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Event Reports

Sicherheit in Zeiten des internationalen Terrorismus

Herausforderung für Staat und Gesellschaft

Um über die Herausforderungen für Staat und Gesellschaft angesichts der gegenwärtigen Sicherheitsdebatte ins Gespräch zu kommen, hatte das Politische Bildungsforum der Konrad-Adenauer-Stiftung ins Kurhaus nach Bad Kreuznach eingeladen. Hier bot sich den Gästen die Gelegenheit des Austauschs mit ausgewiesenen Experten zum Thema.

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Karl-Heinz B. van Lier

Begrüßung und Einführung

Seit 2015 ist der Terror des IS in Europa angekommen und hat 2016 auch Deutschland erreicht. Die Bilder vom Breitscheidplatz gingen um die Welt und zeigten, dass auch wir nicht vor Terroranschlägen gefeit sind.

Die islamistische Szene in Deutschland wächst indes kontinuierlich weiter. Mittlerweile gehen die Behörden von bis zu 1600 Menschen mit islamistisch-terroristischer Einstellung und um die 10.000 Personen innerhalb der salafistischen Szene aus.

Demgegenüber stehen die Bemühungen der Politik und der Behörden, durch schärfere Gesetze und erweiterte Befugnisse dem Trend entgegenzuwirken. Längere Abschiebehaft und strengere Wohnsitzauflagen sind nur zwei Beispiele der verschärften Abwehrmaßnahmen aus dem Innenministerium.

Und eines sollten wir unbedingt beachten: Es geht bei der Gewährleistung von Sicherheit immer auch um die Bewahrung unserer freiheitlichen Gesellschaft, die wir als eine „offene“ verstehen. Denn es gibt keine Freiheit ohne Sicherheit! Deshalb dürfen wir uns nicht an Unsicherheit gewöhnen, weil damit unsere Freiheit auf dem Spiel steht.

Wie so etwas aussehen kann, hat Silvester 2016 in Köln gezeigt, wo nach Polizeiberichten kaum noch Frauen zu sehen waren. Dies ist ein Verlust an Freiheit – in diesem Fall – für die Frauen. Bei Großveranstaltungen, wo umfangreiche körperliche Durchsuchungen inzwischen an der Tagesordnung sind, bedeutet dies immer auch ein Verlust an Freiheit für die Allgemeinheit.

Der Umstand, dass derartige Kontrollen darauf angelegt sind, jeden Bürger zuerst einmal als potentiellen Gefährder zu betrachten, führt im Endeffekt zu einer Kultur des Misstrauens, die die offene Gesellschaft in ihrer Substanz gefährdet. Und zwar, weil die Unvoreingenommenheit dem Nächsten gegenüber, ein Wesensmerkmal der offenen Gesellschaft ist.

Hinsichtlich der Gefahr durch religiösen Extremismus bedarf es insbesondere Informationen aus den Radikalisierungsinstanzen wie Moscheen oder muslimischen Verbänden. So muss transparent gemacht werden, was in den jeweiligen Moscheen passiert, wie die Abhängigkeitsverhältnisse der Verbände vom Ausland aussehen und aus welchen Mitteln sie sich finanzieren. Darüber hinaus braucht es einen Plan, wie mit straffälligen Asylanten umgegangen wird und welche Maßnahmen gegen Parallelgesellschaften und no-go-areas unternommen werden.

Julia Klöckner, MdL

Sicher leben: Warum Freiheit einen wachsamen Staat braucht

Seit den Anschlägen in Deutschland sind wir als Gesellschaft damit konfrontiert Datenschutz, Sicherheit und Kontrolle gegeneinander aufzuwiegen. Solange alles gut ist, wollen wir nicht behelligt werden und möchten unseren Datenschutz haben. Wenn mal was passiert, soll über Nacht mehr Kontrolle und am besten flächendeckende Videoüberwachung her. Dass man die Gesetze nicht über Nacht ändern kann, wird oft vergessen. Man darf aber auch nicht außer Acht lassen, dass das allgemeine Gefühl von Unsicherheit nicht direkt mit Terror gleichzusetzen ist. Die Vorfälle in der Silvesternacht in Köln sind eine Frage von Sicherheit, nicht von Terror.

