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Länderberichte

Keine Atempause für Katalonien

von Dr. Wilhelm Hofmeister
Am 14. Mai hat das Regionalparlament Quim Torra zum neuen Präsidenten der Autonomen Gemeinschaft von Katalonien gewählt. Am 17. Mai trat er sein Amt an, verweigerte aber einen Eid auf die spanische Verfassung. Er versprach lediglich, sein Amt „in Treue zum Volk von Katalonien, das im Parlament vertreten ist“ auszuüben. Torra sieht sich als Statthalter des im November abgesetzten Regionalpräsidenten Puigdemont und will die Unabhängigkeit von Spanien weiter vorantreiben.

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Bereits seine Kabinettsliste provozierte einen ersten Konflikt mit der spanischen Regierung, weshalb Ministerpräident Rajoy in Absprache mit der Sozialistischen Partei (PSOE) und Ciudadanos die Intervention der Autonomen Region nach Artikel 155 der spanischen Verfassung vorläufig aufrecht erhielt.

Nach den Regionalwahlen vom 2. Dezember 2017 brauchten die drei Parteien JuntsxCat, ERC und CUP , die die staatliche Unabhängigkeit von Spanien anstreben und gemeinsam im Regionalparlament eine Mehrheit von 70 der 135 Mandate haben, fast ein halbes Jahr, um einen neuen Regionalpräsidenten zu wählen. Vergeblich hatten sie zunächst versucht, den abgesetzten und ins Ausland geflohenen Carles Puigdemont über eine „Fernwahl“ zu wählen. Das hat das Verfassungsgericht untersagt. Auch die Wahl von zwei anderen Kandidaten, die in Madrid in Untersuchungshaft sitzen, scheiterte am Widerspruch der Justiz. Doch bis zum 22. Mai musste ein neuer Regionalpräsident gewählt werden, um die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen zu vermeiden. Das wollten die Separatisten verhindern, um ihre knappe Mandatsmehrheit nicht aufs Spiel zu setzen. Carles Puigdemont, den die Separatisten weiterhin als legitimen Präsidenten Kataloniens anerkennen, entschied schließlich in seinem derzeitigen Aufenthaltsort Berlin, dass Quim Torra als eine Art Statthalter zum Regionalpräsidenten gewählt werden sollte, da gegen ihn keine Anklagen oder Verfahren bei der Justiz anhängig sind. Puigdemont will weiterhin das letzte Wort über die Regierungsgeschäfte haben und hat dem neuen Regionalpräsidenten sogar untersagt, das Präsidentenbüro im Regierungspalast in Barcelona zu nutzen, um deutlich zu machen, dass dieser Arbeitsplatz nur ihm selbst zusteht. Da die linkspopulistische CUP sich mit ihren vier Abgeordneten der Stimme enthielt, weil sie nur einen Kandidaten wählen wollte, der sofort die Republik ausrufen würde, verfehlte Torra im ersten Wahlgang am 12. Mai die absolute Stimmenmehrheit des Parlaments. Am 14. Mai wurde er dann im zweiten Wahlgang mit einer relativen Stimmenmehrheit von 66 zu 65 Stimmen gewählt.

Quim Torra – Separatist und katalanischer Rassist

Der neue Regionalpräsident ist erst seit Dezember vergangenen Jahres Abgeordneter des katalanischen Regionalparlaments, allerdings langjähriger herausragender Aktivist für die katalanische Unabhängigkeit. Er wurde als Unabhängiger über die Wahlliste von JuntsxCat gewählt, die Puigdemont aus Mitgliedern der Partei PDeCAT (Partit Demòcrata Europeu Català) und Unabhängigen gebildet hatte. Momentan gehört Torra keiner Partei an. In früheren Jahren war er sowohl rechts- als auch linksnationalistischen Unabhängigkeitsparteien verbunden.

Von Beruf ist Torra Anwalt, doch seine Tätigkeit bei einem Schweizer Versicherungskonzern hat er vor etwa zehn Jahren aufgegeben, um sich ganz der Förderung der katalanischen Unabhängigkeit zu widmen. Er gründete u.a. einen Verlag für katalanische Sachliteratur, schrieb Bücher über katalanische Geschichte, bekleidete leitende Funktionen in Òmnium Cultural und Assemblea Nacional Catalana, zwei gesellschaftlichen Organisationen zur Förderung der katalanischen Kultur und Unabhängigkeit, und war vor seiner Wahl ins Regionalparlament zuletzt Direktor des Centro de Estudios de Temas Contemporáneos (CETC), eines Think Tanks der katalanischen Regionalregierung.

