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Länderberichte

Staatspräsident Emmanuel Macron wappnet sich mit neuem Premierminister für die Europawahlen

von Anja Czymmeck, Nele Katharina Wissmann

Gabriel Attal löst Élisabeth Borne ab.

Schon seit einigen Wochen gab es Gerüchte in Paris, dass es eine Regierungsumbildung geben könnte und am 8. Januar war es dann so weit. Premierministerin Élisabeth Borne reichte den Rücktritt ihrer Regierung bei Staatspräsident Emmanuel Macron ein. Dieser bedankte sich in einer auf X veröffentlichten Nachricht bei der scheidenden Premierministerin und sprach von einer „beispielhaften“ Arbeit, die mit „Mut“ durchgeführt worden sei. In ihrem Rücktrittsschreiben erklärte Borne, dass sie ihr Amt nicht aus eigener Initiative niederlege, sondern der Staatspräsident sie darum gebeten habe. Emmanuel Macron ernannte daraufhin am 9. Januar Gabriel Attal, den bisherigen Bildungsminister und Macronisten der ersten Stunde. Mit 34 Jahren wird er, der in Umfragen zuletzt als beliebtester Politiker der Franzosen genannt wurde und zuvor Macrons Regierungssprecher und Bildungsminister im Kabinett Borne war, der jüngste Premierminister der Fünften Republik.

Regierungsumbildungen sind in Frankreich nicht ungewöhnlich. Bereits in seiner ersten Amtszeit (2017 - 2022) dienten zwei Premierminister unter Staatspräsident Emmanuel Macron. Nach dem angespannten Jahresabschluss 2023 rund um die Reform des Einwanderungsgesetzes möchte Macron mit der Ernennung des Premierministers Gabriel Attal im Europawahljahr 2024, das in Frankreich erneut durch das Duell zwischen Liberalen und dem rechtspopulistischen Lager geprägt sein wird, die politischen Wogen auch in der eigenen Mehrheit glätten.

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Bilanz des Mandats von Premierministerin Elisabeth Borne

Élisabeth Borne war im Superwahljahr 2022 nicht die erste Wahl Emmanuel Macrons. Die Ernennung der Regierung nach den Präsidentschaftswahlen verzögerte sich deutlich, auch in Hinblick auf die Tatsache, dass Macrons Partei Renaissance bei den Parlamentswahlen am gesetzten Ziel einer absoluten Mehrheit scheiterte und nunmehr das Regierungsprogramm mit einer relativen Mehrheit in einer eher hostilen Nationalversammlung durchsetzen muss. Die Zeit von Elisabeth Borne als Premierministerin war geprägt von der häufigen Anwendung des Artikels 49.3 der Verfassung, der es ermöglicht, einen Text ohne Abstimmung in der Nationalversammlung zu verabschieden. Insgesamt 23-mal wandte die Regierungschefin dieses verfassungsrechtliche Mittel an. Die Premierministerin musste sich 31 Misstrauensanträgen stellen. Diese waren alle Antworten auf den immer wiederkehrenden Rückgriff auf Artikel 49.3. Die Anträge scheiterten an der gespaltenen Opposition zwischen dem Linksbündnis Nupes, den Rechtspopulisten und dem bürgerlich-konservativen Lager.  Insgesamt konnte Regierungschefin Borne jedoch 41 Gesetzentwürfe und sechs Maßnahmenpakete verabschieden. Neben den beiden symbolträchtigen Reformen des Renten- und Einwanderungsgesetzes sind auch Texte zur Kaufkraft (Sommer 2022), zur Atomkraft (Frühjahr 2023) oder zum Wiederaufbau nach den Unruhen (Sommer 2023) zu nennen. Es bleibt zu betonen, dass der Gesetzgebungsprozess sowohl in Hinblick auf die Renten- als auch die Einwanderungsreform für Borne schmerzhafte Prozesse waren, über die sie letztlich auch gestolpert sein dürfte. Während das Einwanderungsgesetz ursprünglich ein Prestigeprojekt der französischen Regierung hätte sein sollen, wurde es letztlich zum Spaltpilz der eigenen Parlamentsmehrheit. Die Regierung hatte beim Einwanderungsgesetz die gewohnte Strategie „weder rechts noch links“ verfolgt, musste jedoch dem bürgerlich-konservativen Lager in den Verhandlungen große Zugeständnisse machen und das Gesetz verschärfen. Dies führte dazu, dass die Rechtspopulistin Marine Le Pen das Gesetz als „ideologischen Sieg“ ihrer Partei in der Nationalversammlung bezeichnete.  Gesundheitsminister Aurélien Rousseau trat aus Protest gegen das Gesetz zurück, was zu einem Aufruhr im linken Lager der Renaissance-Bewegung führte.

 

Politischer Neustart mit Premierminister Gabriel Attal?

Staatspräsident Emmanuel Macron versucht mit der Ernennung von Gabriel Attal einen politischen Neustart. Attals Vorgänger Jean Castex und Elisabeth Borne waren eher Technokraten, die ihr Amt als Verwaltungsakt verstanden und Macron die politische Bühne überließen. Attal wird sich in diesem Machtgefüge sicherlich neu positionieren, auch wenn er sich als Macronist der ersten Stunde voraussichtlich loyal zum Staatspräsidenten verhalten wird.

