truppe bekannter Spruch lautet: „In der Bundeswehr gibt es viele Häuptlinge - aber kaum Indianer.“ Damit ist das Phänomen angesprochen, daß die Bundeswehr wesentlich aus Offizieren und Unteroffizieren besteht, Mannschaftsdienstgrade hingegen deutlich unterrepräsentiert sind. Die Aussetzung der Wehrpflicht bezeichnete Professor Sebaldt als „fatal“. Ohne Wehrpflicht, die es aufgrund der Wehrgerechtigkeit nicht mehr geben könne, sei ein neues Freiwilligenkonzept die einzige Möglichkeit, um die gravierenden Probleme zu beseitigen.

Gesellschaft

Professor Sebaldt schlägt vor, wieder eine Heimatschutztruppe ins Leben zu rufen, die die Truppe entlasten und als Reserve dienen könnte. Da es sich nicht um aktive Soldaten, sondern Reservisten bzw. Freiwillige handele, stünden einer solchen rund 400000 Mann umfassenden Truppe auch keine völkerrechtlichen Beschränkungen entgegen (die die Zahl aktiver Soldaten begrenzen). Als Vorbild begreife er das Modell des Technischen Hilfswerks, wo eine kleine Gruppe aus Hauptamtlichen Zehntausende, die sich freiwillig in kurzen, heimatnahen Einsätzen und Lehrgängen engagieren, lenke. In großzügiger Rechnung, so Professor Sebaldt, müsse in Deutschland 1 von 100 für diesen freiwilligen Einsatz an Wochenenden und in Absprache mit den Arbeitgebern gewonnen werden (um das Ziel von ca. 400000 zu erreichen), was der in Deutschland starken Zivilgesellschaft durchaus zuzutrauen sei. Das würde auch die Sichtbarkeit der Bundeswehr in der Gesellschaft wieder erhöhen, die durch die Aussetzung der Wehrpflicht und Auflösung zahlloser Standorte stark gelitten habe, und dies würde auch wieder die Möglichkeit eröffnen, sich am Ort heimatnah bei der Bundeswehr einzubringen.

Gerät

Angesichts der Gefahren, die Cyberattacken und asymmetrische Kriegführung im 21. Jahrhundert bereithalten, plädiert Professor Sebaldt für eine Doppelstrategie: Alles Gerät muss auch analog einsatzfähig sein. Er warnt vor der völligen Abhängigkeit von der digitalen Welt – selbst mit Blick auf die Einsatzfähigkeit einzelner Soldaten. Denn das Konzept des Infanteristen der Zukunft sieht eine weitgehende digitale Verknüpfung und Einbettung des Soldaten vor, dessen Ausrüstung nicht nur rasant an Komplexität zunimmt, sondern inzwischen auch ein Gewicht (teilweise 60 Kilogramm) erreicht, das die Einsatzfähigkeit beeinträchtigt. Der Nutzen der Digitalisierung sei nicht immer und überall groß.

Strukturen

Die Gliederung der Bundeswehr müsse flexibler werden. Er schlägt eine Ausweitung des Modells des Einsatzführungskommandos auf die gesamte Bundeswehr vor, um die zielgerichtete Führung von Truppen in konzertierter Form zu vereinfachen und durch Kompetenzüberschneidungen u.a. entstehende Reibungsverluste zu minimieren. Das aktuelle Weißbuch lasse konkrete Lösungen vermissen und atme zu sehr den Geist von Unternehmensberatern.

Strategie

Die in Kriegen und Konflikten zukünftig stark zu erwartende asymmetrische Kriegführung werde in der Doktrin der Bundeswehr unzulänglich abgebildet. Auch in der Ausbildung – etwa der Generalstabsoffiziere - spiele sie kaum oder gar keine Rolle. An den Universitäten der Bundeswehr werde zudem kaum Grundlagenarbeit geleistet, es gebe dort etwa keine Lehrstühle für Militärgeschichte.

