Asset-Herausgeber

Veranstaltungsberichte

Weißrusslands Weg in Europa

Die dritte Jahreskonferenz des Belarussischen Institutes für Strategische Studien (BISS) fand vom 09. – 10. Februar 2010 in Minsk unter dem Titel “Weißrusslands Weg in Europa” statt. Die Konferenz wurde in Zusammenarbeit mit der EU-Delegation in Minsk, der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem Institut for Security Studies aus Paris organisiert.

Asset-Herausgeber

Zwei Tage lebhafter und zum Teil hitziger Debatten zeigten, dass sich ein Konsens über die langfristige strategische Entwicklung von Weißrussland erst noch formieren muss. Jedwede grundlegende Entscheidung über die Zukunft des Landes sollte mindestens drei Faktoren berücksichtigen: die Komplexität der Visionen und Interessen, die innerhalb und außerhalb von Weißrussland existieren; den Kontext, innerhalb dessen die Präferenzen der Eliten und der Gesellschaft geprägt werden sowie die Rahmenbedingungen und Verflechtungen der weißrussischen Wirtschaft. Die Agenda für eine Annäherung an bzw. Integration von Weißrussland in den europäischen kulturellen und politischen Raum muss realistisch sein und auf einer möglichst breiten Übereinstimmung in der Frage fußen, wie die Beziehungen zur EU in Gebieten wie Wirtschaft, Energie oder zwischenmenschliche Kontakte vertieft werden können. Eine solche Einigkeit besteht bereits im Ansatz, sie hat das Land im letzten Jahr zur Teilnahme an der Östlichen Partnerschaft geführt.

Es geht bei der Diskussion um Weißrusslands Weg in Europa ebenso sehr um die Frage der außenpolitischen strategischen Wahl wie um die Kultur eines zivilisierten und integrativen Dialogs innerhalb des Landes, eines Dialogs, der die Kooperation der Konfrontation vorzieht, der Meinungsunterschiede eher als ein Stimulus für Entwicklung, denn als eine Bedrohung sieht und der vorteilhafte Lösungen anstelle von eskalierenden Konflikten sucht. Die Konferenz „Weißrusslands Weg in Europa“ hat eine wichtige Rolle für die Entwicklung eines solchen Dialogs gespielt. Es ist zu hoffen, dass der Maßstab an Zivilisiertheit und Respekt, der während der Konferenz sichtbar wurde, nicht auf intellektuelle Foren begrenzt bleibt, sondern zur Norm in der Kultur der politischen Auseinandersetzung in Weißrussland wird.

Der erste Konferenztag

Während des ersten Konferenztages diskutierten Experten aus der EU, Russland und Weißrussland über den Platz des Landes im neuen geopolitischen Gefüge. Im Mittelpunkt des ersten Panels, „Der sicherheitspolitische Kontext: Weißrussland und die EU in einem sich ändernden regionalen und globalen Umfeld“, standen die Ergebnisse des Dialogs zwischen Weißrussland und der EU. Michael Emerson, vom Center for European Policy Studies (Brüssel) startete mit einem aufschlussreichen Überblick über die Beziehungen zwischen der EU und Weißrussland, in dem er besonders auf die politischen Herausforderungen und Widersprüche aufmerksam machte, die die Beziehungen über die letzten 15 Jahre geprägt haben. Thomas Gomart, vom Institut français des relations internationales (Paris) zeigte, wie die politische Agenda der EU in Bezug auf Weißrussland durch den Konflikt in Georgien 2008, durch die globale Finanzkrise und die Wahlen in der Ukraine bestimmt sei. Obwohl europäische Experten Weißrussland immer noch häufig durch ein russisches Prisma wahrnehmen würden, spiele das Land für die EU eine zunehmend wichtige geopolitische Rolle. Dzianis Melyantsou von BISS behauptete, dass die Ergebnisse des Dialogs zwischen der EU und Weißrussland bislang als positiv für Letztere und erfolglos für Europa zu bewerten seien. Seiner Auffassung nach hat Minsk den eigenen politischen Spielraum erfolgreich erweitert und kann fortfahren, geschickt zwischen der EU und Russland zu balancieren. Arkady Moshes vom Finnish Institute for International Affairs (Helsinki) vertrat die These, dass der Handlungsspielraum von Weißrussland zwischen zwei “geopolitischen Monstern” nicht geringer geworden, sondern im Gegenteil gewachsen sei. Er erinnerte daran, dass Weißrussland nicht zu den Prioritäten der EU-Politik gehöre. Auf der anderen Seite werde der Kreml trotz zahlreicher Widersprüche in seiner Tagespolitik gegenüber Weißrussland nicht aufhören, seinen westlichen Nachbarn auch weiterhin wirtschaftlich zu unterstützen.