Wir sehen uns vielen verschiedenen Arten von Gefahren gegenüber. Organisierte Kriminalität, Bandenkriminalität, Cyberkriminalität und so weiter. Und der Terrorismus ist nicht immer islamistisch, man denke nur an die NSU. Kriege und Konflikte aber sind ein weltweites Phänomen. Überall dort, wo haltgebende Strukturen fehlen, da keimt Fanatismus und Extremismus. Dabei hat der Extremismus sehr viele Gesichter: religiös, rechts, links - allen gemein ist, dass extremistische Bewegungen gegen die Normen und Regeln des demokratischen Staates sind, gegen Maß, Mitte und gegen Kompromisse. Extremismus denkt in Gegensätzen und Kategorien, teilt die Welt in einfache Schubladen von „wir“ und „die anderen“, Freund und Feind und hier keimen Verschwörungstheorien und Überlegenheitsfantasien. Das Streben, seine Gegner durch Zwang dem eigenen Weltbild zu unterwerfen, die Kompromisslosigkeit solcher Bewegungen sind unvereinbar mit der Demokratie.

Der traurige Höhepunkt des Terrors in Deutschland war der 19. Dezember 2016 in Berlin mit den vielen Opfern und Verletzten. Doch die Opfer dieses Terroranschlags sind nicht nur Deutsche, sondern vielerlei Nationalitäten. Es zeigt sich, dass sehr viele Menschen, auch unterschiedlicher Herkunft, bereit sind, sich dem IS anzuschließen und seine Ziele durch Terror umzusetzen. Die Reaktion darauf ist dreifach: zum einen ist das eine extreme mediale Wirkung, dann gibt es eine Seite, die Deutschland nicht mehr als sicheres Land empfindet und eine Gegenseite, die das für übertrieben hält, aber ich glaube in der Mitte liegt irgendwo die Realität. Dann haben wir die verunsicherte Bevölkerung, die befürchtet, dass das morgen in Mainz oder Bad Kreuznach passiert. Die Politik schließlich ergeht sich in Überbietungen und Verharmlosungen. Was für uns aber wichtig ist, dass der IS zwar die Anschläge für sich reklamiert, aber es keine Fälle gab, in den der IS Täter nach Deutschland eingeschleust hätte. Dennoch ist es dem IS gelungen, von einer lokalen Gewalt zum Inbegriff des globalen Terrors zu werden, effektiv, flexibel und angepasst.

In Deutschland gab es insgesamt 400 Hinweise auf IS-Sympathisanten, und aus politischer Sicht ergibt sich die Frage: wie viel Geld setzt man ein, um präventiv zu arbeiten, was der Bürger im besten Falle gar nicht merkt. Aber ich möchte Ihnen etwas sagen zur Vermischung von Flüchtlingsstrom und Terrorismus: die dürfen wir auf gar keinen Fall gleichsetzen, denn die Flüchtlinge fliehen vor genau dem Terror in ihren Heimatländern, mit dem wir nun auch konfrontiert sind. Es ist besorgniserregend, dass die rechte Gewalt gegen Flüchtlinge sich verfünffacht hat. Hingegen gibt es keinen signifikanten Anstieg von Straftaten aus Flüchtlingsheimen heraus. Aber es gibt Straftaten, denn es gibt Menschen, die so perfide sind, unsere Toleranz dafür zu nutzen, ihre eigene, intolerante Weltsicht durchzusetzen. Wir unterschätzen aber auch oft das Potential der Anwerbung mit radikalem Gedankengut hier im eigenen Land und unter Migranten in zweiter und dritter Generation. Gegen den Terrorismus gehen wir aktiv vor, wir passen unsere Gesetzgebung an – so ist Terrorfinanzierung so wie das Reisen zu Terrorzwecken nun eine Straftat.

In jedem Fall brauchen wir als Partei einen Konsens in der Flüchtlingspolitik, und wir dürfen Radikalisierung nicht tolerieren. Das betrifft auch einen gewissen Feminismus. Wenn Frauen sich verschleiern sollen, Mädchen nicht am Schwimmunterricht teilnehmen dürfen, Lehrerinnen nicht die Hand gegeben wird, dann zeigt das eine Ablehnung unserer Gesellschaft gegenüber und das dürfen wir nicht einfach hinnehmen. Wir leben in einem sicheren Land, und damit das so bleibt, müssen wir aufmerksam bleiben.

Dr. Marwan Abou-Taam

Unser Land im Fokus von Terroristen: Radikalisierungsmechanismen in der offenen Gesellschaft erkennen und verhindern

Lassen Sie uns über Würde, Sicherheit und Freiheit reden.

