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Sexkaufverbot in Deutschland?

von Dana Fennert

Das Nordische Modell in der Debatte über Prostitution

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Die Debatte um die Prostitution in Deutschland wird seit einigen Jahren vehement geführt. Gegenwärtig stehen sich im Wesentlichen zwei Lager konträr gegenüber: Eines kritisiert die liberale Gesetzgebung und macht diese eindeutig für Zwangsprostitution, sexuelle Ausbeutung, Menschenhandel sowie Zuhälterei verantwortlich. Dieses Lager fordert die Umsetzung des Nordischen Modells nach dem Vorbild Schwedens, das im Kern ein Sexkaufverbot und die Kriminalisierung der Freier sowie anderer Profiteure vorsieht. Prostitution könne damit nicht gänzlich verhindert, aber durch diesen Paradigmenwechsel könnten die Nachfrage und der Markt immens verkleinert werden. Weiterhin betrachtet dieses Lager Prostitution oder Zwangsprostitution als „geschlechtsspezifische Phänomene“,[1] da es hauptsächlich Frauen sind, die dadurch zu Opfern von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung werden. Ein gesellschaftlicher Wandel, wie er in Schweden stattgefunden hat, durch den es nicht mehr selbstverständlich wäre, Frauen als käufliche Ware zu erachten, wird mit dem sogenannten Nordischen Modell oder Gleichstellungsmodell verbunden. Prostitution sei also generell nicht mit der Menschenwürde oder der Gleichstellung der Geschlechter in Einklang zu bringen.

Das andere Lager sieht im Nordischen Modell einen Widerspruch zur Berufsfreiheit und zur Selbstbestimmung. Zudem befürchtet es, dass ein Sexkaufverbot eine weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in der Prostitution sowie einen Anstieg von Gewalt und eine Stigmatisierung der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter zur Folge hätte. Dieses Lager kritisiert die Assoziation von Prostitution mit Zwang und Menschenhandel. Gerade für diejenigen, die Prostitution freiwillig ausübten, müssten sichere Arbeitsbedingungen durch gesetzliche Reglementierungen gewährleistet werden.

Im Folgenden werden die geltende Prostitutionsgesetzgebung und ihre Entwicklung skizziert. Dabei werden die gegensätzlichen Argumente für und gegen das Nordische Modell und das damit einhergehende Sexkaufverbot in Deutschland analysiert. Die Fragen dabei lauten: Kann eine Reform der Prostitutionsgesetzgebung die Bedingungen in der Prostitution verbessern oder bedarf es eines grundsätzlichen Paradigmenwechsels und der Einführung eines Sexkaufverbots, um die Menschenwürde und die Gleichstellung der Geschlechter entsprechend der Verfassung sowie internationalen Abkommen zu berücksichtigen? Und muss das Recht auf Selbstbestimmung einer Minderheit in der Prostitution tatsächlich geschützt werden, während der größere Anteil unfreiwillig und fremdbestimmt Opfer von Zwangsprostitution ist?

 

„Beruf wie jeder andere“

Die rot-­grüne Regierungskoalition schaffte 2002 mit dem Prostitutionsgesetz (ProstG)[2] die Sittenwidrigkeit der Prostitution in Deutschland ab. Damit sollte Prostitution als Beruf wie jeder andere anerkannt und sowohl eine soziale als auch rechtliche Verbesserung von in diesem Bereich tätigen Personen erzielt werden.[3] Dementsprechend ist der Zugang zum Sozialversicherungssystem ermöglicht worden. Durch die Abschaffung der Sittenwidrigkeit erlangten Prostituierte zugleich einen Rechtsanspruch auf ihr Honorar gegenüber dem Freier oder dem Bordellbetreiber.[4] Der Gesetzgeber ist dabei von einer Sexarbeit ausgegangen, die auf Freiwilligkeit beruht: „Die Prostituierte ist demnach eine selbstbestimmte Unternehmerin, die freiwillig Sex zum Kauf anbietet, so wie ein Obsthändler Äpfel und Birnen“,[5] schrieb kürzlich die Journalistin Katrin Langhans in dem Spiegel-Artikel „Wir werden uns schämen“. Für das Gesetz stimmten SPD, Grüne, FDP und PDS.[6] Die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag kritisierte, dass die Abschaffung der Sittenwidrigkeit nicht mit dem Grundgesetz und dem christlichen Menschenbild vereinbar sei: „Mit der christlichen Vorstellung von Menschenwürde ist der Kauf einer sexuellen Dienstleistung, die den Körper zur Ware degradiert, unvereinbar. Prostitution ist daher kein ‚Beruf wie jeder andere‘“, heißt es in einer Pressemitteilung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 5. Juli 2001.[7]

