Länderberichte
Das ist nicht nur im Vergleich zu den Kommunalwahlen 2010, sondern auch mit Blick auf die demoskopischen Prognosen ein deutlich positiveres Ergebnis für die Saenuri als sie wohl selbst erwartet hatte.
Der Untergang der „Sewol“ als Damoklesschwert über der Wahl
Seit dem tragischen Untergang des Fährschiffs „Sewol“ am 16. April 2014, wobei mehr als 300, meist jugendliche Todesopfer zu beklagen waren, stand Südkorea unter dem Schock der Katastrophe und des hohen Verlustes an jungem Leben. Besonders übel nahm die Bevölkerung der Regierung von Präsidentin Park ihren in vielen Bereichen unprofessionellen Umgang mit dem Unglück. Auch der zwischenzeitliche Rücktritt des Premierministers und mehrfache öffentliche Entschuldigungen der Staatschefin änderten daran kaum etwas.
Viele südkoreanische Medien und politische Beobachter hatten wegen des geringen zeitlichen Abstands zwischen dem Unglück und dem Wahltermin fest damit gerechnet, dass der messbare Unmut großer Teile der Bevölkerung sich auch in einem möglicherweise deutlich schlechteren Wahlergebnis für die Regierungspartei bei den Kommunalwahlen niederschlagen würde. Beispielhaft dafür wurde die soziologische Gruppe der „wütenden Mütter“ herangezogen, Frauen also, die traditionell eher konservativ wählten, bei denen man jetzt aber unter dem Eindruck der Ereignisse eine andere Wahlentscheidung – weg von den Konservativen, hin zu den Linksliberalen – für nicht ausgeschlossen hielt.
Solche Vermutungen wurden bestärkt durch veröffentlichte Umfragen, die in den 17 Städten und Provinzen, in denen Bürgermeister- und Gouverneurswahlen anstanden, zumindest in den bisherigen Hochburgen der Saenuri eindeutige konservative Wahlsiege wie bisher in Frage stellten.
In dieser Gesamtstimmungskonstellation befand sich das Land am Vorabend der Wahl, und die Leitartikler der großen Zeitungen sahen in dem Urnengang bereits einen Wendepunkt für die Präsidentschaft Park Geun-hyes, welche jetzt ein Viertel ihrer Amtszeit ohne sichtbare politische Erfolge absolviert habe.
Der große Sieger: Seouls Park Won-soon
Unabhängig von den Einzelergebnissen der Kommunalwahl gibt es einen Politiker, der sich als wirklichen Gewinner des 5. Juni 2014 feiern lassen kann: Park Won-soon, mit 56% der Stimmen wiedergewählter, linksliberaler Bürgermeister von Seoul. Der frühere Rechtsanwalt, Menschenrechtsaktivist und Gewinner des in Asien mit dem Nobelpreis verglichenen „Magsaysay Award“ war im Oktober 2011 als Parteiloser in einer durch den Rücktritt des konservativen Amtsvorgängers notwendig gewordenen Nachwahl ins Amt gekommen, was seinerzeit als politische Sensation gewertet worden war. Der Bürgermeister konnte jetzt sein damaliges Ergebnis von 53% noch übertreffen.
Sein konservativer Gegenkandidat, Chung Mong-joon, ein Sohn des Gründers des Hyundai-Konglomerats, verfügte zwar über einen hohen Bekanntheitsgrad, wirkte aber nicht authentisch und litt unter selbstverschuldeten Pannen in seinem Wahlkampf. Unter anderem musste er sich für einen Facebook-Kommentar seines Sohnes entschuldigen, worin dieser die Angehörigen der „Sewol“-Opfer wegen ihres emotionalen Auftretens gegenüber Präsidentin und Regierung kritisiert hatte. Der ehemalige FIFA-Vizepräsident Chung leistete sich einen weiteren Fauxpas, als er während einer Wahlkampfveranstaltung eine, wie er später behauptete, als Witz gemeinte Äußerung machte, er habe im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft 2002 Schiedsrichter bestochen, denn nur so sei Südkorea seinerzeit bis ins Halbfinale des Turniers gekommen.
Park Won-soon war durchaus nicht unumstritten bei der Bevölkerung der Hauptstadt. Die durch ihn verfügten Einstellungen von Entwicklungsprojekten im Wohnungsbau hatten diejenigen verärgert, die seit längerem auf Wartelisten für ein neues Apartment standen. Der unorthodoxe Arbeitsstil des Aktivisten machte dem Vernehmen nach auch den Beamten der Stadtverwaltung zu schaffen. Gleichwohl verstand er es - selbst erst vor nicht allzu langer Zeit der Oppositionspartei beigetreten – sich nicht als Parteivertreter, sondern weitgehend überparteilich agierend darzustellen. Sein verbindliches Auftreten mag überdies viele Wählerinnen und Wähler für ihn gewonnen haben.
