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Bedeutung und Einfluss von Religion im arabischen Transformationsprozess

 

Vom 31. August bis 02. September veranstaltete die KAS in Rabat einen internationalen Runden Tisch zum Thema „Between Turmoil, Change, and Renewal: Religion and its Role in Re-shaping Societies in Transition in the Arab Islamic World”.

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Die durch die sozialen Bewegungen des „arabischen Frühlings“ angestoßenen Verfassungsreformen in der Region haben auch die Frage nach der Rolle der Religion bei der Transformation der Staats- und Gesellschaftsordnungen neu aufgeworfen. Dabei ist nicht nur das neue Verhältnis zwischen Staat und Religion von Bedeutung, sondern auch die Frage nach dem Umgang mit religiösen oder ethnischen Minderheiten.

 

Vom 31. August bis 02. September 2012 veranstaltete die Konrad-Adenauer-Stiftung in Rabat in Partnerschaft mit dem Europäischen Abrahamischen Forum (EAF), Zürich, und in Zusammenarbeit mit dem Center for Cross Cultural Learning (CCCL), Rabat, einen internationalen Runden Tisch zum Thema „Between Turmoil, Change, and Renewal:

Religion and its Role in Re-shaping Societies in Transition in the Arab Islamic World”.

 

Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Frage, welchen Einfluss der Islam in den Verfassungen und Rechtsordnungen der arabischen Staatenwelt künftig einnimmt und inwieweit ein Minderheitenschutz von Andersgläubigen garantiert wird.

Ziel der Veranstaltung war es, über vergleichende Länderstudien eine Bestandsaufnahme zur Stellung von Religion in den Rechts- und Verfassungsordnungen der arabischen Transformationsstaaten zu bieten und Lösungsansätze zu bestehenden und potenziellen interreligiösen Konflikten zu diskutieren.

 

Farah Cherif D’Ouezzan, Direktorin des CCCL in Rabat, hob in ihrem Vortrag „Marokko – Drei Kulturen, drei Religionen, eine Nation?“ die sowohl homogene als auch heterogene Eigenart der marokkanischen Identität hervor. Die marokkanische Gesellschaft als ein „Schmelztiegel“ bestehend aus ehemaligen Migranten aus der arabischen Welt, Subsahara-Afrika und Andalusien sowie aus verschiedenen Berberstämmen wird über den König als Garant für Einheit und Stabilität sowie als Führer der Gläubigen zusammengehalten. Die marokkanische Monarchie, die für sich die Führerschaft der marokkanischen Muslime beansprucht, hat es traditionell gut verstanden, Religion als einendes Element der marokkanischen Nation sowie auch als Gegengewicht gegenüber islamistischen Parteien oder, wie seit 2012, gegenüber der moderat-islamistisch geführten Regierung einzusetzen. Im Unterschied beispielsweise zur ägyptischen Republik stelle die marokkanische Monarchie ein gewisses Gegengewicht gegenüber politisch-islamistischen Ambitionen dar. Monarchie und politischer Islam bilden somit ein System der „checks and balances“, in welchem sie sich gegenseitig in Schach halten.

Mit der Verfassungsreform von 2011 konnte König Mohammed VI. verschiedene soziale, ethnische aber auch religiös bedingte Spannungen vorerst abfangen. Durch die in der neuen Verfassung anerkannte amazighische Identität Marokkos, konnte zudem, in den Worten Ouezzans, auch die „ethnische Bombe“ entschärft werden. Die marokkanischen Amazigh (Berber) stellen offiziell 50 Prozent der marokkanischen Bevölkerung. Von den Ereignissen des „arabischen“ Frühlings fühlten sich viele Amazighis aufgrund der Sprachwahl ausgeschlossen.

Die größten sozio-politischen Herausforderungen Marokkos sieht Cherif D’Ouezzan vor allem in der Bekämpfung von Armut und Analphabetismus (die Analphabetenrate liegt in Marokko bei fast 50 Prozent) sowie in den ausgeprägten Formen eines staatlichen aber auch eines gesellschaftlichen Autoritarismus.

 

Muhammad Sharkawy, Professor an der Universität Kairo, analysierte, inwiefern die Wahlerfolge von islamistischen Parteien eine Chance oder ein Hindernis beim Aufbau einer Zivilgesellschaft in Ägypten darstellen. Die ägyptische Verfassung von 1971, wie auch bereits die Verfassung von 1923, definiert den Islam als Staatsreligion und die islamische Shari’a als Primärquelle aller Gesetze (Artikel 2). Nach Sharkawy lassen sich Staat und Religion trotz jahrzehntelanger Militärherrschaft in Ägypten nicht trennen. Ebenso merkte Sharkawy an, dass die ägyptischen Kopten jahrzehntelang friedlich unter der islamischen Verfassungsgesetzgebung gelebt hätten. In der ägyptischen Debatte um den Verfassungsartikel 2 habe ebenso die salafistische Al-Nour Partei den christlichen Kopten zugestanden, weiterhin ihr eigenes Familien- und Personenstandsrecht anzuwenden.