Die Evaluierung des ProstG im Jahr 2007 ergab, dass die rechtlichen Regelungen nicht zu einer ausreichenden Verbesserung der Situation der Prostituierten geführt hatten und es weiterer gesetzlicher Regelungen bedurfte. In dem Bericht der Bundesregierung heißt es, dass das ProstG keinen „kriminalitätsmindernden Effekt“ gehabt habe und Menschenhandel und Zwangsprostitution damit nicht bekämpft werden konnten.[8] Zudem profitierten auch kaum Personen von einer Sozialversicherung. Das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG)[9] von 2017, das die Große Koalition verabschiedete, sollte deshalb die Rechte von Personen, die selbstbestimmt in der Prostitution tätig sind, noch einmal stärken und gleichzeitig vor Missbrauch und Ausbeutung schützen. Im Zwischenbericht zum ProstSchG des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus dem Jahr 2019 heißt es dazu: „Vor diesem Hintergrund ist das Ziel des Prostituiertenschutzgesetzes zum einen, fachgesetzliche Grundlagen zur Gewährleistung verträglicher Arbeitsbedingungen und zum Schutz der Gesundheit von in der Prostitution tätigen Personen zu schaffen. Zum anderen bezweckt das Gesetz, gefährliche Erscheinungsformen in der Prostitution wie Menschenhandel, Zwangsprostitution und Zuhälterei einzudämmen, ohne dabei vor allem die Stärkung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts von Prostituierten aus dem Blick zu verlieren.“[10]

Das ProstSchG verpflichtet seither Prostituierte zur persönlichen Anmeldung sowie zu jährlichen Gesundheitsberatungen[11] und führte Sicherheitsregularien für Bordelle und Genehmigungsverfahren für die Betreiber sowie eine Kondompflicht ein.[12]

 

Gescheiterte Gesetzgebung

Deutschland gilt heute – 21 Jahre nach der Legalisierung der Prostitution – als „Bordell Europas“ und als Land des Sextourismus.[13] Zwar sind auch Männer und transidente Personen als Prostituierte tätig, zu neunzig Prozent handelt es sich jedoch um Frauen.[14] Von geschätzten 200.000 bis 400.000 in dem Bereich Tätigen[15] waren 2021 lediglich 23.743 behördlich nach dem ProstSchG gemeldet.[16] Nicht mehr als fünfzig Personen waren sozialversicherungspflichtig und zehn Personen geringfügig beschäftigt.[17] Vier Fünftel derjenigen, die behördlich registriert sind, besitzen keine deutsche Staatsangehörigkeit, und mehr als drei Viertel der registrierten Personen sind zwischen 21 und 44 Jahre alt.[18] Die Frauen stammen größtenteils aus Osteuropa, hauptsächlich aus Rumänien (36 Prozent), Bulgarien (elf Prozent) und Ungarn (sechs Prozent). Zunehmend kommen die Frauen aus asiatischen oder afrikanischen Ländern.

Sexuelle Ausbeutung, Menschenhandel und Zwangsprostitution „florieren“ in Deutschland. Frauen werden oftmals unter Vortäuschung falscher Tatsachen nach Deutschland gelockt. Entweder werden ihnen Anstellungen im Hotel - und Gastronomiegewerbe oder partnerschaftliche Liebesbeziehungen durch die „Loverboy-Methode“ in Aussicht gestellt. Damit werden überwiegend sehr junge Frauen, die über keine deutschen Sprachkenntnisse verfügen, getäuscht. Die geringe Anzahl von Verurteilungen von Zuhältern und Menschenhändlern sowie die große Nachfrage nach käuflichem Sex verstärken sich gegenseitig und machen Deutschland für die Profiteure der Prostitution sehr attraktiv. Banden und Clans beherrschen das Rotlichtmilieu. Oft geraten in der Prostitution tätige Frauen in „finanzielle oder emotionale Abhängigkeit“.[19] Der ehemalige Kriminalhauptkommissar Manfred Paulus beschreibt die Situation folgendermaßen: „Das Problem der Zuhälterei ist nie so groß gewesen wie heute. Wir haben zigtausend Fälle von Menschenhandel. Das Rotlichtmilieu ist eine Parallelgesellschaft mit eigenen Wertvorstellungen, mit eigenen Spielregeln. Die Gesetze nützen den Tätern und lassen die Opfer im Stich.“[20]