Auch wenn das Stadtoberhaupt es bis jetzt immer wieder abstritt: Der Wahlerfolg stellt Park Won-soon automatisch auf die Ebene der möglichen Aspiranten für die Präsidentschaftswahl 2017. In Seoul, der zweitgrößten Metropolis weltweit nach Tokio, lebt fast die Hälfte des südkoreanischen Elektorats, seine Entscheidungen haben daher Signalcharakter. Der Bürgermeisterposten diente schon dem ehemaligen Präsidenten (2008-2013) Lee Myung-bak als Sprungbrett ins „Blaue Haus“, den Amtssitz des Staatschefs. Und über offensichtliche Alternativkandidaten für dieses Amt verfügt die linksliberale Opposition derzeit kaum.
Die unverdiente Nicht-Verliererin: Park Geun-hye
Die Kommunalwahl ist, dies steht unzweifelhaft fest, nicht zu einem Tribunal bzw. zu einer Abstrafung der Präsidentin und ihrer seit Amtsantritt im Februar 2013 nicht besonders ertrag- und erfolgreichen Politik geworden, wozu die Opposition die Bevölkerung in ihren Wahlkampfslogans aufgefordert hatte. Park zog sich in den Tagen vor dem Urnengang aus der Öffentlichkeit weitgehend zurück, überließ den kommunalen Kandidaten sowie ihren Unterstützern das Feld und blieb rund um den Wahltag und dessen Ergebnisse in fast beredter Weise stumm. Im Nachhinein erscheint dies als das taktisch Vernünftigste, was ihr in ihrer schwierigen Situation übrig blieb. So konnte die zentrale Botschaft der Saenuri an die Wählerschaft lauten, es doch bitte mit der Präsidentin und ihrer Partei noch einmal zu versuchen, beiden die sprichwörtliche zweite Chance zu geben. Es hätte auch alles anders kommen, wichtige Hochburgen der Konservativen hätten verloren gehen können. Die wichtige, Seoul umgebende Provinz Gyeonggi konnte vom konservativen Bewerber mit gerade einmal 50,4% gewonnen werden, ein Ergebnis, das andeutet, dass für die Saenuri in den ländlich-urbanen Zentren die Trauben in Zukunft höher hängen könnten.
Es bleibt für den europäischen Beobachter gleichwohl erstaunlich, dass südkoreanische Wähler offenbar eine deutlich höhere Frustrationstoleranz gegenüber ihren Stammparteien und gewählten Volksvertretern haben als dies z.B. in Europa der Fall ist und bei den Europawahlen auch zum Ausdruck gebracht wurde. Die Präsidentin und ihre Partei leben ab jetzt gleichwohl von der Vertrauenssubstanz ihrer Basis. Die nächste Wahl ist diejenige zur koreanischen Nationalversammlung im Frühjahr 2016. Bis dahin hat Park Geun-hye jetzt Zeit, aber auch die Pflicht, zumindest in ausgewählten Politikbereichen endlich einige messbare Ergebnisse vorzulegen, die auch die Mehrheit der Bevölkerung überzeugen. Geschieht das nicht, dürfte dann die Luft für die Saenuri und ihre Kandidaten deutlich dünner werden, auch in Hinsicht auf die im Spätherbst 2017 anstehenden Präsidentschaftswahlen.
Der verdiente Nicht-Gewinner: die Neue Politikallianz für Demokratie (NPAD)
Erst im vergangenen März hatte sich die bisherige parlamentarische Oppositionskraft in der Nationalversammlung, die Demokratische Partei (DP), mit dem prominenten Neueinsteiger auf der nationalen politischen Ebene in Südkorea, dem Selfmade-Millionär Ahn Cheol-soo , und seinen Anhängern zur neuen Oppositionspartei NAPD vereinigt. Allen Beteiligten war klar, dass es sich hierbei weniger um eine Liebesheirat als um eine politische Zweckgemeinschaft handelte. Zu viel trennt Ahn, der einen realiter konservativen Lebens- und Erfolgsweg hinter sich hat, von den ideologisch zerstrittenen Flügeln der alten DP, die seit dem Machtverlust der Linken 2008 nicht mehr zur Geschlossenheit finden und entsprechend keine wirklichen Wahlerfolge mehr erringen konnten. Einen tut beide Partner allerdings die rigorose Ablehnung all dessen, wofür Präsidentin Park Geun-hye und die Saenuri-Partei stehen: “alte Politik“, wie Ahn Cheol-soo es immer genannt hat, meist mit Verachtung im Unterton.
