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Veranstaltungsberichte

9/11 – damals und 10 Jahre danach

Politischer Salon am 20. August 2011, Erbacher Hof, Mainz

Zur Erinnerung an den 11. September 2001 hatte das Bildungswerk Mainz der Konrad-Adenauer-Stiftung namhafte Experten eingeladen, um auf das Ereignis vor 10 Jahren zurückzublicken und um die Zeit danach und die Folgen des Anschlags zu beleuchten. Bis hin zu den neuesten Entwicklungen in Afghanistan, Pakistan und zum „arabischen Frühling“ sollte der Bogen der Betrachtungen gespannt werden.

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Marita Ellenbürger, wissenschaftlich-pädagogische Mitarbeiterin des Bildungswerks Mainz, schilderte im Rahmen ihrer Begrüßung ihre ganz persönlichen Erinnerungen an den frühen Nachmittag des 11. September 2001, der sich seither ins Gedächtnis der Weltöffentlichkeit gebrannt hat. Auch erinnerte sie an eine Veranstaltung im Mainzer Schloss anlässlich des 1. Jahrestags mit Elmar Theveßen und Steffen Seibert vom ZDF, am 11. September 2002, genau ein Jahr nach den Anschlägen in New York und Washington.

Dr. Christoph von Marschall, USA-Korrespondent des Tagesspiegels in Washington, wusste aufgrund seiner langjährigen Arbeit zu berichten, dass Amerika nach den Anschlägen ein anderes Land geworden sei. Vor allem in den großen Städten und als Tourist merke man dies. Gleichzeitig habe sich in der Weite des Landes, in weniger urbanen Staaten wie New Hampshire (Motto des Staates: Live free or die!), Texas oder Wyoming kaum etwas verändert. Die Einschränkungen der Bürgerrechte, eine Reaktion der Bush-Administration auf den Schock und den Schmerz der Anschläge, haben sich in den letzten Jahren gelockert und wurden meist aufgrund von Klagen seitens verschiedener Bürger- und Zivilorganisationen zurückgefahren, so von Marschall.

Der amerikanische Militärstützpunkt Guantanamo auf Kuba wurde in den Augen mancher in den Jahren nach dem 11. September zum Synonym für die entfesselte Reaktion der USA auf die Anschläge in New York und Washington. Hierhin wurden all jene gebracht, die in Afghanistan aufgegriffen wurden, die man aber aufgrund des Krieges nicht vor Ort verhören konnte oder wollte, und die verdächtig waren, in terroristische Machenschaften involviert zu sein. Da für die Verdächtigen teils ein Kopfgeld gezahlt wurde, wurden auch Unschuldige nach Guantanamo verbracht, gab von Marschall zu bedenken. Sehr eindrücklich schilderte der Journalist seine Reiseimpressionen von Guantanamo. Die allseits bekannten Bilder von Gefangenen in orangefarbener Kleidung entsprechen nicht der gegenwärtigen Realität, berichtete von Marschall: „Der Zustand, in dem Gefangene in dieser Kleidung in offenen Käfigen unter freiem Himmel untergebracht waren, herrschte nur zwei Monate von Februar bis März 2001, prägt aber bis heute das Bild, das die Öffentlichkeit von Guantanamo hat“. Bis zum heutigen Tage sei der Verhörwert sehr gering, so die Einschätzung von Marschalls, der Schaden im öffentlichen Ansehen der USA jedoch immens. Bereits während der Regierung Bush wurden 500 der ursprünglich 800 Insassen entlassen, noch 240 Gefangene waren inhaftiert, als Obama ins Amt kam. Dieser habe sich für die Schließung nicht sonderlich eingesetzt, da sein Versprechen die hochkarätigen Insassen in New York, am Ort des Geschehens, abzuurteilen letztlich vor allem auf die Gegenwehr der Abgeordneten stieß. Die Frage, ob man die Gefährlichsten der Gefährlichen in die USA bringen dürfe, wurde verneint und man beschloss, dass diese Gefangenen niemals in die USA gebracht werden dürften. Stattdessen wurde das Zeltlager Camp Justice eingerichtet, wo nun die Prozesse gegen die Angeklagten durchgeführt werden. Hierbei handle es sich nicht um Zivilprozesse, so von Marschall, sondern um Militärprozesse mit neuer Prozessordnung, die unter der Obama-Administration installiert wurden. Von den derzeit noch 160 Inhaftierten in Guantanamo sollen rund 50 auch weiterhin ohne Prozess gefangen gehalten werden. Da die größte Gefangenengruppe aus dem Jemen stammt und dort Bürgerkrieg herrscht, legitimieren die USA das Recht zur prozesslosen Inhaftierung der Verdächtigen nach wie vor mit der Begründung, man befinde sich im Krieg gegen den Terror. Wie lange dieser dauere, sei nicht klar, schloss der Journalist.