 

Schweden – ein „toter Markt“

Schweden hat 1999 ein generelles Sexkaufverbot eingeführt und den damit assoziierten Begriff des „Nordischen Modells“ geprägt. Im Wesentlichen beinhaltet es drei Grundpfeiler: „Prostituierte entkriminalisieren, dafür Sexkäufer und Betreiber kriminalisieren und Ausstiegsprogramme einrichten und finanzieren.“[21] Mittlerweile sind Norwegen (2009), Island (2009), Kanada (2014), Frankreich (2016), Irland (2017) und Israel (2018) diesem Modell gefolgt. Heute würden laut der Schwedischen Botschaft siebzig Prozent der schwedischen Bevölkerung dieses Gesetz befürworten; es habe dort ein normativer Wandel stattgefunden. Diesen „Bewusstseinswandel“ nimmt das Bündnis „Gemeinsam gegen Menschenhandel“ als „eine große Chance für die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter“ wahr und bezeichnet das Nordische Modell in seinem gleichnamigen Positionspapier als „Gleichstellungsmodell“. Die Sozialethikerin Elke Mack analysiert darüber hinaus: „Die Strafbarkeit von Sexkauf führte in ganz Skandinavien bis heute zu einem gesellschaftlichen Bewusstseinswandel hin zu Egalität, Anerkennung, Gewaltlosigkeit und Achtsamkeit zwischen den Geschlechtern und zu einem besseren partnerschaftlichen Verhältnis von Mann und Frau.“ In Schweden würde nunmehr aus moralischen Gründen die überwiegende Mehrheit junger Männer Sexkauf nicht befürworten. Die Einführung des Sexkaufverbotes bewirkte ein Absinken der Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen, und Menschenhändler sind dort kaum noch aktiv. Interpol bezeichnet das skandinavische Land deshalb sogar als „toten Markt“.

In seiner nicht bindenden Resolution „Sexuelle Ausbeutung und Prostitution und ihre Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter“ vom 26. Februar 2014[22] hat das Europäische Parlament dieses Modell als positives Beispiel herangezogen und fordert die Mitgliedstaaten mit 343 Für­, 139 Gegenstimmen und 105 Enthaltungen auf, das Nordische Modell umzusetzen. Die überwiegende Anzahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments vertritt hier die Auffassung, „dass Prostitution, Zwangsprostitution und sexuelle Ausbeutung stark geschlechtsspezifisch determiniert sind und Verstöße gegen die Menschenwürde sowie einen Widerspruch gegen die Menschenrechtsprinzipien wie beispielsweise die Gleichstellung der Geschlechter darstellen und daher mit den Grundsätzen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, einschließlich des Ziels und des Grundsatzes der Gleichstellung der Geschlechter, unvereinbar sind“.[23] Es wird auf Schweden verwiesen, wo ein „Mentalitätswandel“ stattgefunden habe und der Prostitutionsmarkt nicht gewachsen sei.[24] Diese Argumentation wird auch von den Befürworterinnen und Befürwortern des Nordischen Modells in Deutschland herangezogen. Fraktions- und parteiübergreifend fordern Abgeordnete, Parteimitglieder, Verbände, Frauenrechtsvereine, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Sexkaufverbot und sind im „Bündnis Nordisches Modell“ vernetzt.

