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Länderberichte

Zwischen Legitimitätskrise und Hoffnungsschimmer

von Gregor Jaecke, Michaela Balluff

Der Irak vor den Parlamentswahlen am 10. Oktober 2021

Zwei Jahre nach dem Ausbruch landesweiter Proteste im Irak sollen am 10. Oktober 2021 vorgezogene Parlamentswahlen stattfinden. Obwohl dies eigentlich eine der zentralen Forderungen der Protestbewegung war, werden vermutlich viele von ihnen den Urnengang boykottieren. Eine radikale Veränderung der politischen Landschaft oder gar eine Überwindung des ethno-konfessionellen Systems ist auf kurze Sicht nicht zu erwarten, dennoch stellt die Wahl eine Art Richtungsentscheidung dar: Wird das Land zukünftig zum Spielball des Nachbarlandes Iran oder strebt es eine eigenständige Rolle in der Region an, die in der Balance ausländischer Einflüsse liegt.

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Vorgezogene Wahlen als zentrale Forderung der Protestbewegung

Anfang Oktober 2019 begannen im Irak Massenproteste, die monatelang andauerten und erst durch die globale Covid-19-Pandemie an Momentum verloren. Die Demonstrierenden forderten bessere staatliche Dienstleistungen, insbesondere eine Verbesserung der Wasser-, Gesundheits- und Stromversorgung, sowie Maßnahmen gegen die hohe Arbeitslosigkeit und die Bekämpfung der tiefgreifenden Korruption und Vetternwirtschaft. Die landesweite Protestwelle wurde vom teils gewaltsamen Eingreifen unterschiedlicher Sicherheitskräfte und Übergriffen Iran-naher Milizen überschattet, die mehr als 600 Tote und rund 20.000 Verletzte forderten. Aufgrund der anhaltenden Demonstrationen trat Iraks Premierminister Adel Abdul-Mahdi Ende November 2019 zurück. Die Suche nach einem Nachfolger stürzte das Land in eine sechs Monate andauernde Regierungskrise. Nachdem die beiden ersten Anwärter für den Posten an der Zustimmung des irakischen Parlaments scheiterten, stimmte eine Mehrheit schließlich im Mai 2020 für Mustafa al-Kadhimi als neuen Premierminister. Dieser versicherte, nach Amtsantritt, vorgezogene Wahlen durchzuführen sowie das Wahlgesetz zu reformieren, eine weitere zentrale Forderung der Protestierenden. Der zunächst angekündigte neue Wahltermin am 6. Juni – beinahe ein Jahr vor dem regulären Termin im Mai 2022 – wurde aus technisch-organisatorischen Gründen letztlich auf den 10.
Oktober verlegt. 

 

Das neue Wahlgesetz: Stärkung von Personen anstatt Parteien

Die Wahlen im Oktober sind die sechsten Parlamentswahlen im Irak nach der US-Invasion 2003 und dem Sturz des Diktators Saddam Hussein. Seit den ersten demokratischen Wahlen im Jahr 2005 durchlief das irakische Wahlsystem einige Änderungen. Auf die Forderungen der Protestbewegung hin, verabschiedete das irakische Parlament 2019 ein neues Wahlrecht, das jedoch erst elf Monate später ratifiziert wurde. Die wesentlichen Änderungen umfassen eine neue Einteilung des Irak in 83 Wahlbezirke anstatt der zuvor bestehenden 18. Aus jedem Wahlbezirk werden, je nach Bevölkerungsdichte, drei bis fünf Abgeordnete ins Parlament gewählt, mindestens eine davon muss eine Frau sein.[1] Jede gewählte Person

vertritt dabei rund 100.000 Bürger und Bürgerinnen. Die Kandidaten und Kandidatinnen müssen aus ihrem jeweiligen Wahlbezirk stammen oder dort leben, ihr Mindestalter wurde von 35 auf 28 Jahre gesenkt. Die Protestbewegung, die sich vornehmlich aus jungen Irakern und Irakerinnen zusammensetzt, hatte die vergleichsweise hohe Altershürde zuvor kritisiert. Beinahe 50 Prozent der irakischen Bevölkerung sind unter 18 Jahren alt, somit sind von den über 40 Millionen Einwohnern nur etwa 25 Millionen wahlberechtigt.

