Comptes-rendus d'événement
Stille herrscht auf der Kapelle San Martino, der Blick schweift über den See. Gegenüber, tief unten, liegt hingegossen das malerische Bellagio, dahinter ragen schroff Alpengipfel in den Himmel. Der steile Aufstieg liegt hinter uns. Jetzt erschließt sich wieder ein wenig mehr, warum Konrad Adenauer immer wieder an den Comer See zurückkehrte: „Man muß die Dinge so tief sehen, daß sie einfach werden,“ sagte einst der erste Kanzler der Bundesrepublik. Das geht nur, wenn man das hektische Treiben hinter sich lässt. An der Kapelle San Martin ... und in der Villa la Collina selbst, die fern vom Lärm der Uferstraße umgeben von einem weitläufigen Garten über dem Comer See thront.
Auf Spurensuche haben wir uns begeben, ein bunt gemischer Tross Neugieriger, von denen jeder auf seine Weise mehr über Konrad Adenauer wissen möchte. An die Hand nehmen uns – bildlich gesprochen – Prof. Dr. Arnulf Baring, Jurist aus Berlin und Experte auch für die Adenauer-Ära, sowie Dr. Hans-Peter Mensing, Herausgeber des umfangreichen Briefwechsels Adenauers, der "über Adenauer mehr weiß als Adenauer selbst" (Baring). Mit dabei im Herzen und mit schriftlichen Zeugnissen: Dr. Anneliese Poppinga, einst Sekretärin und enge Mitarbeiterin Adenauers, die ihm nicht zuletzt beim Verfassen seiner Memoiren maßgeblich unterstützte.
Gottvertrauen und Pflichtgefühl
Im Seminar nähern wir uns Adenauer vor allem als Menschen, der Ehrlichkeit hochhielt und als Fundament seiner Ideale die humanistischen Prinzipien der klassischen Antike sah. Seine Fundamente: Gottvertrauen, Pflichtgefühl, Maß halten, "sich nicht zersplittern". Arnulf Baring weist zurück, die Aufarbeitung des NS-Regimes habe erst mit den "68-ern" begonnen und rückt zugleich ins Bild, dass das historische Bewusstsein Adenauers nicht nur vom Hitler-Regime geprägt worden war, sondern insbesondere auch von der Epoche, die er als jüngerer Mann erlebt hatte. So schildert Baring Adenauer: "Er war kein Zyniker - aber illusionslos!"
Hans-Peter Mensing würdigt das Europa-Engagement Adenauers, das zum Ziel gehabt habe, über wirtschaftliche Vernetzung die "Erbfeindschaft" zwischen Frankreich und Deutschland zu beenden. Schon 1924 habe Adenauer entsprechende Ideen entwickelt. Mensing: "Der Schumann-Plan könnte genauso auch Adenauer-Plan heißen." Kein weiterer Krieg sollte Europa erschüttern. Ein Kreuz aus Nägeln der von Deutschen zerbombten Kathedrale in Coventry habe immer auf seinem Schreibtisch gestanden.
Neben historischen Details erhalten wir Einblicke in den sehr speziellen Humor des "Alten". Von einem Staatsoberhaupt nach der Qualität des ihm gereichten Weines gefragt, antwortet er: "Ich schick' Ihnen mal welchen." Wir erleben ihn als erfolgreichen und beinahe verschmitzten Taktierer, indem er als Bürgermeister von Köln die Stimmen der Kommunisten für einen Brückenbau einwirbt, weil er ihnen erzählt hatte, Stalin habe in der Sowjetunion fast die gleiche gebaut. Und wir lernen, dass nach dem Tod seiner ersten Frau für Adenauer die Arbeit zum "Narkotikum" wurde. Zur Ikone stilisieren die Referenten Adenauer dennoch nie. Mensing: "Ich könnte Ihnen auch ein Sündenregister auflisten."
"Arbeit als Narkotikum"
Diskussionen über die Stalin-Note und Adenauers unbeirrbares Eintreten für die deutsche Einheit ohne Aufgabe freiheitlicher Prinzipien, klare Westbindung aus der Sorge, eine diffuse Haltung Deutschlands könne erneut zum Krieg führen, die Abkehr vom Ahlener Programm hin zur Sozialen Marktwirtschaft Ludwig Erhards... Baring und Mensing fesseln uns mit ihren unterschiedlichen Perspektiven, werfen sich in der Argumentation die Bälle zu. Abwechselnd treten Adenauer als Mensch und als Politiker oder der zeitgeschichtliche Hintergrund in den Vordergrund. Immer wieder taucht die Frage auf: "Was würde der Alte heute tun?" Eine Frage, die letztlich keiner heute eindeutig beantworten kann. Fakten- und facettenreich führen uns die Referenten durch Leben und Wirken Adenauers. Und zwischen Vortrag, Film und engagierten Diskussionen legen wir ein Boccia-Spiel ein, um nachzudenken und um zu versuchen, die Dinge in ihrer Tiefe zu sehen.