Elmar Theveßen, Terrorismusexperte des ZDF, stellte heraus, dass die Angst jenes Gefühl war, das sich am 11. September 2001 wie ein Schleier über die Welt gelegt habe. Hiernach hätten sich viele, vor allem politische Entscheidungen und Reaktionen, gerichtet und hiervon leiten lassen. 9/11 hat unser Leben, so der stellvertretende Chefredakteur des ZDF, nachhaltig verändert. Die damit verbundenen Emotionen aber verstellten uns die Möglichkeit rational und sachlich über die Dinge zu diskutieren und zu bewerten, meint Theveßen. Nach den Anschlägen habe die amerikanische Regierung zweierlei Gefühle gehabt: einerseits die Scham, die Anschläge aus purem Dilettantismus nicht verhindert zu haben und andererseits die Angst, dass etwas Ähnliches wieder passieren könnte. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass sich die Bush-Administration für die Geschehnisse mitverantwortlich fühlte, so wird sehr deutlich, dass deren Handeln nach 9/11 sehr stark von diesen Gefühlen geleitet war.

So wurde nach Einschätzung des Experten in den zehn Jahren nach den Anschlägen das amerikanische Recht um- und hingebogen: „Der 11. September hat alles entfesselt, die Werkzeuge der Supermacht haben fortan ohne Fesseln und Handschellen agiert“. Nach dem Ideologen George W. Bush gibt es nun einen Realisten Barack Obama im Weißen Haus, der nicht weniger entschlossen sei, so Theveßen. Letzterer rechtfertige zwar nicht mehr uneingeschränkt den Krieg gegen den Terrorismus, wohl aber den Krieg gegen einzelne Terroristen, bis hin zu deren gezielter Tötung, nicht nur in Kampfgebieten. Gleichzeitig hält Theveßen fest, dass Obama kompromisslos an der Unterstützung der arabischen Reformbewegung festhalte und sein Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit – nicht Demokratie – die Umbrüche in der arabischen Welt gefördert haben. Abschließend appellierte der Referent an die Teilnehmer auch die eigene Wahrnehmung zu überdenken: „Wir sollten uns häufiger fragen, wie wir die Welt positiv gestalten können, statt Angst zu haben und uns zu fürchten“.

Dr. Reinhard Erös, Oberstabsarzt der Bundeswehr a.D. und Gründer der „Kinderhilfe Afghanistan“, äußerte sich kritisch zu der für ihn zu verengten und reduzierten Auffassung, dass es Terror nur bei Moslems gebe. Der Fall Oslo widerlege dies, so Erös. Sein jahrelanges Engagement in den Paschtunen-Regionen Pakistans und Afghanistans habe gezeigt, so Erös, dass es für die Sicherheit in der Region nicht darauf ankomme, wie es entwicklungstechnisch weitergehe. Vielmehr komme es darauf an, sehr früh bei den Kindern anzusetzen und deren Bildung zu fördern, damit diese nicht in die Fänge der Taliban geraten. Daher plädiert der Afghanistan-Experte für eine massive Kürzung der Entwicklungshilfe. Wenn 80 von 100 Dollar in der Korruption verschwänden, müsse man weniger eld einsetzen, dieses dann aber sinnvoll. Und weiter: „Die militärische Variante ist die teuerste und blutreichste, die Erziehungsvariante ist die günstigste und blutärmste“.