Die Würde des einzelnen hängt sowohl an Freiheit als auch an Sicherheit. Freiheit bedeutet die Möglichkeit, Risiken einzugehen, Sicherheit aber die Verminderung von Risiken. Wie organisiert man also Sicherheit in einer freiheitlichen Umgebung?

Wie sieht die Lösung aus? Wir müssen als Gesellschaft lernen, wieder normativ zu denken. Etwas als Maßstab zu nehmen, etwas, das sich nicht täglich ändern kann. Der demographische Wandel, die Migration, das Zelebrieren der Unterscheide wird keine Gesellschaft produzieren, die in sich solidarisch und geschlossen ist. Wir feiern die Vielfalt, aber fragen nicht mehr, was uns zusammenhält.

Innenpolitische Sicherheit ist nicht zu organisieren ohne äußere Sicherheit. Die Ereignisse in Syrien wirken sich direkt auf uns aus. Dabei kommt der Terror nicht nur aus Syrien, wir haben auch die Problematik des home-grown terrorism.

Flüchtlingsströme verunsichern, weil sie eine politische Herausforderung sind und wir befürchten, die Kontrolle zu verlieren darüber, wer welche Komponenten wofür nutzt. Mit den vielen Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, reisen auch viele junge Männer ein. Junge Männer sind in allgemeinen Kriminalitätsstatistiken eine besonders anfällige Gruppe und damit eine sicherheitspolitische Komponente der Krise. Doch die Ursachen des internationalen Terrors sind von Indonesien bis Marokko gleich. Der weltweite Islam befindet sich in einer Situation der Zuspitzung und da spielt die enge Verbindung zwischen den Muslimen in nicht muslimischen Ländern und ihren Herkunftsländern eine Rolle. Der politische Islam entwickelt sich zu einer Jugendprotestkultur, getragen von jungen Menschen, die kaum eine Verbindung in Herkunftsländer ihrer Familien haben, aber deren Konflikte auszuleben suchen auf der Basis von Hassideologien. Der Hass gegen Ungläubige ist eine der Komponenten, aus denen sich eine nach innen starke Identität aufbaut, die auf Religion basiert. Eine Tatsache, die man nicht übergehen darf, ist, dass alle Islamisten Muslime sind: kein einziger Islamist bezieht sich auf Buddha.

Wie kann nun eine Lösung aussehen? Der Islam braucht nicht mehr und nicht weniger als einen Hausputz der islamischen Theologie. Es gibt auch eine Mitte unter den Muslimen, die durchaus so denkt. Wichtig ist auch, dass wir diesen Diskurs als Gesellschaft führen, denn, wenn wir in der Mitte der Gesellschaft bestimmte Probleme nicht diskutieren, schaffen wir Räume für Extremisten und die Lösungen, die die Extremisten anbieten, werden extremistisch sein.

Im Fokus unserer Aufmerksamkeit sind die Anschläge in Deutschland. Allerdings hat der Islamismus seit 2000 weltweit 61000 Terroranschläge verübt mit 140.000 Toten, davon etwa 400 in Europa. Die Mehrheit der Opfer sind Muslime. Hier sind auch Muslime als Opfer gefragt. Ich kenne keine theologische islamische Position, die den Terror widerlegt. Die Radikalisierung bedarf der autoritativen Gegen-Narrative, die aber nicht existieren. Entweder ist das der Islam, oder es ist Missbrauch des Islams und an diese Fragen müssen Muslime ran.

Dr. Necla Kelek

Wie gehen wir mit Integrationsverweigerern um? Wo stehen die Islam-Verbände?

Integration und Sicherheit sind eng zusammenliegende Prinzipien, und wir brauchen heute mehr denn je ein Integrationskonzept.

Wenn Migranten nach Deutschland kommen und sehen, es gibt Rahmen, die man einhalten muss, in dem jeder einzelne und die kulturelle Gruppe ihr Leben hier gestalten, ihre Kultur und Identität finden kann, dann haben wir schon gewonnen. Dafür brauchen wir ein Integrationskonzept, denn die Dinge laufen nicht so wie sie sollen. Aber zur Klärung erst: integriert ist, wer die Gepflogenheiten des Landes kennt, die Werte und Prinzipien einer Gesellschaft akzeptiert. Das wäre ein Minimalkonsens, wenn wir das einfordern würden, aber wir tun es nicht.

