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Veranstaltungsberichte

Studienfahrt "Terrorismus in Deutschland"

Mit der jüngsten, eher ungewöhnlichen, Studienfahrt des BWK Bremen sollten die Phänomene des Extremismus und Terrorismus in Deutschland vielschichtig beleuchtet werden. Dabei wurde auf historische Geschehnisse eingegangen, ohne aktuelle Tendenzen aus den Augen zu verlieren. Hierfür standen u. a. auf dem Programm Gespräche mit einem ehemaligen Mitglied der Roten Armee Fraktion (Klaus Jünschke) und einem Hinterbliebenen der Terrorismus-Opfer (Dr. Arnd Schleyer), das Aufsuchen von Orten, die im direkten Bezug zum Terrorismus standen und Besuche von Institutionen, die der Terrorbekämpfung dienen.

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Den Anfang machte der Politikwissenschaftler Dr. Rudolf van Hüllen im Bildungszentrum Schloss Eichholz mit seinem breit gefächerten Vortrag „Linksextremismus, Rechtsextremismus, Islamismus – Geschichte, Unterschiede, Gemeinsamkeiten“, in welchem er zunächst einige Elemente der wehrhaften Demokratie sowie die freiheitlich demokratische Grundordnung – ein Begriff, der die obersten Grundwerte der Demokratie in Deutschland subsumiert – ins Feld führte. Gemeinsamkeiten sieht er in bestimmten Strukturmerkmalen des politischen Extremismus. „Alle Formen des Extremismus weisen ein jeweils geschlossenes, kritikresistentes, in sich redundantes Weltbild auf“, exemplifizierte van Hüllen, der u. a. bis 2006 als Referent und Referatsleiter beim Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln tätig war. Er betonte, dass antidemokratische Ausreißer einerseits zwar bedauerlich, andererseits soziologisch jedoch normal seien, weshalb es Gesamtaufgabe der demokratischen Mitte sei, Extremismus argumentativ zu entkräften.

Die Visite des Bundeskriminalamtes (BKA) – dessen Hauptaufgabe es ist, die nationale Verbrechensbekämpfung zu koordinieren und Ermittlungen in besonders schwerwiegenden Kriminalitätsfeldern durchzuführen – diente dazu, dessen Geschichte in der Zeit der terroristischen Bedrohung durch die RAF näher zu beleuchten. Hierbei kam Manfred Klink, ehemaliger Erster Direktor des Bundeskriminalamtes mit Schwerpunkt Terrorismusbekämpfung, insbesondere auf die sog. Rasterfahndung zu sprechen. Bei dieser handelt es sich um eine in den 1970er Jahren seitens des damaligen BKA-Präsidenten Dr. Horst Herold eingeführte elektronische Fahndungsmethode, die durch Datenabgleich einen bestimmten Verdächtigenkreis einzugrenzen vermag. Sie wurde erstmals bei der Fahndung nach RAF-Terroristen und letztmals bei der Tätersuche der Anschläge vom 11. September 2001 angewandt. An ihr aufkommende Kritik, etwa die anfängliche Aufhebung der Unschuldsvermutung, wies Klink entschieden zurück: „Nach Abschluss der Fahndung werden die gesammelten Informationen unverzüglich gelöscht.“ Obendrein betonte er das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit. „Wenn Menschen in Sicherheit leben, fühlen sie sich frei“, veranschaulichte Klink.

„Wer gab euch das Recht zu morden?“ lautete die zentrale Fragestellung des emotionalen Abendgespräches, das Dr. Ralf Altenhof, Leiter des Bildungswerks Bremen, mit Dr. Arnd Schleyer führte, dem Sohn des 1977 von RAF-Terroristen ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Nach dem Schauen der gleichnamigen Dokumentation von Anne Ameri-Siemens – in der sie Gespräche mit Angehörigen von Opfern des RAF-Terrorismus führt – stand Schleyer in Anwesenheit seiner Gattin und seines Schwiegersohns Rede und Antwort. Die Tatsachen, dass die genannte Dokumentation die erste zu den Opfern des RAF-Terrors ist und erst 2007, 30 Jahre nach dem „Deutschen Herbst“, publiziert wurde, verwundern Schleyer kaum: „Dies ist ein typisches Zeichen der Gesellschaft. Es ist nun einmal medienwirksamer, was die Täter zu berichten haben – die Opferperspektive erscheint uninteressant.“ Auch wurden Hanns Martin Schleyers Biografie – der laut seines Sohnes für die RAF das Feindbild des Kapitalismus personifizierte – sowie seine Ermordung angesprochen. Das gilt auch für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 16. Oktober 1977, nach welcher eine Schutzpflicht des Staates nicht nur gegenüber dem Einzelnen, sondern gegenüber der Gesamtheit zu gelten hat und deren Ambivalenz Arnd Schleyer, der heute als Rechtsanwalt in Heidelberg tätig ist, wie folgt beschrieb: „Es bedarf zweier Bewertungen der Gefährdungslage: Lediglich politisch-abstrakt betrachtet, verstehe ich die Entscheidung – persönlich-konkret auf meinen Vater bezogen nicht.“ Die sozial-liberale Bundesregierung um Helmut Schmidt hatte sich 1977 der Freilassungsforderungen der inhaftierten ersten Generation der RAF verweigert, was faktisch das Todesurteil für Hanns Martin Schleyer bedeutete. „Mein Vater wurde auf dem Altar des Staates geopfert“, konstatierte Schleyer.

