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Der palästinensische Antrag auf Statusaufwertung in den Vereinten Nationen

Am 29. November 2012 soll die Generalversammlung der Vereinten Nationen (VN) über die Aufwertung des Status Palästinas von einer beobachtenden territorialen Einheit (observer entity) zu einem beobachtenden Nicht-Mitgliedsstaat (non-member observer state) abstimmen. Dieses Datum hat symbolische Bedeutung, da es den 65. Jahrestag der Annahme des VN-Teilungsplanes für Palästina markiert, welcher die Aufteilung des britischen Mandatsgebiets in einen jüdischen und einen arabischen Staat vorsah.

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Der im Vorjahr vom palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas forcierte Vorstoß zur Erlangung der Vollmitgliedschaft scheiterte an dem angedrohten Veto der Vereinigten Staaten im Sicherheitsrat sowie an immensem politischen Druck, welcher unter anderem die wahrscheinliche Einstellung von Hilfszahlungen beinhaltete. Darüber hinaus bestand die Gefahr, die benötigte Mehrheit von neun von 15 Stimmen bei einer Abstimmung im Weltsicherheitsrat nicht zu erreichen, was für Präsident Abbas eine persönlich weit schwerere Niederlage bedeutet hätte als das von den USA angedrohte Veto. Aus diesem Grund wurde der Antrag nie zur Abstimmung vorgelegt.

Die diesjährige Initiative unterscheidet sich von der vorhergehenden allerdings insofern, als die Entscheidung über die Aufwertung zum beobachtenden Nicht-Mitgliedsstaat bei der VN-Generalversammlung und nicht dem Weltsicherheitsrat liegt und das Votum daher durch kein Veto außer Kraft gesetzt werden kann. Tatsächlich gibt sich die palästinensische Führung im Vorfeld der Abstimmung selbstbewusst: Ein palästinensischer Staat wird bereits heute von 131 Staaten (1) weltweit anerkannt und kann sich daher auch der für eine Statusaufwertung erforderlichen einfachen Mehrheit unter den 193 stimmberechtigten VN-Mitgliedern gewiss sein. Insbesondere postkoloniale Staaten in Afrika, Asien und Lateinamerika sympathisieren mit den palästinensischen Bestrebungen nach internationaler Anerkennung, während Israel, die USA und mehrere westeuropäische Staaten diesen ablehnend gegenüberstehen.

Obgleich alle an dem stagnierenden Friedensprozess beteiligten Parteien (2) offiziell die Zweistaatenlösung unterstützen, die einen unabhängigen palästinensischen Staat an der Seite Israels vorsieht, stehen Israel und die Vereinigten Staaten mit Verweis auf die Oslo-Abkommen auf dem Standpunkt, diese Lösung könne lediglich auf dem Wege von Verhandlungen umgesetzt werden (3). Aus palästinensischer Perspektive besteht das Problem dieser Argumentation allerdings darin, dass seit geraumer Zeit gar keine Verhandlungen mehr stattfinden und selbst die vorhergehenden Gespräche zwischen den beiden Konfliktparteien keine entscheidenden Fortschritte hin zu einer palästinensischen Eigenstaatlichkeit gezeitigt haben. Bis heute übt die durch das Interimsabkommen von 1995 gegründete Palästinensische Autonomiebehörde (PA) volle sicherheitspolitische und administrative Kontrolle nur über einen Bruchteil (18 Prozent) des gesamten Westjordanlandes aus. Dementsprechend sei es legitim, die Initiative zu ergreifen und Fakten zu schaffen, argumentieren die Befürworter der Statusaufwertung.

Der Aufwertungsantrag: Reaktionen und Implikationen

Die palästinensische Führung geht mit ihrem Aufwertungsantrag ein gewisses politisches Risiko ein, da sowohl Israel als auch die USA im Falle eines Erfolgs mit Repressalien gedroht haben: Die Drohungen reichten vom Einfrieren von internationalen Hilfsgeldern und der Nichtauszahlung von palästinensischen Steuergeldern (die von Israel im Namen der PA eingenommen werden) an die Palästinensische Autonomiebehörde über die Aufkündigung der Osloer Verträge bis hin zur Annexion israelischer Siedlungsblöcke im Westjordanland (4). In den letzten Tagen deutete sich jedoch an, dass weder die USA noch Israel ein Interesse daran haben, Maßnahmen durchzuführen, die zu einer weiteren Schwächung der PA führen würden.

