Der Aufreger der Woche war in Guatemala die Entscheidung des Verfassungsgerichts (Corte de Constitucionalidad, CC), den einstweiligen Schutz gegen das Inkrafttreten der Novellierung des Gesetzes über die Nichtregierungsorganisationen nicht endgültig zu bestätigen und damit aufzuheben. National und international sorgte der einstimmige Beschluss des Gerichts (wenn auch mit nuancierenden sog. begleitenden Voten von zwei der fünf Richter) für die erwartbare Kritik und Bestürzung über die sich verschlechternde Lage der Demokratie in dem zentralamerikanischen Land.
Obwohl die Gesetzesnovelle in einigen Punkten tatsächlich bedenklich ist (s.u.) und gegenüber der vorherigen Fassung eine Verschlechterung darstellt, geht die Kritik an der Entscheidung des CC an der eigentlichen Sache vorbei und ist im Wesentlichen ungerechtfertigt. Denn das Gericht hat über die Verfassungsmäßigkeit des überarbeiteten Gesetzes noch gar nicht entschieden und konnte dies auch nicht tun, da ihm diesbezüglich noch gar keine Klage vorliegt. Wie erklärt sich das?
Die Beschwerdeführer hatten nach der Verabschiedung der Novelle durch den Kongress im Februar 2020 und der Unterzeichnung des Gesetzes durch den Präsidenten im März desselben Jahres das Verfassungsgericht um „Schutz vor dem Inkrafttreten“ ersucht. Diesem Ersuchen hatten die damals amtierenden Richterinnen und Richter in einer Mehrheitsentscheidung vorübergehend stattgegeben. Grundlage der Beschwerde sowie der Entscheidung des CC war das Rechtsinstitut des Schutzersuchens (spanisch: amparo), auf dessen Grundlage das in Guatemala damit allein befasste Verfassungsgericht das Inkrafttreten eines Gesetzes oder einer Verwaltungsentscheidung vorläufig oder endgültig verhindern kann, ohne jemals in der Sache zu urteilen.
Das genannte Rechtsinstitut war nach der Beendigung des internen bewaffneten Konflikts in Guatemala 1985 gemeinsam mit der sog. persönlichen Vorführung (spanisch: exhibición personal; habeas corpus) zum Schutz der Einzelperson vor unangemessener staatlicher Gewaltanwendung in die neue Verfassung aufgenommen worden, und seine Nutzung hat sich seitdem nach Ansicht der Mehrheit der politischen und juristischen Kommentatoren inflationär entwickelt. Der kommissarisch weiterhin amtierende Verfassungsrichter José Francisco De Mata Vela, einer der beiden Richter, die eine abweichende Begründung der jetzigen Entscheidung abgegeben haben, hat in einem Zeitungsinterview selbst darauf hingewiesen, dass das CC in seiner letzten Amtsperiode (2016-2021) in den Jahren 2017 bis 2020 mindestens drei Entscheidungen getroffen hat, in denen es die Anwendung des Schutzersuchens bewusst auf das Inkrafttreten eines Gesetzes bzw. einer Verwaltungsentscheidung ausgeweitet hatte, ohne dass die Beschwerdeführer dagegen eine Klage wegen Verfassungswidrigkeit erheben mussten. Zur Begründung diente dem Gericht jedes Mal das Argument, das Gesetz bzw. die Verwaltungsentscheidung könne abstrakt, bzw. ganz allgemein eine Bedrohung der verfassungsmäßig oder aufgrund internationaler Abkommen garantierten Menschenrechte darstellen.
Diesem weiten Stattgeben eines Schutzersuchens hat das seit dem 19. April amtierende Verfassungsgericht nun mit seiner Entscheidung von dieser Woche widersprochen und einen Riegel vorgeschoben. Dabei hat es ausdrücklich erwähnt, dass nun der Weg für eine Klage gegen das Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit offenstehe. Neben dem Schutzersuchen wegen der allgemeinen Bedrohung der verfassungsmäßig oder aufgrund internationaler Abkommen garantierten Menschenrechte hat das CC aber auch über zwei Beschwerden auf demselben Rechtsweg im Zusammenhang mit dem Zustandekommen der Gesetzesnovelle befunden. Auch in dieser Hinsicht ist die Entscheidung des Verfassungsgerichts interessant.
