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Veranstaltungsberichte

Nachhaltigkeit in der Arktis

Prämissen, Probleme und Potentiale

Bereits zum dritten Mal organisierte die Konrad-Adenauer-Stiftung ein Seminar zum Thema Arktis. Das diesjährige Seminar fand am 8. und 9. September 2014 in Bergen, Norwegen, statt und setzte seinen Schwerpunkt auf Nachhaltigkeitsfragen in der europäischen Arktis.

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Hohe Erwartungen an neue Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Nutzung auf der einen, wachsende Besorgnis im Hinblick auf negative soziale und ökologische Effekte auf der anderen Seite: Der Umgang mit der sich immer weiter erwärmenden arktischen Region ist eine Herausforderung. Forderungen nach einem nachhaltigen Umgang mit der Arktis und ihren Ressourcen sind deshalb allgegenwärtig. Die Konrad-Adenauer-Stiftung brachte Experten aus Wissenschaft und Politik sowie Anwohnervertreter an einen Tisch, um Chancen und Probleme rund um das Thema ‚Nachhaltigkeit in der Arktis‘ im europäischen Kontext zu diskutieren. Das Seminar war in drei Themenbereiche gegliedert: Forschungsperspektiven zu sozio-ökonomischen und ökologischen Veränderungen in der Arktis, Standpunkte und Anliegen der lokalen Bevölkerung sowie Perspektiven zur internationalen Kooperation zur Förderung eines nachhaltigen Umgangs mit der gesamten Region. Zwischen den Teilnehmern entwickelten sich lebhafte Diskussionen und ein offener Gedankenaustausch, dessen zentrale Aspekte an dieser Stelle herausgegriffen werden.

Das Konzept „Nachhaltigkeit in der Arktis“

Die Schlagworte „Nachhaltigkeit“ und „Arktis“ werden in vielerlei Zusammenhängen verwendet – doch beide Begriffe haben eine ganze Reihe von Assoziationen im Gepäck, die sich als problematisch erweisen können. So wird „die Arktis“ beispielsweise oft mit un-berührter Natur und abgeschiedener, nur von Eisbären bewohnter Wildnis in Verbindung gebracht; Menschen kommen in diesen Vorstellungen kaum vor. So wurde gleich zu Beginn des Seminars treffend formuliert, Arktispolitik richte sich oft eher an die Eisbären als an die Menschen, die in arktischen Regionen leben. Dieses fehlende Bewusstsein für die lokalen Gegebenheiten verkennt die Realität. Rund vier Millionen Menschen leben in der nördlichen Polarregion, die seit einiger Zeit eine steigende Urbanisierung verzeichnet. Sie erstreckt sich über drei Kontinente und ist alles andere als homogen: jedes Land und jede Region bis hin zur kommunalen Ebene sieht sich vor unterschiedliche Herausforderungen gestellt, die differenzierte Vorgehensweisen erfordern. Experten heben diese regionalen Unterschiede deshalb immer wieder hervor. Selbst die europäische Arktis, so betonen sie, weist viele regionale Besonderheiten auf. Um Probleme in den Griff zu bekommen, müssten vereinfachte Vorstellungen überwunden und differenzierte Diskussionen geführt werden.

Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff der Nachhaltigkeit, der in verschiedenen Zusammenhängen zu diversen Zwecken verwendet wird. Kritiker sprechen daher mittlerweile von einem „Chamäleon-Begriff“, der beinahe willkürlich zur Legitimierung unterschiedlicher Vorhaben benutzt wird. Um inhaltsleere Diskussionen zu vermeiden, muss das Konzept der Nachhaltigkeit immer wieder im jeweiligen spezifischen Kontext defi-niert und auf den Punkt gebracht werden. Trotz seines abstrakten Charakters kann der Nachhaltigkeits-Ansatz ein sinnvolles Gesprächsinstrument sein, denn es kann helfen, zugrunde liegende Vorstellungen und Werte der Gesprächsteilnehmer sichtbar zu machen. Alternativ zur vielverwendeten „Nachhaltigkeit“ werden häufig Begriffe wie „Balance“, „Verantwortlichkeit“ oder „altruistische Vorgehensweise“ verwendet – doch auch sie müssen im Dialog genau definiert werden.

Geht es um nachhaltige Ansätze wirtschaftlicher Aktivitäten in der Arktis, spielen die Motive und Prioritäten der Akteure eine wichtige Rolle. Legen diese ihre Pläne für eine nachhaltige Entwicklung vor, werden die langfristigen Konsequenzen bisher kaum oder nur ungenügend analysiert.