Der zweite Konferenztag

Der zweite Konferenztag begann mit einer Diskussion über Strategien zur Stärkung der Energieunabhängigkeit von Weißrussland. Experten aus der Ukraine, Russland, Großbritannien und Weißrussland legten auf dem zweiten Panel ihre Sicht der Perspektiven für eine regionale Energiepolitik dar. Wladimir Kouzmitch, ein Vertreter des weißrussischen Unternehmens Belvneshenergo (Minsk), erläuterte Maßnahmen, die das Energieministerium unternehme, um die Energiesicherheit von Weißrussland zu verbessern und berichtete von Projekten, die Minsk im Rahmen der Östlichen Partnerschaft vorgeschlagen habe. Er wandte sich direkt an die Vertreter der EU-Kommission mit der Bitte um Unterstützung für diese Projekte, die für das Land von großer Bedeutung seien. Irina Tochitskaya, vom Institut für Privatisierung und Management (IPM), (Minsk) betonte in ihrem Vortrag die Aussichten einer verbesserten Kooperation zwischen der EU und Weißrussland seit Ende 2008 und wies auf die Bedeutung von Energiefragen in den bilateralen Beziehungen hin. Auch wenn im Rahmen der Östlichen Partnerschaft keine Investitionen in den weißrussischen Energiesektor zu erwarten seien, könne das Programm doch ein Katalysator für Kredite von westlichen Finanzinstitutionen sein und einen wichtigen Beitrag zur Stärkung und zum Ausbau von Kapazitäten (capacity building) im Energiesektor leisten. Kaciaryna Yafimava vom Oxford Institute for Energy Studies (London) wies darauf hin, dass das bestehende bilaterale Schema zwischen Gazprom und Beltransgaz keine Stabilisierung der Energieversorgung für Weißrussland biete. Um eine wirkliche Stabilität zu erreichen, sei es wichtig, die Interessen aller involvierten Partner zu berücksichtigen. Mykhailo Gonchar, Leiter des Energieprogramms von NOMOS (Kiew) und Koordinator einer Plattform des zivilgesellschaftlichen Forums der Östlichen Partnerschaft, bezweifelte, dass Russland beabsichtige, die Transitinfrastruktur nach Westen zu entwickeln. Aus infrastruktureller Sicht gewinne deshalb das Odessa-Brody-Projekt große Bedeutung. Vladimir Milov vom Institut für Energiepolitik (Moskau) erklärte, dass sich die Frage der Energieunabhängigkeit von Weißrussland nicht stelle, da es keine realistische Alternative zu Russland als Energieversorger gebe und Russland Weißrussland davon abhalten werde, seine Bezugsquellen von Gas und Öl zu diversifizieren.

Das dritte Panel zum Thema “Der wirtschaftliche Kontext: Weißrussland, die EU und die Finanzkrise” war den Auswirkungen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise auf die weißrussische Wirtschaft gewidmet. Der Moderator des Panels, Igor Pelipas vom IPM, vertrat die Auffassung, dass die Finanzkrise den Grundstein für die wirtschaftliche Liberalisierung in Weißrussland gelegt habe. Sie habe darüber hinaus zu einer Veränderung in der Rhetorik der Regierung gegenüber privaten Unternehmern und den Europäischen Finanzinstitutionen geführt. Der Wirtschaftsexperte des IPM, Dzmitry Kruk, stellte seine Analysen zu den Wachstumsperspektiven für die weißrussische Wirtschaft in 2010 vor. Seiner Ansicht nach ist ein Wachstum von 11-13 % des BIP möglich, könne aber zu einem gefährlichen Ungleichgewicht in der Außenhandelsstruktur führen. Aleksandr Luchenok vom Institut für Wirtschaft der Akademie der Wissenschaften in Minsk gab einen Überblick über das weißrussische Wirtschaftsmodell. Seinen Darstellungen zufolge basiert es auf maximaler Beschäftigung sowie auf vom Staat vorgegebenen Produktionszielen für die Unternehmen. Ivan Velev, der Länderbeauftragte der Weltbank für Weißrussland legte dar, dass die weißrussische Wirtschaft bis 2013 nicht ihren Zustand vor der Krise erreichen werde. Nach seinen Schätzungen werde die weißrussische Wirtschaft in 2010 um 2%, in 2011 um 4% und 2012-2013 um etwa 6% wachsen. Chris Jarvis, der Leiter der IWF Mission für Weißrussland, wies auf die schwindenden Möglichkeiten für das Land hin, ausländische Kredite zu erhalten. Er empfahl Weißrussland, das Tempo der wirtschaftlichen Liberalisierung zu beschleunigen. Weißrussland stehe jetzt vor den Reformen, die die meisten anderen Länder in Mittel- und Osteuropa vor 15 – 20 Jahren durchgeführt hätten. Lucio-Mauro Vinhas De Souza von der Generaldirektion für Wirtschaft und Finanzen der Europäischen Kommission erklärte, die weißrussische Wirtschaft benötige strukturelle Reformen und betonte, die EU sei bereit, das Land bei der Modernisierung seiner Wirtschaft zu unterstützen.

