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Veranstaltungsberichte

„Wir müssen die Legendenbildung stoppen“

Rudolf Seiters zu 20 Jahren Friedlicher Revolution

Grenzöffnung in Ungarn, die Botschaftsflüchtlinge, die unvermittelte innerdeutsche Grenzöffnung und schließlich der Einigungsvertrag – in Oldenburg und Lingen zog Dr. Rudolf Seiters, Kanzleramtsminister in der Zeit des Mauerfalls, ein Resümee zu 20 Jahren friedlicher Revolution.

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Knapp 300 Gäste waren am 3. September der Einladung im Rahmen der KAS-Rednertour ins Oldenburger PFL gefolgt (zum NWZ-Bericht >>>). Tags darauf sprach Seiters vor und mit etwa 250 Schülern des Lingener Gymnasium Georgianum (zum Bericht der Lingener Tagespost >>>). Dabei erinnerte er daran, dass der Prozess, der zur deutschen Einigung geführt hatte, nicht zuletzt dem Mut der ungarischen Führung zu verdanken gewesen war. Ihr Entschluss, die Grenzen nach Österreich zu öffnen, sei, wie Seiters betonte, "ein klarer Vertragsbruch" mit den Nachbarn des Warschauer Pakts gewesen und angesichts der nicht vorhersehbaren Reaktion der Sowjetunion ungeheuer mutig. Seiters: "Eine großartige Tat!"

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Dieter Holzapfel (DRK-Landespräsident), Manfred Carstens (Staatssekretär a.D.), Dr. Rudolf Seiters und Dr. Stefan Hofmann (v.l.)

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"Dankbar, dass der Fall der Mauer friedlich verlief": Dr. Rudolf Seiters fesselte mit seinem Vortrag im Oldenburger PFL fast 300 Gäste.

Entscheidend: Vertrauen

Seiters, Mitglied des engsten Vertrautenkreises um Bundeskanzler Helmut Kohl, erinnerte in seinem Rückblick an die Größe der Ungarn, die, von Kohl auf "Gegenleistungen" für die Grenzöffnung angesprochen, antworteten: "Ungarn verkauft keine Menschen." Im Gegensatz dazu sei der Widerstand mancher europäischen Freunde gegen die Wiedervereinigung anfangs massiv gewesen. Der Zehn-Punkte-Plan, mit dem zunächst eine Annäherung der deutschen Staaten als Konföderation angestrebt worden war, sei bewusst und aus Rücksicht auf die europäischen Nachbarn so zurückhaltend formuliert gewesen. Seiters würdigte jedoch insbesondere die Treue des damaligen spanischen Regierungschefs, Felipe González, einem Sozialisten, zu Deutschland, sowie an den Meinungsumschwung des französischen Präsidenten François Mitterrand. Größte Bedeutung habe jedoch das Vertrauensverhältnis zwischen Kohl und dem US-Präsidenten George Bush sowie zu Michail Gorbatschow gehabt. Angesicht von Gerüchten über angebliche Übergriffe gegen sowjetische Bürger und Militärangehörige nach der Grenzöffnung ließ der sowjetische Präsident bei Kohl anfragen, ob dies stimme. Der Kanzler gab die Botschaft zurück, dass alles ruhig sei. Und Gorbatschow vertraute.

"Wir sind dankbar, dass die deutsche Einigung ohne Blutvergießen zustande kam."

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Rückblick auf turbulente Tage im Kanzleramt: Rudolf Seiters im PFL

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Ein Oldenburger zog die Fäden im Finanzministerium: Manfred Carstens

Folter und Unrecht in der DDR

In seiner Retrospektive nannte Seiters wichtige Eckpunkte, die die Erosion der DDR-Diktatur umrissen: Die Botschaft der freien Ausreisemöglichkeit an die Flüchtlinge in der Prager Botschaft am 30. September 1989, die Grenzöffnung am 9. November 1989 und die Rede Helmut Kohls in Dresden am 19. Dezember 1989, bei der die damalige DDR-Führung dem Bundeskanzler alleine das Feld vor der Frauenkirche überlassen hatte, um sich Pfiffe und Unmutsrufe zu ersparen.

Seiters äußerte sich verständnisvoll gegenüber jenen, denen der Aufbau Ost zu schleppend vorankam. Wie marode die DDR in Wirklichkeit gewesen war, "das haben wir nicht geahnt". Zum Ablauf der Wiedervereinigung und zur Wirtschafts- und Währungsunion habe es jedoch keine Alternative gegeben. Das Zeitfenster, in dem kurz darauf die Vereinigung möglich gewesen war, sei angesichts des drohenden Putsches gegen Gorbatschow eng gewesen. Zudem habe man mit der Wirtschafts- und Währungsunion ein Zeichen gesetzt, um den Menschen in den künftigen neuen Ländern eine Perspektive zu geben, denn das "Ausbluten" der DDR in Richtung Westen war in vollem Gange. Doch Geld sei nur die eine Seite: Die geistige und kulturelle Herausforderung der Deutschen Wiedervereinigung sei mindestens ebenso groß wie die administrativ-ökonomische. Entschieden tat er jenen Tendenzen entgegen, die das DDR-Unrechtsregime im Nachhinein schönreden wollten: Er verstehe, dass die Menschen in der DDR nicht ihre Lebensleitung entwertet sehen wollen. Doch: "Es hat in der DDR Folter und Unrecht gegeben." Mauer, Stacheldraht, Selbstschussanlagen und Minen an der Grenzen sprächen eine deutliche Sprache. Seiters: "Wir müssen die Legendenbildung stoppen!"

Seiters erinnerte daran, dass das Ende des Kalten Krieges nicht ohne die Initiative unserer Nachbarn denkbar gewesen wäre. Stichpunkte: Solidarnosc, der polnische Papst, Ungarn, die Öffnungspolitik Gorbatschows. Die deutsche Wiedervereinigung, aber auch die Standfestigkeit während des Kalten Krieges sowie das Beharren auf der Westbindung auch des geeinten Deutschlands, seien ein Grund stolz zu sein, und beim Engagement für ein geeintes Europa nicht nachzulassen: "Die Freiheit ist uns nie geschenkt worden!"

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Dr. Seiters berichtet vor etwa 250 Schülern im Lingener Gymnasium Georgianum

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Erster Kreisrat Reinhard Winter, Dr. Rudolf Seiters und Georgianum-Schulleiter Heinz Buss

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