Der Brundtland-Bericht „Unsere gemeinsame Zukunft“ von 1987 prägte den Begriff „nachhaltige Entwicklung“, die auf drei Säulen basiert: Wirtschaftswachstum, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit. Die Verfolgung eines dieser Aspekte wirkt sich unweigerlich auf die übrigen zwei aus – die drei Säulen der nachhaltigen Entwicklung in Einklang zu bringen, ist hingegen eine große Herausforderung. Ein möglicher Schritt in die richtige Richtung ist es, Ziele und Vorgehensweisen präzise und aus einer in-situ-Perspektive zu formulieren. Letzterer kommt eine große Bedeutung zu: Beschlüssen, die von außenstehenden und ortsunkundigen Entscheidungsträgern gefällt werden, mangelt es an Glaubwürdigkeit und Durchsetzbarkeit bei der örtlichen Bevölkerung. Entscheidungen, die in weit entfernt liegenden Hauptstädten gefällt werden, verkennen oft die Lebenswirklichkeit der von ihnen betroffenen Menschen. Arktispolitik werde bestenfalls für die dort lebenden Menschen gemacht, doch kaum von ihnen selbst, meinen Kritiker.

Die menschliche Dimension der Nachhaltigkeit in der europäischen Arktis

Der Bericht zur menschlichen Entwicklung in der Arktis (Arctic Human Development Report, AHDR) bietet Einblick in Themen nachhaltiger Entwicklung auf lokaler Ebene. Er beschreibt die Situation der arktischen Bevölkerung und nutzt soziale Indikatoren, um die menschliche Entwicklung auf längere Sicht zu messen. Der nächste AHDR wird noch 2014 veröffentlicht.

Der Bericht beinhaltet unter anderem die Gesundheitssituation der Arktiseinwohner. Gesundheit ist eine Schlüsselkomponente der sozio-ökonomischen Entwicklung und der Nachhaltigkeit im arktischen Raum. Im Gegensatz zu anderen arktischen Regionen weist der Gesundheitszustand der indigenen und der nicht-indigenen Bevölkerung in der europäischen Arktis keine Unterschiede mehr auf. Dass beide Bevölkerungsgruppen dieselbe Lebenserwartung haben, gilt als einer der größten Erfolge auf diesem Gebiet. Noch vor etwa 200 Jahren war dies alles andere als selbstverständlich: Die Lebenserwartung der Sami war deutlich geringer, die Sterblichkeitsrate höher als die der nicht-indigenen Bevölkerung. Heute gilt diese „Gesundheits-Lücke“ als weitgehend geschlossen. In Kanada liegt die Lebenserwartung der indigenen Bevölkerung noch immer 13 Jahre unter der der Durchschnittsbevölkerung. Trotz der Erfolge im europäischen Kontext besteht auch hier weiter Hand-lungsbedarf: so verzeichnet die Sami-Bevölkerung eine höhere Suizidrate als die restliche Bevölkerung, besonders betroffen sind männliche Rentierzüchter.

Generell zeichnet sich die indigene Bevölkerung der europäischen Arktis durch ein zunehmendes Maß an politischem Selbstbewusstsein und Partizipation aus. Sami-Repräsentanten vertreten souverän ihre Interessen und fordern Mitspracherecht an Entscheidungsprozessen, die sich auf von ihnen genutztes Land und ihre traditionelle Lebensweise auswirken. Dennoch ist ebendiese Lebensweise von rapiden Assimilationsprozessen bedroht, die zum Verlust der indigenen Sprachen, Identität und Kultur führen können. Nachhaltige Entwicklung bedeutet hier, das kulturelle Erbe der indigenen Bevölkerung zu schützen und zu bewahren.

Eine weitere Herausforderung der menschlichen Dimension nachhaltiger Entwicklung ist Wasser- und Lebensmittelsicherheit. Dieser Aspekt beschränkt sich nicht nur auf den Zugang zu Wasser und Nahrung an sich, sondern bezieht sich auch auf die Sicherheit und Genießbarkeit dieser Lebensmittel. Viele Regionen der Arktis sind durch hohe Quecksilberkonzentrationen stark belastet oder durch persistente organische Schadstoffe (persistent organic pollutants, kurz ‚POPs‘) kontaminiert, die unter anderem durch industrielle Rohstoffförderung freigesetzt wurden.