Folglich gibt es sowohl auf palästinensischer als auch auf israelischer Seite intensive diplomatische Bemühungen, internationale Unterstützung für die jeweilige Position zu sichern. Während palästinensische Diplomaten und Politiker vor allem unentschlossene europäische Staaten für den Aufwertungsantrag zu gewinnen suchen, versuchen Israel und die Vereinigten Staaten parallel dazu, diese von einer Zustimmung abzubringen. Die Haltung der Vereinigten Staaten ist klar, jene der Europäischen Union hingegen ist ambivalent. Zwar wird hinter den Kulissen um eine einheitliche Haltung der EU-Mitgliedsstaaten gerungen, jedoch deutet vieles darauf hin, dass die europäischen Regierungen bei der Abstimmung wieder nicht mit einer Stimme sprechen werden: Frankreich wird der Aufwertung zustimmen, das Abstimmungsverhalten Großbritanniens ist unklar, wohingegen Deutschland auf Grund seiner besonderen Beziehung zu Israel voraussichtlich gegen den Antrag stimmen wird (5). Andere weltpolitisch bedeutende und aufstrebende Akteure stehen der palästinensischen Initiative wohlwollender gegenüber, wie etwa Brasilien, Russland, Indien und Südafrika. Auch die Volksrepublik China hat wiederholt ihre Unterstützung für den palästinensischen Antrag bekräftigt und wird von palästinensischen Strategen zunehmend als Gegengewicht zu den USA angesehen, welches die amerikanische Blockadehaltung ausbalancieren könnte (6).

Laut Völkerrechtlern und politischen Analysten könnte eine Aufwertung Palästinas zum beobachtenden Nicht-Mitgliedsstaat durch ihre implizite Anerkennung von dessen Staatscharakter der palästinensischen Führung die Möglichkeit geben, Unterorganisationen und Menschenrechtsgremien der Vereinten Nationen beizutreten sowie internationale Verträge zu ratifizieren. Diese Option ist gerade im Hinblick auf den Internationalen Strafgerichtshof von allgemeinem politischen und rechtlichen Interesse, da die Mitgliedschaft eines Staates Palästina diesem theoretisch die Möglichkeit eröffnen würde, Klage gegen israelische Staatsbürger wegen mutmaßlicher Völkerrechtsverletzungen einzureichen (etwa in Bezug auf die Besatzung des Westjordanlandes und die Blockade des Gazastreifens) (7). Zudem bekämen die Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern den Charakter einer Beziehung auf Augenhöhe, und nicht zwischen einem staatlichen und einem nicht-staatlichen Akteur (8).

Bei allem Potential, das eine erfolgreiche Statusaufwertung freisetzen würde, gilt es doch zu bedenken, dass sich für die Bevölkerung an den Realitäten der Besatzung vorerst nichts ändern würde.

Der Gazakonflikt und die inner-palästinensische Uneinigkeit

Zwei Wochen vor der VN-Abstimmung begann Israel mit der gezielten Tötung des amtierenden Führers des militärischen Flügels der Hamas, Ahmed al-Dschabari, am 14. November eine großangelegte militärische Offensive gegen Raketenstellungen und Einrichtungen der Hamas im Gazastreifen, die sämtliche Überlegungen zur bevorstehenden Statusaufwertung zeitweise in den Hintergrund treten ließ. Von palästinensischer Regierungsseite war die Vermutung zu vernehmen, dass dies durchaus im gemeinsamen Interesse Israels und der Hamas gewesen sein könnte: Die einander offen bekriegenden Parteien lehnten aus unterschiedlichen Gründen die von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) bzw. der ihr angehörigen Fatah vorangetriebenen Initiative ab.

Mahmoud Abbas, Vorsitzender der PLO und Präsident der PA, äußerte in einer Stellungnahme am 16. November dementsprechend den Verdacht, dass die israelische Regierung mit dem Waffengang gezielt die palästinensischen Bemühungen in den Vereinten Nationen zu unterminieren suche (9). Tatsächlich ist der bevorstehende Mitgliedschaftsantrag in der internationalen wie lokalen Berichterstattung Mitte November völlig untergegangen, was sich erst nach Ausrufung des Waffenstillstands am 21. November wieder änderte. Doch auch der Hamas konnte ein Interesse an der Eskalation unterstellt werden: Sie konnte sich in der Auseinandersetzung mit Israel wieder als wahre Vertreterin des palästinensischen „Widerstands“ darstellen und dadurch zusätzlich an Boden gegenüber der Fatah in der inner-palästinensischen politischen Arena gewinnen.

