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Veranstaltungsberichte

Die Archive des totalitären Staates und die bulgarische Gesellschaft

von Ralf Jaksch

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Vergangenheitsbewältigung bzw. die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit ist ein traditionelles Arbeitsgebiet der KAS. Das Thema hat in Bulgarien auch 16 Jahre nach der Wende kaum etwas von seiner Brisanz eingebüßt. Aus einer Reihe von Gründen wurde die kommunistische Epoche in Bulgarien bisher nur unzureichend beleuchtet und bewertet. Es ist 1990 zu keinem klaren Trennstrich gekommen. Insbesondere bei der Öffnung der Archive der ehemaligen Staatssicherheit DS wurde inkonsequent verfahren. Zum einen ließ man es im Verlauf der demokratischen Wende 1989-90 zu, daß ein beträchtlicher Teil des Aktenmaterials vernichtet wurde. Zum anderen waren die Bemühungen der beiden bürgerlichen Nachwenderegierungen 1991-92 und 1997-2001 zur Öffnung der Geheimdienstarchive halbherzig und brachten nicht ausreichend Licht in dieses dunkle Kapitel bulgarischer Geschichte. Die Versuche zur Offenlegung der Geheimdienstakten fanden ein vorläufiges Ende, als die Regierung des Ex-Monarchen Simeon Sakskoburggotski als eine ihrer ersten Amtshandlungen im Jahre 2001 das von der Vorgängerregierung der Vereinten Demokratischen Kräfte (ODS) verabschiedete Gesetz über die DS-Unterlagen aufhob und die Akten wieder schloß.

Vor diesem Hintergrund organisierte die KAS am 13. März eine Konferenz im Sofioter Hotel Sheraton unter dem Titel „Die Archive des totalitären Staates und die bulgarische Gesellschaft“. Dazu war als Gastreferent aus Deutschland Dr. Joachim Gauck, vormals Bundesebauftragter für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen DDR, eingeladen. Von bulgarischer Seite nahmen die Abgeordneten Metodi Andreev und Vesselin Metodiev teil. Andreev war Vorsitzender des abgewickelten Ausschusses für die Unterlagen der ehemaligen Staatssicherheit DS, Metodiev ab 1992 Chef des Zentralarchivs beim Minsterrat und 1997-1999 Vizepremier in der Regierung der Vereinten Demokratischen Kräfte.

Dr. Gauck konzentrierte sich in seinem Vortrag über die deutsche Erfahrung bei der Aufarbeitung der Vergangenheit aufgrund der Stasi-Unterlagen vor allem die psychologischen, sozialen und moralischen Aspekte der Öffnung der Stasi-Archive. Er begründete die Notwendigkeit des freien Zugangs zu den Akten, der in Deutschland eine Tatsache ist. Man sei sich seinerzeit darüber im klaren gewesen, daß andernfalls die einstigen Machthaber weiter an der Macht bleiben könnten. Die Öffnung der Unterlagen sei ein schmerzhafter Prozeß gewesen. Viele öffentliche und angesehene Personen hätten sich als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) entpuppt. Das sei unangenehm, jedoch Teil der Debatte zur Gesundung der Gesellschaft gewesen. Die einzige Möglichkeit, die Traumata der Vergangenheit zu überwinden sei, sich der Vergangenheit zu stellen. Insofern müsse sich die Gesellschaft mit ihrer Vergangenheit konfrontieren und sie aufarbeiten. Dr. Gauck berührte auch das fundamentale Problem von Schuld und Sühne in der Gesellschaft, die für alle postkommunistischen Staaten aktuell ist.

Mit juristischen Tricks ließen sich Gesetze stets blockieren, meinte Gauck. In vielen Ländern hätten die Juristen zu beweisen versucht, daß man die Geheimdienstunterlagen nicht offenlegen könne, Deutschland hätte jedoch unter Beweis gestellt, daß es möglich ist. Gauck teilte mit, daß es in der ehemaligen DDR rund 90 000 hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter und über 170 000 IM (1% der Gesamtbevölkerung) gegeben habe. Er meinte, daß für die Öffnung der Unterlagen nicht allein politischer Wille, sondern auch der Druck der Zivilgesellschaft notwendig sei.

Metodi Andreev brachte einen präzisen historischen Abriß über alle rechtlichen Vorschriften in Zusammenhang mit den DS-Archiven seit der Wende 1989. Erst in der Regierungszeit der ODS 1997-2001 habe man ein ausgefeiltes Gesetz über die DS-Unterlagen verabschiedet, das den Opfern Zugang zu ihren Akten gewährte und die Durchleuchtung verschiedener Gruppen aus dem öffentlichen Dienst ermöglichte. Es wurde jedoch von der Nachfolgeregierung aufgehoben.

Vesselin Metodiev referierte über das Archiv der ehemaligen kommunistischen Partei, das nach der Wende ins Staatsarchiv überführt wurde. Darin seien viele Unterlagen über dubiose Machenchaften der BKP entdeckt worden, z.B. über Hilfen und Unterstützung für Guerillabewegungen im Ausland.

Die Diskussion im Anschluß war rege und hätte noch sehr lange fortgesetzt werden können, mußte aber aus Zeitgründen abgebrochen werden. Die Teilnehmer stellten viele Fragen zur deutschen Erfahrung. Allgemein wurde die Inkonsequenz beim Umgang mit der DS-Vergangenheit in Bulgarien angeprangert. Vielfach wurde der Wunsch nach einer Nachfolgeveranstaltung geäußert.

Die Konferenz wurde zu einer der größten Veranstaltungen der KAS in Bulgarien. Das gewaltige Interesse läßt sich allein schon an der Teilnehmerzahl ablesen. In den Verzeichnissen haben sich 323 Personen eingetragen, in Wirklichkeit kamen aber über 500 Teilnehmer. Der alles andere als kleine Konferenzsaal im Sheraton-Hotel war überfüllt, ein Teil des Publikums mußte im Flur ausharren. Anwesend waren viele prominente Politiker, bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sowie zahlreiche Journalisten aus Presse, Funk und Fernsehen. Noch am selben Abend wurden Reportagen über die Veranstaltung in verschiedenen Fernsehsendern ausgestrahlt.

Die große öffentliche und mediale Resonanz hängt natürlich zum einen mit dem besonderen Klang, den der Name von Herrn Gauck in Bulgarien genießt, zusammen. Dr. Gauck gab insgesamt neun Interviews für bulgarische Medien, wobei bei weitem nicht alle Gesprächswünsche befriedigt werden konnten. Zum anderen wird daran aber auch das Bedürfnis nach vertieften Diskussionen zu diesem Thema deutlich. In diesem Sinne war die Konferenz eine sehr gelungene Veranstaltung. Man kann nur hoffen, daß sie einen wichtigen Beitrag für die noch ausstehende ehrliche öffentliche Debatte über das Thema der Geheimdienstvergangenheit in Bulgarien leistet.

Herr Dr. Gauck selbst sprach von einem „ungewöhnlich intensiven“ Erlebnis, er versprach, weil ihm die mangelnde historische Aufarbeitung nahe ging, im Herbst wieder nach Bulgarien kommen zu wollen.

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