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Seminar

Die Sicherheitssituation in Afrika nach der Mali-Krise

Herausforderungen für die regionale und internationale Kooperation

Am 28. März veranstaltete die KAS in Kooperation mit dem Institut Royal des Etudes Stratégiques (IRES) ein Seminar zur "Sicherheitssituation in Afrika nach der Mali-Krise".

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Details

Die Umbrüche in der arabischen Welt und insbesondere der Sturz des libyschen Qadhafi-Regimes haben das Sicherheitsvakuum im Sahel-Sahara-Raum verstärkt. Mit der Krise in Nord-Mali und jüngst in der Zentralafrikanischen Republik haben die Sicherheitsrisiken durch terroristisch-djihadistische Netzwerke verknüpft mit organisierter Kriminalität, fragiler Staatlichkeit und ethnisch-religiösen Konflikten eine neue Qualität erreicht. Gleichzeitig zeigen die ausländischen, militärischen Interventionen in der Region (z.B. Serval, Sangaris) die Priorität, die die europäischen Staaten den Sicherheitsrisiken aus der Region beimessen.

 

Für die nordafrikanischen Länder, darunter auch Marokko, sind die Entwicklungen im Sahel-Sahara-Raum zu einer ihrer größten sicherheitspolitischen Herausforderungen geworden, die es – auch im Interesse und in Abstimmung mit der EU – zu bewältigen gilt.

 

Die Veranstaltung war Bestandteil der in regelmäßigen Abständen stattfindenden sicherheitspolitischen Seminaren von IRES und KAS zu Themen der regionalen Sicherheit (Migration, Terrorismus, regionale Integration im Maghreb, regionale Sicherheitskooperation).

 

An den Veranstaltungen nehmen regelmäßig marokkanische und internationale Sicherheitsexperten aus Politik, Diplomatie, öffentlicher Verwaltung, Militär und verschiedenen Think Tanks teil.

 

Sicherheitsrisiken und regionales Krisenmanagement

 

Im ersten Panel wurden die sicherheitspolitische Lage im Sahel-Sahara-Raum seit der Mali-Krise von 2012, die daraus resultierenden Sicherheitsrisiken für die Regionalstaaten sowie die Rolle von militärischen Interventionen und die Anforderungen an ein effizientes Krisenmanagement diskutiert.

 

Hassan SAOUDI, Oberst i.R. und Sicherheitsexperte, betonte die Unwirksamkeit von militärischen Interventionen in Krisengebieten, solange nicht begleitende Maßnahmen der Ursachenbekämpfung eingeleitet werden. Er sprach sich für ein antizipatorisches Krisenmanagement aus, das frühzeitig mögliche Fehlentwicklungen feststellt und diesen über nicht-militärische Maßnahmen entgegensteuert. Ein frühzeitig angewendeter und langfristig ausgerichteter entwicklungspolitischer Ansatz sei, laut Saoudi, oftmals nachhaltiger und effizienter als spätere militärische Eingriffe.

 

Abdelhak BASSOU, Sicherheitsexperte und ehemaliger Direktor des marokkanischen Nachrichtendienstes, wies auf die langen historischen Wurzeln der Mali-Krise von 2012 hin, die als wiederkehrende Dauerkrise seit der ersten Touareg-Rebellion von 1962 beschrieben werden könne. Die aktuelle Situation in Nord-Mali bezeichnete Bassou als weiterhin prekär. Weitere Konflikte seien aufgrund der heterogenen Bevölkerungsgruppen in Mali vorgezeichnet.

 

Das französische Interesse in Mali wertete Bassou als nicht ökonomisch geleitet (im Gegensatz zum Niger). Es spiegele vielmehr die generelle strategische Bedeutung der weiteren Region wider.

 

Markus NOLTE, Fregattenkapitän im Bundesministerium der Verteidigung, stellte die deutsche sicherheitspolitische Perspektive zu Afrika dar. Die Interessen der deutschen Afrikapolitik liegen, laut Nolte, bei der Förderung von Menschenrechten, Stabilität und Entwicklung und insbesondere beim Aufbau afrikanischer Strukturen einer eigenverantwortlichen Krisenbewältigung (Enable & Enhance Initiative).

