Alte neue Mehrheiten
Die koreanische Nationalversammlung hat 300 Mitglieder, wovon 254 Mandate über Mehrheitswahlkreise und 46 Mandate per Verhältniswahl vergeben werden.
Die Mehrheit hatte zuletzt die Minju-Partei oder Democratic Party of Korea, zweitstärkste Kraft war die People Power Party (PPP) des Präsidenten. Die verbleibenden Mandate verteilten sich auf kleinere Parteien mit nur geringfügigem Einfluss. Das Ergebnis jetzt unterscheidet sich auf den ersten Blick nur leicht, aber in durchaus wichtigen Details:
Die Minju vefügt nun über 161 Direktmandate sowie 14 zusätzliche Abgeordnete über die Verhältniswahl. Sie hat eindeutig die Wahl gewonnen, bei der letzten regulären Wahl 2020 hatte sie allerdings sogar 180 Sitze errungen.[i]
Die People Power Party (PPP) des Präsidenten hat nun mit 90 Direktmandaten und 18 über die Verhältniswahl gewählten Abgeordneten fünf Mandate mehr als bei ihrer historischen Niederlage 2020. Trotzdem liegt sie fernab einer eigenen Mehrheit, selbst unter Berücksichtigung der drei Mandate der Reform Party ihres früheren Vorsitzenden Lee Jun Seok.[ii]
Die Rebuilding Korea Party (RKP) des früheren Justizministers und Minju-Politikers Cho Kuk[iii] konnte zwölf Mandate über die Verhältniswahl erringen und kann der Minju zu einer qualifizierten Mehrheit von 180 Mandaten verhelfen, die etwa erforderlich ist, um Gesetze aus den Ausschüssen wieder ins Plenum zu holen. Prognosen am Wahlabend hatten sogar eine Zweidrittelmehrheit für die Opposition vorhergesagt, mit der sie Vetos des Präsidenten überstimmen oder ein Verfahren zu dessen Amtsenthebung einleiten hätte können.
Unmittelbare Folgen
In der Opposition konnte Lee Jae-myung, der bei der Präsidentschaftswahl vor zwei Jahren haarscharf gegen den nun amtierenden Konkurrenten Yoon Suk-yeol unterlag,[iv] sich als Vorsitzender der Minju behaupten und stärken. Gleichzeitig wird Cho Kuk seinen Einfluss sicher nutzen wollen, um selbst Anspruch auf eine Präsidentschaftskandidatur 2027 zu erheben: Nach der Wahl ist vor der Wahl und der Fokus liegt auf dem Amt des Staats- und Regierungschefs. Allerdings ist die Zeit bis dahin lang und die Machtverhältnisse auch innerhalb der Parteien volatil, sodass keineswegs schon von einer klaren Ausgangslage die Rede sein kann.
In der PPP hat der Vorsitzende am Wahlabend seinen Rücktritt erklärt und die Partei steht – wie zuletzt so oft[v] – wieder vor einer Neuaufstellung. Einzelne Stimmen legen sogar dem Präsidenten den Parteiaustritt nahe. Auch öffentliche Statements bekannter innerparteilicher Wettbewerber lassen deutlich erahnen, dass sich das Verhältnis zwischen PPP und ihrem „Mitglied Nr. 1“ verändert.[vi] Die Wahl war ohne Zweifel ein Referendum über die Regierungsarbeit und wohl nicht zufällig liegt der Stimmenanteil der Regierungspartei in ähnlichen Tiefen wie die Umfragewerte des Präsidenten.
Auswirkungen auf die Regierung
Bereits in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit war Yoon Suk-yeol mit einer oppositionellen Mehrheit in der Nationalversammlung konfrontiert. Hoffnungen auf eine parteiübergreifende Zusammenarbeit lösten sich schnell auf: Die Differenzen und zwischen den Lagern, die sich spätestens seit 2017 aufgebaut und bis zum Wahlkampf 2022 zugespitzt hatten, führten zu mehr und mehr Spannungen. Der Präsident regierte zunehmend gegen das Parlament.
Auch deshalb blieben viele Reformen, für die auch präsidiale Dekrete nicht ausreichen, auf der Strecke. Yoons Fokus lag stattdessen auf seiner außenpolitischen Agenda, dem Primat des koreanischen Staatschefs. Allerdings liegen die Interessen der Wählerinnen und Wähler eher auf ihren alltäglichen Problemen und damit innenpolitischen Herausforderungen: Preisentwicklungen, Gesundheits- und Sozialsysteme, sowie der gesellschaftliche Zusammenhalt bestimmten neben erneut teils sehr persönlichen Angriffen auf die jeweiligen Gegenkandidaten die Wahlkampfveranstaltungen. Die Bewertung der Regierungsarbeit zu diesen Fragen spiegelt sich im Wahlergebnis.