Des Weiteren werden von den insgesamt 329 Parlamentssitzen neun für Minderheitenvertreter (wie beispielsweise Christen und Jesiden) reserviert. Die circa 1,3 Millionen Binnengeflüchteten im Land können in speziellen Wahllokalen für ihren jeweiligen Bezirk abstimmen. Insgesamt gibt es 3.249 Bewerber und Bewerberinnen, der Frauenanteil beträgt immerhin 29 Prozent. Zukünftig wird es außerdem keine (Partei)-Listenwahl mehr geben, sondern jeder Wähler und jede Wählerin hat eine Stimme, mit der er oder sie direkt Kandidaten und Kandidatinnen aus den entsprechenden Wahlkreisen wählt. Dies schränkt ohne Zweifel den Einfluss der Parteien ein und stärkt die Beziehung zwischen Wählenden und Gewählten.

 

Wahlen in der Legitimitätskrise

Trotz des neuen Wahlgesetzes zweifeln weiterhin viele Iraker und Irakerinnen daran, dass die Abstimmung demokratischen Grundsätzen gerecht wird. Die Wahlbeteiligung nahm in den letzten Jahren kontinuierlich ab. Während sie 2005 noch bei fast 80 Prozent lag, sank sie bis 2018 auf 44,5 Prozent. Der Trend zeigt die zunehmende Desillusionierung und den Vertrauensverlust der Menschen in das politische System des Landes. Auch eine im Herbst 2020 von der KAS in Auftrag gegebene repräsentative Meinungsumfrage bestätigt dies: Eine große Mehrheit der Bevölkerung hat eine sehr negative Einstellung gegenüber der Regierung sowie den politischen Parteien, einzige Ausnahme ist der amtierende Premierminister al-Kadhimi.[2] Auf die Parlamentswahlen 2018 folgte eine schwierige und langwierige Regierungsbildung, die von einem politischen Kräftemessen und Vorwürfen des Wahlbetrugs gezeichnet war. Auch die anhaltende Wirtschaftskrise und die instabile Sicherheitslage werden vermutlich einen negativen Effekt auf die Wahlbereitschaft haben. Der Urnengang am 10. Oktober dürfte somit ein Prüfstein dafür sein, ob die Bevölkerung überhaupt noch Vertrauen in ihr komplexes politisches System hat oder die Entfremdung weiter voranschreitet.

Um das Vertrauen ins Wahlergebnis zu steigern und die Möglichkeiten des Betrugs zu verringern, sollen im Oktober erstmals biometrische Wahlkarten und eine elektronische Stimmzählung eingesetzt werden.[3] Ziel ist es, ein mehrfaches Abstimmen zu vermeiden. Außerdem können so die Ergebnisse direkt an die Unabhängige Hohe Wahlkommission des Irak (IHEC) übermittelt werden – das Wahlergebnis soll schon innerhalb weniger Stunden nach Schließung der Wahllokale bekannt gegeben werden. Eine weitere Maßnahme zur Absicherung der Wahlen ist die Einsetzung von internationalen Wahlbeobachtern. Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen (UN), Linda Thomas-Greenfield, erklärte Ende August, dass die USA erneut 5,2 Millionen US-Dollar für die Unterstützungsmission der UN im Irak (UNAMI) bereitgestellt haben. Deutschlands Anteil beträgt 1 Million Euro. Die UN und die Europäische Union (EU) stellen je 130 internationale Wahlbeobachter, damit handelt es sich um die insgesamt größte Wahlbeobachtungsmission ihrer Art weltweit.[4] Marsin Alshamary, Fellow der Middle East Initiative, warnt jedoch, dass auch internationale Beobachter nur begrenzte Mittel hätten, um Wahlbetrug zu vermeiden. Sie könnten ihn zwar möglicherweise eindämmen, aber nicht gänzlich verhindern.[5]

Während die irakische Regierung darauf pocht, dass die Anwesenheit der internationalen Vertreter der Wahl mehr Legitimität verschaffe, kam es im Vorfeld bereits zu Verhaftungen von Mitarbeitern der IHEC. Sie werden der Wahlmanipulation beschuldigt, da sie falsche Informationen über Politiker online gestellt haben sollen. Weiterhin zweifeln viele an einem fairen Wahlprozess, ein ehemaliger Wahlkommissar berichtete der KAS, dass selbst er nicht an eine Wahl frei von Betrug glaube.