 

Die deutsch-afrikanischen Beziehungen unterscheiden sich aufgrund ihrer historischen Entwicklung von der Afrikapolitik anderer europäischer Länder, wie Frankreich, das seit langem traditionelle und enge Beziehungen zu vielen afrikanischen Staaten unterhält. Deutschland als „verspätete Nation“, dessen koloniale Afrikapräsenz mit dem 1. Weltkrieg endete, habe weniger enge Beziehungen zu Afrika, betrachte den afrikanischen Kontinent aufgrund seiner menschlichen und natürlichen Ressourcen, seiner wachsenden Märkte und Wirtschaft jedoch als Kontinent der „Zukunft und der Chancen“. Die unterschiedlichen europäisch-afrikanischen Beziehungen erschweren mitunter eine einheitliche europäische Afrikapolitik im EU-Parlament. Deutschland habe jedoch weder die Absicht noch das Interesse, in Konkurrenz zur Afrikapolitik der anderen europäischen Staaten zu treten.

 

Deutschland führt derzeit 14 Bundeswehreinsätze im Ausland durch, davon acht in Afrika. Deutschland unterstützt dabei insbesondere Trainings- und Ausbildungsmissionen für Polizei und Sicherheitskräfte, wie die EU Training Mission in Mali (EUTM Mali). Jede deutsche militärische Mission muss gemäß des deutschen Grundgesetzes über eine multilaterale Einbindung (EU, UN Mandat) sanktioniert sein. Ein bilaterales militärisches Eingreifen, wie im Fall der französischen Operation Serval, wäre nach deutschem Verfassungsrecht nicht möglich.

 

Die Suche nach einer geeigneten Sicherheitsarchitektur zwischen regionalen und externen Interessen und Strategien

 

Im zweiten Panel wurden die Möglichkeiten und Herausforderungen regionaler wie internationaler Kooperation in der Sahelzone diskutiert. Dabei ging es vor allem auch darum, die unterschiedlichen Strategien und Interessen der involvierten regionalen wie internationalen Akteure zu evaluieren und die Frage nach einer stabilen und effektiven Sicherheitsarchitektur für die Region zu stellen.

 

Abderrahim KADMIRI, Generaldirektor der Agence Marocaine de Coopération Internationale, hob die engen historischen und kulturellen Verbindungen Marokkos mit Subsahara-Afrika hervor, die das afrikanische Element innerhalb der marokkanischen Identität ausmachen. Marokko hat sich, ebenfalls in seiner Verfassung von 2011, der Solidarität mit Subsahara-Afrika verpflichtet und verfolgt parallel eine Stärkung der Kooperation im Wirtschafts- und Finanzsektor. Ebenfalls bestehen sehr enge Beziehungen im Bildungssektor. An marokkanischen Universitäten studieren derzeit über 10.000 Studenten aus Subsahara-Afrika, zum Teil mit Stipendien des marokkanischen Staates. Bereits seit den 1960er Jahren ist Marokko Ziel einer Bildungsmigration aus dem südlichen Afrika.

 

Kadmiri plädierte zudem dafür, den afrikanischen Kontinent nicht pauschal als arm und krisenbehaftet zu bewerten. Afrika biete zahlreiche lukrative Märkte und wirtschaftliche Chancen, wie die verstärkte Zusammenarbeit im Banken-, Telekom- und Logistiksektor zwischen Marokko und einigen Staaten Westafrikas zeige.

 

Der Sicherheitsexperte und marokkanische Botschafter a.D. Noureddine SEFIANI beschrieb die Sahelzone als Herkunftsregion zahlreicher Sicherheitsrisiken für Marokko als auch für die Europäische Union. Neben den Sicherheitsrisiken hat die strategische Bedeutung der Sahelregion aufgrund ihrer reichen Rohstoffvorkommen und Bodenschätze(darunter v.a. Gold, Diamanten, Uran, Eisen, Erdöl) die Aufmerksamkeit und Einmischung verschiedener Groß- und Regionalmächte erzeugt. Dabei verfolgen die externen Mächte verschiedene, teils zuwider laufende Strategien und Interessen. Für die USA habe der Kampf gegen Terrorismus und religiösen Extremismus oberste Priorität. Die Pan Sahel Initiative von 2002 und die folgende umfassendere Trans-Saharan Counterterrorism Initiative, die seit 2008 dem US Africa Command (AFRICOM) in Stuttgart untersteht, verfolgen beide eine präventiv ausgerichtete Anti-Terrorbekämpfung. Saudi-Arabien und Iran sind hingegen beide bemüht, über religiöse Missionierung und karikative Aktivitäten ihre jeweils wahhabitischen bzw. schiitischen Ideen und Glaubensrichtungen zu verbreiten und ideologisch-religiösen Einfluss auf die Region zu nehmen. Die algerische Strategie in der Sahelzone beschrieb Sefiani als einerseits ambivalent gegenüber den Sahelstaaten sowie als andererseits eindeutig hinsichtlich dem Ziel der Ausgrenzung Marokkos in der regionalen Sicherheitsarchitektur.