Besonders in der Unionsfraktion und in den Unionsparteien nimmt die Befürwortung des Sexkaufverbots zu: „Solange der Körper einer Frau gegen Geld benutzt werden darf, bleibt der Markt für Menschenhändler und Zuhälter attraktiv, gibt es einen Nährboden für Gewalt und Ausbeutung und ist alle Anstrengung in Richtung Geschlechtergerechtigkeit ein Hohn“, betont beispielsweise Dorothee Bär in einem kürzlich erschienenen Artikel in der Welt.[25]

 

Die Frage der Freiwilligkeit

Gegnerinnen und Gegner des Nordischen Modells sehen allerdings im Verbot des Sexkaufs einen Widerspruch zu Artikel 12 Grundgesetz und der darin geschützten Berufsfreiheit. In einem Positionspapier, initiiert im November 2019 durch die Deutsche Aidshilfe e.V., den Deutschen Frauenrat e. V., den Deutschen Juristinnenbund e.V., die Diakonie Deutschland – Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V., die Dortmunder Mitternachtsmission e.V. – Beratungsstelle für Prostituierte, Ehemalige und Opfer von Menschenhandel sowie von contra e.V. Kiel – Fachstelle gegen Frauenhandel in Schleswig-Holstein im Frauenwerk der Nordkirche, heißt es: „Der bloße Anspruch, Menschen schützen zu wollen, rechtfertigt nicht die Verletzung grundrechtlicher Garantien.“ Zudem wird hier Stigmatisierung und Bevormundung von Personen in der Prostitution durch ein Sexkaufverbot kritisiert. Außerdem wird eine weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen damit verknüpft. Gerade diejenigen, die durch Prostitution ihren Lebensunterhalt verdienten, benötigen besonderen Schutz, heißt es in dem Positionspapier.

Die hier und auch von anderen Akteurinnen und Akteuren konstatierte Freiwilligkeit wird allerdings von dem das Nordische Modell befürwortenden Lager generell bezweifelt: „Prostitution ist das völlig falsche Wort für das, was hinter verschlossenen Türen passiert. Das ist Sexsklaverei. Im Milieu ist das oberste Gebot zu sagen: Ich gehe der Prostitution freiwillig nach. Die Frauen sind eingeschüchtert und verängstigt. Viele haben gelernt zu lächeln, obwohl ihnen zum Weinen zumute ist“, beschreibt Manfred Paulus die Situation von Frauen in der Prostitution.[26]

Elke Mack analysiert: „Bedenkt man, unter welchen Bedingungen Frauen in der Prostitution arbeiten, und dass es einen extrem hohen Prozentsatz an psychischen Zwängen gibt (zumeist vorgängige Missbrauchserfahrungen), muss die Möglichkeit der vollumfänglichen Freiwilligkeit stark infrage gestellt werden.“ Weiter kritisiert sie den Rechtsstaat in diesem Zusammenhang: „Wenn Frauen eine Schädigung schwersten Ausmaßes regelmäßig über sich ergehen lassen, die nur durch eine psychische Dissoziation erträglich wird, kann dies nicht wirklich ein legitimes Rechtsgut darstellen. Inwiefern der Rechtsstaat durch die Legalisierung der Prostitution zu dieser Schädigung von Frauen Beihilfe leistet, müsste dringend geklärt werden.“ Die jetzige Gesetzgebung sei verfassungswidrig und gerade nicht mit der Würde eines Menschen kompatibel: „Das Faktum, einen Menschen mit seinem Körper als Mittel zur eigenen Triebbefriedigung zu benutzen und damit letztlich zur Schädigung dieser Person beizutragen, die dem angesichts ihres eigenen Würdeanspruchs nie wirklich zustimmen kann, verletzt unzweifelhaft die Integrität dieser Person und müsste damit gemäß Artikel 1 Grundgesetz strafbar sein.“[27] In dem Buch Sexkauf. Eine rechtliche und rechtsethische Untersuchung der Prostitution, das Mack 2023 gemeinsam mit dem Verfassungsrechtler Ulrich Rommelfanger herausgegeben hat, kommen beide zu dem Schluss, dass Deutschland neben dem Verstoß gegen die Verfassung auch gegen internationale Frauenrechtsabkommen der Vereinten Nationen verstoße, und fordern die Einführung des Sexkaufverbots nach dem Nordischen Modell.