Landgestützte Aktivitäten in der Arktis: Interessenkonflikt und Balanceakt

Die wirtschaftliche Nutzung der eurasischen Arktis umfasst ein weites Spektrum von Aktivitäten – von Fischerei über Schifffahrt, Öl- und Gasförderung, Bergbau, Forstwirtschaft über Rentierzucht bis hin zum Tourismus. In vielen Fällen sind mehrere dieser Sektoren in sich überschneidenden Gebieten aktiv, was schnell zu Interessenkonflikten führt.

Eine nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen in den sich überlagernden Gebieten erfordert einen kontinuierlichen Dialog aller Akteure auf Augenhöhe, um Konflikte beilegen zu können. Doch es ist genau die Kombination von Interessengebiets-Überschneidungen und einer fehlenden Gleichberechtigung zwischen den Akteuren, die konstruktive Dialoge behindert. Ungleiche Machtverhältnisse führen zu Frustrationen und unbefriedigenden Ergebnissen. Ein Beispiel sind die Interessenüberschneidungen der Bergbauindustrie und die der Ren-tierzüchter. Während erstere in Ländern wie Schweden günstige gesetzliche Bedingungen vorfinden, fehlen letzteren rechtliche Mittel, um gegen die Dezimierung ihrer traditionellen Weideflächen vorzugehen. Das Verständnis von nachhaltiger Landnutzung dieser beiden Akteure geht hier so weit auseinander, dass es kaum miteinander vereinbar erscheint.

Dennoch wird die Bergbauindustrie von der lokalen Bevölkerung oft als nachhaltige wirtschaftliche Nutzung betrachtet, die Arbeitsplätze und Wohlstand in der Region schafft. Der langfristig angelegte Abbau von Bodenschätzen - sei es zu Wasser oder auf dem Land - wird als Möglichkeit der wirtschaftlichen Wertschöpfung angesehen, die in der Region verbleibt und ihren Bewohnern zugutekommt. Die lokale Bevölkerung unterstützt daher nicht selten Aktivitäten wie den Eisenerzabbau in Kiruna, Nordschweden. Das Kiruna-Bergwerk als lokaler Hauptarbeitgeber sei eine Institution, auf die die Gründung der Stadt beruhe, heben Befürworter hervor. Kiruna ist ein Sinnbild für einen empfindlichen Balanceakt zwischen sozio-ökonomischer Nachhaltigkeit und Umweltschutz – ein Balanceakt, der beständig für kontroverse Diskussionen sorgt.

Ein nachhaltiger Ansatz in Ressourcennutzung an Land beinhaltet oft die Forderung, dass vor Ort generierte Gewinne in der Region verbleiben sollten. Ein Beispiel in dieser Hinsicht ist die Barentsregion: Experten kritisieren, die wirtschaftliche Entwicklung der Region sei in den letzten Jahren deutlich unter den Erwartungen geblieben. Der Vorschlag, in der Barentsregion eine Freihandelszone einzurichten, sorgt für weitere Kontroversen. Ein anderer Ansatz für die Verbesserung der ökonomischen Situation ist die regionale Besteuerung von natürlichen Ressourcen, um die Beteiligung der Anwohner an den Gewinnen der Rohstoffförderung sicherzustellen.

Öl & Gas, Fischfang, Schifffahrt - Goldgräberstimmung in der Arktis?

Der Rückgang von Meereis und die damit einhergehende Öffnung des arktischen Ozeans dienen oft als Hauptargument für optimistische Zukunftsprognosen über die wirtschaftliche Entwicklung in der Region. Reißerische Schilderungen zeichnen das Bild eines Goldrausches in der Arktis im Hinblick auf Fischfang, Schifffahrt, Öl- und Gasförderung.

Ein solcher Goldrausch ist in nächster Zu-kunft allerdings äußerst unwahrscheinlich. Die jährlichen Veränderungen in der Arktis – insbesondere die Veränderungen der Meereisausdehnung – sind nur schwer vorhersagbar. Das arktische Klimasystem wird von vielen Faktoren beeinflusst, unter anderem von der Erdatmosphäre, Meeresströmungen und Süßwasserzufluss. Das Zusammenspiel dieser Faktoren variiert von Jahr zu Jahr und erschwert exakte Vorhersagen zur Zugänglichkeit des arktischen Ozeans. Obwohl der letzte IPCC-Bericht eine kontinuierliche Eisschmelze für die nächsten Jahrzehnte als sehr wahrscheinlich erachtet, basieren alle Prognosen des Berichts auf computerisierten Modellberechnungen. Diese Berechnungen stützen sich auf die Daten der vergangenen 30 Jahre, und viele Unsicherheiten erschweren die Planung maritimer Aktivitäten.

