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Veranstaltungsberichte

Welche Tradition hat, welche braucht die Bundeswehr

Diskussion zum neuen Traditionserlass mit dem Wehrbeauftragten des Bundestages u.a.

Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Dr. Hans-Peter Bartels (SPD), im Gespräch mit dem Sicherheitspolitischen Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Tobias Lindner, und dem Militärhistoriker Prof. Dr. Sönke Neitzel.

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Das Potsdamer Forum „Politik & Sicherheit“, das unter Federführung der Konrad-Adenauer-Stiftung gemeinsam mit der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, der Deutschen Atlantischen Gesellschaft und dem Reservistenverband ausgerichtet wird, war am 7. Juni dank der Kooperation mit dem Lehrstuhl für Militärgeschichte zu Gast an der Universität Potsdam. Gut 120 Teilnehmer folgten trotz heißen Sommerwetters der Diskussion. Unter der Moderation von Jens Henning Fischer von der Deutschen Debattiergesellschaft bestritten der Wehrbeauftragte des Bundestages, Dr. Hans-Peter Bartels (SPD), der Sicherheitspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Tobias Lindner, und Prof. Dr. Sönke Neitzel, der Lehrstuhlinhaber für Militärgeschichte, die Debatte.

Armeen anderer Staaten haben und pflegen ihre Traditionen sozusagen natürlicherweise. In der Bundeswehr wurde die Tradition erstmals 1965, dann 1982 und jetzt abermals 2018 durch eine Dienstvorschrift geregelt, was vor allem mit den wenig traditionswürdig erscheinenden Vorläufern der heutigen Bundeswehr zu tun hat: der Reichswehr (1921 – 1935), der Wehrmacht (1935 – 1945) und der Nationalen Volksarmee (1956 – 1990). Der neue, zehnseitige Erlass „Die Tradition der Bundeswehr. Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege“ wurde am 28. März 2018 von der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) unterzeichnet. Er versteht sich als Weiterentwicklung bedingt durch die Wiedervereinigung Deutschlands, die veränderte Weltlage und die neuen Aufgabenstellungen der Bundeswehr. Der Erlass bestimmt die Traditionspflege als Führungsaufgabe und möchte mehr Handlungssicherheit geben. Zentrale Bezugspunkte sind die Werte und Normen des Grundgesetzes, die kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die eigene Geschichte der Bundeswehr, aber auch die deutsche Militärgeschichte insgesamt sowie die klare Abgrenzung zur Wehrmacht und Nationalen Volksarmee. Zugelassen werden allerdings im Einzelfall vorbildliche Einzelpersönlichkeiten der Wehrmacht und NVA. Zweck der Vorschrift ist die Stärkung des Bewusstseins für die eigene Geschichte und der Stolz auf die eigenen Leistungen, die Festigung des demokratischen Wertebewusstseins und der Verfassungstreue im Sinne eines verfassungsorientierten Patriotismus, das Bejahen des Auftrags zum Erhalt von Frieden in Freiheit sowie die Vermittlung soldatischen Selbstverständnisses, soldatischer Tugenden und Haltung zur Förderung von Einsatzbereitschaft und Kampfeswille.

Die Diskutanten bewerteten den neuen Erlass generell positiv. Allerdings verwies der Bundestagsabgeordnete Lindner darauf, dass Tradition sich letztlich nicht verordnen lasse, sondern der Auseinandersetzung, Begründung und Pflege bedürfe, insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass Institutionen wie die Bundeswehr mitunter auch rechtsradikale Kräfte anzögen. Bei der Umsetzung und Füllung des vorgegebenen Rahmens setzte auch Prof. Neitzel an. Aus Angst, etwas falsch zu machen, würden die vom Erlass eröffneten Freiräume aus der Truppe heraus wohl kaum gefüllt werden, meinte der Militärhistoriker. Wo aber fänden sich dann gerade Kampftruppen wieder im Blick auf kampferprobte soldatische Vorbilder, die die Bundeswehr selbst bisher kaum aufweisen kann, wenn Wehrmachtssoldaten dafür nicht in Frage kämen? Der Wehrbeauftragte Bartels beschrieb, wie in der Geschichte der Bundeswehr die notwendige Distanz zur Wehrmacht teilweise mühsam erkämpft worden sei und wie sich das Prinzip der Inneren Führung bis hin zum Wiederstandesrecht des Grundgesetzes gegen die Absolutsetzung von Befehl und Gehorsam erst nach und nach durchgesetzt habe. Dies sei eine Errungenschaft, die es zu bewahren gelte.

