In 14 Arbeitsgruppen haben die Vertreter aller drei Koaltionspartner ("Neue Einheit", "Vereinigte Liste", und „Nationale Allianz“) die Prioritäten der neuen Regierung definiert. Zu den wichtigsten Prioritäten zählen Sicherheit, Energieunabhängigkeit, Bildung sowie Wirtschaftstransformation. Aktuell liegt Lettland wirtschaftlich im Rückstand im Vergleich zu den anderen beiden Baltischen Staaten. Bei Themen wie Außenpolitik oder Verteidigung gab es parteienübergreifende Übereinstimmung, wohingegen lange Diskussionen über die Maßnahmen zur Wirtschaftförderung, Gesundheit, Bildung oder Steuern geführt wurden.
Regierungsbildung als Hürdenlauf
Die Regierungsbildung lief komplizierter und länger als erwartet, obwohl das Kräfteverhältnis eindeutig war. Es war klar, dass die Regierungsbildung dem Wahlsieger “Jaunā Vienotība“ (Neue Einheit, EVP) anvertraut wird. Eine – für sein Amt untypisch – aktive Rolle hat Staatspräsident Levits eingenommen. Er beauftragte erst nur informell den bisherigen Ministerpräsidenten, Krišjānis Kariņš, die Verhandlungen über die Regierungsbildung zu führen. Außerdem verlangte der Staatspräsident, dass bereits vor der offiziellen Ernennung des Kandidaten des neuen Ministerpräsidenten, ein Entwurf der Regierungsdeklaration (des Regierungsprogramms) eingereicht wird.
Die erste Hürde bei der Regierungsbildung war deren genaue Zusammensetzung. „Jaunā Vienotība“ setzte sich für eine Koalition von vier Parteien ein. So sollte eine stabile Mehrheit im Parlament gewährleistet werden. Als vierten Koalitionspartner hatten sie „Die Progressiven“ im Auge. Jedoch haben sich die beiden anderen Koalitionspartner nach langen Diskussionen hiergegen ausgesprochen. Zu groß waren die inhaltlichen Unterschiede aus ihrer Sicht. Somit hat die Koalition nur 54 von 100 Stimmen in der Saeima. Die zweite Hürde war ein von „Jaunā Vienotība“ vorbereitetes Memorandum, das alle drei Partner unterzeichnen sollten. Hierin soll zwischen den Koalitionspartnern eine Übereinkunft über die Zusammenarbeit sowie deren inhaltliche wie prinzipelle Ausrichtung getroffen werden. Ein Novum in dieser Form für die beteiligten Parteien. Am 3. November erfolgte schlussendlich die Unterzeichnung. Dem Memorandum zufolge wird die nächste Regierung auf drei Grundsätzen beruhen:
- dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die Vertretung der Parteien in der Regierung und die Entscheidungsfindung in den Koalitionssitzungen,
- dem Grundsatz der Kontinuität bei der Entwicklung und Fortführung der von der Vorgängerregierung eingeleiteten Reformen sowie
- dem Grundsatz der gesamtschuldnerischen Haftung für die
Handlungen des Ministerpräsidenten, der das Vertrauen der Saeima erhalten hat und der von ihm ernannten Minister.
Neues Ministerium und neue Strukturen
Bereits vor den Wahlen wurde von Seiten der „Neuen Einheit“ – unter Kritik der „Vereinigten Liste“ – über die Bildung eines neuen Ministeriums für Klimapolitik und Energie diskutiert. Dieses Ministerium soll nunmehr sämtliche Kompetenzen aus den bisherigen Ministerien, dem Wirtschaftsministerium und dem Ministerium für Umwelt und Regionales, erhalten. Hiermit sollen die aktuellen Probleme effizient gelöst werden.
Eine weitere Neuerung dieser Regierungsverhandlungen war die Einführung von sog. „beigeordneten Ministern“ in einigen Ministerien. Diesen Vorschlag des Staatspräsidenten unterstützte die „Vereinigte Liste“ und wollte somit ihre Vertretung bei einigen wichtigen Ressorts stärken. Die beigeordneten Minister sollen wichtige zwischenministeriale Kompetenzen übernehmen, wie z.B. Digitalisierung, Zivilverteidigung, Demografie, Medien u.a. Diese Minister sollen vom Ministerpräsidenten ernannt und nicht vom Parlament bestätigt werden. Die dafür notwendigen Gesetzesänderungen wurden zunächst zwei Mal vom Rechtsausschuss abgelehnt. Allen voran, da die Regierung hier keine Mehrheit besitzt. Die Regierung hat die Vorlage sodann ohne Zustimmung des Ausschusses ins Parlament gebracht, wo sie am 1. Dezember beschlossen wurde. Aufgrund von internen Unklarheiten und der Stimmung in der Seima, wurde jedoch beschlossen, dieses Vorhaben auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Aktuell wird über zwei mögliche beigeordnete Minister diskutiert – für Medien im Kulturministerium und für Zivilverteidigung im Verteidigungsministerium.
Weitere Meinungsunterschiede zwischen den künftigen Koaltionspartnern entstanden nach dem Vorschlag von Kariņš über die Verteilung der Ministerien. Die Verteilung wurde mit den anderen Koalitionspartnern vorher nicht diskutiert. Vor allem war die Partei „Vereinigte Liste“ unzufrieden, da ihr anstatt des erhofften Verkehrsministeriums, das problematischere Gesundheitsministerium zugeteilt wurde. Bei der Ministerwahl für die neue Regierung überrascht es ein wenig, dass drei traditionell schwierige Ministerien - Wohlfahrt, Bildung und Gesundheit - von Ministern geleitet werden, die keine Erfahrung in diesen Bereichen haben. Experten sind skeptisch, ob es der neuen Regierung von Kariņš gelingt, die volle Legislaturperiode zu regieren. Es gibt zu viele Meinungsunterschiede und zu wenig Vertrauen unter den Koalitionspartnern. Außerdem gibt es zwei Aspekte, die Regierungsänderungen verursachen könnten: a) theoretisch sind auch andere Regierungskoalitionen mit Mehrheit möglich und b) die 2024 anstehenden Wahlen zum Europarlament und die damit verbundene Ernennung eines neuen Kommissars. Hierfür könnte Kariņš kandidieren, so hörbare Vermutungen.