Während des vierten Panels unter dem Thema “Die weißrussische Gesellschaft: einheimische Faktoren der europäischen Integration“ stellte Andrei Vardomatski (Novak/BISS) die aktuellen Ergebnisse einer soziologischen Erhebung zur geopolitischen Orientierung von Weißrussland vor. Demzufolge unterstütze ein Großteil der weißrussischen Bevölkerung die Unabhängigkeit des eigenen Landes und wolle nicht, dass Weißrussland entweder Russland oder der EU beitrete. Während seiner Präsentation widersprach Prof. Vardomatski der Auffassung, dass Minsk eine überwiegend pro-europäisch orientierte Stadt sei. Marina Baturchyk, eine Kollegin von Prof. Vardomatski, stellte die Ergebnisse einer Meinungsumfrage zur Wirtschaftskrise vor, die gemeinsam mit BISS durchgeführt wurde. Demnach würden die Weißrussen auf Grund ihrer historischen Erfahrungen die Krise ohne größere Schwierigkeiten durchstehen. Die Annahme eines zweiten oder dritten Jobs und die Reduzierung persönlicher Ausgaben seien die am meisten verbreiteten Anpassungsstrategien der Weißrussen in Zeiten der Krise. Der wissenschaftliche Direktor von BISS, Vital Silitski, stellte die Ergebnisse einer soziologischen Untersuchung zur nationalen Identität vor. Demnach identifizierten sich die meisten Befragten als Weißrussen, an zweiter Stelle komme das Merkmal des Slawischen. Dr. Silitski wies auf die Bipolarität in den Identifikationskonzepten hin, wonach die Anzahl der pro-europäischen und pro-slavisch/pro-sowjetischen Konzepte sich ungefähr die Waage hielt. Diese Bipolarität sei ungleich verteilt auf Altersgruppen und geographische Kategorien. Dadurch unterscheide sich die Situation in Weißrussland grundlegend von der in der benachbarten Ukraine. Hervorzuheben sei außerdem, dass eine Mehrzahl der Respondenten “kulturelle Faktoren” und nicht die Sprache als den entscheidenden Faktor nannte, der die ethnische Zugehörigkeit bestimme.

Den Abschluss der Konferenz bildete das letzte Panel mit dem Titel “Der Weg vorwärts: Die Östliche Partnerschaft als ein Rahmen für die Beziehungen zwischen Weißrussland und der EU”. Jean-Eric Holzapfel, Charge d’affaires der EU-Delegation in Weißrussland betonte, die Östliche Partnerschaft sei weder anti-russisch noch beabsichtige sie, Weißrussland zu “europäisieren”. Er wies darauf hin, dass Weißrussland seit 2008 ein Fenster der Möglichkeiten für eine konstruktive Zusammenarbeit mit der EU in fünf Schlüsselbereichen offenstehe. Alexander Strelkov vom Institut für Europa der Russischen Akademie der Wissenschaften (Moskau) erklärte, russische Politiker und Experten würden die Östliche Partnerschaft als eine Bedrohung für Russlands Einfluss im post-sowjetischen Raum verstehen. Daneben besitze Russland keine klare Position gegenüber der in der Östlichen Partnerschaft sichtbar werdenden Aktivierung der EU-Außenpolitik. Roland Freudenstein vom Centre for European Studies (Brüssel) ging auf die Frage der weißrussischen Beteiligung an der Parlamentarischen Versammlung der Östlichen Partnerschaft (Euronest) ein. Er betonte, er sehe keine Alternative zum Vorschlag der EU, dass 5 Vertreter des Parlaments und 5 Vertreter der Opposition an Euronest teilnehmen. Mit Blick auf das selbe Thema erklärte Sergei Kizima, der Leiter der Abteilung für Internationale Beziehungen der Akademie für öffentlichen Verwaltung beim Präsidenten der Republik Belarus, dass er eine einfache Lösung für diesen Konflikt habe: „Wenn die EU verärgert ist über die Parlamentsabgeordneten, die 2008 die Wahlen gegen Oppositionskandidaten gewonnen hatten, ist es vielleicht besser, 10 Parlamentsabgeordnete einzuladen, gegen die Vertreter der Opposition gar nicht erst angetreten sind.“ Eugeniusz Smolar vom Center for International Relations (Warschau) wies auf die Priorität hin, die die EU dem Programm der Östlichen Partnerschaft einräume und die in dem beachtlichen Tempo deutlich werde, mit dem das Programm vorgestellt und verabschiedet wurde und in Kürze auch umgesetzt werde. Olga Stuzhinskaya, Leiterin des Office for Democratic Belarus (Brüssel) betonte, dass es zwar noch zu früh sei, die langfristigen Auswirkungen der Östlichen Partnerschaft zu beurteilen, jedoch bereits jetzt klar werde, dass durch das Programm das internationale Ansehen von Weißrussland spürbar gestiegen sei. Uladzislau Vialichka vom International Consortium EuraBelarus, wies auf den Umstand hin, dass die Östliche Partnerschaft die Arbeit der NGOs in Weißrussland aktiviert habe und einen spürbar positive Einfluss auf die Entwicklung der Zivilgesellschaft im Land besitze.

Asset-Herausgeber

comment-portlet

Asset-Herausgeber