Wissenschaftler verzeichneten einen historischen Rückgang von arktischem Meereis im September 2012. Trotzdem unterliegt die Meereisausdehnung natürlichen Schwankungen, die einen plötzlichen Ansturm auf arktische Naturressourcen sehr unwahrscheinlich erscheinen lassen. Das Bohren nach Öl und Gas in hocharktischen Offshore-Gebieten ist unter solch unsicheren Bedingungen in den kommenden Jahren zu kostspielig und gefährlich.

Gleichermaßen unwahrscheinlich ist ein plötzlicher Anstieg in der arktischen Schifffahrt. Zwar kann die Nordostpassage entlang der russischen Küste mehrere Monate im Jahr eisfrei sein, und auch das Meereis der Kanada-nahen Nordwestpassage erfährt einen steten Rückgang, der diese Gewässer für Schiffe befahrbar macht. Doch trotz der erwarteten Zeitersparnisse durch kürzere Distanzen wird in näherer Zukunft keine umfangreiche kommerzielle Nutzung dieser Seewege erwartet: Kürzere Transportzeiten und -wege hängen stark von der jeweiligen Meereisausdehnung und den Wetterumständen auf See ab. Schwierige Wetterverhältnisse, der Bedarf an speziell ausgestatteten Schiffe mit Eisklasse oder die Abhängigkeit von Eisbrechern machen eine kommerzielle Arktisschifffahrt derzeit zu einem teuren und schwer kalkulierbaren Unterfangen. Obwohl einige Gebiete einen Anstieg der regionalen arktischen Schifffahrt mit Zielen innerhalb der Region aufweisen, wird kein Zuwachs des trans-arktischen Seeverkehrs erwartet. Besonders für die „just-in-time“ geprägte Containerschifffahrt bergen die unsteten arktischen Seewege zu viele Risiken. Hinzu kommt, dass das Navigieren in arktischen Gewässern besonders für un-erfahrenes Personal gefährlich werden kann. Ungeklärt sind neben versicherungstechnischen Problemen auch Fragen nach Training und Zuständigkeit von Such- und Rettungsdiensten der jeweiligen Küstenwachen. Ein starker Anstieg der globalen Relevanz der Arktis-Schifffahrt ist daher in den nächsten Jahren nicht zu erwarten.

Ein weiterer Aspekt der eingangs erwähnten Goldrausch-Prognose sind Spekulationen um die Zukunft der arktischen Fischerei. Die Zunahme eisfreier Flächen und der generelle Anstieg der Meerestemperatur, so das Argument, führe zu migrierenden Fisch-schwärmen, die sich in arktischen Gewäs-sern ansiedeln würden. Diese Annahme greift allerdings zu kurz: Das Verschwinden von Meereis in der Arktis schafft nicht automatisch einen geeigneten Lebensraum für Speisefischbestände. So kommt der arktische Ozean aufgrund seiner Tiefe beispielsweise für Arten wie den Kabeljau und den Schellfisch als Lebensraum nicht infrage. Die Meeresboden-Topographie, die Tiefe von Migrationskorridoren und weitere Faktoren wie die Wassertemperatur, Salzgehalt des Wassers (Salinität) und Nahrungsbedingungen (wie beispielsweise die Verfügbarkeit von Plankton) müssen ebenso beachtet werden wie die Größe des Fischbestands der jeweiligen Arten. Sie bestimmen, ob eine nordwärts gerichtete Migration realistisch erscheint oder nicht. Während Arten wie der Rotbarsch durchaus in der Arktis heimisch werden könnten, ist dies für viele andere Arten nicht der Fall. Aus Forscherperspektive erscheinen die Vorhersagen von umfangreichen Umsiedlungen der Fischbestände wenig realistisch.

Experten kritisieren, dass die Rhetorik einer unaufhaltsamen und exponentiell steigenden wirtschaftlichen Dynamik in der Arktis den Eindruck eines unkontrollierbaren Prozesses vermittelt. In einem solchen Prozess wäre die Steuerung in nachhaltigen Bahnen kaum möglich. Ein so überzeichnetes Bild unterschätzt den Einfluss politischer Ent-scheidungen: sie können sowohl treibende Kraft als auch Hindernis für die wirtschaftliche Aktivitäten in der Arktis sein. Während des Seminars stellte sich die Frage, ob die Hauptantriebskraft für die Wirtschaftsaktivität tatsächlich der Klimawandel sei, oder vielmehr politische Entscheidungsprozesse. Grundsätzlich, so die Schlussfolgerung, sollten die menschlichen Einfluss- und Steue-rungsmöglichkeiten nicht unterschätzt werden.