Jetzt haben sich die Muslime organsiert und postulieren ihre eigenen Vorstellungen von Integration. Ihre Sprachrohre sind die Moscheen. Dort predigen Beamte des türkischen Staates, die für fünf Jahre hierher entsandt werden und die Gläubigen jeden Freitag mit Predigten versehen. Dabei pochen sie auf ihr Recht auf Glaubensfreiheit. Nun existieren diese Moscheen und türkische Imame seit 30 Jahren hier in Deutschland, sie waren gekommen, um sich um die türkische Bevölkerung hier in Deutschland zu kümmern. Das ist soweit in Ordnung, das Problem ist aber die extreme Abhängigkeit der Moscheen von ihren Herkunftsländern, die die muslimischen Werte auch gegen die deutsche Verfassung durchzusetzen versucht.

Muslimische Gesellschaften haben ganz eigene Vorstellungen und Konzepte von Familie und in diesen Konzepten liegt ein grundlegendes Problem. Die idealtypische muslimische Familie ist streng geordnet. Das Familienrecht geht hier über das Personenstandsrecht und das Familienrecht ist in den Händen der Imame, die die Scharia über die Verfassung setzen. Die Rollen von Männern und Frauen sind sehr streng festgelegt. Die Familie bildet und kontrolliert die Sexualität der Frau, voreheliche Sexualität gilt als Todsünde und aus dem Sexualverhalten der Frauen und Töchter bezieht eine Familie ihr Ehrgefühl. Nur in der Familie hat die Frau einen Platz, außerhalb soll sie sich nicht ohne männliche Begleitung eines Verwandten bewegen, weder fremden Männern, noch fremden Frauen begegnen. Kreativität, freie Entfaltung wird somit auf beiden Seiten verhindert, denn eine Frau ist nie allein und jeder Mann trägt die Verantwortung für seine Frau, seine Schwestern und Töchter. Diese Verantwortung erdrückt auch die Jungen. Mädchen werden in diesen Gesellschaften früh verheiratet, da sie unverheiratet und ohne Mann wie ohne Verstand seien, ohne Kopf und ohne Daseinsberechtigung. Dabei ist die Ehe kein sakrales und exklusives Bündnis zweier Menschen, sie ist vielmehr ein Familienvertrag und wird zwischen Familien geschlossen und dienen den Zwecken der betreffenden Familien. Wenn eine Frau arbeitet, so arbeitet sie nie für sich, sondern für ihre Familie. Auch sollen Frauen früh Kinder bekommen, denn durch Kinder sind sie kontrollierbar. Scheitert eine Ehe, so kann ein muslimischer Mann seine Frau verstoßen, aber die Kinder gehören dem Vater, nicht der Mutter. Keine Frau würde einen solchen Preis bezahlen. Dadurch werden Frauen aber auch zu Mittäterinnen und Reproduzieren diese Strukturen. Lassen Sie mich Ihnen sagen: ich kenne diese Frauen – sie sind nicht glücklich. Aus diesen Strukturen beziehen Diktaturen ihre Macht und ihre Stabilität. Die Unterdrückung der Frau als Gefangene der Familie ist im Koran verwurzelt und macht es den Mädchen und Frauen unmöglich, sich zu vernetzen, ihre Interessen durchzusetzen, irgendwelche Bewegungen zu beginnen. Auf dieses Konzept setzen aber Muslime und die Verschleierung ist ein Symbol dafür.

Wir haben aber als Gesellschaft die Möglichkeit, und diese Möglichkeit müssen wir diesen Frauen zeigen und geben, ihnen einen Weg aufzeigen, in Freiheit und Selbstbestimmung zu leben. Dann haben wir eine Chance.

Düzen Tekkal

Integration kann gelingen! Parallelgesellschaften schaden allen

In den Medien rumort es: Wahlkampfauftritte Erdogans, sollen wir sie gestatten oder nicht? Trotz all der Aufregung: Erdogan erfüllt gerade eine wichtige Aufgabe.

Die Tatsache, dass wir hier in dieser Gesellschaft immer wieder Werte heraufbeschwören, aber nicht unterrichten, führt zu einem Kontrollverlust. Und das ist in dem Moment eine Gefahr, wenn Menschen herkommen, die ganz genau wissen, wo sie herkommen, wer sie sind und was sie wollen. Diese Menschen meinen Erdogan, wenn sie von ihrem Präsidenten sprechen, nicht Gauck, obwohl sie in dritter Generation hier leben. Davor haben wir lange gewarnt, aber wir waren allein. Als ich mein letztes Buch veröffentlicht habe, wurde gesagt, es sei populistisch, doch jetzt hat sich alles bewahrheitet. Jetzt müssen wir – und es ist höchste Zeit dafür – den Finger in die Wunde legen und reden.

