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„BRICS Plus“ - Kurzanalyse Lateinamerika

von Jan Woischnik, Christian Fritzemeier
Während der BRICS-Gipfel in Johannesburg und die dabei vollzogene Erweiterung des Bündnisses in Mexiko, Zentralamerika, den Andenstaaten sowie in Uruguay ein eher geringes Medienecho hervorrief, wurde das Ereignis im Mitgliedsland Brasilien, aber auch in Chile mit größerem Interesse verfolgt. In den linksautoritären Staaten Bolivien und Venezuela erfuhr die BRICS-Erweiterung auch von offizieller Seite große Aufmerksamkeit, denn die Staatsoberhäupter beider Länder reisten als Beobachter nach Johannesburg beziehungsweise schalteten sich per Videobotschaft zu und bekräftigten dabei ihr Interesse an einer eigenen Mitgliedschaft. Argentiniens möglicher Beitritt in die BRICS+ ist zum Thema im Präsidentschaftswahlkampf geworden, sodass in dem Land am Rio de la Plata nun ausgiebig über die Vor- und Nachteile sowie über das Ob eines Beitritts zum Jahreswechsel debattiert wird.

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Venezuela und Bolivien sehen in dem Format eindeutig ein anti-westliches Gegenmodell, aber auch Brasilien und Chile teilen diese Einschätzung. In den meisten Staaten der Region werden die BRICS jedoch als loser Zusammenschluss von sehr heterogenen Staaten zum Ausbau der wirtschaftlichen Kooperation und Handel sowie zur Investitionsförderung angesehen. Eine geopolitische Machtverschiebung wird oftmals lediglich von Expertinnen und Experten aus dem Bereich der Politikwissenschaften gesehen. In einigen lateinamerikanischen Ländern, wie zum Beispiel Argentinien, Chile oder Costa Rica, gibt es keine einheitliche Bewertung. Auffällig ist das große Interesse an den Plänen der BRICS, den US-Dollar als weltweite Leitwährung abzulösen sowie an Perspektiven für alternative Finanzierungsquellen durch die New Development Bank. 

 

Zukunftsperspektiven

In Lateinamerika wird aufgrund der gestiegenen Ausdehnung und wirtschaftlichen Potenz überwiegend von einer Zunahme des internationalen Gewichts der BRICS+ ausgegangen. So findet die Aussage, die BRICS+ seien bedeutender als die G7, breite Erwähnung in den lateinamerikanischen Debatten. Beobachter weisen jedoch kritisch auf die Heterogenität des Zusammenschlusses hin. 

Wenig überraschend streben Bolivien und Venezuela aktiv nach einer Mitgliedschaft und versuchen, durch ihren Rohstoffreichtum das Interesse der BRICS-Staaten zu wecken. Honduras zeigt ebenfalls Ambitionen, dem Format beizutreten. Obwohl eingeladen, hat Kolumbien bislang keinen eigenen Aufnahmeantrag bei den BRICS-Staaten gestellt, dennoch ist man dort aus wirtschaftlichen Gründen gegenüber einer weiteren Annäherung nicht abgeneigt. Dies gilt auch für die meisten anderen Staaten der Region, die pragmatisch wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten mit den BRICS+-Staaten nutzen wollen. Insbesondere in der New Development Bank wird eine Chance gesehen, ein Stück weit Unabhängigkeit von den traditionellen Institutionen IWF und Weltbank sowie vom US-Dollar zu gewinnen. 

Diese strategische Ambivalenz im Umgang mit den BRICS+, Offenheit für eine Zusammenarbeit in Wirtschaftsfragen und eine Nutzung neuer Institutionen ohne eigene Mitgliedschaft, zeichnet das Vorgehen lateinamerikanischer Staaten mehrheitlich aus. Generell ist China in der Region bereits aktuell der wichtigste Handelspartner und Investor, sodass stärkere wirtschaftliche Beziehungen zu den BRICS+ als Chance für das eigene Wachstum gesehen werden. Eine anders gelagerte Form von Pragmatismus zeigt Mexiko, das sich als Profiteur der US-amerikanischen Nearshoring-Strategie geriert. Ein offener Bruch mit den BRICS+-Staaten scheint dennoch auch von der zweitgrößten Volkswirtschaft der Region nicht beabsichtigt. Fraglich ist jedoch, ob vor allem auf chinesischer Seite überhaupt Interesse an einer weiteren Erweiterung des Formates um lateinamerikanische Länder besteht, da jedes Neumitglied in diesem intergouvernementalen Gremium auch ein weiteres Stimmrecht bedeutet, was die Konsensfindung erheblich erschwert. Schon mit elf Mitgliedstaaten dürfte sich der Prozess der Entscheidungsfindung innerhalb der BRICS+ erheblich verkomplizieren.