Im ersten Fall ging es um die Frage, ob der Präsident wegen einer abstrakten Bedrohung der verfassungsmäßig oder aufgrund internationaler Abkommen garantierten Menschenrechte durch die geänderten Regelungen das Gesetz überhaupt unterschreiben durfte. Hier entschied das CC, dass das Rechtsinstitut des Schutzersuchens nicht das geeignete Instrument sei, um den Präsidenten an der Ausführung seiner verfassungsmäßigen Aufgaben zu hindern, sondern dass dafür eine Klage wegen Verfassungswidrigkeit des Gesetzes selbst erhoben werden müsse. Im zweiten Fall hatten sich drei Oppositionspolitiker beschwert, dass sie in der (verkürzten) Debatte über die Novelle im Kongress nicht zu Wort gekommen waren. Hier argumentierte das Gericht, dass die Hoheit über das parlamentarische Verfahren nun einmal beim Präsidenten des Kongresses liege und der in dieser Hinsicht erste und letzte Instanz sei, sofern er keine offensichtliche Rechtsverletzung begehe. Beide Begründungen kann man auch als Stärkung der Gewaltenteilung interpretieren.
Mehrere zivilgesellschaftliche Gruppen haben nun angekündigt, dass sie Klage wegen Verfassungswidrigkeit gegen das Gesetz einreichen werden, sobald dieses in Kraft getreten ist. Angreifbar ist insbesondere die Regelung zum Verbot einer Nichtregierungsorganisation, für das das Gesetz weder klare Gründe aufzählt noch ein rechtsstaatliches Verfahren vorsieht. Kommentatoren unterschiedlicher politischer und juristischer Richtungen sehen gute Chancen, dass das Verfassungsgericht zumindest diese Regelung für verfassungswidrig erklärt.
In den kommenden Tagen erwartet Guatemala die zweite Lieferung des russischen Impfstoffs Sputnik V. Wieviele Dosen es diesmal genau sein werden, ist noch nicht bekannt, aber gerechnet wird erneut mit 50.000 wie vor 14 Tagen. Dies entspricht weiteren 0,3 Prozent der Gesamtbestellung von 16 Millionen Dosen. Das bedeutet: Wenn die Lieferungen in diesem Tempo weitergehen, erreichen die letzten Dosen Guatemala erst in über zwölf Jahren. Die Zahl der Kommunen in der COVID-19-Alarmstufe Rot ist in den letzten beiden Wochen von 138 auf 152 gestiegen, und zum ersten Mal wurde in Guatemala auch die britische Variante des Corona-Virus nachgewiesen.
In Honduras ist die Situation weiterhin noch schlechter. Hier hatte Russland vor Wochen 5.000 Dosen gespendet, aber von dem von der Regierung bei den Russen gekauften Impfstoff ist noch nichts angekommen. Die erste Lieferung von 40.000 Dosen wird in der kommenden Woche erhofft. Unterdessen mehren sich die Informationen, dass Personen, die der Regierung nahestehen, bereits Impfungen erhalten haben, während die Mittelschicht in die USA reist, um sich dort immunisieren zu lassen. Es gibt dafür Angebote von Paketreisen, die um die USD 400.- kosten. Es regt sich aber Unmut darüber, dass die Mittelschicht zwar den höchsten Teil der Steuerlast trägt, dennoch aber keinen Zugang zu staatlichen Gesundheits- oder Bildungsleistungen hat.
Zur Selbsthilfe haben die Bürgermeister von sieben Kommunen in Honduras gegriffen, die sich in dieser Woche mit dem salvadorianischen Präsidenten Nayib Bukele getroffen und ihn um Impfstoff gebeten haben. Mit dem bei ihm üblichen PR-Aufwand hat Bukele ihnen 34.000 Dosen gespendet, was zu heftigen Reaktionen der honduranischen Regierung gegenüber den Bürgermeistern geführt hat. Das hat die Vereinigung der Kommunen von Honduras (Asociación de Municipios de Honduras, AMHON) jedoch nicht davon abgehalten, Bukele in einem Brief zu ersuchen, dabei behilflich zu sein, dass die 298 Kommunen des Landes selbständig Impfstoff von China kaufen können. Dies ist politisch insofern heikel, als Honduras keine offiziellen Beziehungen zu China, sondern vielmehr eine enge Freundschaft zu Taiwan pflegt. Das erklärt wohl auch, warum sich die Bürgermeister an Bukele gewandt haben, der zu den Chinesen gute Kontakte unterhält. Eine Antwort des salvadorianischen Präsidenten auf den Brief der AMHON ist jedoch bislang nicht bekannt.