Wir laufen Gefahr, die Demokratie zu verlieren, weil uns der Glaube daran abhandenkommt. Wir haben immer noch keine Strukturen, die definieren, inwiefern und in welchem Sinne Deutschland ein Einwanderungsland ist. Aber es ist eins, und eins der größten. Dieser Kontrollverlust wird in der Bevölkerung stark wahrgenommen: es passiert etwas, wo meine Stimme, die Wählerstimme allgemein, meine Meinung nicht relevant ist. Aber wir müssen anfangen, das zu ändern. Damit lösen wir nicht alles, aber ein Anfang wäre es. Wir stehen vor neuen Herausforderungen. Wir müssen uns mit dem ungeliebten Thema Integration beschäftigen, denn dieses Thema hat Trump ermöglicht, Brexit ermöglicht und wird die Bundestagswahl beeinflussen.

Wir als Gesellschaft und als Politik kommunizieren nicht hinreichend: viele haben das Gefühl, dass es Tabuthemen gibt, dass ihre Meinung nicht ausgesprochen werden kann. Und da beginnt auch die dichotomische Welt von Gut gegen Böse, Wir gegen die anderen, da kommen Hassprediger ins Spiel und das Selbstverständnis als Opfer. Wir wissen alle aus der Geschichte, dass Opfer herrschen wollen. Wer sich selbst als Opfer sieht, kann den Feind entmenschlichen, und wozu das führt, haben wir im Nationalsozialismus gesehen. Das sehen wir aber auch im Verhalten der Türkei im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsabkommen. Für diese Zwangsheirat bezahlen wir einen extrem hohen Preis, denn an Punkten werden Werte verhandelt und jetzt gegen uns verwendet. Die Türkei betreibt einen Ideologieexport, der politische Islam wird über Verbände infiltriert. Verbände und Moscheen erscheinen im Gewand der Integration, aber was ist drunter? Was wird in Freitagspredigten erzählt? Da wird gefährlich oft gegen Minderheiten gehetzt, ganz im Sinne des IS.

Religion ist stets verhaltensbestimmt und will herrschen, deswegen ernten die Salafisten jetzt, was Verbände gesät haben und was Deutschland mit rechtsstaatlichen Mitteln zugelassen hat. Was wir erkennen müssen, ist, dass Demokratie und Staatsverständnis abhängig sind von der Früherziehung von Jugendlichen. Das gibt es aber einfach nicht, das Thema Religion wird bei uns einfach weggedrückt und den Moscheen, Imamen und den Familientraditionen überlassen. Wenn je eine Diskussion stattfindet, dann nur im Sinne von „das muss man verstehen“.

Die Wehrhaftigkeit eines Rechtsstaats wird aber an genau diesen Punkten verhandelt. Wir müssen damit anfangen, jedes Islamverständnis, jedes kulturelle Verständnis zu hinterfragen und die Gretchenfrage muss lauten: wie hältst du’s mit dem Grundgesetzt? Deutsch zu sein muss selbstverständlich sein, aber das hat mit Werten zu tun. Ich selbst bin ein Kind von Flüchtlingen, von einer Minderheit, die vor einem radikalen politischen Islam geflohen ist, der Dominanzverhalten zeigte und zur Wahl stellte, zu konvertieren oder zu sterben. Die Art des IS ist nicht neu. Die Frage ist, wie gehen wir damit um? Entmenschlichung von Menschen anderer Religion hat es auch in anderen Zusammenhängen gegeben, hier in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus. Ich weiß auch, dass viele Muslime darunter leiden, dass es so völlig unmöglich ist, auszubrechen und zu sagen, dass sie etwas anders sehen als die Community. Als ich angefangen habe mit den Vorträgen über den Genozid an den Jesiden, bekam ich oft zu hören, es täte jemandem leid um uns. Ich frage mich dann immer: warum uns? Das ist nur ein Beispiel dafür, was Menschen mit Menschen machen, wenn sie können, das betrifft jeden.