 

Wahlboykott als politisches Mittel?

Weitere Skepsis an der Aussagekraft der Wahlen kam mit dem Boykott-Aufruf des populären schiitischen Klerikers und Politikers Muqtada al-Sadr am 15. Juli 2021 auf, dessen Sairoun-Bewegung als stärkste Kraft aus den Parlamentswahlen 2018 hervorgegangen war. Der irakische Nationalist und Populist, der nicht gerade für seine politische Berechenbarkeit bekannt ist, hat eine große schiitische Gefolgschaft und kontrolliert eine der stärksten Milizen des Landes.[6] Ein Boykott seinerseits hätte vermutlich eine extrem niedrige Wahlbeteiligung sowie einen inner-schiitischen Rift zur Folge gehabt. Es war nicht das erste Mal, dass Sadr dem politischen System den Rücken kehrte, um eigene Machtinteressen zu verfolgen.[7] Experten sehen in dem zeitweiligen Rückzug Sadrs den Versuch, Gesicht zu wahren und sich öffentlicher Kritik zu entziehen, indem er versucht, den Anschein zu erwecken, nicht Teil des (verhassten) politischen Systems zu sein, obwohl seine Bewegung mehrere Schlüsselministerien besetzt, darunter das Gesundheits- und Elektrizitätsministerium. Insbesondere diese beiden Ressorts waren in den vergangenen Monaten stark in die Kritik gekommen, nachdem mehrere verheerende Brände in Krankenhäusern zahlreiche Tote forderten und sich die ohnehin unzureichende Stromversorgung des Irak weiter verschlechterte. Am 27. August 2021 revidierte al-Sadr allerdings seine Entscheidung, die Wahl zu boykottieren und nimmt nun mit seiner Partei doch wieder daran teil.

Weiterhin rufen zahlreiche Mitglieder der jungen Protestbewegung zum Wahlboykott auf (so auch zuletzt im Rahmen einer Zusammenkunft in Bagdad am 4. September 2021), da sie die Integrität, Fairness und Chancengleichheit des Wahlprozesses und der daran beteiligten Akteure in Frage stellen. Die großen Hürden wie zum Beispiel das noch immer recht hohe Mindestalter für Kandidaten und Kandidatinnen (28 Jahre) und die enormen Kosten, machen es für unabhängige Anwärter zudem recht schwierig, sich für die Wahl zu registrieren. Um eine neue Partei im Irak anzumelden, müssen neben 3.000 Unterschriften aus drei Provinzen umgerechnet 20.500 US-Dollar an Registrierungsgebühren bezahlt werden. Jeder Kandidat, der sich zur Wahl aufstellt, muss außerdem rund 6.850 US-Dollar hinterlegen. Dies bedeutet, dass viele Parteien nur eine geringe Anzahl an Bewerbern und Bewerberinnen landesweit unterstützen und somit bereits etablierte Parteien, die über entsprechendes Kapital verfügen, mehr Kandidaten und Kandidatinnen aufstellen können. Einzelne Figuren der Protestbewegung wurden außerdem von etablierten Parteien abgeworben. Während es einigen neuen Parteien trotzdem gelang, die notwendigen Mittel zusammenzutragen, zogen viele ihre Teilnahme Anfang Mai 2021 wieder zurück, nachdem der bekannte Aktivist Ihab al-Wazni in Karbala ermordet wurde. Die Angst um Leib und Leben, d.h. konkret vor Entführungen und gezielten Tötungen durch pro-iranische Milizen, schreckt viele Menschen davor ab, als Kandidat oder Kandidatin anzutreten oder sich im Wahlkampf für einen unabhängigen Bewerber oder eine unabhängige Bewerberin einzusetzen.[8]

Trotz all der oben erwähnten Punkte, würde ein Wahlboykott letztlich dazu führen, dass die alten Eliten konkurrenzlos bleiben, sie damit ihre Macht weiter zementieren können und die Protestbewegung von der parlamentarischen Willensbildung weitgehend ausgeschlossen bleibt. Eine niedrige Wahlbeteiligung macht es darüber hinaus einer neuen Regierung nicht einfacher, die notwendige Legitimität für sich zu beanspruchen, um die zahlreichen Herausforderungen, mit denen sich das Land konfrontiert sieht, anzugehen.

