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Erneute Alleinregierung der AK-Partei

von Dr. Colin Dürkop

Unerwartet klarer Sieg

Nachdem die AK-Partei bei den Wahlen am 7. Juni 2015 ihrer absoluten Mehrheit verlustig ging und die Koalitionsverhandlungen mit den Oppositionsparteien CHP, MHP und HDP scheiterten, wurden erneute Wahlen für den 1. November 2015 angesetzt. Die zweite Runde des Machtkampfs um die Parlamentssitze endete mit dem einem unerwartet klaren Sieg der AKP, die seit 2002 die Alleinregierung stellt. Die Wähler gaben den Oppositionsparteien dieses Mal keine Chance für eine Mitbeteiligung an einer Koalitionsregierung. Sie haben sich einmal mehr für Stabilität entschieden.

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Das Wahlergebnis

Insgesamt haben sich 18 Parteien um die 550 Parlamentssitze beworben. Die AK-Partei erhielt nach vorläufigen Ergebnissen 49,4% der Stimmen und errang nach den gewonnenen Parlamentswahlen von 2002, 2007 und 2011 abermals die absolute Mehrheit. Sie bleibt weiterhin die mit Abstand stärkste politische Kraft im in 63 Provinzen und ist gestärkt aus der Wahl hervorgegangen; sie kann weitere vier Jahre alleine regieren. Allerdings verfehlte sie ihr Ziel einer Zweidrittelmehrheit, um die Verfassung in Richtung eines Präsidialsystems zu ändern.

Die kemalistische Republikanische Volkspartei CHP wurde zwar abermals die zweitstärkste Partei mit 25,4% der Stimmen, hat aber ihr Ergebnis vom 7. Juni nur kosmetisch verbessern können. Sie bleibt somit künftig von weiteren politischen Gestaltungsmöglichkeiten im Parlament weitgehend ausgeschlossen. In vier von zehn Provinzen, wo sie bisher die Mehrheit stellte, verlor sie diese an die AK-Partei. Ihr Parteivorsitzender verzichtete am Abend der Wahl auf einen öffentlichen Auftritt.

Die ultranationalistische MHP erlitt hohe Verluste und büßte fast ein Viertel ihres Stimmanteils und die Hälfte ihrer Parlamentssitze ein. Von dem Niedergang der MHP profitierte vor allem die AK-Partei. Der als „Mr. No“ betitelte Parteivorsitzende konnte durch seine permanente Verweigerungshaltung nicht überzeugen und hat mit einem Wahlergebnis von nur mehr 11,9 % seine Quittung hierfür erhalten.

Die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker HDP erreichte gerade noch 10,7% der Stimmen, verlor viele Leihstimmen und konnte ihr Ergebnis vom Juni nicht halten. Sie hat damit aber den Einzug ins Parlament geschafft, wenn auch mit einem Fünftel weniger Abgeordneten. In zwei östlichen Provinzen gab sie die Mehrheit der Stimmen an die AK-Partei ab. Zudem sind viele der religiös-konservativen kurdischen Wähler wieder zur AK-Partei zurückgewandert.

Wahlbeteiligung und Verlauf der Wahl

Insgesamt waren knapp 54 Millionen Wähler aufgerufen, ihre Stimme abzugeben, davon alleine 1,4 Mio. wahlberechtigte Türken in Deutschland. Die erneut hohe Wahlbeteiligung von 85,5% ließ auf keine Ermüdungserscheinungen bei der Wählerschaft schließen.

Insgesamt verlief die Wahl ohne größere Vorfälle. Wahlmanipulationen sind nicht bekannt geworden, ebenso wenig wie Unregelmäßigkeiten.

Verloren haben einmal mehr die diversen Umfrageinstitute, die mehrheitlich ein ähnliches Wahlergebnis wie im Juni prognostiziert hatten.

Die AK-Partei zieht mit 316 Sitzen ins Parlament ein. Die größte Oppositionspartei CHP erhält 134 Parlamentssitze. Die MHP wird nur mehr 41 Parlamentariern vertreten sein. Und die pro-kurdische HDP hat 59 Sitze errungen.

Gerade in den Kurdengebieten konnte die AK-Partei fast zehn Prozent Zugewinne verzeichnen; in großen Städten am Schwarzen Meer 11% und in der Heimatstadt Erdoğans sogar 75%.

Vorläufige Analyse des Wahlergebnisses

Die AK Partei erlitt in den letzten Jahren – zumindest unter ihren Gegnern - einen starken Imageverlust und eine Abnahme der politischen Glaubwürdigkeit. Diverse türkische Umfrageinstitute ermittelten im Vorfeld der Wahlen einen gewissen Rückgang des Stimmanteils der Regierungspartei. Experten nennen dafür eine Reihe verschiedener Gründe wie u.a. Korruptions- bzw. Verschwendungsvorwürfe, das Handling der Gezi-Proteste, Defizite bei der Wirtschafts- und Außenpolitik sowie interne Spannungen innerhalb der Partei. Weitere Kritikpunkte sind Staatspräsident Erdoğans Wahlkampfhilfe für die AK-Partei und seine Eingriffe in die politischen Entscheidungen der Regierung, wobei ihm die gültige Verfassung die Einberufung und Leitung von Kabinettssitzungen zugesteht.