Allerdings zeitigte der Waffengang auch unverhoffte Konsequenzen für das Anliegen der palästinensischen Führung in Ramallah. Einerseits kam es auf internationaler Ebene zu verstärkten Beistandserklärungen: Argentinien drängte als Reaktion auf die anhaltende Marginalisierung Abbas’ die Mitgliedsländer der Vereinten Nationen dazu, den palästinensischen Antrag zu unterstützen, um so dessen innenpolitische Position zu stärken (10). Andererseits gibt es nun trotz der inner-palästinensischen Unstimmigkeiten Anzeichen dafür, dass die verfeindeten palästinensischen Parteien im Gefolge des Gazakonfliktes den Schwung der Solidaritätsbekundungen für einen neuerlichen Anlauf zur nationalen Aussöhnung zu nutzen gedenken, was sich unter anderem in der berichteten nunmehrigen Unterstützung der Hamas und des Islamischen Dschihads für den Aufwertungsantrag der Fatah ausdrückt (11).

Ob das seit 2007 bestehende Schisma zwischen den beiden großen palästinensischen Volksbewegungen diesmal überwunden werden kann, werden die kommenden Tage und Wochen zeigen. Dass die palästinensische Führung trotz des massiven internen wie externen Drucks an ihrem VN-Antrag festhielt, ist ein Erfolg an sich, dessen Konsequenzen sich in wenigen Tagen herauszukristallisieren beginnen werden.

Endnoten

(1) Negotiations Affairs Department (2012). Almost a Century without Our Rights: The Significance of November in the Palestinian Struggle for Freedom. Abgerufen unter: http://www.nad-plo.org/userfiles/file/OPED/almost_a_century.pdf (23.11.12).

(2) Dies umfasst den Staat Israel und die Palästinensische Autonomiebehörde sowie das aus den Vereinigten Staaten, der Europäischen Union, Russland und den Vereinten Nationen bestehende so genannte Nahostquartett.

(3) Die genauen Implikationen der unilateralen Statusaufwertung für die Oslo-Abkommen sind jedoch alles andere als klar, insbesondere in Anbetracht der bis dato erfolgten wiederholten Verletzungen der Verträge vor allem auf israelischer Seite. Vgl. Suciu, A. und Yehuda, L. (2011). Human Rights in the Occupied Territories: Possible Implications of the Recognition of Palestinian Statehood. Tel Aviv: The Association of Civil Rights in Israel.

(4) Der Standard (2012). Israel droht Palästinensern vor ihrem UNO-Antrag. 14. November. Abgerufen unter: http://derstandard.at/1350261358515/Israel-droht-Palaestinensern-vor-UNO-Antrag-der-Palaestinenser (19.11.12).

(5) Schult, C. (2012). Uno-Antrag von Abbas: Berlin sperrt sich gegen Aufwertung der Palästinenser. Spiegel Online, 12. November. Abgerufen unter: http://www.spiegel.de/politik/ausland/berlin-verhindert-diplomatische-aufwertung-der-palaestinenser-a-866639.html (14.11.12).

(6) Haaretz (2012). Palestinian envoy briefs China on UN bid and Gaza conflict. 22. November. Abgerufen unter: http://www.haaretz.com/news/middle-east/palestinian-envoy-briefs-china-on-un-bid-and-gaza-conflict-1.479831 (22.11.12).

(7) Für eine ausführliche Diskussion der rechtlichen wie politischen Implikationen des palästinensischen VN-Antrages, vgl. Dane, F. und Stettner, I. (2011). Ein Staat Palästina in den Vereinten Nationen? Voraussetzungen, Positionen und Erwartungen vor der VN-Generalversammlung. Berlin: KAS Auslandsinformationen, 8/2011, S. 53-72.

(8) A.a.O., S. 71-72.

(9) Ma’an News Agency (2012). Abbas: Israel trying to undermine Palestinian UN vote. 16. November. Abgerufen unter: http://maannews.net/eng/ViewDetails.aspx?ID=538399 (21.11.12).

(10) Ma’an News Agency (2012). Argentinean president urges UN support to Abbas after Gaza conflict. 22. November. Abgerufen unter: http://www.maannews.net/eng/ViewDetails.aspx?ID=540600 (22.11.12).

(11) Ma’an News Agency (2012). Fatah, Hamas urge unity at Gaza rallies. 22. November. Abgerufen unter: http://www.maannews.net/eng/ViewDetails.aspx?ID=541065 (23.11.12).

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