Internationale Kooperation und Governance-Strukturen

Aus politischer Perspektive ist der Arktische Rat eine entscheidende Institution, um auf internationaler Ebene Lösungsansätze zu Fragen der nachhaltigen Entwicklung zu entwickeln. Der Arktische Rat verfügt über Experten- und Arbeitsgruppen, von denen sich insbesondere die Arbeitsgruppe „Nach-haltige Entwicklung“ (Sustainable Development Working Group, SDWG) mit diesem Themenkomplex auseinandersetzt. Die SDWG konzentriert sich hauptsächlich auf menschliche Entwicklung und Gesundheit, sowie auf sozio-ökonomische und kulturelle Aspekte der Nachhaltigkeit.

Der Vorsitz des Arktischen Rates rotiert im Zweijahres-Turnus. Im Rückblick auf den schwedischen Vorsitz 2011-2013 sind zwei Maßnahmen hinsichtlich der verstärkten sozialen und wirtschaftlichen Nachhaltigkeit besonders hervorgehoben worden: die Initiative zur Corporate Social Responsibility (CSR) und die Gründung eines Arktischen Wirtschaftsrats, des Arctic Economic Council (AEC). Der AEC ist rechtlich nicht an den Arktischen Rat gebunden, steht mit diesem informell aber in enger Verbindung.

Die Bemühungen um eine CSR-Initiative im arktischen Raum sind auf eine erwartete stärkere Wirtschaftsaktivität zurückzuführen, die sowohl arktische als auch nicht-arktische Unternehmer einschließt. In einer solchen Situation könnten zwar multinationale Unternehmen und kleine und mittlere Unternehmen (KMU) Seite an Seite operieren, jedoch nicht nach einheitlichen Richtlinien und Best Practice-Maßstäben. Um gerechte Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten, bedarf es aus Sicht des Arktischen Rates deshalb umfassenderen, einheitlichen Rahmenrichtlinien. Die arktische CSR-Initiative zielt darauf ab, unterschiedliche Akteure zusammen zu bringen und branchenspezifische Dialoge zu initiieren, um ein gemeinsames Verständnis und Engagement für die nachhaltige Nutzung arktischer Res-sourcen zu erreichen.

Um dies zu verwirklichen, gliedert der Arktische Wirtschaftsrat seine Aktivitäten nach Industriesektoren. Den Anfang machte im März 2014 eine Konferenz in London mit dem Schwerpunkt Arktis-Schifffahrt. Sie ermöglichte einer Vielzahl von Unternehmern und Interessenvertretern wie Reedern und Versicherungsunternehmen, sich auszu-tauschen und gemeinsame Richtlinien zu diskutieren. Weitere Konferenzen und Dialoge mit den Schwerpunkten Bergbau und Öl- und Gasförderung sind in Planung.

Für Regierungsvertreter bleibt es weiterhin schwierig, mit Vertretern der Privatwirtschaft in einen Dialog zu treten. Aus diesem Grund schuf der Arktische Rat in Form des Arktischen Wirtschaftsrates einen informellen Prozess, um Austausch und Konsultationen zu ermöglichen. Trotz seiner formellen Unabhängigkeit vom Arktischen Rat besteht zwischen beiden Institutionen eine enge inoffizielle Verbindung, um die Interaktion zwischen Politik und Wirtschaft zu erleichtern.

Aus der Perspektive der Europäischen Union durchläuft die Arktis zurzeit Veränderungen, die sich auf viele Gebiete außerhalb der Arktis – und somit auch im Unionsgebiet – auswirken. Zusammen verfügen die EU-Mitgliedstaaten über die größte Handelsflotte der Welt, die in entscheidendem Maße zur Bedeutung des europäischen Binnenmarktes beiträgt. EU-Repräsentanten setzen sich deshalb für einen integrativen Ansatz arktischer Governance-Strukturen ein. Her-ausforderungen wie Nachhaltigkeit in der Arktis, so betonen sie, können nicht von einzelnen Staaten allein bewältigt werden. Besonders exklusive Treffen der so genannten „Arctic Five“, der fünf Arktis-Anrainerstaaten (Kanada, Russland, die USA, Norwegen und Dänemark über Grönland) stoßen bei der EU auf Unverständnis. Zwar möge die EU von manchen Arktisstaaten als externer Akteur betrachtet werden, dennoch wirkt sich die EU-Gesetzgebung auch auf die arktische Region aus, nicht zuletzt durch die arktischen EU-Mitgliedstaaten. Die Frage, ob die EU stärker in Arktis-Governance-Strukturen eingebunden werden soll, ist daher aus Sicht der Befürworter überflüssig, da die EU bereits in vielerlei Hinsicht ohnehin involviert sei. Es gilt als wahrscheinlich, dass der EU beim kommenden Treffen des Ministerrats des Arktischen Rates im April 2015 in Iqaluit der Beobachterstatus zugesagt wird.