 

Als Lösungsansatz sprach sich Sefiani für ein umfassendes Konzept der „vernetzten Sicherheit“ aus, das humanitäre, sicherheitspolitische, sozioökonomische und entwicklungspolitische Komponenten sinnvoll miteinander ergänzt. Zudem empfahl er die Einbindung der lokalen Bevölkerungen sowie des privaten Sektors in den Entwicklungsprozess und forderte ein Verbot jeglicher Missionierungsformen (sowohl von christlicher als auch von externer muslimischer Seite). Für eine wirksame regionale Sicherheitskooperation empfahl er ein Forum, das einerseits nicht zu groß ist, andererseits keine wichtigen regionalen Akteure ausschließt. Ein Dreiparteienbündnis bestehend aus den Sahel- und Maghrebstaaten sowie der Europäischen Union nannte Sefiani als ein adäquates Forum, um die Sicherheitsprobleme in der Sahelzone in den Griff zu bekommen.

 

Youssef SLAOUI vom marokkanischen Ministerium für auswärtige Beziehungen und Kooperation hob Marokkos Rolle für die regionale Stabilität hervor. Bereits seit den 1960er Jahren trage Marokko zur Friedenskonsolidierung in afrikanischen Konflikten bei und habe als eines der ersten afrikanischen Länder eine Strategie zur Terrorismusbekämpfung entwickelt. Marokko sei heute ein moderner und glaubwürdiger Partner in Afrika, der seiner historischen und geografischen Wurzeln in Afrika bewusst sei und sich als Schutzwall gegen einen radikalen Islam in Afrika etabliert hat. Mit seiner neuen Migrationspolitik von 2014 übernehme Marokko zudem stärker Verantwortung bei der Integration von Migranten aus Subsahara-Afrika.

 

Mehdi BENNANI von der Generaldirektion der Nationalen Sicherheit gab einen Überblick über die Terrorismusgefahr in den einzelnen Ländern der Sahel-Sahara-Region. Während Algerien das Ursprungsland und einstige Aktionszentrum für Al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM) darstellt, ist heute Libyen zur neuen Hochburg von Al-Qaida geworden. Mauretanien lief immer Gefahr einer "Ansteckung" durch religiösen Extremismus und ist heute eine wichtige strategische Hinterbasis für Extremisten. Mali stellte für AQMI ein "Pilot-Projekt" dar. Gleichzeitig war der malische Staat bei Verhandlungen mit Entführern und Extremisten immer stark involviert und zum Teil auch - bei der Zahlung von Lösegeldern - mit in die kriminellen Strukturen verstrickt. In Nigeria hingegen habe sich der frühere Guerilla-Krieg von Extremisten in einen Bürgerkrieg entwickelt, in welchem die islamistische Terrororganisation Boko Haram mit der Gruppe Al-Murabitun (früher Mujao) eine effektive Allianz des Terrors eingegangen ist. Das Königreich Marokko sei laut Bennani besonders der Gefahr von islamistischen Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt und beherberge mittlerweile ungewollt ausländische extremistische Zellen.

 

Die aktuelle Krise in Zentralafrika

 

In einem dritten speziellen Panel zur aktuellen Krise in der Zentralafrikanischen Republik wurden die internen Konfliktlinien, die humanitäre Situation und das Handeln der internationalen Gemeinschaft diskutiert.

 

Ellen WASYLINA, Präsidentin vom Observatory of the Black, Gulf and Mediterranean Seas (OBGMS) in Paris analysierte das internationale Eingreifen in Zentralafrika seit Ausbruch der Kämpfe zwischen den Osten des Landes kontrollierenden muslimischen Séléka-Milizen und christlichen, den Westen des Landes kontrollierenden Anti-Balaka-Milizen. Wasylina bewertete das Königreich Marokko als einen engagierten Akteur sowohl bereits bei der Formulierung und Verabschiedung einer Resolution zu Mali als auch bei der Entwicklung einer konzertierten UN-Strategie für die Sahelzone.

Die Krise in Zentralafrika habe bereits zu 250.000 Flüchtlingen und 850.000 Binnenvertriebenen geführt. Jeder zweite Einwohner ist auf Notfallhilfe angewiesen, jeder Fünfte auf Nahrungsmittelhilfen.

