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Länderberichte

Probezeit für Lukaschenko

„Wenn Europa uns zwei Schritte entgegenkommt, sind wir bereit, fünf zu machen“, erklärte Präsident Lukaschenko Anfang Oktober im Gespräch mit Alexander Stubb, dem finnischen Außenminister und amtierenden OSZE-Vorsitzenden. Was kann getan werden, damit diese Äußerung nicht nach dem üblichen Muster „Worte, Worte, keine Taten“ folgenlos bleibt? Die EU ergriff die Inititative: Der erste Schritt war die ausgesprochen milde Reaktion auf die Parlamentswahlen Ende September, die erneut weder frei noch fair noch demokratisch waren.

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Lukaschenko befindet sich ab sofort in einer Art europäischer Probezeit: Sechs Monate ist es ihm erlaubt, nach Europa zu reisen, bis April 2009 ist das Einreiseverbot ausgesetzt, das die EU im Frühjahr 2006 nach der Fälschung der Präsidentschaftswahlen und der brutalen Niederschlagung der friedlichen Proteste gegen die Wahlfälschung verhängt hatte. Als Gegenleistung werden in diesem halben Jahr von der Führung in Minsk substantielle Fortschritte bei der Demokratisierung von Belarus erwartet. Die EU richtet ihr Augenmerk somit auf die Situation im Land. So sehr die Freilassung der letzten politischen Gefangenen im August ein wichtiges Zugeständnis von Lukaschenko an Europa gewesen ist, es war vor allem ein symbolischer oder auch: außenpolitischer Schritt. Am repressiven Charakter des Regimes im Land hat sich nichts grundlegend geändert, eine Bereitschaft zur Achtung der Werte, die die EU für sich als maßgebend deklariert, zeichnet sich in Belarus noch nicht ab.

Teile der demokratischen Opposition im Land werfen Europa bereits vor, es verkaufe die Demokratie und lasse diejenigen fallen, die im Land für grundlegende Freiheiten und die Achtung von Menschenrechten eintreten. Doch sollte man Europa Zeit geben. Die EU wird jetzt zeigen müssen, dass es ihr im Dialog mit dem offiziellen Minsk nicht nur um geopolitische Erwägungen (Ringen mit Russland um Einfluss auf Belarus) oder wirtschaftliche Belange geht, sondern dass sie darin auch für die eigenen demokratischen Werte einsteht. Brüssel hat angekündigt, „in einigen Wochen“ eine spezielle EU-Mission nach Minsk zu entsenden mit dem Ziel, den Plan der Zusammenarbeit zu umreißen, nach dem die Demokratisierung in Belarus vorangetrieben werden soll.

Genau das ist die eigentliche Herausforderung, denn Lukaschenko hat wiederholt deutlich gemacht, dass ihn nur die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Europa interessiert. Belarus braucht Investitionen und neue Technologien, auch wünscht man sich ein westliches Gegengewicht gegen den wirtschaftlich-politischen Druck aus Russland (Putins Besuch in Minsk Anfang Oktober hat verdeutlicht, dass es für Russland ein klares Junktim zwischen der Frage der Anerkennung von Abchasien und Südossetien und dem Gaspreis gibt, den Belarus 2009 zu zahlen hat). Es wäre naiv anzunehmen, dass die belarussische Führung über Nacht dem Modell des demokratischen Rechtsstaates europäischer Prägung aufgeschlossen gegenüber geworden ist. Da auch in Brüssel niemand dieser Illusion anhängt, will man jetzt eine „road map“ für die Normalisierung der Beziehungen zwischen Belarus und Europa erarbeiten. In ihr soll ein genauer Fahrplan festgeschrieben werden, nach dem der begonnene Dialog fortgesetzt werden kann. Kurz: Wenn die belarussische Seite einen Schritt A macht, antwortet die EU mit einem Schritt B usw. Ganz oben auf der Liste der Themen, mit denen die EU beginnen möchte, stehen eine Verbesserung der Situation der unabhängigen Medien im Land, insbesondere die Rücknahme des im August von Lukaschenko unterzeichneten restriktiven Mediengesetzes, eine Reform der Wahlgesetzgebung, Liberalisierungen im Bereich der Versammlungsfreiheit und bei der Zulassung der politischen Parteien, möglicherweise die Abschaffung der Todesstrafe. Zudem hat die EU erklärt, dass die nicht auszuschließende Anerkennung von Abchasien und Südossetien durch das neue belarussische Parlament als ein deutlicher Rückschritt gewertet würde.