Nun wird sich daran vermutlich wenig ändern. Der Präsident hatte zum Jahreswechsel eine Reihe von populären bis populistischen Initiativen versprochen. Auch wenn die PPP den Wählern zu vermitteln versucht hat, wie wichtig eine eigene Parlamentsmehrheit für deren Umsetzung ist, hat es am Ende nicht gereicht.
In den Tagen nach der Wahl boten der Premierminister sowie führende Mitarbeiter des Präsidentenbüros ihren Rücktritt an. Eine erste offizielle Erklärung von Yoon Suk-yeol am 16. April gab darauf zwar noch keine klaren Antworten, eine personelle Neuaufstellung erscheint aber unvermeidlich und wird nicht einfach werden. Für die Neubesetzung des Premierministers ist die Zustimmung der Nationalversammlung nötig.
Darüber hinaus versprach der Präsident, das Wählerurteil demütig anzunehmen und die Kommunikation seiner Politik zu verbessern, die er auch in den kommenden drei Jahren unverändert im Interesse der Südkoreanerinnen und Südkoreaner gestalten wolle.[vii]
Fazit
Im Lichte dieser ersten Reaktionen scheinen die Ergebnisse der Parlamentswahlen vor allem erstmal wieder Chaos in Parteien und Regierung, weiter Stillstand in der Innenpolitik und wenig Veränderungen im Gesamtbild zu bedeuten. Für die realen Probleme der Südkoreanerinnen und Südkoreaner sind das leider keine guten Nachrichten. Für echte Reformen wäre eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Lagern zwingend erforderlich. Wahrscheinlicher als bisher ist dies nicht geworden. Stattdessen droht eine weitere Verhärtung der politischen Polarisierung im Land.
Auf die südkoreanische Außenpolitik als klarem Zuständigkeitsbereich des Präsidenten und damit auf die großen internationalen Themen wie USA, China, Japan oder Nordkorea dürfte das Wahlergebnis kaum Einfluss nehmen. Auch der erfreuliche Ausbau der Zusammenarbeit mit europäischen Partnern wie Deutschland wird weitergehen. Diese Fragen und die durchaus sehr unterschiedlichen Antworten der beiden Lager werden wohl – wenn nicht durch die bevorstehenden Wahlen in Washington – erst wieder mit dem nächsten Präsidentschaftswahlkampf in den Fokus rücken.
Zumindest bis dahin bleibt Südkorea einer unserer zuverlässigsten Wertepartner in Asien. Dass sich Seoul seiner eigenen Bedeutung zunehmend bewusstwird und global immer selbstbewusster auftritt, kann Deutschland nur begrüßen.
[i] Konrad-Adenauer-Stiftung, https://www.kas.de/de/web/korea/laenderberichte/detail/-/content/corona-corona-corona
[ii] Konrad-Adenauer-Stiftung, https://www.kas.de/de/web/korea/laenderberichte/detail/-/content/koreas-parteienlandschaft-in-unruhe
[iii] Konrad-Adenauer-Stiftung, https://www.kas.de/de/web/korea/laenderberichte/detail/-/content/von-satellitenparteien-alten-bekannten-und-neuer-konservativer-einheit
[iv] Konrad-Adenauer-Stiftung, https://www.kas.de/de/web/korea/laenderberichte/detail/-/content/praesidentschaftswahl-suedkorea-knappes-rennen-lange-nacht
[v] Konrad-Adenauer-Stiftung, https://www.kas.de/de/web/korea/laenderberichte/detail/-/content/der-isolierte-vorsitzende-der-80-jaehrige-reformer-und-die-lahme-ente; Konrad-Adenauer-Stiftung, https://www.kas.de/de/web/korea/laenderberichte/detail/-/content/seoul-und-busan-haben-gewaehlt; Konrad-Adenauer-Stiftung, https://www.kas.de/de/web/korea/laenderberichte/detail/-/content/konservative-staerke-im-geteilten-land; Konrad-Adenauer-Stiftung, https://www.kas.de/de/web/korea/laenderberichte/detail/-/content/konvent-der-koreanischen-konservativen
[vi] Korea Times, https://www.koreatimes.co.kr/www/nation/2024/04/113_372585.html
[vii] Yonhap News Agency, https://m-en.yna.co.kr/view/AEN20240416003151315