Brigadegeneral a.D. Dr. Klaus Wittmann plädierte aus dem Publikum heraus für die Beteiligung fachlicher Institutionen bei der inhaltlichen Füllung des Traditionsrahmens und hob die Bedeutung der historisch-politischen Bildung in der Truppe hervor. Generalarzt Dr. Bernhard Groß, der für den Erlass zuständige Unterabteilungsleiter im Verteidigungsministerium, meldete sich ebenfalls aus dem Publikum zu Wort. Er verwies auf die Grundwerte der Inneren Führung, zu der der Traditionserlass als Teil gehöre. Er bestätigte, dass Wehrmachtssoldaten als soldatische Vorbilder grundsätzlich nicht in Frage kämen, soldatische Tugenden allein reichten dafür nicht aus.

Dem widersprach ein junger Soldat aus dem Teilnehmerkreis, der für eine Unterscheidung zwischen Wehrmacht als Institution und deren Soldaten eintrat. Besondere soldatische Leistungen und Tugenden könnten und würden tatsächlich auch gerade in Kampftruppen als vorbildlich angesehen werden. Wertneutrale militärische Leistungen gebe es nicht, stellte demgegenüber der Wehrbeauftragte Bartels klar. Deshalb blieben Wehrmachtssoldaten im Blick auf soldatische Tugenden außen vor. Dies könne zu einem Zwiespalt zwischen offizieller, politisch vorgegebener Tradition und informeller Traditionspflege in Kampftruppen, die sich ihre eigenen Vorbilder suchten, führen, gab Prof. Neitzel zu bedenken, sofern man nicht auf das Bedürfnis nach soldatischen Vorbildern im Kampfeinsatz eingehe. Diesbezüglich wurde ein gewisser Dissens deutlich.

Während die Erläuterungen zum Traditionserlass auf der Internetseite des Verteidigungsministeriums als Ausnahmen von dem generellen Ausschluss von Wehrmachtsangehörigen als Vorbilder den Blick auf „die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, die Angehörigen der Gründer- und Aufbaugeneration der Bundesrepublik Deutschland oder Personen, die sich um Recht und Freiheit verdient gemacht haben“ richten, ist der Erlass eigentlich offener angelegt wenn er bestimmt: „Die Aufnahme einzelner Angehöriger der Wehrmacht in das Traditionsgut der Bundeswehr ist dagegen grundsätzlich möglich. Voraussetzung dafür ist immer eine eingehende Einzelfallbetrachtung sowie ein sorgfältiges Abwägen. Dieses Abwägen muss die Frage persönlicher Schuld berücksichtigen und eine Leistung zur Bedingung machen, die vorbildlich oder sinnstiftend in die Gegenwart wirkt, etwa die Beteiligung am militärischen Widerstand gegen das NS-Regime oder besondere Verdienste um den Aufbau der Bundeswehr.“ Insofern könnte eine militärische Leistung eines Wehrmachtssoldaten, „die vorbildlich oder sinnstiftend in die Gegenwart wirkt“, weil sie im Sinne des Zeckes des Traditionserlasses „soldatische Tugenden und Haltung zur Förderung von Einsatzbereitschaft und Kampfeswille“ von Kampfeinheiten der Bundeswehr fördert, durchaus vorbildhaft sein, solange der historische Kontext – verbrecherischer Krieg Deutschlands – klar bestimmt ist.

In diese Richtung gingen auch zwei weitere Wortmeldungen aus dem Publikum, die für ein Mehr an Differenzierung in der Bewertung der Wehrmacht insgesamt eintraten und insbesondere mit Blick auf die Rolle der meist zwangsweise eingezogenen Soldaten als Väter- oder Großvätergeneration.

So wird es tatsächlich darauf ankommen, welche konkreten Auswirkungen die Dienstvorschrift „Tradition der Bundeswehr“ in ihrer Umsetzung und der konkreten Füllung der gegebenen Freiräume haben wird. Was die klare historische Abgrenzung angeht, könnte ein regelmäßiges Gedenken der Bundeswehr am Tag des Beginns des Zweiten Weltkrieges dazu beitragen, das Bewusstsein für das Entstehen dieser Katastrophe wach zu halten und durch die Einladung von Repräsentanten anderer betroffener Staaten zugleich eine Brücke in die Gegenwart zu schlagen.

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Stephan Georg Raabe

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Landesbeauftragter und Leiter Politisches Bildungsforum Brandenburg

Stephan.Raabe@kas.de +49 331 748876-0 +49 331 748876-15
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