 

Die seit Dezember 2013 begonnene und von der UN mandatierte Operation der französischen Armee (SANGARIS) hat zum Ziel, die afrikanische MISCA-Mission zu unterstützen, die größeren Städte und Verkehrsadern zu schützen, die Ausführung von humanitärer Hilfe zu ermöglichen sowie die Milizen zu entwaffnen. Die im Januar 2014 gewählte neue Interimspräsidentin der Zentralafrikanischen Republik, Catherine Samba-Panza, unterstützt dabei das französische Eingreifen.

 

Für die weitere Stabilisierung des Landes spielen das Funktionieren der politischen Institutionen und insbesondere die Auszahlung der Gehälter an die Staatsbeamten eine entscheidende Rolle. Die EU stellte bereits Hilfsgelder in Höhe von 100 Mio. Euro in Aussicht, wovon ca. 20 Mio. Euro für die im Februar 2015 geplanten Neuwahlen vorgesehen sind.

 

Khalid CHEGRAOUI, Forscher am Institut des Études Africaines in Rabat, beschrieb die heutige Krise und die ethnisch-religiösen Spannungen in Zentralafrika als Resultat europäischer Widersprüche und insbesondere als Ergebnis einer langwierigen, seit der Kolonialzeit überlieferten französisch-englischen Konkurrenz in Afrika.

 

Fazit: Wechselseitige Abhängigkeiten in einer strategischen Region

 

Als einheitlicher Tenor der Seminarteilnehmer wurde die Bedeutung von Entwicklungszusammenarbeit und akuter humanitärer Hilfe als Grundvoraussetzung für Sicherheit und Stabilität in der Region hervorgehoben. Stabilität, Sicherheit und Entwicklung bedingen sich gegenseitig und können nicht isoliert betrachtet werden.

 

Gleichzeitig wurde eine stärkere Präsenz der Privatwirtschaft und regionaler wie internationaler Investoren ausgemacht, die als neue Akteure Einfluss auf die regionalen Beziehungen nehmen. Auch marokkanische Unternehmen (Attijariwafa Bank, Maroc Telecom, Royal Air Maroc) haben bereits seit einiger Zeit Westafrika als lukrativen Markt entdeckt. Afrika dürfe daher nicht nur als Kontinent der Krisen, sondern auch als ein Kontinent der Chancen und des Wachstums gesehen werden. Vor allem Angola ist zu einem Musterbeispiel für das afrikanische Wirtschaftswachstum (derzeit bei über fünf Prozent) und zum Anziehungspunkt für zahlreiche portugiesische Einwanderer geworden.

 

Zudem dürfen bei der Bewertung der gegenwärtigen Krisen und Konflikte nicht die wechselseitigen Abhängigkeiten und internationalen Interessen in der Sahelzone und der weiteren Region außer Acht gelassen werden. Seit 2009 ist China der größte Handelspartner Afrikas (sowohl hinsichtlich des Import- wie Exportvolumens). Die USA verbleiben hingegen der größte ausländische Investor in Afrika. Eine kritische Bilanz muss bei den afrikanischen Waffenimporten gezogen werden. Die Waffenimporte in Afrika haben 2013 um 53 Prozent zugenommen, wobei Algerien (36%), Marokko (22%) und Sudan (9%) die größten Waffenimporteure stellen (Quelle: SIPRI 2013). Afrika ist damit zu einem der am stärksten wachsenden Waffenmärkte weltweit geworden.

 

Gerade die Verknüpfung von Bodenschätzen und Ressourcenreichtum einerseits mit der Zunahme an Sicherheitsbedrohungen für die Region und für Europa durch einen radikalen Extremismus, organisierte Kriminalität, (Klima)flüchtlinge, ethnisch-religiöse Spannungen und schwache Staatlichkeit andererseits, machen die Sahelzone zu einer strategischen Region, die eine erhöhte Aufmerksamkeit und ein konzertiertes Han

deln der EU und der weiteren Staatenwelt erfordert.

 

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Veranstaltungsort

Rabat

Referenten

  • Fregattenkapitän Markus Christian Nolte
    • Bundesministerium der Verteidigung

Publikation

Sicherheit in der Sahelzone
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Dr. Helmut Reifeld

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Dr. Ellinor Zeino

Ellinor Zeino

Leiterin des Regionalprogramms Südwestasien

ellinor.zeino@kas.de
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