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Mehrheits- oder Verhältniswahlrecht

Am 15. April fand im Sheraton-Hotel Sofia ein Seminar über Wahlrecht statt, zu dem 233 Teilnehmer erschienen. Es wurde vom Außenstellenleiter Ralf Jaksch mit folgenden Worten eröffnet:

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Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,

liebe Freunde der Konrad-Adenauer-Stiftung

Es ist mir eine große Freude, Sie heute als Gast der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sofia begrüßen zu dürfen. In der Vorbereitung des heutigen Abends habe ich mit Svetoslav Malinov lange hin und her überlegt, ob das Thema dieses Seminars das richtige ist. Ihr Kommen heute abend aber zeigt ganz eindeutig, dass wir mit der Wahl so falsch nicht liegen konnten.

Nun werde ich der Diskussion, die sicherlich nicht nur lebhaft, sondern bestimmt auch fruchtbar sein wird, nicht vorgreifen. Noch werde ich mich bemühen, Ihnen zu sagen, welches Wahlrecht für Bulgarien das bessere ist. Lassen Sie mich also stattdessen ein paar Gedanken ausbreiten. Zum Beispiel den: Stellen Sie sich doch einen Monat lang vor, wie die Zusammensetzung der heutigen Nationalversammlung aussähe, wenn die letzte Wahl nach dem Mehrheitswahlrecht stattgefunden hätte. Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine kurze Bemerkung am Rande: Ich glaube nicht, dass mir die Zusammensetzung eines solchen Parlaments besonders gefallen hätte, noch glaube ich , dass in einem solchen Falle der politische Wille des bulgarischen Volkes eine angemessene Wiederspiegelung erfahren hätte.

Auf der anderen Seite will ich nicht verhehlen, dass auch wir in Deutschland sehr ähnliche Diskussionen führen. Das betrifft sicherlich mehr das Zusammenspiel unserer beiden Kammer – wir haben ja, anders als Sie, in Deutschland ein Zwei-Kammer-System. Das wirft im Moment Probleme auf, die in Deutschland intensiv diskutiert werden. Aber zuweilen ist auch das Wahlrecht bei uns Gegenstand der Diskussion. Durchaus lassen sich dabei auch Argumente für die Einführung des Mehrheitswahlrechts finden.

Nun, wie auch immer, ich möchte dieser Diskussion nicht zu weit vorgreifen und mich an dieser Stelle nochmals für Ihr Kommen bedanken. Ich bedanke mich bei unseren Referenten. Ich bedanke mich bei den Mitarbeitern des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sofia und allen, die diese Veranstaltung möglich gemacht haben.

Besten Dank.

Hintergrundinformation zum bulgarischen Wahlrecht:

Traditionell werden Mehrheits- und Verhältniswahl unterschieden. Die gängigen Definitionen von Mehrheits- und Verhältniswahl lauten ungefähr:

•Bei der Mehrheitswahl wird das Wahlgebiet in so viele Wahlkreise eingeteilt, wie Mandate zu vergeben sind. Gewählt ist der Kandidat, der die relativ oder absolut meisten Stimmen erhält.

•Bei der Verhältniswahl wird dagegen die Sitzverteilung so durchgeführt, daß jede Partei so viele Mandate bekommt, wie es ihrem Stimmenanteil im Wahlgebiet entspricht.

Darüber hinaus gibt es gemischte Wahlsysteme.

Wahlrechtler würden sich möglicherweise gegen diese Einteilung verwahren und weitere oder andere Kriterien als relevant ansehen. Für unsere Zwecke soll diese Definition genügen.

In Bulgarien wurde die erste freie Wahl im Juni 1990 zur Großen (Verfassunggebenden) Volksversammlung nach gemischtem Wahlrecht durchgeführt. Dabei wurden 200 Mandate durch Mehrheitswahl mit absoluter Mehrheit – erforderlichenfalls in zwei Wahlgängen – bestimmt, weitere 200 wurden nach reiner Verhältniswahl bei einer Sperrklausel von 4% vergeben. Ab 1991 finden alle Urnengänge nach reinem Verhältniswahlrecht mit einer 4%-Hürde statt. Das bulgarische Parlament hat laut Verfassung 240 Sitze.

Das gesamte Wahlgebiet wird dabei in 31 Wahlkreise eingeteilt, die im Bulgarischen „Mnogomandatni izbiratelni rajoni“, d.h. „Vielmandatwahlkreise“ genannt werden. Die Wahlkreise werden alphabetisch geordnet von 1-Blagoewgrad bis 31-Jambol. Die einzelnen Wahlkreise sind von der Zahl der Wahlberechtigten her unterschiedlich groß. Besonders bevölkerungsstark sind 2-Burgas, 3-Warna, die drei Sofioter Wahlkreise 23, 24 und 25 sowie16-Plovdiv-Stadt mit 300 000-350 000 Wahlberechtigten. Kleinere Wahlkreise sind dagegen beispielsweise 28-Targowischte mit ca. 117 000 oder Pernik mit 130 000 Wahlberechtigten. Mit Ausnahme von Sofia-Stadt und Plovdiv fallen die Wahlkreise mit den administrativen Regionen zusammen. Wegen der unterschiedlichen Zahl der Wahlberechtigten ist die Zahl der in jedem Wahlkreise zu vergebenden Mandate (Sitze) unterschiedlich. Jeder Wahlkreis erhält so viele Mantate, wie Bürger in ihm laut Volkszählung leben. In großen Wahlkreisen werden bis zu 13 Mandate (Varna 13, Sofia 12, 12, 11; Plovdiv 10 usw.) vergeben, in kleinen können es lediglich 4 (z.B. Jambol, Kjustendil) sein.