Wir als Gesellschaft machen zu wenig. Wir müssen kämpfen für eine verantwortungsbewusste Gesellschaft. Wir können uns nicht erlauben, dass auch nur ein Jugendlicher sich Erdogan zuwendet. Und die, die wir nicht bekommen, müssen sanktioniert werden. Wir kümmern uns nicht genug und packen die Verursacher zu lange in Samthandschuhe. IS-Propaganda verbreitet sich in unserem Land unter unseren Augen über die Verteilung von Koranen und andere Aktionen: die meisten Gefährder wurden hier im Land geworben. Auch Verbände haben Pflichten, die sie endlich einlösen müssen. Stattdessen führen wir eine Teflondebatte: Kritik perlt ab, abgestempelt als Islamophobie. Wir müssen beides aushalten. Der zentrale Fehler im System ist Islamkritik als negativer Begriff. Es ist doch etwas Gutes.

Ahmad Mansour

Werte im Wandel - wie wir das hochhalten, was uns wichtig ist

Im Zusammenhang mit einem Anschlag auf ein Restaurant in Istanbul, in dem gefeiert wurde und bei dem es viele Verletzte und Tote gab, spielte sich die mediale Reaktion folgendermaßen ab. Der Polizist, der außerhalb des Restaurants zu Tode kam, wurde als heiliger Toter bezeichnet, die Opfer im Restaurant schlicht als Tote. Das Denken dahinter ist, diejenigen, die gefeiert haben, waren in dem Moment nicht gottgefällig. Und erst recht hatte eine Frau nachts nichts in einem Restaurant zu suchen. Das war eine ganz und gar unheilige Tote. Der Terror wurde einstimmig abgelehnt, aber alle spielten nach den Spielregeln des IS.

Wenn wir Terror ablehnen wollen, dann reicht es nicht, Mahnwachen mit Gauck und Merkel zu halten. Wir brauchen eine öffentliche, ehrliche Islamdebatte, die im Ergebnis zu Reformen führt, und wer nicht mitmachen will, der muss außen vor bleiben. Nach dem Anschlag in Berlin fand ein Gedenkgottesdienst statt: Politiker wollten signalisieren, dass man den Anschlag und den Terror ablehnt. Dabei durften zwei Muslime reden und einer davon war ein bekennender Salafist. Damit legitimieren wir den radikalen islamischen Weg. Unsere Politik ist naiv! Wir haben keine Strategie. Was wollen wir bekämpfen? Wollen wir die nächste Bombe verhindern, dann ist alles gut. Wollen wir aber den nächsten Attentäter gewinnen, so sind wir untätig. Wir investieren Unsummen in Deradikalisierungsprojekte von Islamverbänden, die seit Jahren behaupten, das hätte alles nichts mit Islam zu tun, aber plötzlich aktiv sind und finanziert werden wollen. Wir haben einen Wildwuchs an Projekten, die nicht funktionieren. Wir haben keine Strategie, wir wissen nicht, was wir bekämpfen wollen, dabei brauchen wir Polizisten und Politiker, die wissen was sie tun, und die jetzt schon handeln. Integrationskurse müssen Werte vermitteln, nicht nur korrekte Mülltrennung, und wir müssen selbst erst mal herausfinden, was wir wollen. Wollen wir zum Beispiel Lehrerinnen mit Kopftuch? Das wissen wir als Gesellschaft nicht – wie sollen es Migranten wissen?

Wir brauchen neue Schulen, Schulen die in der Lage sind, über Werte zu reden, die kritisches Denken fordert. Wir haben sehr viele hochengagierte Lehrer, die aber nicht wissen, was im Nahen Osten passiert. Wenn nicht in der Schule geredet wird, dann suchen die Jugendlichen woanders Information. Wir brauchen Lehreinnen und Lehrer, die in der Ausbildung schon darauf vorbereitet werden, Radikalisierung zu erkennen und wissen, wo die nächste Beratungsstelle ist. Wir brauchen Schulen und Lehrer, die die Verantwortung für ihre Schüler übernehmen. Dafür brauchen wir aber die muslimische Seite genauso wie die Seite der Mehrheitsgesellschaft. Es ist an uns, zu sagen, was uns ausmacht, nämlich Gleichberechtigung, Freiheit, Religionsfreiheit. Und der Islam ist nicht allein die Lösung, wir brauchen auch Kirchen, die umdenken und mitmachen. Ein wichtiger Faktor wäre ein gemeinsamer Religionsunterricht, wo alle Schüler über alle Religionen reden, frei, kritisch und wissenschaftlich. Stattdessen trennen wir Kinder und verhindern so, dass sie Gemeinsamkeiten finden. Und in diesem Sinne müssen wir jetzt handeln und nicht erst dann, wenn der nächste Schlag kommt!

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Karl-Heinz B. van Lier

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