General a.D. Naumann, lange Jahre Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des Militärausschusses der NATO, wies in seinem Impuls zu den Thesen Professor Sebaldts darauf hin, daß die Bundeswehr seit dem Jahr 2000 mit ständiger Unterfinanzierung und Reduzierung zu kämpfen hatte. Der für die Aussetzung der Wehrpflicht verantwortliche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg habe keine Wahl gehabt, weil sonst aufgrund der fehlenden Wehrgerechtigkeit ein Gericht die Wehrpflicht gekippt hätte. Er sei es zudem gewesen, der im Zusammenhang mit dem Einsatz in Afghanistan das Wort „Kampf“ wieder genutzt hätte.

Das aktuelle Weißbuch könne man kritisch sehen, allerdings sei Planung nie abgeschlossen, weil sich die Umwelt stetig ändere, und das Weißbuch solle die Grundlage für die Bereitschaft schaffen, überhaupt noch Mittel für die Verteidigung aufzuwenden. General a.D. Naumann betonte, „was man nicht im Frieden übt, beherrscht man nicht im Krieg.“ Die zentrale Aufgabe der Bundeswehr sei nicht der – überspitzt formuliert – Bau von Brunnen, sondern der Kampf. Die Ausbildung müsste die Einsatzrealität zur Grundlage nehmen. Die Fähigkeiten zur Landesverteidigung seien zu stärken, die Bundeswehr müsse zudem auf die wachsenden Gefahren nuklearer Bedrohungen reagieren.

Auch General a.D. Naumann sieht die Notwendigkeit, die Bundeswehr wieder stärker in der Gesellschaft zu verankern, zumal die Bundeswehr „immer ein ungeliebtes Kind“ gewesen sei. Seiner Ansicht nach deuten die jüngsten Schritte zur Erhöhung des Verteidigungsetats in die richtige Richtung: Die materielle Seite der aktuellen Probleme, so Naumann zusammenfassend, sei jedoch „für die Bundesrepublik kein Problem“, entscheidend sei vielmehr der politische Wille zur Gestaltung und zum Einsatz der Streitkräfte. Kritisch bewertet General a.D. Naumann zwar nicht die Möglichkeit, 400000 Freiwillige zu gewinnen, allerdings müssten dafür exorbitant hohe (finanzielle u.a.) Anreize gesetzt werden, und dies werde wohl kaum zu finanzieren sein. Er befürwortete jedoch eine stärkere Vernetzung (Verbund) von Bundeswehr und Blaulichtorganisationen (Technisches Hilfswerk, Feuerwehr etc).

Bis 2000, so General a.D. Naumann, habe es zahlreiche deutsch-amerikanische Initiativen in der Verteidigungspolitik gegeben. Das sei nun anders, bedauerte er. Reaktives Handeln reiche zudem im Cyberkrieg nicht aus, es sei vielmehr nötig, „präventiv“ zu agieren und dies als Verteidigungsstrategie auszuformen.

Der stellvertretende Präsident des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V., Tobias Zech (CSU), widersprach General a.D. Naumann und betonte, daß die Bundeswehr „kein ungeliebtes Kind“ sei, vielmehr gerade heute sehr viel Zuspruch aus der Gesellschaft erhalte und sich großer Beliebtheit erfreue. Tobias Zech, der Jahre als Gebirgspionier diente, erlebte selbst 2,5 Strukturreformen und was diese an Zumutungen für die Soldaten brachten. Er plädierte für eine Stärkung der Strukturen der Reserve durch eine emotionale Bindung an die Heimat und Fahne.

Zwar sei die Aussetzung der Wehrpflicht nicht zu kompensieren, aber man solle die Aufnahme von Seiteneinsteigern bei der Bundeswehr erleichtern und niedrigschwellige Angebote entwickeln. Das traf sich mit den Vorschlägen Professor Sebaldts, wobei Tobias Zech zudem für eine Variante plädierte, die zwar viele aus politischen Gründen für nicht umsetzbar halten, die aber alle Probleme mit einem Schlag lösen könnte: die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für alle Deutschen.

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Cover Sebaldt, Miles-Verlag

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