 

In der anschließenden Diskussion wurde festgestellt, dass es in der ägyptischen Verfassungsdebatte, aber auch in den anderen arabischen öffentlichen Diskursen über Staats- und Verfassungsrecht nicht klar wird, welche Auswirkung eine verfassungsrechtliche Verankerung der islamischen Schari’a auf die weitere Gesetzgebung und –anwendung hat. Ist eine textkonforme Auslegung der Schari’a gemeint oder sollen nur allgemeine Werte und Grundsätze des islamischen Rechts angewendet werden? Als allgemein problematisch wurde angemerkt, dass Vertreter islamistischer Parteien nicht explizit offenlegen, welche konkrete Auslegung der Verfassung sie verfolgen und welche praktischen Auswirkungen ihre Auslegung auf die weitere Gesetzgebung und -anwendung haben wird. Die vielzitierte islamistische Devise „Der Islam ist die Lösung“ (al-islam huwa al-hal) erkläre der muslimischen Bevölkerung nicht, was eine islamische Gesetzgebung für das tägliche Leben bedeutet. Die Rolle von Religion im Staat und in der Gesetzgebung müsse daher für die muslimische Bevölkerung viel klarer definiert und limitiert werden.

 

Botschafter Hasan Abu Nimah veranschaulichte die soziopolitischen Auswirkungen der Syrien-Krise auf den Nachbarstaat Jordanien. Das Königreich Jordanien, das eine lange internationale Grenze mit Syrien teilt und sich in einer verwundbaren geografischen Lage zwischen Syrien, Israel und Irak befindet, ist insbesondere von Flüchtlingsströmen aus Syrien betroffen. Gleichzeitig ist der Handel mit den beiden Nachbarländern Syrien und Türkei für die jordanische Volkswirtschaft von vitaler Bedeutung. Obgleich die Mehrheit der jordanischen Bevölkerung keine Sympathien für das erodierende Assad-Regime in Syrien hegt, beobachtet Abu Nimah eine wachsende Sorge vor einem ethnisch-religiösen Auseinanderfallen Syriens. Nach Abu Nimah werden in der jordanischen öffentlichen Meinung Stimmen stärker, die der territorialen Integrität Syriens und nicht der Unterstützung der pro-revolutionären Kräfte in Syrien oberste Priorität einräumen.

 

Der ehemalige jordanische Außenminister, Prof. Kamal Abu Jaber, ging auf die Lage der arabischen Christen in der Region und insbesondere in Jordanien ein. Abu Jaber, selbst arabischer Christ, beschrieb das Paradox, dass jordanische Christen weiterhin in westliche Länder emigrieren, obwohl sie in Jordanien in politischen Ämtern überrepräsentiert, ökonomisch besser gestellt und sozial akzeptiert sind. Als Grund nannte Abu Jaber die Angst vor einer generellen Destabilisierung der Region, die vor allem (religiöse oder ethnische) Minderheiten zur Auswanderung bewegt.

 

In der anschließenden Diskussion wurde festgehalten, dass mit den vor einem Jahr angestoßenen politischen Transformationsprozessen in der arabischen Welt und vor allem mit der Syrien-Krise erneut ethnisch-religiöse Spannungen und Bruchlinien in der Region offengelegt werden. In den gegenwärtigen Transformationsprozessen der Region müssen insbesondere die Fragen von Minderheitenschutz und Pluralismus neu verhandelt werden. Von Muin Khouri, jordanischer Christ, wurde betont, dass die arabischen Christen nicht mehr als eine „zu schützende Minderheit“ gesehen werden möchten, sondern als vollwertige Bürger. Von anderer Seite wurde angemerkt, dass die arabischen Christen dann auch ihre Privilegien und Sonderbehandlungen, die sie als Minderheit genießen, aufgeben müssten.

 

Der im Zuge des Dekolonialisierungsprozesses im Nahen und Mittleren Osten entstandene arabische Nationalismus des 19. und 20. Jahrhunderts wurde insbesondere auch von arabischen Christen der Region ideologisch mitgetragen und mitentwickelt und konnte etwaige inter-religiöse Spannungen und Bruchlinien unter dem Ideal einer arabischen Einheit verdecken. In der Zukunft garantiere jedoch nach einmütiger Auffassung der Seminarteilnehmer nur die Einführung von vollwertigen Bürgerrechten (sowohl für religiös-ethnische Minderheiten als auch für eine arabisch-muslimische Mehrheit) den sozialen Frieden und Zusammenhalt in der arabischen Staatenwelt. Ebenso wurde für den Fall Syrien festgehalten, dass nur eine neue pluralistische Staatsverfassung einen dauerhaften Frieden und die territoriale Einheit Syriens gewähren kann.

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Rabat

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Ellinor Zeino

Leiterin des Regionalprogramms Südwestasien

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