Natürlich konnte die Opposition im Ange-sicht des schrecklichen Fährunglücks nicht offen frohlocken über diese völlig unerwartete Vorlage, der Regierung Park massives Versagen öffentlichkeitswirksam vorwerfen zu können. Im Rahmen dessen, was unter Pietätsaspekten und in Bezug auf die politischen Pflichten einer parlamentarischen Opposition geboten war, wurden zahlreiche Attacken gegenüber der Präsidentin, dem Premierminister, mehreren Kabinettsmitgliedern und einer Vielzahl in den Vorgang verwickelter Behörden gefahren und von den Medien auch aufgegriffen. Allein: das scheint nicht in hohem Maße verfangen zu haben, denn Überraschungssiege sind unter den NPAD-Gewinnern nicht zu verzeichnen; vielmehr hat die Partei kaum mehr als ihre sieben Hochburgen im Nordosten und Südwesten des Landes gehalten und mit dem Sieg in der neuen Verwaltungshauptstadt Südkoreas, Sejong City, einen kleinen Bonus gewonnen. Dass Seoul an die Opposition ging, war zuletzt erwartet worden. Hingegen muss es aus linker Sicht als verpasste Chance angesehen werden, dass die NPAD die wirtschaftsstarke und politisch bedeutsame Provinz Gyeonggi den Konservativen nicht abjagen konnte.
Nachdenklich stimmen sollte die Linken auch, dass der Bürgermeisterposten der Zweieinhalbmillionen-Stadt Incheon trotz des für die Konservativen negativen Trends an die Saenuri fiel (wenngleich mit 50,0% denkbar knapp). Auch wenn nationale Faktoren bei der Kommunalwahl weniger bedeutsam gewesen sein und die Persönlichkeit der lokalen Kandidaten die Wahlentscheidungen der Bevölkerung entscheidend beeinflusst haben dürften, bleibt doch klar: eine wirkliche politische und/oder personelle Alternative zur Saenuri-Partei ist die NPAD auf nationaler Ebene noch immer nicht – trotz aller Eigentore der Regierung. Dies zu ändern muss die große Herausforderung der Parteiführung in der nächsten Zeit sein. Ob diese Aufgabe gelöst werden kann, daran dürfen begründete Zweifel bestehen bleiben.
Jeder nach seiner Façon: Oppositions- und Regierungspartei als Wahlgewinner
Schaut man nur auf die Schlagzeilen des Wahltages, ergibt sich ein Bild, wonach die linksliberale Opposition neun kom-munale Exekutivposten (vier Bürgermeister, fünf Gouverneure) gewinnen konnte, während auf die konservative Regierungspartei Saenuri acht Posten (je vier Bürgermeister- und vier Gouverneursposten) entfielen. Die oppositionelle NPAD als Wahlsieger also? Dies ist nur eine mögliche Sichtweise.
Im Vergleich zur Kommunalwahl 2010 konnten die Konservativen 2014 auch die Gouverneursposten auf der Insel Jeju sowie in South Gyeongsang gewinnen, die bis jetzt von parteilosen Amtsinhabern gehalten worden waren. De facto bedeutet dies einen Zugewinn von zwei Posten für die Saenuri trotz eines ungünstigen nationalen Stimmungsklimas.
Der wahre Gewinner: die konservativen Stammwähler
Einige wenige politische Kommentatoren hatten es geahnt und vor ihnen gewarnt: die konservativen Stammwähler. Sie gelten in Südkorea bei jeder Wahl als der entscheidende Faktor, weil es sowohl der Demoskopie als auch der Journaille schwerfällt, im Vorhinein festzustellen, wie sich ihre Wahlbeteiligung letztendlich auf das Ergebnis auswirken wird. Diese Stammwähler entziehen sich offensichtlich der Befragung bei Umfragen vor Wahlen. So tragen sie dazu bei, dass Umfrageergebnisse publiziert werden, die diesen Faktor unberücksichtigt lassen und daher fast sensationell anmutende Hoffnungen auf unerwartete Ergebnisse schüren. Diese wiederum führen regelmäßig zu voreiligen Schlussfolgerungen über die möglichen politischen Implikationen einer Wahl in den Medien des Landes.
Die konservative Stammwählerschaft ist auch dieses Mal ihrem Ruf als „stille Macht“ gerecht geworden und hat den von ihr bevorzugten Bewerbern sicherlich in mehreren Fällen zum Sieg verholfen. Dabei ist bemerkenswert, in welchem Treueverhältnis sie zur Regierungspartei bzw. zu Präsidentin Park Geun-hye zu stehen scheint und wie problemlos sie offenbar mobilisiert werden kann. In der begründeten Annahme, dass es sich dabei überwiegend um ältere Menschen handeln dürfte, müsste Präsidentin Park Geun-hye jetzt eigentlich dieser, ihrer speziellen Klientel entgegenkommen und einige ihrer zentralen Wahlversprechen einlösen, die bisher an der Finanzierung scheiterten, z.B. die Erhöhung der Mindestrente. Ob die konservativen Stammwähler nämlich uneingeschränkt treu bleiben, dürfte auch die Saenuri nicht mit letzter Gewissheit beantworten können.
Im Lichte einer demographisch sich stark verändernden, d.h. alternden Gesellschaft ist dieser Wahlfaktor entscheidend, weil daran auch die Interessen der jüngeren Generation von den politischen Entscheidungsträgern gemessen werden. Diese gesellschaftliche Spaltung zu überwinden, darin liegt eine der größten Herausforderungen für alle gewählten Volksvertreter der Republik Korea.