Trotz all dieser „Minuspunkte“ der Partei und der derzeitigen politischen Rahmenbedingungen scheiterten die türkischen Oppositionsparteien bei dem Wahlkampf erneut. Sie verfehlten die Chance, die die türkischen Wähler ihnen im vergangenen Juni bescherten. Schon nach der Juniwahl waren sie nicht einmal in der Lage, einen gemeinsamen Kandidaten für die Wahl des Parlamentspräsidenten aufzustellen und überließen auch diesen wichtigen Posten der Regierungspartei. Die chaotischen Szenen in den wenigen Parlamentssitzungen nach der Wahl mögen die Wähler an die Unfähigkeit der früheren Koalitionsregierungen erinnert haben.

Sämtliche politische Beobachter und Kolumnisten stellen sich nun die Frage, was hinter dem Erfolg der AKP steht, bzw. was das Geheimnis des erneuten Erfolgs von Erdoğans AK-Partei ist.

Es gibt sicherlich eine ganze Reihe von Erklärungsansätzen und die Analysen in den nächsten Tagen und Wochen werden weitere Erkenntnisse zu Tage fördern, warum die AK-Partei bei dieser Wahl abermals so erfolgreich war.

Das Wahlergebnis lässt die Schlussfolgerung zu, dass die schweren Terroranschläge, die die Türkei seit der ersten Parlamentswahl in Diyarbakir (am 5.6.2015), in Suruҫ (am 20.7.2015), und Ankara (am 10.10.2015) erschütterten, den Ausgang der Neuwahl entgegen weitverbreiteter Spekulationen und Verschwörungstheorien beeinflusst haben. Zumindest hat die AK-Partei einen großen Profit daraus geschlagen, denn sie konnte sowohl nationalistische, linke als auch kurdische Stimmen in großer Zahl auf sich vereinigen. Ihre starke Hand gegen die PKK hat sich stimmenmäßig für sie ausgezahlt.

Ihre zunehmend nationalistische Rhetorik bei ihren Wahlkampagnenauftritten, gepaart mit dem Vorwurf einer engen Verbindung bzw. Verzahnung zwischen der pro-kurdischen HDP und der PKK hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Immerhin die Hälfte der Wählerschaft scheint davon überzeugt zu sein, dass die Ruhe und Sicherheit der türkischen Gesellschaft ohne eine AKP-Alleinregierung nicht gewährleistet werden kann und dass nur die AK-Partei eine erfolgreiche Regierung bilden und innenpolitische Schwierigkeiten meistern könne.

Als ein weiterer von möglichen Gründen wird die neue Kandidatenliste der AK-Partei genannt, die von Erdoğan selber maßgeblich mitbestimmt wurde und offensichtlich unter den AKP-Wählern Anklang gefunden hat. Weiterhin spekuliert wird über die Frage, inwieweit das verlängerte Wochenende vor dem Wahltag einen Einfluss auf das Wahlergebnis hatte. Schon bei den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Sommer hatten viele Wähler ihre Stimme nicht abgegeben, um ihren Urlaub nicht für eine Stimmabgabe an ihren Wohnorten abgeben zu müssen.

Viel schwerwiegender wiegen dürfte aber die generelle Unfähigkeit und Inkompetenz der Opposition. Es gibt schon lange keine personelle oder inhaltlich überzeugende politische Alternative in Form einer politisch kompetenten Oppositionspartei als starken Gegenpol zur AK-Partei.

Insbesondere die CHP konnte nicht mit einem originellen Gegenentwurf oder gar Visionen aufwarten. Ihr Wählerpotenzial stagniert seit Jahren bei etwa 25 Prozent, über das sie schwerlich noch einmal hinauskommen wird. Darüber hinaus kann sie offenbar mit ihrem Konzept und personellem Angebot keine weiteren Wählerschichten überzeugen. Insbesondere im Herzland Anatolien kann sie die Wähler schon seit geraumer Zeit nicht „mitnehmen“ bzw. mobilisieren. Sie ist dort auch kaum organisatorisch präsent.

Ganz anders die AK-Partei: sie ist landesweit bestens aufgestellt, verfügt über eine schlagkräftige Jungendorganisation und nach China über die größte politische Frauenorganisation mit über vier Millionen Mitgliedern. Sie ist nicht nur in Wahlkämpfen präsent, sondern ist ganzjährig mit Aktivitäten bis auf die Graswurzelebene aktiv. Folglich entscheiden sich viele Bürger nicht nur wegen den unfähigen Oppositionsparteien oder der islamisch-konservativen Orientierung der Partei für die AK-Partei, sondern weil Parteikader das ganze Jahr über Problemlösungen und soziale wie auch ökonomische Dienstleistungen vor Ort im ganzen Land anbieten, was den Wählern zugleich ein Vertrauensgefühl vermittelt.

Erschwerend wirkt, dass die türkische Parteienlandschaft überwiegend aus ideologisch fixierten Parteien besteht, die sich nicht an den gesellschaftlichen Bedürfnisse und Interessen orientieren und auf diese eingehen. Ein weiterer Nachteil der Oppositionsparteien ist, dass sie seit nunmehr 13 Jahren keine Regierungsverantwortung und Erfolge mehr aufweisen können. Ihr Angebot beschränkt sich auf mehr oder weniger populistische Wahlversprechen und Fundamentalkritik an der AK-Partei und Erdoğan.

Laut der Meinung vieler Experten wird sich der heutige Wahlausgang für die Oppositionsparteien so lange wiederholen, bis sie nicht ihr auf Ethnizität und Ideologie bezogenes Politikverständnis aufgeben und danach streben, eine Volkspartei zu werden.

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30. Oktober 2015
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