Die Ereignisse des 11. September 2001 ließen eine lang anhaltende Welle der Begeisterung vor allem durch Pakistan, nicht aber durch Afghanistan, schwappen. Überhaupt hatten die Taliban in Afghanistan nachweislich keine Kenntnisse über die Attentate auf die USA. Vielmehr, so Erös, wurde Osama bin Laden in den Folgejahren vermutlich vom pakistanischen Geheimdienst ISI (Inter-Services Intelligence) geschützt. Seiner Einschätzung zufolge ist Pakistan das mit Abstand gefährlichste und brisanteste Land der Welt mit 180 Millionen Einwohnern zumeist wahabitischen Glaubens (extreme, dogmatische Auslegung des sunnitischen Islams), in dem in der alles umfassenden Armee des Landes die Islamisten auf dem Vormarsch seien. Der Referent konkret: „Pakistan hat keine Armee, Pakistan ist eine Armee!“. Entgegen der Einschätzung des Westens, vor allem der USA, hat Pakistan den War on Terror nie unterstützt, das Land habe die Terroristen im Gegenteil selbst hervorgebracht, merkte Erös an.

Die anschließende von Dr. h.c. Johannes Gerster geleitete Diskussion der Referenten mit dem Publikum richtete sich schwerpunktmäßig vor allem auf die Frage der Folgen von 9/11. Das Podium war sich einig in der Ansicht, dass die Welt nach dem 11. September eine multipolare geworden ist und in zunehmendem Maße werden wird. Die Regierung Bush sei seinerzeit angetreten, die amerikanische Vormacht und Vorherrschaft zu sichern, die zwischenzeitliche Entwicklung aber bewege sich in eine andere Richtung. Hierzu Elmar Theveßen: „Vor allem durch wirtschaftliche Macht werden Länder wie China, Russland und Brasilien in Zukunft an politischer Vormachtstellung gewinnen“. In Europa müsse man sich daher konsolidieren und neu strukturieren angesichts dieser neuen Weltlage, so Theveßen.

Die Frage, wie mit Gesellschaftsformen umzugehen sei, die den aufklärerischen Gedanken des Friedens nicht verinnerlicht hätten, beantwortete Christopher von Marschall mit dem Appell, sich einerseits nicht von verabsolutierten Ansichten einschüchtern zu lassen, andererseits aber auch nicht den terroristischen Bestrebungen in die Hände zu spielen und zuzulassen, dass ein Keil zwischen die Kulturen getrieben werde. Dr. Erös schloss sich dieser Einschätzung an und äußerte seine Bedenken bei der Verwendung von Begrifflichkeiten wie `Kreuzzug`. Dies trage seiner Ansicht zu einer weiteren Verhärtung der Fronten bei.

Elmar Theveßen mahnte an, dass in der Diskussion insgesamt der Blick für das große Ganze und die globalen Zusammenhänge verlorengegangen sei. „Eine Auseinandersetzung über eine große Vision die Zukunft der Welt betreffend, findet nicht statt, Globalisierung und Vernetzung kann gegebenenfalls ein Friedensgarant sein, setzt aber auch Fliehkräfte frei und kann dazu führen, dass jene, die sich durch diese Globalisierung benachteiligt fühlen, aufbegehren“, so der Terrorismusexperte. Mit diesen Nebeneffekten aber müsse man sich auseinandersetzen und umgehen lernen und man müsse sich auch in Europa klarmachen, dass dieser Prozess von Seiten des Westens nicht immer nur positiv und aus der Ferne gestaltet werden kann. Vielmehr müsse eine offene Unterstützung vor Ort, beispielsweise in den arabischen Staaten, stattfinden. Christoph von Marschall gab abschließend zu bedenken, dass es in unserer europäischen Art der Betrachtung nicht darum gehen darf anderen, den USA, Ratschläge geben zu wollen: „Auch wir hätten entsprechend reagiert, wären Anschläge in Deutschland geglückt – wir hatten bisher nur Glück!“.

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