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Fachkonferenz

Sufismus und Politik in Marokko und im Senegal

Vom 8. bis 9. November 2012 veranstaltete die Konrad Adenauer Stiftung in Kooperation mit dem Centre Jaques Berque eine internationale Konferenz in Rabat zum Thema "Sufismus und Politik in Marokko und im Senegal".Von Carolin Roßberg

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Marokko und der Senegal teilen gemeinsame kulturelle und religiöse Wurzeln, die den zeitgenössischen Sufismus in beiden Ländern geprägt haben. Vor allem die Bruderschaft „Tijaniya“ verbindet die beiden Länder, da ihr eine große Anzahl senegalesischer Muslime angehört, sich ihr religiöses Zentrum jedoch in der marokkanischen Stadt Fes befindet. Die Zielsetzung dieses Kolloquiums war es, zu verstehen, wie sich der sufistische Islam in dem geographischen und geopolitischen Kontext der beiden Länder, die sich als „Brüder“ präsentieren, im Lichte der soziokulturellen Veränderungen entwickelt hat.

Eröffnet wurde die Konferenz am Donnerstag durch Yahia Abou El Farah (Institut für Afrikastudien), Baudouin Dupret (Centre Jaques Berque), Helmut Reifeld (Konrad Adenauer Stiftung) und dem Koordinator Abdourahmane Seck.

In den 1980er Jahren erlebte der Sufismus in Marokko eine Renaissance aufgrund der Förderung durch den König Hassan II. Zu jener Zeit war Marokko diplomatisch isoliert und hatte keine wirtschaftlichen oder kulturellen Beziehungen mit anderen Ländern des Kontinents. 1985 wollte der König die Kommunikation zwischen Afrika und Marokko vorantreiben und die historische Rolle Marokkos als „Keimzelle des Sufismus“ und als Verbreiter des Islam auf dem afrikanischen Kontinent wiederaufnehmen. Daher wollte er in Fes ein Generalsekretariat für alle Tijaniya-Anhänger etablieren, um deren Einheit zu bewahren. Marokko und der Senegal kooperierten für ein islamisch-wissenschaftliches Erwachen mittels Koranschulen. In dieser Periode konnte der marokkanische Sufismus durch Institutionalisierung und staatliche Förderung an Einfluss und Ansehen gewinnen, woraufhin Marokko durch die „spirituelle Diplomatie“ Beziehungen zu anderen Ländern des Kontinents aufbauen konnte.

Die Soziologin und Anthropologin Kae Amo sprach über die Suche der Sufis nach dem „modernen Souverän“ für ihr Leben, welcher durch den Körper des heiligen Meisters repräsentiert wird. Der Körper des Heiligen stellt nach sufischem Verständnis lediglich die Hülle der Seele dar und ist für die Nachfolger etwas Spirituelles. Ihr Meister ist ihr Licht, denn er bringt sie näher zu Gott. In der Bruderschaft Boutchichia, so Hlaoua Abdelaziz, schließen Jünger und Meister einen Vertrag, der den Meister zum Herrscher über die Seele des Jüngers erklärt und welcher den Jünger dazu verpflichtet, sein Leben vollkommen der Bruderschaft zu widmen.

Die Anthropologin Nina ter Laan stellte ihre Ergebnisse über die neue Rolle der Musik beziehungsweise der musikalischen Aufführung im Sufismus vor. Sakrale Musik hat an Beliebtheit gewonnen und sich von ihrem Ursprung in den zawaya (Sufizentren) gelöst. Dort werden beispielsweise rituelle Lobgesänge praktiziert, Trancezustände durch Musik herbeigeführt sowie Musik zum Anlass von Hochzeiten und Geburtstagen gespielt. Neuerdings werden musikalische Stücke zusätzlich für einen Bühnenrahmen geschaffen und zudem mit mehr Instrumenten untermalt, sodass sie einen spektakulären Charakter aufweisen. Sufische Musiker geben Konzerte, treten auf Festivals auf und nehmen an Wettbewerben teil. Besonders als Folge des Attentats von 2008 in Casablanca setzte sich König Muhammad VI. eine „Restrukturierung“ der Religion zum Ziel, welches er unter anderem durch die Schaffung neuer Sufiplattformen erreichen wollte. Dementsprechend förderte der marokkanische Staat sakrale Musikfestivals und Wettbewerbe und sufische Künstler kreierten eigene Websites, Fabebook- und Myspace-Seiten. Die Sufis sehen die neue Entwicklung als Chance an, neue Anhänger zu gewinnen und ihre Bruderschaften zu finanzieren, jedoch bedeutet dies auch Druck für die Künstler, da viele nicht an einen Bühnenrahmen gewohnt sind und sich in ihre neue Rolle als „Entertainer“ erst einfinden müssen. Die Bedeutung von ritueller Musik hat sich in diesem Prozess gewandelt. Das Ziel ist nun, sowohl Gott als auch dem Publikum zu gefallen.

Als ein Hauptpunkt wurde immer wieder auf die politische Dimension des Sufismus eingegangen. Abdelaziz führte das Beispiel der Boutchichia an, welche 2008 gegen die Muhammadkarikaturen und 2010 für die territoriale Einheit Marokkos und der Sahara protestierte sowie am 26. Juni 2011 auf der Demonstration in Casablanca nach dem Aufruf des Scheichs ihre Zustimmung zur neuen Verfassung Ausdruck verlieh. Gleichzeitig erklärte sie jedoch, nie politisch aktiv gewesen zu sein und auch in Zukunft nie politisch aktiv zu werden. Die Ambivalenz zwischen den ursprünglich religiösen Gruppierungen der Sufis sowie ihrer Negation jeglicher politischer Beteiligung einerseits und ihrem öffentlichen gesellschaftspolitischen Engagement andererseits bleibt ein ungeklärtes Spannungsfeld.

Bilanz

Am Ende der Konferenz wurde vor allem auf die neue ökonomische Dimension und die Bedeutung der Medien für den Sufismus hingewiesen. Der Hauptberichterstatter Léon Buskens äußerte in diesem Zusammenhang, dass die Vorträge auf der Konferenz den Eindruck erweckten, dass der Sufismus in Marokko ausschließlich vom Staat wiederbelebt worden sei, was jedoch nicht die komplette Realität wiederspiegelt. Er stellte die Frage in den Raum, wo die Beteiligten selbst Opfer der marokkanischen Politik geworden sind, da beispielsweise nicht über Mauretanien oder Algerien diskutiert wurde, sondern der Fokus ausschließlich auf Marokko und dem Senegal lag. Ein weiterer Kritikpunkt war die nicht ausreichende islamwissenschaftliche Perspektive, da vor allem Soziologen und Historiker referiert haben. Fragen nach der Klassifizierung von Bruderschaften als politisch oder apolitisch sowie nach der politischen und religiösen Legitimität blieben offen.

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Veranstaltungsort

Rabat

Kontakt

Dr. Helmut Reifeld

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Auslandsbüro Marokko