Der Bundesarbeitskreis Christlich-Demokratischer Juristen (BACDJ) sieht ebenso wie das „Bündnis Nordisches Modell“, der Verein „Gemeinsam gegen Menschenhandel“ und weitere Vertreterinnen und Vertreter eines Sexkaufverbots einen Widerspruch zwischen der jetzigen Prostitutionsgesetzgebung und der Förderung von Geschlechtergleichstellung. Der BACDJ begründet seine Forderung nach einem Sexkaufverbot folgendermaßen: „Diese einseitige Parteinahme ignoriert das Leid der ungleich größeren Gruppe von Prostituierten, die nicht selbstbestimmt arbeiten, die keine Grenzen setzen können und der Ausbeutung durch Zuhälter und Freier ausgeliefert sind. Zu ihrem Schutz ist ein Sexkaufverbot geeignet, erforderlich und in der Abwägung auch angemessen.“[28]

 

Resümee

Die Gesetzgebung zur Prostitution in Deutschland ist gescheitert. Ihre Zielsetzung, Frauen in diesem Bereich zu schützen und ihre Rechte zu stärken, bleibt unerfüllt. Vielmehr existiert ein einseitiges Machtgefälle zwischen den Profiteuren, meist Männern, die als Zuhälter, Menschenhändler oder Freier agieren, und vornehmlich Frauen, die psychisch und physisch von diesen misshandelt werden. Daneben zeigen die geringe Anzahl derjenigen, die eigenverantwortlich tätig sind − Schätzungen zufolge höchstens fünf Prozent[29] −, die geringen behördlichen Registrierungen oder die verschwindend geringe Anzahl von Personen, die renten­, kranken- oder pflegeversichert sind, dass die Gesetzgebungen nicht gegriffen haben. Selbst wenn ein geringer Teil von Personen in der Prostitution tatsächlich freiwillig handelt, könne dies keine Legitimation für die Beibehaltung der jetzigen gesetzlichen Regelung sein. Dementsprechend argumentiert der BACDJ: „Eine trennscharfe und handhabbare Unterscheidung zwischen selbstbestimmter Prostitution einerseits und fremdbestimmter, erzwungener Prostitution andererseits kann nicht gelingen. Deshalb erscheint das unterschiedslose Sexkaufverbot einzig zielführend. Verhältnismäßigkeitserwägungen stehen dem nicht entgegen, denn die Rechtsgutsverletzungen und negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft sind derart gravierend, dass die Freiheitseinbußen auf der anderen Seite demgegenüber zurückstehen müssen.“ Der Gesetzgeber darf nicht länger die Augen vor dem täglichen überwiegenden sexuellen Missbrauch von Frauen in Prostitution verschließen und sollte umgehend zum Schutz der Menschenwürde und zur Umsetzung der Gleichberechtigung einen neuen Kurs in der Prostitutionspolitik einschlagen.

Das Gleichstellungsmodell nach dem Vorbild Schwedens könnte ein gangbarer Weg sein, da es durchaus belegbare Effekte auf die Gleichstellung sowie den Menschenhandel gezeigt hat. Vor 21 Jahren hatte die rot­grüne Koalition im Namen der Freiheit die Prostitution legalisiert. Heute muss in Anbetracht der überwiegend vorherrschenden Zwangsprostitution festgestellt werden, dass dieses Projekt im Namen der Freiheit und der sexuellen Selbstbestimmung nicht erfolgreich war. Parallelen lassen sich auch heute zu anderen gesellschaftspolitischen Reformbestrebungen der politischen Linken ziehen. Vermeintlich progressive, moderne Ansätze zeigen, wenn auch erst nach einiger Zeit, die tatsächlich rückschrittlichen Auswirkungen, die erst recht konträr zur Freiheit und Selbstbestimmung des Individuums sind.


Dana Fennert, geboren 1980 in Greifswald, promovierte Politikwissenschaftlerin, Referentin Gleichberechtigung und gesellschaftliche Vielfalt, Hauptabteilung Analyse und Beratung, Konrad-Adenauer-Stiftung.