Nach seiner Ernennung zum Kandidaten für das Amt des Regionalpräsidenten dauerte es nicht lange, bis eine Reihe von Zitaten aus früheren Veröffentlichungen und Tweets von Torra bekannt wurden, die ihn nicht nur als Separatisten, sondern auch als fremdenfeindlichen katalanischen Rassisten ausweisen. Zumindest bis vor wenigen Jahren war er anscheinend ein Bewunderer der in den 20er Jahren gegründeten faschistischen oder para-faschistischen Partei „Estat Català“, die einen militanten Separatismus vertrat und in rassistischer Weise genetische Unterschiede zwischen Katalanen und Spaniern behauptete. Selbst von der in Barcelona erscheinenden Tageszeitung „La Vanguardia“, die gemeinhin eine sehr verständnisvolle bis wohlwollende Position gegenüber den Separatisten vertritt, wurde Torra als Anhänger eines „rechten Nationalismus mit großer Aggressivität“ bezeichnet . Weil dieser u.a. in einem Artikel alle Spanier als „Bestien, Aasfresser, Vipern und Hyänen", als "Tiere in menschlicher Gestalt" bezeichnete , spricht ihm der stellvertretende Chefredakteur der Zeitung Eric Juliana in einem anderen Artikel die Qualifikation für das Amt des Regionalpräsidenten ab, fürchtet aber zugleich, dass diese neue Aggressivität in nächster Zukunft die Konflikte in Katalonien anfeuern und kennzeichnen könnte. In anderen Publikationen und Tweets hat Torra in einer noch viel ordinäreren Sprache seinen Hass gegen Spanier und die spanische Sprache ausgedrückt. Nun antwortete er auf die Kritik an seinen früheren Äußerungen: „Ich bitte um Verzeihung, wenn irgendwer das als Beleidigung verstanden hat“. Doch was sonst hat er mit seinen aggressiven und rassistischen Äußerungen bezweckt?

Regierungsziel: die staatliche Unabhängigkeit Kataloniens

In seiner Rede vor dem Regionalparlament am 12. Mai ließ Torra keinen Zweifel daran, dass es sein erstes Ziel die Gründung einer „unabhängigen katalanischen Republik“ ist. Er kündigte an, einen verfassungsgebenden Prozess einzuleiten, der eine katalanische Verfassung erarbeiten soll, und er versprach den „Aufbau eines Landes mit der größtmöglichen Radikalität“. Die inhaftierten oder ins Ausland geflohenen Mitglieder der abgesetzten vorherigen Regierung bezeichnete er als „politische Gefangene“ und „Exilierte“ und kündigte an, die in Spanien inhaftierten früheren Regierungsmitglieder wieder ins Kabinett aufzunehmen bzw. Ersatzkandidaten nur mit deren ausdrücklicher Zustimmung zu benennen. Den wirtschaftlichen oder sozialen Aufgaben in Katalonien widmete er ebenso wenig Beachtung in seiner Rede wie dem Teil der katalanischen Gesellschaft, die die Unabhängigkeit ablehnt – und das ist zumindest die Hälfte der Bevölkerung. Stattdessen nannte er als die drei Prioritäten seiner Regierung die Inkraftsetzung der vom Verfassungsgericht aufgehobenen Gesetze zur Förderung der Unabhängigkeit, eine Bestandsaufnahme der Folgen der Intervention Kataloniens durch die Zentralregierung seit Dezember 2017 sowie die Wiedererrichtung der katalanischen Büros im Ausland, die vor dem Referendum von 2017 für die Unabhängigkeit der Region geworben hatten und von der Zentralregierung nach ihrer Intervention geschlossen worden waren. Trotz seiner scharfen Angriffe auf die Zentralregierung und auch König Felipe VI. bot Torra der Regierung in Madrid einen Dialog an, wobei er allerdings nicht weiter ausführte, zu welchen Themen er den Dialog führen will.

Bei allem machte Torra klar, dass er sich nur als Statthalter von Carles Puigdemont sieht, den er gleich am Tag nach seiner Wahl in Berlin aufsuchte um, wie er sagte „dem legitimen Präsidenten die Ehre zu erweisen“. In einer gemeinsamen Pressekonferenz beklagten sie ein „demokratisches Defizit“ in Spanien, weil das Wahlergebnis vom 21. Dezember nicht respektiert werde, da die inhaftierten und geflohenen Kandidaten ihre Mandate nicht ausüben könnten. Wie schon bei früheren Gelegenheiten forderten sie eine Vermittlung der Europäischen Union in dem Konflikt.

Puigdemont muss zumindest noch so lange in Berlin bleiben, bis definitiv über das Auslieferungsbegehren entschieden ist. Der spanische Untersuchungsrichter, der den Auslieferungsantrag stellte, hat anscheinend dem Oberlandesgericht in Schleswig-Holstein in Aussicht gestellt, dass Puigdemont nicht wegen „rebelión (das in etwa dem deutschen Konzept des Hochverrats entspricht), sondern wegen „sedición“ (Aufstand gegen die Staatsgewalt) angeklagt werden könnte, wofür in Spanien eine deutlich geringere Höchststrafe steht (15 statt 30 Jahre Gefängnis). Auf keinen Fall wird die spanische Justiz akzeptieren, dass Puigdemont eventuell nur wegen Veruntreuung öffentlicher Mittel ausgeliefert wird, weil das die Möglichkeit eines Verfahrens in Spanien beschneiden würde. In diesem Fall würde Spanien den Auslieferungsantrag zurückziehen und den Fall vor den Europäischen Gerichtshof bringen. Bis Ende Mai wird die Entscheidung des Gerichts in Schleswig-Holstein über den Fall erwartet.