Während Kritiker bemängeln, politische Prozesse in der Arktis würden immer mehr von externen Akteuren beeinflusst, heben Befürworter eines integrativen Vorgehens die Notwendigkeit hervor, die Arktis auch „nach außen“ zu tragen: Viele Entwicklungen in der Arktis wie etwa Kohlenstoffemissionen, Umweltverschmutzung und die globale Erwärmung haben ihren Ursprung nicht in der Arktis, sondern setzen der Region von außen zu. Dieser Umstand mache die Arktis zu einem Problembereich, der über seine regionalen Grenzen hinausgeht – er sei nicht allein Sache der Arktisstaaten.

Trotz dieser Kontroverse herrschte unter den Seminarteilnehmern Einigkeit darüber, dass Arktispolitik stets so nah wie möglich an den dort lebenden Menschen sein müsse. Dazu gehört auch, lokales Wissen zu berücksichtigen und Möglichkeiten der Partizipation zu schaffen.

Für die EU stellt der Arktische Rat die primäre politische Institution dar, um Probleme in der Region in Angriff zu nehmen. Aus EU-Sicht sind eine möglichst hohe Transparenz und Einbeziehung weiterer Akteure in die Arbeit des Rates wünschenswert.

Die Zukunft der Kooperation mit Russland war ein wiederkehrendes Thema des Seminars. Zwar wurde hervorgehoben, dass die internationale Zusammenarbeit in der arktischen Region durch friedliche Kooperation gekennzeichnet wird, die eine ganz eigene Dynamik entwickelt hat und somit wenig anfällig für die Beeinflussung durch globale Ereignisse ist. Arktische Kooperation zwischen Russland und den europäischen Ark-tisstaaten zeichnet sich Experteneinschätzungen zufolge generell durch konstruktive, aufeinander abgestimmte Zusammenarbeit aus, um gemeinsame Probleme zu lösen und gemeinsame Interessen zu verfolgen. Da rund 50 Prozent der arktischen Küste der Russischen Föderation angehören, ist Russland aus der internationalen Zusammenarbeit nicht wegzudenken. Regionale Kooperation im Arktischen Rat und im Euro-arktischen Barents-Rat werden auch in schwierigen Situationen bestmöglich aufrecht erhalten. Allerdings, so betonen Analytiker, war diese Zusammenarbeit selbst immer ein Instrument der gegenseitigen Vertrauensbildung, die durch internationale Spannungen beeinträchtigt werden kann.

Aufgrund der von der EU verhängten Sanktionen gegen die Russische Föderation ist es möglich, dass letztere ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Staaten wie China, Südkorea oder Singapur auch im Hinblick auf arktische Wirtschaftsunternehmungen verstärkt. Diese könnten attraktive Partner für die Entwicklung von High-Tech-Ausrüstung und Technologien sein, die für die Rohstoffförderung in der Arktis erforderlich sind.

Das Seminar „Nachhaltigkeit in der Arktis: Prämissen, Probleme, Potentiale“ hat deutlich gemacht, dass ein gemeinsames Verständnis von Nachhaltigkeit maßgeblich für einen verantwortungsvollen Umgang mit dieser sensiblen Region ist. Anstatt nach einem allumfassenden Nachhaltigkeitsbegriff zu streben, muss der Inhalt des Begriffs im jeweiligen Kontext immer wieder neu präzise formuliert werden. Um ein langfristiges Engagement für eine nachhaltige Entwicklung in der Arktis zu ermöglichen, müssen alle Partner – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Arktis – aktiv in den Dialog und Austausch eingebunden werden. Eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit trägt dazu bei, ein differenziertes Verständnis der Arktis zu schaffen und vereinfachende Vorstellungen und Konzepte der Region zu überwinden.

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Mrs. Trude Drevland, Mayor of Bergen with the participants of the workshop KAS Riga

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