 

[1] Gemeinsam gegen Menschenhandel e.V.: „Positionspapier zum Gleichstellungsmodell“, Berlin, 2022, www.ggmh.de/wp-content/uploads/2022/07/Positionspapier-Gleichstellungsmodell_FINAL-1.pdf [letzter Zugriff: 12.08.2023].
[2] Das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten ist am 01.01.2002 in Kraft getreten.
[3] Vgl. Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: „Zwischenbericht zum Prostituiertenschutzgesetz“, Berlin, 2019, S. 8.
[4] Joachim Renzikowski: „Reglementierung von Prostitution: Ziele und Probleme - eine kritische Betrachtung des Prostitutionsgesetzes“, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berlin, 2007, S. 8.
[5] Katrin Langhans: „Wir werden uns schämen“, in: Der Spiegel, Nr. 26/2023, S. 44–49, hier S. 45.
[6] Vgl. ebd.
[7] CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Presseportal, 05.07.2001, www.presseportal.de/pm/7846/263419 [letzter Zugriff: 12.08.2023].
[8] Bundesregierung: „Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz – ProstG)“, Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berlin, 2007, S. 79.
[9] Das Gesetz zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen ist am 1. Juli 2017 in Kraft getreten.
[10] Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: „Zwischenbericht zum Prostituiertenschutzgesetz“, Berlin, 2019, S. 8.
[11] Bis zum 21. Lebensjahr müssen Prostituierte im Tonus von sechs Monaten Gesundheitsberatungen aufsuchen, vgl. Bundesarbeitskreis Christlich-Demokratischer Juristen: „Stellungnahme des BACDJ: Strafbewehrtes Sexkaufverbot einführen“, 16.06.2023, www.bacdj.cdu.de/sites/www.bacdj.de/files/bacdj_stellungnahme_strafbewaehrtes_sexkaufverbot.pdf [letzter Zugriff: 03.08.2023].
[12] Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: „Zwischenbericht zum Prostituiertenschutzgesetz“, Berlin 2019, S. 9f.
[13] Vgl. Sabine Menkens: „Psychische Traumatisierungen wie bei Folteropfern und Kriegsveteranen“, In: DIE WELT, 08.08.2023, Nr. 152, S. 2–3; vgl. Bundesarbeitskreis Christlich-Demokratischer Juristen, a. a. O., siehe En. 11.
[14] Elke Mack: „Sexueller Missbrauch an Frauen – Prostitution aus ethischer Perspektive“, in: Stimmen der Zeit, Nr. 11/2020, Herder Verlag, Berlin, S. 811–824, hier S. 814.
[15] Die Zahlen sind lediglich Schätzungen, vgl. Wibke Becker: „Rotlicht“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18.06.2023, Nr. 24, S. 4.
[16] Statistisches Bundesamt: Prostituierte mit gültiger Anmeldung 2021, Pressemitteilung Nr. 277, 01.07.2022,
www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/07/PD22_277_228.html [letzter Zugriff: 03.08.2023].
[17] Vgl. Wibke Becker: „Rotlicht“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18.06.2023, Nr. 24, S. 4.
[18] Statistisches Bundesamt, a. a. O., siehe En. 16.
[19] Bundesarbeitskreis Christlich-Demokratischer Juristen, a. a. O., siehe En. 11.
[20] Manfred Paulus, zitiert nach Katrin Langhans, a. a. O., siehe En. 5.
[21] Terre des Femmes Menschenrechte für die Frau e. V.: „Das Nordische (abolitionistische) Modell“, www.frauenrechte.de/unsere-arbeit/themen/frauenhandel/nordisches-modell [letzter Zugriff: 14.08.2023].
[22] Europäisches Parlament: „Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. Februar 2014 zur sexuellen Ausbeutung und Prostitution und deren Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter“, 26.02.2014, www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-7-2014-0162_DE.pdf [letzter Zugriff: 12.08.2023].
[23] Ebd.
[24] Ebd.
[25] Dorothee Bär, zitiert nach Sabine Menkens, a. a. O., siehe En. 11.: „Psychische Traumatisierungen wie bei Folteropfern und Kriegsveteranen“, in: Die Welt, 08.08.2023, Nr. 152, S. 2–3, hier S. 3.
[26] Manfred Paulus, zitiert nach Katrin Langhans, a. a. O., siehe En. 5.
[27] Elke Mack: „Sexueller Missbrauch an Frauen – Prostitution aus ethischer Perspektive“, In: Stimmen der Zeit, 11/2020, Verlag Herder, Berlin, S. 811–824, S. 815.
[28] Bundesarbeitskreis Christlich-Demokratischer Juristen, a. a. O., siehe En. 11.
[29] Elke Mack im Interview mit Helene Bubrowski: „Folgen bis zum psychischen Tod“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.08.2023, Nr. 186, S. 8.

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