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Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft und ihre Bedeutung für die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei

Die Erwartungen sind hoch, die Spielräume eng – die am 1. Januar 2007 übernommene Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union stellt für die deutsche Bundesregierung eine große Herausforderung und eine Bewährungsprobe zugleich dar. Deutschland tritt den Ratsvorsitz in einer für die weitere Entwicklung der Europäischen Union kritischen Phase an.

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In vielen Mitgliedsstaaten hat sich Europaskepsis breit gemacht: Man spricht sogar von einer Vertrauens- und Orientierungskrise. Der Reformprozess ist ins Stocken geraten, der negative Ausgang der Referenden zum Verfassungsvertrag in Frankreich und den Niederlanden war ein Ausdruck dafür. Mit dem Beitritt von Bulgarien und Rumänien am 1. Januar 2007 stößt die EU in ihrer derzeitigen Struktur mit 27 Mitgliedern an die Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit.

In die deutsche Ratspräsidentschaft fällt aber auch der 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge am 25. März 1957. Dies ist zum einen Anlass, die einzigartige Erfolgsgeschichte der Europäischen Union zu feiern: Sie hat dem europäischen Kontinent Frieden und Wohlstand gebracht, Freiheit und Demokratie, die Überwindung der Teilung des Kontinents, einen gemeinsamen Binnenmarkt für eine halbe Milliarde Menschen sowie eine gemeinsame Währung gebracht. Zum anderen kann der EU-Sondergipfel am 25. März 2007 wichtige Impulse für die Verfassungsdebatte geben. Hier soll eine „Berliner Erklärung“ zu den wichtigsten Werten und zu den künftigen Aufgaben der EU verabschiedet werden.

Die Liste der Themen für die deutsche Präsidentschaft ist lang: Sie reicht vom Verfassungsvertrag, den Erweiterungsprozess, Nachbarschaftspolitik, Energie- und Umweltpolitik, Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus bis hin zur EU-Finanzierung und zum Bürokratieabbau. Da die Handlungsoptionen innerhalb des sechsmonatigen deutschen Ratsvorsitzes beschränkt sind, wurde vom Rat der Europäischen Union erstmals ein Achtzehnmonatsprogramm der drei aufeinander folgenden Ratspräsidentschaften von Deutschland, Portugal und Slowenien für den Zeitraum Januar 2007 bis Juni 2008 erstellt. Es ist das offizielle Arbeitsprogramm des Rats für diesen Zeitraum und wurde in enger Abstimmung mit der Kommission erarbeitet. Damit soll die Kontinuität in der Ratsarbeit gestärkt werden.

Ein zentrales Anliegen für die deutsche Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel ist es, bis zum EU-Gipfel Ende Juni 2007 einen Ausweg aus der Verfassungskrise aufzeigen zu können. Dies ist eine wirklich schwierige Aufgabe, wenn man bedenkt, wie unterschiedlich die Positionen einzelner Länder zu dieser Frage sind: Da gibt es die so genannten „Freunde der Verfassung“, also die 18 EU-Staaten, die die Verfassung bereits ratifiziert haben. Sie wollen den bestehenden Verfassungsvertrag weitestgehend erhalten, können sich sogar Ergänzungen in einigen Bereichen vorstellen.

Andere Länder setzen sich für eine erhebliche Reduzierung des Vertrags ein, gesprochen wird von einem „Mini-Vertrag“. Polen hat angekündigt, im März 2007 einen eigenen Vorschlag für einen neuen EU-Verfassungsvertrag einbringen zu wollen, Tschechien wünscht sich erhebliche Neuformulierungen und Großbritannien lehnt wesentliche Elemente des Verfassungsvertrages ab – wie beispielsweise die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen, die Schaffung des Postens für einen EU-Außenminister oder einen Auswärtigen Dienst der EU.

Ob und wie diese unterschiedlichen Positionen zusammengeführt werden können, darüber wird die Bundesregierung mit den 26 EU-Partnern detaillierte Gespräche führen, um dann einen Fahrplan auszuarbeiten, in welchen Schritten das Problem des Verfassungsvertrages gelöst werden kann. Eine Lösung der Verfassungsfrage muss auf jeden Fall rechtzeitig vor den Wahlen für das Europäische Parlament im Frühjahr 2009 gefunden worden sein.