An der Wahlen können Parteien, Koalitionen und Einzelkandidaten teilnehmen. Die Abgeordnetenkandidaten, die von Parteien und Koalitionen aufgestellt werden, werden in Kandidatenlisten nach Wahlkreisen geordnet. Jeder Einzelkandidat bildet eine eigene Liste.

Abgeordnetenkandidaten einer Partei oder Koalition können höchstens in zwei Wahlkreisen antreten. Werden sie in beiden Wahlkreisen gewählt, müssen sie nach den Wahlen bei der Zentralen Wahlkomission angeben, aus welchem Wahlkreis sie ins Parlament einziehen wollen. Besondere Aufmerksamkeit gilt traditionell den sogenannten „Listenführern“, d.h. Personen, die an erster Stelle in den jeweiligen Kandidatenlisten stehen. Das sind normalerwesie die stärksten und angesehnsten Politiker der Partei bzw. Koalition, die dann auch die größten Chancen haben, ins Parlament zu gelangen. Je weiter hinten ein Politiker auf der Liste angesiedelt ist, desto geringer sind naturgemäß seine Chancen, ins Parlament zu kommen.

Bisher wurden die zumeist farbige Wahlzettel benutzt, die der Wähler aus verschiedenen Stapeln in der Wahlkabine heraussuchen und in einem Umschlag in die Wahlurne einwerfen mußte. Einmal kamen weiße Wahlzettel zur Anwendung, bei denen der Wähler die entsprechende Partei ankreuzen mußte. Bei den bevorstehenden Parlamentswahlen soll laut novelliertem Wahlgesetz ein einheitlicher Wahlzettel zur Anwendung kommen, bei dem der Wähler die gewünschte Partei ankreuzen kann. Außerdem wurden Klauseln eingeführt, die die Zahl der an den Wahlen teilnehmenden Parteien reduzieren sollen (5000 Unterschriften, finanzielle Bürgschaften).

In den Wählerverzeichnissen in Bulgarien sind rund 6,9 Mio. Stimmberechtigte eingetragen, die tatsächliche Zahl der im Lande anwesenden Wähler dürfte in der Größenordnung von 6,3-6,4 Mio. liegen.

Berechnung der Sitzverteilung

Die Mandate werde jeweils entsprechend dem Stimmenverhältnis auf alle Parteien und Einzelkandidaten verteilt (Verteilungsprinzip Proporz). Dabei kommt das sogenannte Verfahren nach d`Hondt zur Anwendung. Das auch als Höchstzahlverfahren bekannte d`Hondtsche Auszählungsverfahren geht auf den belgischen Mathematiker Victor d`Hondt zurück. Bei diesem Verfahren zur Zuteilung von Mandaten oder Sitzen werden die von den einzelnen Parteien erzielten Stimmenzahlen nacheinander durch die Zahlen 1, 2, 3 usw. geteilt. Jede Teilung ergibt eine sog. Höchstzahl, wobei die größte Höchstzahl Mandat Nr. 1, die zweitgrößte Höchstzahl Mandat Nr. 2 usw. erhält. Es werden so viele Höchstzahlen errechnet wie Mandate zu vergeben sind.

Die Sitzverteilung nach dem System von d`Hondt führt zu gewissen Ungerechtigkeiten. Dies wird aus den Abweichungen beim Vergleich des absoluten Stimmenanteils mit dem erreichten Sitzanteil sowie wie bei einer Betrachtung der pro Sitz erforderlichen Stimmen ersichtlich. Dabei werden die stimmenstärksten Gruppierungen begünstigt.

Obwohl das Verhältniswahlrecht im Ruf steht, die Bildung klarer Mehrheitsverhältnisse zu unterlaufen und tendenziell fragmentierte Parlamente zu schaffen, sind in Bulgarien seit 1991 fast immer deutliche Mehrheiten zustande gekommen. Die SDS hatte 1991 mit 110 Mandaten die absolute Mehrheit von 121 relativ knapp verfehlt, 1994 verfügte die BSP über 125 Sitze, die ODS ab 1997 über 137 und die NDSW lag 2001 mit 120 Abgeordneten bloß um einen Sitz unter der absoluten Mehrheit. Gelegentlich flammen Diskussionen über das Wahlrecht auf, wobei von Kritikern des Proporz immer wieder die Vorzüge des Mehrheitswahlrechts herausgehoben werden, doch zu einer Änderung ist es bislang nicht gekommen.

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