Es ist davon auszugehen, dass Staatspräsident Emmanuel Macron unter dem Druck der anstehenden Europawahlen, die in Frankreich erneut zum Duell zwischen Liberalen und Rechtspopulisten führen dürften, einen starken Mann an seiner Seite akzeptiert. Für das Präsidentenlager steht viel auf dem Spiel, da die verschiedenen Umfragen einen deutlichen Abstand zwischen der Rassemblement National von Marine Le Pen und dem macronistischen Lager zeigen. Die Popularitätswerte des 28-jährigen RN-Spitzenkandidaten Jordan Bardella steigen weiter.

Im Hinblick auf die in drei Jahren anstehenden Präsidentschaftswahlen ist es auch möglich, dass Emmanuel Macron eine neue Generation seiner Renaissance-Bewegung aufzubauen versucht, die bisher stark um seine eigene Person konzipiert war. Attal gilt in Beobachterkreisen als Doppelgänger Macrons, sowohl was seine politischen Positionen als auch die eigenen Ambitionen betrifft. Er hatte sich in den letzten fünf Monaten als Bildungsminister profiliert. Das Ressort war von Staatspräsident Emmanuel Macron unlängst zur zentralen Baustelle der 5. Republik ernannt worden. Gabriel Attal, der politisch vielfach als sozialdemokratisch geprägt eingeordnet wird, zeigte in diesem Bereich, dass er eine Brücke zu den Bürgerlich-Konservativen zu schlagen weiß. Er setzte das Thema „Autorität“ auf seine Agenda und verbot das Tragen von Abayas oder Qamis in Schulen. In einer Testphase steckt aktuell das Tragen von Schuluniformen, was ursprünglich ein Vorhaben des bürgerlich-konservativen Lagers war.

Staatspräsident Emmanuel Macron hatte für den Monat Januar einen Neustart angekündigt, ein „Rendez-Vous“ mit der Nation“. Die Regierungsumbildung ist der erste Schritt dazu. Die Zusammensetzung der Regierung stellt für Gabriel Attal eine große Herausforderung dar. Die Regierung muss die politischen Gleichgewichte der Regierungskoalition aus Renaissance, MoDem und Horizons, den Parteien von François Bayrou und Edouard Philippe, widerspiegeln. Außerdem muss er sich um die Zukunft der Ressorts kümmern, die von politischen Schwergewichten – Gérald Darmanin im Innenministerium und Bruno Le Maire im Wirtschaftsministerium - besetzt sind. Auch das Schicksal von Ministern des linken Flügels der Mehrheit ist ungewiss, wie Clément Beaune (Verkehr), Patrice Vergriete (Wohnungsbau) oder Rima Abdul Malak (Kultur). Einige in der Mehrheit fordern Sanktionen gegen diese Regierungsmitglieder, die im Dezember gegen das Einwanderungsgesetz Stellung bezogen haben.

Bevor Gabriel Attal neue Reformen durchsetzen kann, wird er zunächst die von der vorherigen Regierung begonnenen Projekte übernehmen. Die Verankerung des Schwangerschaftsabbruchs in der Verfassung ist eine symbolträchtige Reform und wird von der Exekutive für Anfang März über einen Kongress in Versailles angestrebt. Um diesen engen Zeitplan einzuhalten, muss der Gesetzentwurf bereits am 24. Januar in die Nationalversammlung eingebracht werden, bevor er in den Senat geht. Das Gesetz zur Sterbehilfe soll im Laufe des Jahres ebenfalls im Parlament debattiert werden. Der von Macron aufgesetzte Bürgerkonvent hatte sich für eine aktive Sterbehilfe ausgesprochen, die jedoch an Bedingungen geknüpft sein sollte. Die Regierung hatte ursprünglich ein einheitliches Gesetz für den Spätsommer 2023 angekündigt, es dann aber mehrfach verschoben. Schließlich plant die Regierung für Ende Januar einen Text, der darauf abzielt, dass innerhalb von zehn Jahren die Mehrheit der in Frankreich verbrauchten Energie aus erneuerbaren Energien stammt. Auch den beiden Ressorts Sicherheit und Transport wird sich Premierminister Gabriel Attal in Hinblick auf die anstehenden Olympischen Spiele verstärkt annehmen müssen und diesbezüglich auch unter starker Beobachtung stehen.

Mit Blick auf die deutsch-französischen Beziehungen hatte Attal im Dezember 2023 als Bildungsminister an der deutsch-französischen Parlamentarier Versammlung in Bonn teilgenommen und für die Vertiefung der Beziehungen und die Verstärkung des gegenseitigen Spracherwerbs geworben. Daher bleibt zu hoffen, dass er sich auch als Premierminister für den deutsch-französischen Motor stark macht, aber ob mit ihm wirklich das Stimmungstief in Frankreich überwunden und eine starke Ausgangsposition für die Europawahlen geschaffen werden kann, bleibt abzuwarten.

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Anja Czymmeck

Anja Czymmeck

Leiterin des Auslandsbüros Frankreich

anja.czymmeck@kas.de +33 156 69 15 00

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