Eine weitere wichtige Voraussetzung für die Fortsetzung des europäischen Integrationsprozesses und somit Aufgabe für die deutsche Ratspräsidentschaft ist die Überwindung der Europaskepsis in weiten Teilen der Bevölkerung. Je größer und unüberschaubarer die EU wird, desto mehr fragen die Menschen nach dem Sinn und Nutzen der Europäischen Union. Es geht um die Frage der Identität der EU und es geht um die Frage des Zusammengehörigkeitsgefühls ihrer Bürger. Dafür muss wieder deutlicher ins Bewusstsein gerückt werden, dass Handeln und der Zusammenhalt der EU auf gemeinsamen Werten gründet. Werten, für die Europa heute in der Welt steht und die es im weltweiten Wettbewerb der Kulturen bewahren will.

In Ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament am 17. Januar 2007 in Straßburg hat die Bundeskanzlerin den wesentlichen Charakter Europas zusammengefasst: „Europas Seele ist Toleranz“. Toleranz ermögliche Vielfalt, und die Vielfalt sei der Garant für die Freiheit Europas:

  • Die Freiheit, die eigene Meinung öffentlich zu sagen, auch wenn dies andere stört
  • Die Freiheit zu glauben oder nicht zu glauben
  • Die Freiheit des unternehmerischen Handelns.
Im Anblick der verfassungspolitischen Krise und der Skepsis der Bürger gegenüber dem Erweiterungsprozess hat die Bundeskanzlerin damit an die Grundmotive und den Kern des europäischen Einigungsprozesses erinnert: Freiheit und Toleranz. Und sie hat damit zugleich deutlich gemacht, dass dies die Europäer auch weiterhin leiten muss, um die künftigen außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen bewältigen zu können.

Der Erweiterungsprozess wird unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft unter Berücksichtigung der Aufnahmefähigkeit der EU fortgesetzt. Dabei wird sie sich an den Beschlüssen des EU-Gipfels vom Dezember 2006 orientieren.

Dies betrifft auch die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Die Entscheidung des EU-Gipfels, acht Verhandlungskapitel vorübergehend auszusetzen, weil griechisch-zypriotische Schiffe weiterhin nicht in türkischen Häfen anlegen dürfen, bedeutet zwar einen Dämpfer, nicht aber den Abbruch der Verhandlungen. Nun geht es darum, in den nächsten Monaten des Jahres 2007 den Verhandlungsprozess nicht völlig zum erliegen kommen zu lassen. Noch unter der finnischen Ratspräsidentschaft wurde beschlossen, zumindest ein Kapitel – nämlich das über Unternehmens- und Industriepolitik – zu Jahresbeginn 2007 zu eröffnen. Mittlerweile hat die EU angekündigt, sich im Zypernkonflikt stärker zu engagieren und ihr Versprechen einzulösen, die Isolation Nordzyperns aufzulockern und die zugesagten Hilfsgelder dem türkischen Teil der Insel zukommen zu lassen. Einigkeit herrscht auch darüber, auf Vermittlung der Vereinigten Nationen einen neuen Anlauf zur Lösung der Zypernfrage zu unternehmen.

Aber auch die Türkei muss darum bemüht sein, den Reformprozess nicht erlahmen zu lassen und ihren Verpflichtungen im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen nachzukommen. Dies wird nicht leicht sein, da einerseits die Zustimmung für eine türkische EU-Mitgliedschaft bei den Bürgern sowohl in Europa als auch in der Türkei deutlich zurückgegangen ist. Anderseits wird das türkische politische Leben im Jahre 2007 von den im Mai anstehenden Präsidentschaftswahlen und den Wahlen zur Großen Türkischen Nationalversammlung im November beherrscht sein.

Die skeptische Einstellung der CDU/CSU gegenüber einer EU-Vollmitgliedschaft der Türkei ist bekannt. In der Regierung steht sie aber zu den von der Schröder-Regierung eingegangenen Vereinbarungen und unterstützt den Verhandlungsprozess. Bundeskanzlerin Merkel hat während ihres letzten Türkei-Besuches im Oktober 2006 nochmals deutlich gemacht: „Pacta sunt servanda“.

Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Dr. Andreas Schockenhoff, sagte am 5. Februar 2007 in Ankara: „Wir haben ein nachdrückliches Interesse daran, dass die Türkei den begonnenen Reformprozess fortsetzt – und die Beitrittsverhandlungen sind dafür ein Katalysator! Niemand von uns will die Beitrittsverhandlungen abbrechen, ihre Fortsetzung liegt im europäischen Interesse. Und niemand von uns legt der Türkei zusätzliche Steine in den Weg.“

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Sven-Joachim Irmer

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