 

Richtungswahl, aber ohne große Veränderung der politischen Landschaft

Aller Voraussicht nach wird es auch bei dieser Parlamentswahl keinen klaren Gewinner mit mehr als 100 der 329 Parlamentssitze geben. Wie schon 2018 dürfte al-Sadrs Sairoun-Bewegung die größte Anzahl an Abgeordneten stellen. Auch die anderen etablierten schiitischen Parteien und Bündnisse, wie die Iran-nahe Al-Fateh-Bewegung (Zweitplatzierter 2018), die (nicht pro-iranisch ausgerichtete) National State Forces Alliance[9] sowie die kurdischen und sunnitischen Parteien werden vermutlich – mit geringen Verlusten – in etwa ihr Ergebnis von 2018 halten. Es ist davon auszugehen, dass sowohl die Sadristen und die Kurdistan Democratic Party (KDP) als auch die Al-Fateh und die Patriotic Union of Kurdistan (PUK) ihr informelles Bündnis von 2018 aufrechterhalten werden. Entscheidend ist die Frage, ob die Vielzahl an mittelgroßen pro-iranischen Parteien gestärkt aus der Wahl hervorgehen werden oder politische Parteien und Blöcke die Oberhand gewinnen, die dem Einfluss Teherans ablehnend oder zumindest kritisch gegenüberstehen. In dieser Hinsicht kann der Urnengang auch als eine Art Richtungswahl zwischen einem Irak gesehen werden, der zum Spielball des Iran wird oder eine eigenständige Rolle in der Region anstrebt, die auch in der Balance zwischen westlichem und iranischem Einfluss liegt. Wer in den kommenden Jahren das Sagen in Bagdad hat, wird beispielsweise dann von großer Relevanz sein, wenn es in naher Zukunft darum gehen wird, inwieweit eine (auf bis zu einer Truppenstärke von 4.000 Soldaten und Soldatinnen angewachsene) NATO-Mission zusammen mit den irakischen Streitkräften den Kampf gegen die im Untergrund agierende Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) fortführt.

Was die politische Landschaft betrifft, sind keine allzu großen Überraschungen zu erwarten, meint der Vorsitzende des Iraq Advisory Council, Farhad Alaaldin: „Die Wahlen werden den Einfluss einiger alteingesessener Kräfte vermindern, einige bekannte Gesichter, wie Ayad Allawi, dürften aus der irakischen Politik verschwinden, und der Einfluss anderer, wie Nouri al-Maliki, wird geringer. Es gibt eine große Anzahl an unabhängigen Kandidaten, was die Kräftebalance in vielerlei Hinsicht verändern könnte.“[10] Doch auch mit weniger Sitzen im Parlament werden die traditionellen Parteien und Blöcke die Regierungsbildung und das irakische Machtgefüge weiter kontrollieren, denn sie wissen, wie das System funktioniert, haben jahrzehntelange Netzwerke aufgebaut, sich Loyalitäten erkauft und besitzen wichtige Kanäle der Wählermobilisierung und -bindung (wie etwa eigene Medienanstalten). Somit werden diese Kräfte die politische Landschaft im Irak noch viele Jahre weiter entscheidend prägen. Die Parteien aus der Protestbewegung werden bei dieser Wahl vermutlich nur eine kleine Anzahl an Sitzen erhalten, da sie entweder – wie oben erwähnt – aus unterschiedlichen Gründen nicht an der Wahl teilnehmen oder aufgrund ihrer Zersplitterung nicht in der Lage waren, einen einheitlichen Block zu bilden, um gemeinsam schlagkräftig anzutreten.[11]

Trotz all dieser Punkte ist optimistisch anzumerken, dass langfristig der Einzug neuer, unabhängiger und säkularer Kräfte ins Parlament den Grundstein für eine Politik legen kann, die den Fokus im Irak weg von einer Identitätspolitik, die auf Konfession und Ethnie basiert, hin zu einer programmbasierten Politik verschieben könnte. Auch haben die Proteste seit 2019 zweifellos zur Entwicklung eines irakischen Selbstverständnisses jenseits von ethnisch-konfessionellen Trennlinien beigetragen.[12] Ein Aufbrechen der alten Strukturen sowie nicht zuletzt der Einzug von jungen, reformorientieren Abgeordneten ins irakische Parlament dürfte
zunächst neue Impulse setzen. Langfristig gesehen könnte dies auch den Glauben an die irakische Demokratie stärken und einen wichtigen Beitrag leisten, das verlorengegangene Vertrauen ins Parlament, die Regierung und andere staatliche Institutionen wiederherzustellen.  