Das Verfahren ist richtig, wenn bei der Ausarbeitung der road map ein Punkt berücksichtigt wird: Lukaschenko ist ein unübertroffener Meister darin, alle möglichen Formen von Annäherung zu imitieren. Das beste Beispiel ist der Unionsstaat mit Russland: Das Thema steht seit fast einem Jahrzehnt auf der politischen Agenda, ohne dass es zu substantiellen Ergebnissen wie etwa der Einführung einer einheitlichen Währung (von Russland gewollt, von Belarus gefürchtet) gekommen ist, und Lukaschenko hat es mit bewundernswerter Perfektion vermocht, den Prozess so lange zu verschleppen, dass niemand mehr ernsthaft an das Projekt glaubt. In Brüssel wird man sich darauf einstellen müssen, dass er im nächsten halben Jahr ein ganzes Arsenal an taktischen Finten einsetzen wird, um sich um demokratische Reformen im Land herumzudrücken.

Und so gibt es auch Kritik an den vermeintlich vorschnellen Zugeständnissen der EU: Die niederländische Abgeordnete im Europaparlament, Jeanine Hennis-Plasschaert, wollte von der französischen Ratspräsidentschaft wissen, was genau die EU für die Aufhebung des Einreiseverbots erwarte. Sie unterstütze den Dialog mit Minsk, doch die geforderten Gegenleistungen müssten konkret sein, erklärte sie. Damit ist das für die EU größte Problem in diesem Prozess benannt: Die präzise Beschreibung der Schritte, die die Führung in Minsk in den nächsten sechs Monaten im Bereich der Demokratisierung des Landes vornehmen soll - inklusive der Antizipierung aller möglichen Tricks von Lukaschenko. Ganz wichtig wird es sein, Indikatoren zu benennen, mit denen nach sechs Monaten exakt gemessen werden kann, ob Minsk die vereinbarten Schritte getan hat und – in der Folge – eine unbefristete Aussetzung des Einreiseverbotes gerechtfertigt ist. Dabei sollten beide Seiten realistisch sein und dürfen sich nicht überfordern, denn das genau ist bei den 12 Punkten passiert, die die EU in ihrem Strategiepapier vom Herbst 2006 („What the EU could bring to Belarus“) formuliert hatte: Hätte Lukaschenko alle Punkte des „EU Non-papers“ erfüllt, Belarus wäre heute ein anderes Land. Das konnte nicht erwartet werden, und so hat sich gut zwei Jahre lang nichts in den Beziehungen zwischen Belarus und der EU bewegt.

Vordringlich erscheint momentan jedoch noch eine andere Sache: Seit Erweiterung der Schengenzone im Dezember 2007 ist es für durchschnittliche Bürger in Belarus erheblich schwieriger geworden, nach Europa zu reisen. Die Visumsgebühren für Belarussen in die EU sind fast doppelt so hoch wie für Ukrainer oder Russen. Einstimmig und zu Recht werfen die demokratischen Kräfte im Land der EU vor, mit ihrem Verfahren der Visavergabe die Selbstisolierungspolitik von Lukaschenko unmittelbar zu unterstützen. Es ist kaum anders als zynisch zu werten, dass die EU es innerhalb weniger Tage vermochte, die Einreisebeschränkung für die Elite des Regimes auszusetzen, es gleichzeitig aber seit Jahren nicht schafft, den einfachen Menschen im Land den Zugang nach Europa zu erleichtern. Wenn Europa jetzt nicht viel von dem Kredit verspielen will, den es sich in den letzten Jahren mühsam in der belarussischen Bevölkerung erarbeitet hat, dann muss es alles daran setzen, die bestehenden innenpolitischen und administrativen Hürden für eine Erleichterung (und Verbilligung) der Visumsvergabe für belarussische Bürger im Eiltempo zu beseitigen.

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