Intervention der Regierung in Madrid

Mit dem Amtsantritt des neuen Regionalpräsidenten hätte die Intervention der spanischen Zentralregierung in eigentlich enden müssen. Doch bereits die Vorlage der Kabinettsliste führte zu einem ersten Konflikt, der die Intervention zumindest vorläufig verlängerte. Quim Torra wollte inhaftierte und geflohene ehemalige Regierungsmitglieder in sein Kabinett aufnehmen. Doch Ministerpräsident Rajoy verweigerte die Veröffentlichung des entsprechenden Dekrets im spanischen Staatsanzeiger, wodurch die neue Regierung Kataloniens noch nicht formal im Amt ist. Rajoy erhielt dafür die Unterstützung der Sozialistischen Partei (PSOE) und von Ciudadanos.

Bereits nach der Wahl von Torra hatte Rajoy in Treffen mit dem Generalsekretär der Sozialisten, Pedro Sánchez, und dem Vorsitzenden von Ciudadanos, Albert Rivera, abgestimmt, dass bei erneuten Verfassungsverstößen der katalanischen Regierung der Artikel 155 wieder aktiviert werden soll, d.h. dass dann Madrid wieder die Regierungsgeschäfte in Katalonien übernehmen würde. Die Treffen zwischen Rajoy und Sánchez bzw. Rajoy und Rivera fanden separat statt. Trotz des gemeinsamen Anliegens der Ablehnung des Separatismus verhinderten die parteipolitischen Rivalitäten ein gemeinsames Gespräch und Gruppenfoto. Vor allem Albert Rivera positioniert sich seit dem Wahlerfolg von Cuidadanos bei den katalanischen Wahlen im Dezember als „Scharfmacher“, der ein härteres Vorgehen gegen die Separatisten verlangt. Im öffentlichen Meinungsbild profitieren Rivera und Ciudadanos von ihrer harten Haltung, wie die letzten Umfragen zeigen. Danach steht Ciudadanos mit 22,4% Zustimmung mittlerweile an zweiter Stelle in der Meinungsgunst, mit nur geringem Abstand zur Volkspartei (24%) und knapp vor den Sozialisten (22 %).

Ministerpräsident Rajoy ist gleichwohl um eine Deeskalation bemüht. Ohne die Rede und die rassistischen und fremdenfeindlichen Äußerungen des neuen katalanischen Regionalpräsidenten zu kommentieren, hat er auf das Gesprächsangebot von Torra geantwortet und sich zu einem Dialog bereit erklärt. Allerdings machte er deutlich, dass ein solcher Dialog nur „im Rahmen des Gesetzes“ möglich sei. Das bedeutet, der Ministerpräsident wird sich nicht darauf einlassen über die Modalitäten einer eventuellen Unabhängigkeit Kataloniens zu sprechen. Unterdessen verschärft seine Regierung ihre Kontrolle der öffentlichen Ausgaben der katalanischen Regierung, was auch nach Aufhebung des Artikels 155 möglich ist. Torra und Puigdemont haben das bereits scharf kritisiert.

Aussicht: der Konflikt wird anhalten

Künftige Konflikte zwischen der neuen katalanischen Regierung und der spanischen Regierung sind nicht nur vorhersehbar, sondern werden möglicherweise auch an Schärfe zunehmen – verbal und vielleicht auch in Form zunehmender gesellschaftlicher Mobilisation. Fraglich ist nur, wie und wann der Konflikt so eskalieren wird, um eine erneute Intervention der spanischen Regierung und der Justiz zu provozieren. Möglicherweise kommt es bereits im nächsten Jahr zu erneuten Wahlen in Katalonien, entweder infolge einer erneuten Intervention oder weil Torra in der Hoffnung auf einen Stimmengewinn für die Separatisten das Regionalparlament vorzeitig auflöst.

Die neue Regionalregierung wird sich erneut darum bemühen internationale Unterstützung für den „Prozess“ zu gewinnen. Doch nachdem wichtige internationalen Medien den Rassismus von Torra zum Thema gemacht haben, sollte auch den Sympathisanten der Unabhängigkeitsbewegung im Ausland klar werden, dass die katalanischen Nationalisten keine Befreiungsbewegung sind, die für eine unterdrückte Minderheit Freiheit und Demokratie erkämpfen wollen. Puigdemont wusste genau, wen er zur Wahl vorschlug. Sein Nationalismus unterscheidet sich nicht wesentlich von dem Rassismus und Fremdenhass Torras, dessen Nationalismus der Hispanist Benoît Pellistrandi im Pariser „Figaro“ mit dem “in Jugoslawien von Milosevic und dem in Italien von Mussolini” verglich. Das sollte vor allem auch denjenigen zu denken geben, die sich noch immer für die katalanischen Nationalisten einsetzen, indem sie beispielsweise eine Vermittlung der Europäischen Union in dem Konflikt anregen.

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