 

Rückschlüsse – auch für Europa

Das Ergebnis des XV. BRICS-Gipfels von Johannesburg stellt sowohl für den Anspruch Brasiliens als international einflussreicher Akteur aufzutreten, als auch für die Rolle der Region Lateinamerika in diesem neuen Format aufstrebender Schwellenländer insgesamt einen herben Rückschlag dar. Präsident Lula hat für die vage Hoffnung auf Unterstützung der BRICS-Partner bei den eigenen Ambitionen auf einen ständigen Sitz Brasiliens im UN-Sicherheitsrat der Aufnahme der neuen BRICS-Mitgliedstaaten zugestimmt, was den eigenen Einfluss in dem Zusammenschluss verringert. Unter den neuen Beitrittskandidaten befindet sich mit Argentinien nur ein lateinamerikanisches Land, das zwar mit Brasilien durch das MERCOSUR-Abkommen wirtschaftlich eng verbunden ist, dessen Beitritt aufgrund der unklaren politischen Situation im Land allerdings – wie eingangs angedeutet – erheblich infrage steht. Mit einer Aufnahme Argentiniens verringert sich die relative Bedeutung Lateinamerikas innerhalb der BRICS+ deutlich. Lediglich über die ehemalige brasilianische Staatspräsidentin Dilma Roussef, Vorsitzende der New Development Bank und Lula-Vertraute, könnte eine Möglichkeit bestehen, weiterhin eine wichtige Rolle einzunehmen und zumindest bei Investitionsentscheidungen und Kreditvergaben nicht gänzlich China, Indien und Russland die Entscheidungshoheit zu überlassen. 

Aus dem Misserfolg Brasiliens und dem daraus resultierenden Bedeutungsverlust für Lateinamerika ergibt sich jedoch eine Chance für die EU, die Region wieder stärker politisch und wirtschaftlich an sich zu binden. Auch wenn die Enttäuschung über zum Teil langsame und nicht ausreichende Hilfe während der Corona-Pandemie nach wie vor tief sitzt, ist das Image Europas in der Region dennoch überwiegend sehr positiv und selbst linksautoritäre Regime bleiben mit Vertretern und Vertreterinnen des sogenannten Westens in Kontakt. Vor Ort ist in vielen lateinamerikanischen Ländern wahrzunehmen, dass große Teile der Bevölkerung China und Russland und insbesondere die dortigen Gesellschaftssysteme skeptisch betrachten. Stattdessen werden gute Beziehungen zu europäischen Ländern sowie zu den USA bevorzugt, solange kein Gefühl von zu viel Einmischung in innere Angelegenheiten auftritt oder neokoloniale Tendenzen wahrgenommen werden. Auch könnten die insbesondere in Argentinien und Brasilien bestehenden Vorbehalte gegen eine Mitgliedschaft des Iran in den BRICS+ zum Anlass genommen werden, Gespräche darüber aufzunehmen, wie intensiv man sich in ein Forum einbringen sollte, das dem fundamentalistisch-islamischen Regime des Iran eine Plattform zur internationalen Aufwertung bietet. 

Vonseiten Europas und allen voran der EU wäre dafür aber der politische Wille Grundvoraussetzung, dieses Momentum zu nutzen und mit Schlüsselstaaten Lateinamerikas eine engere und möglicherweise institutionalisierte Form der dauerhaften Zusammenarbeit anzustreben. Ein bedeutender Schritt in diese Richtung wäre, das EU-MERCOSUR-Abkommen zügig zum Abschluss zu bringen und von dem von lateinamerikanischer Seite als Gängelung empfundenen Insistieren auf Zusatzvereinbarungen zu Umweltstandards nach über zwanzigjährigen Verhandlungen ein Stück weit abzurücken. Es besteht Grund zur Annahme, dass es sich nach Etablierung eines möglichen institutionalisierten EU-MERCOSUR-Formates erheblich einfacher gestalten würde, im Rahmen dieses neuen Zusammenschlusses wirksame Vereinbarungen über den Schutz von Natur, Umwelt und Ressourcen und gegen Abholzung und illegalem Raubbau in Lateinamerika zu erzielen und dadurch mittelbar einen zielführenderen Beitrag für den Erhalt von Biodiversität und gegen den Klimawandel zu leisten. 

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