All dies wird ohne Zweifel seine Zeit brauchen und sicherlich einhergehen mit weiteren Protesten von vor allem jungen Irakern und Irakerinnen, die sich eine rasche und nachhaltige Verbesserung ihrer schwierigen Lebensumstände erhoffen.

 


 

[1] Aus den 329 Sitzen des Parlaments müssen laut irakischem Wahlgesetz mindestens 25% der Sitze an Frauen gehen.

[2] 50% der Befragten gaben eine sehr positive oder positive Haltung gegenüber dem Premierminister an, während 90% eine Abneigung gegenüber den politischen Parteien, 69% gegenüber dem Parlamentssprecher und 64% gegenüber der Regierung erklärten. Vgl.: Konrad-Adenauer-Stiftung, Opinion Poll on the Protest Movement in Iraq, November 2020.

[3] Laut der IHEC ist jedoch eine große Anzahl der Iraker und Irakerinnen noch immer nicht biometrisch registriert und verfügt weiterhin nur über die alten Wahlkarten.

[4] Vlg.: United States Mission to the United Nations, Remarks by Ambassador Linda Thomas-Greenfield at a UN Security Council Briefing on Iraq, 25. August 2021. Auch das KAS-Auslandsbüro Syrien/Irak bildet zusammen mit irakischen Kooperationspartnern landesweit Wahlbeobachter aus und unterstützt in vielfacher Hinsicht die Wahlen im Irak z.B. durch das Training von Kandidaten und Kandidatinnen sowie durch diverse Workshops zur politischen Wählerbildung und -mobilisierung.

[5] Marsin Alshamary im Interview am 3. September 2021.

[6] Während al-Sadr sich gegen den Einfluss aller ausländischer Kräfte im Irak ausspricht, näherte er sich nach der Tötung des iranischen Generals Qassem Soleimani und des irakischen Milizen-Anführers Abu Mahdi al-Muhandis durch eine US-Drohne im Januar 2020 wieder dem Iran an.

[7] Sowohl 2007 als auch 2013 nahmen die Sadristen an der Regierungsbildung teil und stellten verschiedene Minister, nur um sich einige Zeit später von der Regierung zu distanzieren und der Opposition beizutreten. Auch 2019 unterstützte die Sairoun-Bewegung zunächst die Antiregierungsproteste, während sie gleichzeitig elementarer Teil der Regierung war.

[8] Die irakische Menschrechtskommission ging im Mai 2021 davon aus, dass seit Beginn der Proteste im Oktober 2019 insgesamt 81 Mordanschläge auf irakische Aktivisten und Aktivistinnen sowie Journalisten und Journalistinnen durchgeführt wurden, 34 Menschen verloren dabei ihr Leben.

[9] Bei der National State Force Alliance handelt es sich um ein Bündnis zwischen der Al-Nasr Partei des ehemaligen Premierminister Haider al-Abadi (2014-2018) sowie der Al-Hikma Bewegung unter Ammar al-Hakim.

[10] Farhad Alaaldin im schriftlichen Interview am 1. September 2021. Der ehemalige Vizepräsident Ayad Allawi (2014-2015 und 2016-2018) und seine Partei Iraqi Platform kündigten nach dem Rücktritt Sadrs ebenfalls einen Boykott der Wahlen an. Der ehemaliger Premierminister Nouri al-Maliki (2006-2014) führt die pro-iranische State of Law-Bewegung in der Wahl an.

[11] Auch die Zielsetzung der einzelnen Akteure innerhalb der Protestbewegung ist teilweise sehr unterschiedlich: während die einen das gesamte politische System zu Fall bringen wollen, fordern andere lediglich eine Reform desselben.

[12] Siehe auch: Konrad-Adenauer-Stiftung, Jugendrevolte oder identitätsstiftende Bewegung? Oktober 2020.

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Leiter des Auslandsbüros Irak

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