Länderberichte
Nur elf Monate nach der Parlamentswahl vom Oktober 2010 war das lettische Wahlvolk am 17. September 2011 erneut zu den Urnen gerufen worden, um über die Zusammensetzung der 11. Saeima, dem lettischen Parlament, zu entscheiden. Zur Neuwahl war es gekommen, nachdem der aus seinem Amt scheidende Staatspräsident Valdis Zatlers ein Referendum zur Auflösung der 10. Saeima angestrengt hatte. Die darauf folgende Volksabstimmung am 23. Juli leitete die vorgezogene Neuwahl ein.
Während Präsident Zatlers mit seinem historisch einmaligen Schritt der Parlamentsauflösung in Lettland eigentlich für klare Verhältnisse und ein handlungsfähiges Parlament sorgen wollte, hat er mit der Gründung seiner Reformpartei, die mit einer „Band of Newcomers“ aus dem Stand zur stärksten Kraft im „lettischen Block“ wurde, zu einer erschwerten Regierungsbildung beigetragen.
Mit einer klaren Anti-Oligarchen-Linie schloss er bereits vor der Wahl ein Zusammengehen mit der vom Bürgermeister von Ventspils, Aivars Lembergs – einem der drei Oligarchen Lettlands -, finanzierten Union aus Grünen und Bauern (Zalu un Zemnieku savienība, ZZS) aus. Die von Zatlers angestrebte Koalition mit der stärksten Fraktion im Parlament, dem überwiegend von der russischstämmigen Bevölkerung Lettlands unterstützten Harmoniezentrum (Saskaņas Centrs, SC), scheiterte am Widerstand einiger seiner eigenen Parteikollegen. Blieb zuletzt nur noch die Möglichkeit einer Koalition mit der bürgerlichen Partei Vienotība, die noch im Oktober 2010 die Parlamentswahl deutlich für sich entschieden hatte und nun einen Stimmenverlust von über 11 Prozentpunkten hinnehmen musste, sowie der ungeliebten nationalen Allianz „Alles für Lettland“.
Doch auch dieses Mitte-Rechts-Bündnis steht auf tönernen Füssen, da bereits am 16. Oktober sechs Abgeordnete der Reformpartei ihrem Anführer Valdis Zatlers aufgrund „intransparenter Entscheidungsprozesse“ die Gefolgschaft verweigerten und ihren Austritt aus der ZRP-Fraktion erklärten. Zwar unterstützen die sechs „Abtrünnigen“ die neue Regierung um Ministerpräsident Valdis Dombrovskis, dennoch hat die Drei-Parteien-Koalition mit ihren fünfzig Abgeordneten keine eigene Mehrheit im Parlament.
Der Showdown um die Bildung der neuen Regierung über die vergangenen fünf Wochen hat nicht nur zu einem erneuten Vertrauensverlust in die politische Klasse Lettlands geführt, sondern insbesondere dem mit viel Vorschusslorbeeren in seine zweite politische Karriere gestarteten Ex-Präsidenten Valdis Zatlers geschadet. In einer jüngsten Umfrage von TNS Latvia stellen 68 Prozent der Befragten dem ehemaligen Staatsoberhaupt und Vorsitzenden der zweitstärksten politischen Kraft bei der Parlamentswahl schlechte Noten für die Verhandlungsführung der vergangenen Wochen aus. Nicht zuletzt sein voreilig verkündetes Verhandlungsergebnis mit Saskaņas Centrs, das er nach nur wenigen Stunden widerrufen musste, brachte ihn in Misskredit bei vielen seiner Unterstützer.
Sein persönliches Waterloo erlebte Zatlers am Morgen des 18. Oktober als ihm das bereits sicher geglaubte Amt des Parlamentspräsidenten von einer Mehrheit der Abgeordneten verwehrt wurde. Lediglich 47 der fünfzig Koalitionsabgeordneten und keiner der sechs abtrünnigen ZRP-Mandatsträger unterstützten Zatlers in den ersten beiden Wahlgängen, so dass am Ende wie in den zurückliegenden zehn Monaten Solvita Āboltiņa (Vienotība) mit 51 Stimmen zur Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses gewählt wurde. So setzte Zatlers nach seinem kometenhaften Aufstieg als Hoffnungsträger des neuen, oligarchenfreien Lettlands zu einem ebenso raschen Abstieg an. Im dritten Kabinett von Ministerpräsident Dombrovskis ist für ihn kein Amt vorgesehen. Dass das Regieren in Lettland auch nach der Wahl vom 17. September nicht leichter geworden ist, bekräftigte der neue und alte Ministerpräsident in seiner ersten Regierungserklärung:
„Wenn sie für diese Zusammensetzung der Regierung abgestimmt haben, haben sie gleichzeitig auch für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung des Landes, die Reformen und die Rechtsstaatlichkeit und für die Stabilisation der politischen Situation votiert. Dennoch, in einer Situation, in der die Koalition lediglich über 50 + 6 Stimmen verfügt, ist die Verantwortung jedes einzelnen Parlamentsmitglieds unabdingbar. Dies muss sich in einem prognostizierbaren Agieren und Verhalten in wichtigen Fragen zeigen. Dabei ist ebenso eine kritische, aber konstruktive Arbeit der Opposition gefordert.“
Regierung der Republik Lettland vom 25. Oktober 2011
- Valdis Dombrovskis (V)- Ministerpräsident
- Artis Pabriks (V) - Verteidigung
- Edgars Rinkevics (ZRP)- Äußeres
- Daniel Pavluts (ZRP) - Wirtschaft
- Andris Vilks (V) - Finanzen
- Rihards Kozlovskis (ZRP) - Inneres
- Roberts Kilis (ZRP) - Bildung & Wis-senschaft
- Zaneta Jaunzeme (VL) - Kultur
- Ilze Vinkele (V) - Soziales
- Aivis Ronis (parteilos) - Transport
- Gaidis Berzins (VL) - Justiz
- Ingrida Circene (V) - Gesundheit
- Edmunds Sprudzs (ZRP) - Umwelt & Regio-nale Entwicklung
- Laimdota Straujuma (parteilos) - Landwirtschaft