„Zum Gedenken an die Opfer des Terroranschlages am 7. April 1977 in Karlsruhe“ heißt es auf einer großen Gedenktafel im Empfangsbereich des Generalbundesanwaltes (GBA), womit an die Ermordung des ehemaligen GBA Siegfried Buback durch RAF-Mitglieder erinnert wird. Nach einem Rundgang über den Geländekomplex sowie der Erklärung der Arbeitsweise des GBA, der obersten Strafverfolgungsbehörde Deutschlands mit etwa 200 Mitarbeitern, gab Bundesanwalt Walter Hemberger offen Auskunft zum Anschlag auf Siegfried Buback und zum aktuellen Verena-Becker-Prozess. Die ehemalige RAF-Terroristin war hinsichtlich des Attentats auf Buback immer wieder unter Mordverdacht geraten, bis im April vergangenen Jahres letztlich Anklage wegen „wesentlicher Beiträge zur Vorbereitung und Durchführung des Anschlags“ erhoben wurde. Einerseits forderte Hemberger die ehemaligen Terroristen dazu auf, ihr Schweigen zu brechen: „Michael Buback (Siegfried Bubacks Sohn, Anm. d. Verf.) hat Anspruch auf Genugtuung und darauf zu erfahren, wer seinen Vater erschossen hat.“ Andererseits betonte er jedoch das Grundprinzip der Unschuldsvermutung und widerriet Michael Buback, der sich frühzeitig auf Verena Becker als Mörderin festgelegt hatte, diese vorschnell zu verurteilen.

Frei nach dem römischen Rechtsgrundsatz „Audiatur et altera pars“ hatte Klaus Jünschke die Möglichkeit, die Zeit hinsichtlich seiner damaligen RAF-Mitgliedschaft Revue passieren zu lassen: man höre auch die andere Seite. Eingangs versicherte der 63-Jährige, dass es ihm weder um Rechtsfertigungen noch um Entschuldigungen gehe, sondern ausschließlich darum, das damalige Verhalten verständlicher zu machen. Jünschke war 1977 infolge eines Banküberfalls sechs Jahre zuvor wegen „gemeinschaftlich begangenen Mordes“ zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt worden, bevor er 1988 seitens des damaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel (CDU) mit der Begründung begnadigt wurde, sich frühzeitig und in überzeugender Weise von den verbrecherischen Zielen der RAF losgesagt zu haben. Klaus Jünschke legte detailliert dar, durch welche Umstände er in die Rote Armee Fraktion geriet und kam dabei u. a. auf die Kriegserfahrungen seines Vaters, die Beschäftigung mit Befreiungsbewegungen in der Welt und Abhandlungen über den Maoismus sowie seine Mitgliedschaften im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) und im Sozialistischen Patientenkollektiv (SPK) zu sprechen. „Infolge der Studentenunruhen Ende der sechziger Jahre kam es zu einer zunehmenden Radikalisierung und Brutalisierung, sodass sich innerhalb der Protestbewegung ein militanter Teil bildete“, erklärte Jünschke. Nach einer kontroversen Diskussion mit den Teilnehmern insbesondere über die gewaltsamen Mittel zur Umsetzung der RAF-Ziele fand er abschließend versöhnliche Worte. So gehe es ihm nicht um eine Aufrechnung, weshalb sowohl die Seite der Verfolgungsbehörde als auch die der Täter beleuchtet und aufgearbeitet werden solle.

Der letzte Tag führte an einen Ort, der im direkten Bezug zum Terrorismus stand: die Justizvollzugsanstalt (JVA) Stuttgart-Stammheim, in deren siebentem Stock, der besichtigt wurde, zeitweilig bis zu neun RAF-Mitglieder untergebracht waren. Hatte Manfred Klink von der „Mär der Isolationsfolter“ und Klaus Jünschke von einer inhumanen, ihn psychisch zermürbenden Einzelhaft in der JVA Diez gesprochen, relativierte der Vollzugsdienstleiter Peter Jesse mit Blick auf Stammheim diese Auffassungen: „Die erste Generation der RAF war geradezu frei beweglich, zumal sogar weibliche und männliche Terroristen Kontakt halten durften. Eine strengere Abtrennung gab es erst während der zweiten und dritten Generation – dennoch würde ich eher von Isolation, nicht von Isolationsfolter, sprechen.“

Der Vortrag „Linksextremismus, Rechtsextremismus, Islamismus – Aktuelle Terrorismus-Tendenzen und Ausblick“, der von Dr. Bettina Blank, Markus Kaiser und Yvonne Oelschläger vom Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg gehalten wurde, rundete die Studienreise ab. Kaiser sieht im Islamismus die gegenwärtig präsenteste und bedrohlichste Form des Extremismus.

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